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Bäumchen, wechsel dich
Das war der letzte Koffer, den sie in der Hand hielt und mit dem sie in der Tür stand.
„Na dann, tschüss!“, sagte sie. „Tschüss!“, konnte ich nur herausbringen. „Also ... damit ist jetzt ... auch ... nicht unsere Freundschaft kaputt, oder?“, fragte sie mit ihrer süßen Stimme, die ich vermissen würde.
„Nein ... schon ... wegen Nouka. Wir sind schließlich ihre Mütter.“
„Ja, das sind wir!“, meinte sie zustimmend.
„Warum bleibst du dann nicht hier?“ Nouka stand im Türrahmen ihres Zimmers, aus dem seit drei Stunden nichts mehr zu hören gewesen war. Jane stellte ihren Koffer zögernd ab und ging langsam auf Nouka zu um sich vor ihr niederzuknien. Während sie Nouka erklärte, dass sie sich neu verliebt hatte und deshalb auszog, schaute ich mir ihren wunderschön geschwungenen Rücken an, den ich vor ein paar Wochen noch jede Nacht gestreichelt und geküsst hatte. Die Erinnerungen zerbrachen mir wieder das Herz. Ich lief in unser früher gemeinsames Schlafzimmer, schmiss mich aufs Bett und war für die nächsten zwei Stunden nicht ansprechbar. Ihr Duft war noch in der Bettwäsche, in die ich jetzt reinweinte. Rosenduschgel! Sehr teuer! Ihr Körper war braun gebrannt gewesen und ihre gelockten Haare waren rot gefärbt. Sie war so dürr gewesen, dass ich sie immer sehr behutsam berührt habe, wie dünn gespannte Seide. Viele Nächte habe ich damals wach gelegen und sie beim Schlafen beobachtet. Jetzt war sie weg und ein Ekelpaket von Schleimbolzen schnarchte neben ihr ohne sie eines Blickes zu würdigen, während sie so süß schlief.
Nouka kam herein mit einem Tee und war auf ihre Weise auch gefühlsmäßig am Boden. Ich hatte meine Liebe verloren, sie eine ihrer beiden Mütter. Sie kuschelte sich an mich und wir redeten über unsere Erinnerung als Familie, die es jetzt nicht mehr gab. Ich erzählte ihr sogar wie wir damals zusammengekommen waren.
Wie ich damals von meinem Exfreund und seiner Freundin zu meinem Geburtstag in die Disco geschleppt worden war. Wie ich dort in sie reingetanzt bin und wie eine große Liebe daraus wurde. Schon bei unserem ersten Treffen war ich im dritten Monat schwanger. Jane und ich entschieden uns bei der Geburt Nouka zwei Mütter zu geben. Nouka wollte unsere gesammelten Erinnerungen aufschreiben um mit Janes Auszug besser fertig zu werden.
„Woher hast du das denn?“, fragte ich sie überrascht.
„Man kann mit allen Problemen fertig werden, wenn man sie aufschreibt. Das hat Jane mal gesagt.“ Jane, natürlich. Sie hat viele Tipps gegeben, ob sie nützlich waren oder nicht.
Monate später ging es auf Weihnachten zu und es ging Nouka und mir besser. Jane hatte sich nicht gemeldet. War ja klar!
Morgens als Nouka gerade zur Schule gegangen war, klingelte unsere schrille Türglocke. Ich schlurfte in Boxershorts und schlaberigem T-Shirt barfuss zur Tür um sie zu öffnen. Wahrscheinlich der neue Nachbar, der gestern eingezogen war. Ich hatte ihn noch nicht kennengelernt. Hoffentlich kann ich ihn abwimmeln, dachte ich mir nur, da ich gerade arbeitete. Doch als die Tür offen stand, war ich anderer Meinung, vergaß die Arbeit sofort und musste grinsen. Dies hatte ich seit dem Auszug Janes nicht mehr getan, obwohl ich Weltmeisterin darin war. Er grinste nur frech zurück. Hmmm, auch nicht schlecht. Scheint wohl Vize-Weltmeister zu sein, dachte ich mir.
„Hi!“, sagte er cool. So ein schönes Hi hatte ich lang nicht mehr gehört und es rief sofort die große Liebe für ihn wieder auf, die mich schon während der Schulzeit nicht mehr losließ. Wie ging das denn? Eben trauerte ich noch Jane hinterher und jetzt bin ich mit einem schiefen Grinsen und einem süßen Hi wieder frisch entflammt.
„Hi“, quetschte ich aus mir raus. Es klang so dämlich, dass ich mich am liebsten in den Hintern gebissen hätte wie ein Teenager, was ich dann aber doch lies, da ich zu sehr in Gedanken war. Sein Rasierwasserduft überwältigte mich. Es war ein angenehmer Duft. Sehr ungewöhnlich, da die meisten Rasierwasserdüfte doch so aufdringlich rochen. Er schien Geschmack zu haben und er trug noch immer Baggies, wie es damals Mode war. Er sah als erwachsener Mann etwas lächerlich darin aus, aber er hatte schon damals lächerlich ausgesehen und das stand ihm, fand ich.
Wir wussten beide nicht, was wir sagen sollten und guckten in der Gegend herum. An meinem Klingelschild blieb sein Blick verdutzt hängen.
„Ist Nouka deine Freundin?“, fragte er unwohl. Er wusste von damals, dass ich bi war. „Nein, sie ist meine Tochter. Sie ist 9.“, antwortete ich grinsend, doch er guckte noch unwohler. Er schien zu denken, ich hätte einen Freund. Bei dem Gedanken musste ich lachen und erklärte: „Nouka war sozusagen ein Unfall mit wunderschönen Folgen.“ Er atmete erleichtert auf. „Ähm, ja sorry wegen meiner dummen Fragen. Ich wollte mich auch nur als neuer Nachbar vorstellen. Wir sehen uns ja dann!“, und er wandte sich schon ab. Ich durfte ihn jetzt nicht einfach so davon ziehen lassen – ich benahm mich wie ein Teenager und drehte innerlich durch. Ich musste etwas sagen ...
„Wenn du Hilfe brauchst, Nouka und ich helfen gerne.“, hörte ich mich sagen. Er wandte sich um.
„Ja danke, ich werde es mir merken. ... äh ... Wenn ihr mir beim Einrichten helfen könntet, das können Frauen doch so gut ... so ... heute Nachmittag? So was kann ich nämlich wirklich nicht und ich möchte ja, dass meine Wohnung gut aussieht.“
„Klar! Ciao!“, konnte ich noch rausdrücken, wofür ich seinen unwiderstehlichen Blick bekam. Er konnte ihn noch sehr gut!
Wieder in der Wohnung schaltete ich den CD-Player an und tanzte zu einer CD, die ich seit Janes Auszug nicht mehr gehört hatte, barfuss durch die Wohnung und um den Weihnachtsbaum. Was wohl Nouka dazu sagen würde, wenn sie aus der Schule kommt?