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Böse Machenschaften
Der Regen trommelt laut an die Scheibe. Es regnet nun schon seit Tagen, so dass das öffentliche Leben auf den Straßen der Stadt fast komplett zum Erliegen gekommen ist. Es ist wieder einer dieser Tage, die Manfred Gerhardt in seinem Büro verbringt. Als Chef eines der führenden Pharmaunternehmen Deutschlands gibt es für ihn immer viel zu tun. Gerade beschäftigt er sich mit den Verkaufszahlen des vergangenen Jahres, als die Tür zu seinem Büro aufgestoßen wird und mit einem lauten Krachen gegen die Wand schlägt. Manfred schaut auf und blickt in die zusammengekniffenen Augen eines jungen Mannes. Das Gesicht kommt ihm bekannt vor, aber er weiß nicht woher. Während er versucht, eine Verbindung zwischen sich und dem Mann herzustellen, baut sich dieser vor ihm auf und zischt: „Ich weiß ganz genau, was hier läuft und ich habe Beweise dafür.“ Manfred lehnt sich zurück und fährt sich mit seiner Hand langsam durch sein Haar, dass bereits völlig ergraut ist.
„Ich weiß nicht, wovon Sie reden und haben Sie überhaupt schon mal gehört, dass man anklopft bevor man ein Zimmer betritt?“ entgegnet er gelassen.
„Sie haben meine Tochter auf dem Gewissen und ich werde es nicht zulassen, dass Sie ungeschoren davon kommen.“
„Junger Mann, jetzt mal ganz langsam, ich weiß nicht was ich mit dem Tod ihrer Tochter zu tun haben soll. Am besten beruhigen Sie sich erst mal und dann lasse ich Ihnen einen Kaff-“
„Hören Sie bloß auf mit dieser Heuchelei! Ich habe wie gesagt Beweise.“ Mit Schwung knallt der Mann Manfred einen Umschlag auf den blank polierten Schreibtisch. „Überweisen Sie bis nächsten Montag 100.000 Euro auf das angegebene Konto und niemand erfährt etwas.“ Mit einer schnellen Bewegung und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, dreht sich der junge Mann um und verlässt eilig das Büro.
Manfred verliert plötzlich seine Fassung, er meint keine Luft mehr zu bekommen und lockert mit einem gehetzten Griff seine Krawatte. Eine ungesunde Blässe überzieht sein Gesicht und er trommelt mit den Fingern auf den Tisch. Ruckartig verlässt er seinen wuchtigen Ledersessel und geht zum großen Fenster des Büros. Von hier hat er einen einmaligen Blick über die Stadt.
„Karl?“ Ein sehr kleiner und unscheinbarer Mann Mitte vierzig, betritt das Büro seines Chefs und bleibt in respekvollem Abstand stehen.
„Ich nehme an Sie haben alles mitbekommen?“
„Ja, Chef!“
„Dann wissen Sie ja, was sie zu tun haben. Ich verlasse mich auf Sie und nun verlieren Sie keine Zeit mehr, es eilt.“
Detektiv Peter Lang betritt sein Büro und hängt Mantel und Hut an den Kleiderständer in der Ecke. Schon nach kurzer Zeit hat sich unter seinem Mantel ein kleiner See gebildet. Voller Unbehagen wirft Peter einen Blick auf den Stapel Akten auf seinem Schreibtisch. Viel lieber würde er sich mal wieder um einen aufregenden Fall kümmern, als seine Zeit mit Papierkram zu verbringen. Mit einem lauten Seufzer lässt er sich auf seinen Stuhl fallen und will gerade beginnen sich durch die Papierstapel zu kämpfen, als es an der Tür klopft.
Kurz darauf betritt eine junge Frau das Zimmer. Das nasse Haar hängt ihr ins Gesicht. Rote, verquollene Augen mit schwarzen Rändern lassen auf eine lange Nacht schließen. Unruhig blickt sie sich im Zimmer um und erblickt Peter Lang hinter seinem Stapel Akten. Dieser erhebt sich und geht langsam auf die Frau zu. Beruhigend legt er ihr seine rechte Hand auf die Schulter und führt sie langsam zu einem Stuhl, der sich gegenüber seines eigenen Platzes befindet. Dankbar nimmt die Frau das Angebot an, sinkt in sich zusammen und bricht in Tränen aus.
Der Detektiv beschließt, ihr die Zeit zu lassen, die sie braucht und kümmert sich erst einmal um ein Taschentuch und eine Tasse Kaffee, die die Frau mit einem angedeuteten Lächeln entgegennimmt.
„Er ist weg und Sofie und...Sie müssen mir helfen“, schluchzt die Frau.
„Immer der Reihe nach. Wer ist weg und wer ist Sofie?“
„Alles ist kaputt, durchwühlt, ich habe Angst!“ Sie blickt ihm flehentlich in die Augen.
"Jetzt sagen Sie mir doch erst einmal Ihren Namen."
"Namen? Ach so, entschuldigen Sie bitte...Bergner."
Es war ein hartes Stück Arbeit, aber nach einigen guten Worten, mehreren Tassen Kaffee und zwei Packungen Taschentüchern wusste Lang ungefähr was passiert war. Am vorigen Abend hatte der Ehemann von Frau Bergner, mit einem dicken Umschlag in der Tasche, die gemeinsame Wohnung verlassen.
Er wollte weder sagen, was in dem Umschlag war, noch wohin er wollte und er ist nicht zurück gekommen. Gegen drei Uhr nachts hatte sie es vor lauter Sorgen nicht mehr ausgehalten und sich auf die Suche gemacht. Normalerweise hätte sie sich sicherlich nicht so sehr aufgeregt, aber erst vor vier Wochen war die gemeinsame Tochter Sofie gestorben und sie brauchte ihren Mann nun umso mehr. Sie war beinahe überall und hatte sich erst um sechs Uhr früh wieder auf den Heimweg gemacht, in der Hoffnung, ihren Mann dort vorzufinden. Stattdessen war aber die gesamte Wohnung auf den Kopf gestellt. Verzweifelt hatte sie sich an die Polizei gewandt, die bisher aber keinen Schritt weiter gekommen ist.
Wenig später steht Peter in besagtem Zimmer und blickt sich um. Die beiden Betten sind auseinander gezogen und völlig zerwühlt. Man hatte sogar die Matratzen aufgeschnitten und das Füllmaterial herausgezerrt. Spielkarten liegen überall im Zimmer verteilt, der Inhalt der Schubladen liegt auf dem Boden. Was hatten die Einbrecher nur gesucht? Der Detektiv beginnt nun das Chaos systematisch zu durchsuchen. In einer Ecke des Zimmers stößt er auf die Verpackung eines Asthmamedikaments. „Haben Sie oder Ihr Mann Asthma?“ fragt er beiläufig.
„Oh nein, das ist noch von Sofie. Sie hatte Asthma. Mein Mann meinte immer das Medikament wäre Schuld an ihrem Tod und er werde es beweisen.“
„Kann es sein, dass er deswegen gestern Abend unterwegs war?“
„Ich weiß es nicht...ich hoffe es nicht.“ schluchzend birgt sie ihr Gesicht in den Händen. Auf ihrem Schoß liegt ein Notizbuch in dem sie noch zuvor geblättert hat.
„Ich werde die Verpackung mitnehmen und melde mich bei Ihnen, sobald ich mehr weiß.“ Sein Blick bleibt an dem Notizbuch hängen. „Darf ich fragen, was das für ein Buch ist, dass sie da auf ihrem Schoß haben?“ Verwirrt blickt sie ihn an. Sie folgt seinem Blick.
„Das Buch? Ach, das gehört meinem Mann. Es ist eine Art Tagebuch.“
„Würden Sie mir das Buch eine Weile zur Verfügung stellen? Vielleicht findet sich darin etwas Interessantes.“ Es fällt ihr nicht leicht, doch sie gibt ihm das Buch widerstebend. Lang verlässt das Zimmer und lässt die Frau allein in ihrem Schmerz.
Lang sitzt an seinem Schreibtisch. Gleich würde seine Auftraggeberin kommen und er ist gespannt, was sie ihm zu berichten hat. Nachdem er ihre Wohnung verlassen hatte, war er sofort zur nächsten Apotheke gegangen und sein Verdacht hatte sich zu bestätigt. Jahrelange Berufserfahrung hatte ihn gelehrt jedem noch so geringen Hinweis nachzugehen. Das Medikament war gar nicht zur Nutzung zugelassen. Man hatte Sofie als Versuchskaninchen benutzt. Durch die Lektüre des Tagebuches stieß Lang auf weitere Indizien, die ihm halfen die Beweise zu untermauern, die bis dato nicht vor Gericht verwendet werden konnten. Sofie hatte die Medikamente nicht aus der Apotheke, der Arzt hatte ihr das Präparat direkt mit nach Hause gegeben. Lang hatte den behandelnden Arzt mit den gesammelten Indizien konfrontiert. Dieser wiegelte zwar zunächst alles ab, war aber nicht in der Lage, dem Druck lange Stand zu halten und rückte schon nach kurzer Zeit mit den Fakten raus. Der Pharmaunternehmer Gerhardt habe ihn für einen mehr als angemessenen Lohn beauftragt, das Medikament an Asthmapatienten zu testen, da er sich damit den Durchbruch auf dem Pharmaziemarkt erhoffte. Den Tod der kleinen Sofie habe niemand gewollt.
Mit diesen Beweisen schickte er die Frau erneut zur Polizei. Er ist sehr zufrieden mit sich und wartet nun ungeduldig auf ihr Eintreffen.
Kurz darauf erscheint sie auch schon. Sie ist ganz in schwarz gekleidet, ihr Gesicht gleicht einer Maske, doch sie scheint gefasst zu sein. Ohne Umschweife berichtet sie kurz von den neuesten Ermittlungen. Die Polizei war sehr erfeut über das Material, denn sie haben den Pharmakonzern von Herrn Gerhardt schon lange im Verdacht. Leider sei es ihnen aber nie gelungen, handfeste Beweise gegen ihn zu sammeln. Sie scheinen zuversichtlich, dass sie ihn nun überführen können. Der Ehemann der Frau wurde tot in einem Waldstück am äußeren Stadtrand entdeckt. Die Frau drückt Lang noch einen Umschlag mit seinem Lohn in die Hand und geht dann ohne ein weiteres Wort oder eine Geste des Abschieds.
Nachdenklich blickt Lang der Frau nach. Für ihn ist der Fall somit abgeschlossen, für sie wird er es nie sein.