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Ausgang
Tränen rennen über mein Gesicht, stürzen sich zu Boden. Sterben.
Ein leichter Windhauch tätschelt meinen haarlosen Kopf. Ich blicke mich um.
Die Wohnung ist verdreckt. Neben dem sperrangelweit geöffneten Fenster stapeln sich unzählige Papierklümpchen.
Ich hatte zu oft versucht, meine Gedanken festzuhalten. Entschuldigungen, Analysen, Vorhersagen, Blickpunkte, Philosophie, Kunst. Die Ablenkung durch’s Zeichnen versprach erst recht keinen Erfolg. Schwarze Seiten. Von oben bis unten. Das Nichts dargestellt.
Ich hatte einen Dreck darin wiedererkannt. Aber so stellte ich mir vor, wie „es“ wohl sein würde.
Als die leeren Bierflaschen auf dem Plastiktisch auf und ab hüpften, bemerkte ich die Trommeln. Meine Finger waren Werkzeuge. Musik!
Schnell hatte ich eine Band zusammengestellt. Auftritte in allen möglichen Läden. Na gut, die Schwulenbar würde ich lieber wieder vergessen. Es lohnte sich aber, wir waren berühmt! Wir leckten den Schweiß von Mädchen, die in warmen Honig getunkt wurden. Jeden Tag erlebte ich nur als Sekundenbruchteil. Das war es. Das reine Leben. Das richtige! Einfach fantastisch!
Nur Hirngespinste! Visionen, nicht mehr.
Langsam bin ich aufgestanden. In den letzten drei Tagen hatte ich vielleicht eine oder zwei Stunden geschlafen. Jetzt denke ich, ich wäre nie wach gewesen. Immerhin geht es mir nicht schlechter als sonst.
Sofa, Kühlschrank, Couch, Küche. So viel zu tun!
Mein Verstand schaltete sich aus...
Als ich wieder da war, klebten die verschiedensten Käsesorten an mir. Alter, ranziger Käse, der nach schalem Bier roch. Mit einem Kater zog ich mich an der Spüle hoch und meine Augen fixierten ein jämmerliches Stück Erbrochenes. Blutbefleckt. Geradezu unscheinbar.
Mein Gott, was ist nur aus mir geworden.
Ich suchte mein Telefon. Eine odysseehafte Reise begann. Ob es Stunden oder Tage dauerte, kann ich nicht mehr sagen. Aber ich hatte Gewissheit. Hier gab es nie irgendeinen kommunikativen Weg.
Ich musste raus.
„Vielleicht zieh’ ich mir einfach Springer an und latte den nächsten Schwarzen zusammen!“
Barfuß schlurfte ich die 50 Meter zur Dorfschenke.
Bin ich überhaupt weggegangen?
Auf jeden Fall saß ich auf dem Sofa und hatte einen Plan. Ein krüppeliger alter Penner erzählte etwas in einer schäbigen Bar von Nachkriegsliteratur. Trümmer, Angst, Verzweiflung. Da wollte ich nicht hin! Mein Kampf hatte schon begonnen, aber die Schlacht war noch nicht vorbei!
Alle Waffen, die ich aufbringen konnte, nahm ich mit. Ich machte mich auf den Weg zum Schützengraben; den Tropf hinter mir herziehend.
Tränen rennen über mein Gesicht.
Fallen zu Grunde. Sind tot.