- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Ausgespielt
Thom war eine verdammte Fuckmachine. Er bekam jede, die er wollte.
Als unser Kapitän hatte er auch die volle Auswahl. Nach jedem Spiel warteten einige vor der Kabine. Er war auch immer der erste unter der Dusche. Während wir mit unseren Badelatschen aus der Dusche rausklapperten, stand er schon vorm Spiegel und legte sich die Haare. Kurz darauf verließ er mit einem lässigen "Salute" die Kabine. Draußen wartete schon der gackernde Hühnerhaufen. Bevor die Tür zuklappte, hörten wir noch wie er sich eine aussuchte: “Na Süße, was machen wir denn heute…“
Am nächsten Tag gruppierten wir uns auf dem Schulhof um Thom herum und hingen an seinen Lippen, während er erzählte, wie er´s ihnen besorgt hatte. Da waren Namen dabei, von denen ich es niemals geglaubt hätte. Zum Beispiel Cora. Die war zwei Stufen über uns und hatte eigentlich einen Freund. Trotzdem hatte Thom sie auf der Matte gehabt. Und wie. Er sagte, dass sein Nachbar ihm am nächsten Morgen mit ner Klage gedroht hätte, wenn das noch mal vorkommen würde.
Bei mir hatte es noch nicht geklappt. Einmal war ich mit Rita kurz davor gewesen. Die war auf ner Party so dicht, dass es kein Problem war, sie mit zu mir zu nehmen. Meine Alten waren an dem Wochenende zum Glück wieder auf einem ihrer Philatelistentreffen. Also hatte ich sturmfrei und war entschlossen, diese Chance zu nutzen. Während wir die drei Stockwerke zu unserer Wohnung hochstiegen, lallte Rita irgendwas von lila Nashörnern auf dem Mond. Scheinbar hatte sie sich nicht nur an den Cocktails übernommen. Ich legte sie auf mein Bett und rannte ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Als ich wiederkam, schnarchte sie bereits und kuschelte mit meinem Eisbären. Ich zog mich aus und legte mich neben sie. Ihre Klamotten stanken nach Rauch. Ich begann ihre Bluse aufzuknöpfen, aber in der Mitte hörte ich auf. Ich konnte es nicht. Nicht so. Ich stellte mir vor, wie wir´s am nächsten Morgen machten und schlief darüber ein.
Das Erwachen war der absolute Reinfall. Ich hörte einen krassen Schrei und schreckte hoch. Rita stand in der Mitte des Zimmers, mit dem Eisbären im Arm und starrte auf meine Morgenlatte.
„Was hast du perverser Wichser mit mir gemacht?“, keifte sie.
Geistesgegenwärtig schnappte ich meine Decke und bedeckte das Wichtigste. „Nichts“, murmelte ich. „Du bist gleich eingeschlafen.“
Doch sie glaubte mir nicht und machte ein Riesentheater, während sie ihre Schuhe suchte. Das volle Programm.
„Ich schwör´ Dir. Wenn ich irgendwelche Schleimspuren an meinen Sachen finde, dann hetz´ ich Dir die Bullen an den Hals. Mit DNA-Analyse. Ihr Typen seid doch alle gleich.“
Ich versuchte sie wieder runterzukriegen, vor allem, weil die Wände bei uns ziemlich dünn waren. Gottseidank fand sie irgendwann ihren zweiten Schuh und fort war sie. Ich schwor mir, dass ich es nie mehr auf diese Weise probieren wollte.
Auf dem Schulhof fragten mich alle, was nun mit Rita gewesen wäre. Scheinbar hatten sie gesehen, wie ich mit ihr losgezogen war. Naja ich hab´s dann ein wenig ausgeschmückt. Aus meiner Sicht war das nur fair, denn immerhin hatte ich Rita davor bewahrt, von irgendeinem anderen mitgenommen zu werden und dann hätte sie´s noch schlimmer treffen können. Außerdem war´s ziemlich unwahrscheinlich, dass Rita es weitererzählte und auf die Verschwiegenheit der Jungs konnte ich mich verlassen.
Und so wurde ich neben Thom zum Experten in der Runde, wenn es um die Mädels ging. Ich spürte auch, wie ich in Thoms Augen aufgestiegen war. Er nahm mich ab und zu beiseite, legte mir den Arm um die Schultern und boxte mich in die Seite. Das machte mich ziemlich stolz. Immerhin war er der Kapitän unserer Schulmannschaft. Einmal fragte ich ihn, wie er das mache, mit den Mädels.
Er blickte mich eine Weile an, als sei er mit den Gedanken ganz wo anders. Dann fasst er mich ganz fest ins Auge und sagte:“ Du willst es also wissen, he?“
„Naja“, murmelte ich. „Mir ist eine aufgefallen und ich will´s nicht vermasseln.“
„Wie heißt sie?“
Ich druckste herum, aber er starrte mich so intensiv an, dass ich es ihm sagte.
„Anna.“
Er pfiff durch die Zähne und ich verfluchte mich, dass ich den richtigen Namen verraten hatte. Ich hätte irgendjemanden nehmen können, das hätte keinen Unterschied gemacht.
„Okay Viktor“, sagte er und legte mir die Hand auf´s Knie. „Was bekomme ich von dir dafür?“
„Keine Ahnung“, stotterte ich. Er hatte mich bei meinem richtigen Namen genannt. Das war merkwürdig. Außerdem, was sollte ich Thom schon anbieten können? Aber er half mir.
„Ich will alle Details“, sagte er.
Ich grinste. „Na klar, Thom. Fotos, Videomitschnitte, wird alles geliefert. Ich mach´ euch die ganz große Show. “
Er blieb ernst. „Nicht auf dem Schulhof“, sagte er. „Meine Bedingung ist, dass du mir´s erst mal allein erzählst und die anderen draußen lässt.“
„Okay Thom, du bist der Käpt´n.“
Das war der Deal und dann erklärte er mir´s.
„Paß auf: Das wichtigste bei den Weibern ist, dass du ihnen zuhörst. Halt´s Maul, solange es geht. Und wenn sie noch so einen Mist erzählen von ihren Freundinnen, Pferden oder Brad Bitt. Völlig egal. Du musst ernst blicken und es muß dir wichtig sein. Dann erzählen sie dir irgendwann von den Dingen, die ihnen richtig wichtig sind und das muß dich dann auch interessieren. Hier musst du Experte sein. Auf das stehen die. Kapiert?“
„Klar“, sagte ich. Aber mir war das noch nicht richtig klar. Wie sollte ich merken, was ihnen wichtig war, wenn ich gar nicht an sie ran kam. Er hatte ja Übung und die volle Auswahl. Ich nahm mir vor, ihn nach einigen Themen zu fragen, doch dazu kam ich nicht mehr.
Es war mal wieder Samstagabend und die Party war so lau, wie schon lange nicht. Luke hat die falsche Festplatte mitgebracht und die Musik war grottenschlecht. Ich lungerte auf dem Sofa rum, als sie sich neben mich setzte.
„Hi“, sagte sie.
Ich verschluckte mich an meinem Whiskey-Cola. „Anna. Was machst du denn hier?“
„Mich langweilen, wie du“, sagte sie. „Was trinkst´n da?“
„Whiskey-Cola.“
„Lecker, darf ich mal probieren?“
Und so kamen wir ins Gespräch. Als erstes fragte sie, wie meine Eltern auf meinen Namen gekommen wären. Ich hatte mir darüber noch nie Gedanken gemacht, aber erinnerte mich an Thoms Ratschlag. Also erzählte ich was von einem russischen Revolutionsführer, den die Sowjets in Sibirien umgebracht hatten. Das fand sie spannend. Und dann erzählte sie, dass sie nächstes Jahr ein Auslandsjahr nehmen würde - in Russland. Ich kramte meine Erinnerungen an eine Reise nach Moskau zusammen. Erzählte von Lenin und den ganzen Tamtam, den sie da auf dem roten Platz veranstalteten. So richtig viel hatte ich ansonsten von Moskau nicht mitbekommen, denn meine Eltern waren die ganze Zeit auf diesem Briefmarkensymposium gewesen. Zum Glück waren wir aber auch noch in so einer Ikonenausstellung von der ich erzählen konnte. Ich kombinierte die dürftigen Erlebnisse mit Dingen unseres letzten Griechenlandtrips und sie wich mir den ganzen Abend nicht mehr von der Seite. Einmal kam sogar Thom, um sie zum Tanzen aufzufordern, aber sie ließ ihn astrein abblitzen. Thom drehte ab, nicht ohne mir zuzuzwinkern.
Es endete damit, dass Anna auf die Uhr sah und einen Schreck bekam, weil sie schon lange zu Hause sein musste. Sie sprang hoch und fort war sie. Ich stürzte den Rest meines Glases runter und fühlte mich elend. Irgendwie einsam. Doch plötzlich stand sie vor mir und hielt mir einen Zettel unter die Nase. Ihre Handynummer! Dann umarmte sie mich und gab mir einen Kuß auf die Wange.
„Bis bald Viktor“, haucht sie mit russischem Akzent und verschwand endgültig.
Die Party war für mich verwaist.
Ich hockte mich in die Ecke, wartete eine halbe Stunde und schrieb ihr dann eine SMS, in der ich ihr eine gute Nacht und angenehme Träume wünschte. Es kam keine Antwort.
Die nächsten Tage ging´s mir nicht gut. Ich bekam keine Antwort. Vielleicht war die SMS nicht angekommen? Ich versuchte auf dem Schulhof Blickkontakt herzustellen, aber irgendwie schien ich Luft für sie zu sein. Thom nahm mich zur Seite und wollte wissen, was läuft. Ich sagte, es sei alles noch nichts spruchreif und als er mehr wissen wollte, klingelte es zum Glück zur Stunde. Die weiteren Tage hielt ich mich auch von Thom fern, weil ich nicht als Versager dastehen wollte.
Dann kam der nächste Samstag. Meine Alten waren wieder mal unterwegs, um irgendwelche Briefmarken zu tauschen und ich lud die Jungs ein. Wir wollten uns ein paar Videos reinziehen. Thom brachte einen Kasten Bier und Luke noch zwei Wodkaflaschen. Als erstes wollten wir uns „The Ring“ noch mal antun. Allerdings war abgemacht, daß wir uns die wichtigen Stellen in Zeitlupe reinziehen. Irgendwann stand Heiner aber auf und begann die Sachen parallel zur Zeitlupe nachzuspielen. Plötzlich kam Stimmung auf. Wir rollten uns herum und röchelten in Zeitlupe. Wir waren so drin, dass ich mein Handy nicht bemerkte. Ich hatte es auf den Tisch gelegt, um mich besser am Boden wälzen zu können.
Auf einmal sagte Thom:“ Hey, hier ist schon die zweite SMS angekommen von…“, er tippte auf dem Handy rum, „Annaschatz.“
Wie der Blitz war ich oben, aber er war schneller.
„Warum antwortest du nicht – Fragezeichen, Fragezeichen, Fragezeichen“, las er vor.
„Gib´s her!“, sagte ich.
Aber er war scheinbar schon so zu, dass er nicht mehr ganz durchblickte.
„Da läuft doch was, Du hältst dich nicht an unsere Abmachung.“
„Überhaupt nichts läuft“, sagte ich wütend und entriss ihm das Handy. Die andern starrten uns an.
„Was geht ab?“, fragte Luke blinzelnd.
„Unser swinging Vic fickt die holde Anna“, brüllte Thom und machte eindeutige Gesten mit der Hüfte. Ich merkte, wie ich rot anlief.
„Echt?“, Luke vergaß den Film und blickte mich ehrfurchtsvoll an. Auch Rob vergaß die Zeitlupe. Alle Augen richteten sich auf mich. Ich merkte, wir mir der Wodka in die Birne schoß.
„Ach kommt schon, so wild isses nicht“, wehrte ich locker ab.
Aber irgendwie fand ich es genial, sogar Thom auszustechen. Das war noch nie dagewesen. Und plötzlich sagte Rob.
„Lad´ sie doch ein. Wenn sie herkommt, dann glaub ich´s.“
„Quatsch, die kommt nicht her“, rief Thom. „Wollen wir wetten?“
„Einen Fuffi, dass sie nicht kommt.“, Rob langte sich an die Gesäßtasche und zog das Portemonnaie raus. Seine Eltern arbeiteten beide bei einer Versicherung und schwammen nur so im Geld.
„Ich setze nen Zwanziger“, ließ sich Sven vernehmen.
Nach und nach knallten sie die Scheine auf einen Haufen. Als letzter legte Thom auch noch einen Fünfziger drauf.
„Okay Vic“, sagt er grinsend, „hier liegen 430 Eier. Machen wir 100:1 Kein Risiko für dich.“
Ich stand da und wußte nicht, was ich machen sollte. Das war die ultimative Chance. Alle schauten mich an. Plötzlich vibrierte das Handy in meiner Hand. Eine neue SMS war angekommen. Ich grinste.
„Alles klar, unter einer Bedingung“, sagte ich. „Wenn sie kommt, sagt keiner ein Wort. Ich red´ mit ihr an der Tür.“
Sie nickten und Luke sagte:“ Du hast genau eine SMS. Kein Anruf. Bis 1 Uhr. Vic, du stehst unter Beobachtung.“
„Kein Problem“, sagte ich cool, aber das Herz schlug mir bis zum Hals.
Nachdem sie sich wieder dem Film zuwandten, schaute ich, was sie geschrieben hatte:“ bist du da??? können wir reden? will mich entschuldigen. vd anna.“
Hieß „vd“ vielleicht „vermisse Dich“?
Ich überlegte kurz und dann schrieb ich: „hi bin da. eltern nicht. arbeite an referat über kaukasus. hilfst du mir? vda dein Vic“ und drückte auf Senden. Hinter mir tauchte Thom auf.
„Was schreibst du?“
„Ist das relevant?“, fragte ich und klappte das Handy zu.
Thom hatte abgegessen. Ich hatte gewonnen. Ich war mir sicher.
Dann wurde es später. Inzwischen hatten wir „Blairwitch“ reingelegt und das Bier ging zur Neige. Die Uhr ging auf halb eins zu. Rob bemerkte, wie ich nervöser wurde.
„Na Vic, versetzt dich dein Schatz?“, lachte er.
„Halt´s Maul“, knurrte ich.
Inzwischen war ich mir nicht mehr so sicher, dass sie kam. Wieso auch? Wir hatten uns einmal unterhalten und dann hatte sie mich gemieden. Wieso sollte gerade jetzt kommen? Andererseits wollte sie irgendwas mit mir besprechen. Aber war es auch so wichtig, dass sie mitten in der Nacht vorbeikam? Immerhin konnte sie auch einfach anrufen und irgendwann mal kommen. Aber sie vermisste mich doch.
Dann klingelte es unten. Alle erstarrten. Ich erschrak kurz, dann durchflutete mich ein wahnsinniges Glücksgefühl.
„Jackpot!“, rief ich.
Luke wollte schon zur Tür, aber ich hielt ihn zurück. „Denkt an die Abmachung. Ihr rührt euch nicht von der Stelle. Ich rede allein mit ihr.“
„Und welche Beweise haben wir?“, fragte Rob.
„Ihr könnt an der Tür lauschen“, sagte ich und ging raus. Kaum hatte ich die Tür zum Wohnzimmer zugemacht, begann mein Herz wie wild zu klopfen. Sie war wirklich gekommen. Das war, was zählte. Alles andere war jetzt egal. Doch sofort machte sich Panik breit. Was, wenn sie die Jungs hier bemerkte. Ich musste sie zum Umkehren bewegen, bevor irgendwas passierte. Ich beschloss ihr entgegenzugehen. Als ich jedoch die Wohnungstür öffnete, klingelte es an der Tür. Ich hatte das Gefühl, das ganze Haus sei eine einzige Klingel, es bimmelte und hallte ewig nach. Scheinbar war sie genauso erschrocken, wie ich. Für einen Moment standen wir uns gegenüber und schauten uns an. Keiner sagte etwas.
„Hi“, flüsterte ich und blickte an ihr vorbei zur Tür unserer Nachbarn.
„Guten Morgen“, sagte sie. „Tut mir leid, dass es so spät geworden ist, aber meine Eltern wollten mich nicht weglassen. Ich musste warten, bis sie schlafen.“
„Krass“, murmelte ich und betrachtete sie. Sie hatte sich definitiv hergerichtet. Sie hatte so eine Strähne im Gesicht und trug unter der Jacke ein Kleid, das für die Jahreszeit zu kühl war.
„Alles klar?“, fragte sie. „Du siehst irgendwie sonderbar aus und es riecht so nach Alkohol.“
„Ach das ist das Reinigungsmittel hier“, sagte ich schnell.
„Aha“, sagte sie. „Willst du mich nicht reinlassen?“
„Nein äh doch“ sagte ich.
Ich hörte, wie die Nachbarn gegenüber vor dem Spion Stellung bezogen. Zum Glück ging das Licht im Hausflur aus.
„Komm´ rein“, ich zog sie in den Korridor und machte die Wohnungstür zu.
Was nun? Im Korridor stand das wunderbarste Geschöpf der ganzen Welt und im Wohnzimmer lauerte ein Duzend besoffener Fußballspieler. Ich setzte alles auf eine Karte.
„Soll ich dir mein Zimmer zeigen?“, fragte ich und schob sie durch den Korridor in mein Zimmer.
„Bist du schon fertig mit dem Vortrag?“, fragte sie.
„Was?“
„Dein Referat über den Kaukasus.“
„Äh ja. Der Rohbau steht. Ich brauch noch was über die Handelsbeziehungen zwischen Irkutsk und Kasachstan“, murmelte ich und bugsierte sie an den Schreibtisch.
Nachdem ich die Tür zu meinem Zimmer geschlossen hatte, wurde mir etwas wohler.
„Ist irgendwas? Ich höre Stimmen“, sagte sie, entdeckte dann aber einen Fotoband aus Tallinn, den mir meine Eltern mal geschenkt hatten. „Oh kann ich den mal anschauen?“
„Klar“, sagte ich. „Habe gerade Fußball geschaut, ich geh schnell ausmachen und bin gleich wieder da.“
Ich huschte nach draußen und holte den Staubsauger aus der Ecke.
„Oh hier sieht´s aber aus. Ich mach´ auch noch ein wenig Ordnung“, sagte ich von außen durch die Tür und machte an. Schnell schlüpfte ich ins Bad und entschied mich statt der Zahnbürste für das Mundspray. Dann hatte ich noch was zu erledigen.
Als ich ins Wohnzimmer kam, stolperte ich über Luke, der scheinbar ganz unten gelegen hatte.
„Jackpo…”, wollte Rob jubeln, aber ich hielt ihm die Hand vor den Mund.
„Okay Leute“, flüsterte ich. „Nehmt die Kohle und verballert sie im „Ahoi“. Trinkt einen auf mich.“
Einige wollten irgendwas sagen, aber die meisten nickten begeistert. Nacheinander stiegen sie über den Staubsauger und machten das Victory-Zeichen. Als letztes kam Thom. Er war komplett zu. Er packte mich am Arm und murmelte irgendwas Undeutliches. Irgendwie bekam ich ihn aber nach draußen. Und schloß die Tür! Geschafft! Ich konnte es noch gar nicht glauben, ich hatte sie für mich allein. Schnell machte ich den Staubsauger aus und öffnete behutsam die Tür zu meinem Zimmer. Sie stand direkt vor mir und ich bekam einen Riesenschreck.
„Was machst du da?“ fragte sie. „Hast du mich eingeschlossen?“
„Nein ... Doch. Ich wollte nicht, dass das Chaos siehst“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Wie ist das Fotoalbum?“
Sie ging nicht drauf ein, sondern schaute mich aufmerksam an. Dann sagte sie:“ Setz dich bitte ich, du machst mich nervös mit deiner Hektik.“
Ich setzte mich auf´s Bett und nahm instinktiv den Eisbären auf den Schoß.
„Okay“, sagte sie. „Normalerweise wäre ich nicht gekommen. Wer kommt schon mitten in der Nacht. Aber ich ha...“
„Ich habe dich auch vermisst“, sagte ich schnell.
Sie blickte überrascht auf, dann wurde Ihr Blick ganz weich.
„Hör zu“, sagte sie. „Ich will mich zuallererst entschuldigen. Es ist so, dass ich dich... Also es ist so, dass mir jemand erzählt hat, was mit Rita passiert ist.“
Ich bekam einen halben Herzinfarkt. Aber sie redete weiter, wobei sie auf die riesige Karte über meinem Bett starrte.
„Ich war sehr verletzt und... wütend. Nach einer Weile wurde mir aber klar wie blöd das alles war. Immerhin kannst Du in Deiner... Freizeit machen, was du willst. Naja und zuallerletzt fragte ich Rita.“
Ich wurde rot.
„Tja. Rita. Erst war sie schrecklich verlegen und rückte nicht raus. Aber dann erzählt sie mir... was sie von der Geschichte wusste. Tja und dann kam ich mir richtig mies vor. Ich meine, eigentlich hatte ich ja kein Recht...verstehst du? Und darum wollte ich mich entschuldigen, ich finde es großartig, wie du dich verhalten hast, das würde nicht jedem passieren, weißt du.“
Dann kam sie herüber und gab mir einen langen Kuß. Ich schmeckte ihre weichen Lippen und schaute auf ihre geschlossenen Augen. Ich verstand gar nix mehr.
„Aber wenn du Rita erst fragen musstest, wer hat dir denn überhaupt davon erzählt?“
„Das war ich“, kam es von der Tür.
Wir drehten uns synchron um und sahen Thom in der Tür stehen. In der Linken hielt er eine Wodkaflasche, in der Rechten meinen Wohnungsschlüssel, er musste ihn beim Rausgehen mitgenommen haben. Er hatte nur noch seine Unterhose an.
Anna sprang auf. Ihr Blick flog von Thom zu mir und wieder zurück.
„Was soll das?“ flüsterte sie.
Ich stürzte mich auf Thom und wollte ihn aus dem Zimmer bugsieren. „Was machst Du hier?“ stieß ich hervor.
Aber er umklammerte mich und hielt sich am Türrahmen fest. „Wir hatten eine Abmachung, Viktor“, lallte er. „Es war abgesprochen.“
Er rammt mir die Faust mit dem Schlüssel zwischen die Rippen. Ich ging japsend zu Boden und spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Seite. Ich wollte Luft holen, aber ich bekam keine. Von unten sah ich, wie Anna entgeistert auf Thom starrte.
„Hast du ...habt ihr...“ stammelte sie.
„Er gehört mir“, murmelte Thom und setzte sich auf mich drauf, genau auf die schmerzende Stelle. Mir wurde schwindlig, ich wollte schreien, aber ich bekam keinen Ton raus.
„Viktor, sag´ doch was“, schluchzte sie.
Aber an meiner Stelle sprach Thom:“ Kannst du dir´s nicht denken, kleine schlaue Anna. Was meinst du, warum bei Rita nichts passiert ist, hä? “ Er lachte. „Na kommst du drauf, Süße?“ Dabei drückte er mir weiter die Luft ab.
Ich versuchte mich zu wehren, aber er war der Stärkere. Er war der Kapitän. Einen Augenblick herrschte Stille. Dann hörte ich ein Schluchzen und merkte wie Anna über uns drüberstieg. Ich wollte sie festhalten, aber sie riss sich los und kurz Zeit später fiel die Wohnungstür ins Schloß. Thoms Griff lockerte sich. Ich holte rasselnd Luft. Mit einem Ruck bäumte ich mich auf und warf ihn ab. Wortlos ging ich auf ihn los. Eine Weile rangen wir schweigend. Er wehrte sich nicht. In meiner Verzweiflung versuchte ich ihn zu würgen. Tränen sprangen mir in die Augen. Ich versuchte diesen ganzen beschissenen Abend abzureagieren. Ich hob ihn hoch und warf ihn herum, ich verdrehte seine Arme und rollte ihn auf den Rücken. Er ließ es geschehen. Ich rollte mich auf ihn, ich wollte ihm in die Augen sehen. Dann kam er. Mit einem kurzen Keuchen. Voll auf mein T-Shirt. Wie der Blitz sprang ich auf.
Er lag vor mir und blickte mich an. Sein Ding ragte aus der Hose. In seinem Blick lag etwas Flehendes. Voller Ekel wandte ich mich ab und brachte nur zwei Worte heraus.
„Hau ab!“
Ich ging ins Bad und schloß mich ein.
Er sagte nichts. Ich hörte, wie er seine Sachen aufhob und kurze Zeit später die Wohnung verließ. Ich kam aus dem Bad, fand den Wohnungsschlüssel und schloß zweimal ab. Ich duschte eine Stunde lang heiß.
Ich meldete mich zwei Wochen krank. Meine Eltern glaubten mir. Ich sah blaß aus und wachte nachts schreiend auf. Als ich wieder in die Schule kam, schien alles wie früher. Thom versammelte die Clique um sich und erzählte von seinen Frauengeschichten. Einmal kam Rob und wollte wissen, was zwischen mir und Anna gelaufen ist, aber sofort packte ihn Thom am Schlafittchen:“ Das geht Dich gar nix an.“ zischte er und zerrte ihn weg. Mich blickte er nicht einmal an dabei.
Ich meldete mich beim Fußball ab. Anna ging mir aus dem Weg und später nach Russland. Von da bekam ich einen Brief. Sie schrieb mir, ihre Recherchen hätten ergeben, dass es keinen Revolutionsführer mit Viktor im Vornamen gegeben hat, der auf meine Beschreibung gepasst hätte. Ansonsten nur belangloses Zeug über Lenin, den roten Platz und die Schule, in die sie ging. Der Brief schloss ab mit:
Wenn Du mir einen Gefallen tun willst, schick mir doch bitte das Foto auf Seite 45 in Deinem Fotoband. (vd) vielen dank Anna
Als ich den Fotoband auf Seite 45 öffnete, flog mir ein kleiner gelber Zettel entgegen. Darauf stand in Annas klarer Handschrift: Irkutsk und kasaCHstan LIEgen neBEen Dem kaukasIsCHen gebirgsland.
Ich habe sie nie wieder gesehen.