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Beckmanns Auferstehung

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14.08.2008
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Beckmanns Auferstehung

Das erste, woran Beckmann sich nach dem Schuss erinnerte, war die eigenartig leere Stille, die den Straßenlärm in die Diele saugte.
Du musst einen Notarzt rufen. Du musst nach Olaf sehen. Wiese ist bestimmt in der Wohnung.
Er stand regungslos, betrachtete den Toten wie ein abstraktes Kunstwerk, dessen Sinn sich nur langsam erschloss. Rainer Friedrich war mit erstaunt offenem Mund hintüber gekippt, als habe er sich nicht vorstellen können, dass er, Beckmann, feuern würde. Die offenen Hände in gespielter Ergebung über den Kopf gestreckt, der rote Fleck auf seiner Stirn ein Klecks Wasserfarbe, zuvor aufgemalt, da seine Niederlage abgesprochen war: Peng, du bist tot!
Ob er wohl Kinder hat?

In die Stille hinein wimmerte Olaf, doch Beckmann konnte den Blick nicht von dem Körper abwenden, aus dem unaufhörlich Blut heraussickerte, als sei Friedrichs Sterben noch nicht abgeschlossen. Das lange dunkelblonde Haar badete längst darin, an einem Wollstrang des Webteppichs zog die Flüssigkeit dunkel bis hin zur Waffe, die Friedrich im Fallen verloren hatte, eine Glock. Die Schweizer Polizei benutzt sie. Oder die österreichische? Seltsam, wie er das vergessen konnte.
Erst als die Küchentür ängstlich von innen geöffnet wurde, und Wiese im Gegenlicht auf seinen Schwager heruntersah, der ihn zu verstecken versucht hatte, fand Beckmann zu sich zurück, und mit einer Stimme, die sich erst wieder ans Sprechen gewöhnen musste, sagte er: „Maik Wiese, ich verhafte Sie wegen des Mordes an Ihrer Lebensgefährtin, Claudia Friedrich.“

„Wie konnte das passieren?"
Die Pfeiffer hatte ihn, entgegen ihrer Gewohnheit, im Drehstuhl Platz nehmen heißen, und lehnte selbst am Fensterbrett. Das Fenster wies auf einen sonnenblinden Innenhof hinaus. Wenn Beckmann blinzelte, schwamm die Luft.
Die Dienststellenleiterin räusperte sich noch einmal, als wolle sie ihn an ihre Gegenwart erinnern, und Beckmann zwang sich zu einer Antwort.
„Wir dachten, Friedrich würde uns helfen. Schließlich war sie seine Schwester.“ Was gab es noch zu erklären? Sie dachten, sie müssten Wiese vor seinem Schwager schützen. Ihn finden, bevor Friedrich, Wachmann bei der Rhein Metall, ihm mit seiner Dienstwaffe ein Loch ins Gehirn stanzte. Dachten, sie könnten Friedrich überzeugen, dass es besser war, wenn er ihnen verriete, was er über Wieses Verbleib wüsste.

Friedrich hatte geleugnet, Wiese gesehen zu haben. Die Arme vor der Brust verschränkt, auf den Ballen wippend dass die Hausschuhe tiefe Kuhlen in die Berberbrücke gruben, antwortete er kurz angebunden, als sei er in Eile, und das Gespräch hielte ihn auf. Dabei verrieten Dreitagebart und Trainingsanzug, dass er das Haus seit längerem nicht verlassen hatte. Sein Wartburg 1.3 in dritter Reihe zugeparkt und mit dem Sperrmüll des Nachbarn verräumt, erweckte auch nicht den Anschein, als habe er es demnächst vor.
Beckmann erinnerte sich vage an sein Unwohlsein, das Gefühl, etwas passe nicht in das Bild der kleinen, rechtwinklig sauberen Wohnung, ohne genau sagen zu können, was es war. Während er redete – nur das Gespräch nicht abreißen lassen, Friedrich war zu gewinnen – ging er in Gedanken den kurzen Weg zur der Wohnungstür mehrmals zurück. Eine Schramme hoch an der Wand, die letzte Woche noch nicht gewesen war, der handgeschnitzte röhrende Hirsch, in dessen Geweih die Schlüssel in veränderter Anordnung hingen, undenkbar in den autistisch geordneten Räumen. Und plötzlich, Beckmann noch in Gedanken bei den Schlüsseln, schoss Friedrich.

Beckmann ließ sich in die Hocke fallen, noch bevor Olaf aufschrie. Er nahm seine Größe mit einem Mal als Verletzlichkeit wahr wie eine unverbundene Wunde. Seine Muskeln zäh wie Bitumen. Die Zeit, bis Beckmann die Lederschlinge zur Seite genestelt hatte und den Griff der Waffe in der Hand spürte, dehnte sich ins Unendliche, und in die geweiteten Minuten hinein schoss Friedrich noch einmal. Beckmann fühlte sich wie aus dem Raum gefallen, ein Glasberg im Hagel, endlich der Finger am Abzug.
Er dachte immer, wenn jemand ihn angriffe, würde er ohne zu zögern schießen, doch nun kostete es ihn Überwindung abzudrücken, er zog durch, ohne richtig zu zielen. Friedrich fiel lautlos wie eine Lumpenpuppe, und Beckmann fragte sich: Was habe ich getan?

„Gut, das war’s dann.“ Die Pfeiffer rieb sich die Augen, wie immer, wenn sie unschlüssig war.
Beckmann registrierte, dass sie entzündet waren. Sie würde mit den Angehörigen sprechen müssen, den Polizeipräsidenten und die Presse informieren, Fragen erdulden, auf die es keine Antwort geben konnte und die sich gerade darum wie Blutegel festsaugten. Für einen kurzen Moment verspürte er das Bedürfnis, ihr Mut zuzusprechen, sie zu trösten, dann bückte die Pfeiffer sich weg, tauchte ins unterste Fach des Schreibtischs und reichte ein rosa Formular heraus.
„Das Protokoll benötige ich heute noch, das ist klar. Ansonsten nimm dir vorerst frei. Soll ich Carsten Bescheid geben?“
Beckmann schüttelte den Kopf, er kam sich dumm vor. „Ich melde mich bei ihm.“ Dabei war er nicht sicher, ob er überhaupt mit jemandem reden wollte, am wenigsten mit dem Polizeipsychologen.
Die Tür klemmte, er musste mehrmals kräftig ziehen, bis sie schloss, der Knall fuhr ihm in die Eingeweide. Der Luftzug saugte das Papier an und fächerte die Seiten auf, niemand hatte ihm in den fünfzehn Jahren seit der Ausbildung gesagt, wie er sich in so etwas einfinden sollte.

Lange saß er am Schreibtisch, gegenüber Olafs verwaistem Platz, starrte leer über das Papier hinweg auf den Staub, der wie weiße Mücken in der Luft tanzte. Bei jeder Handbewegung wirbelten die glitzernden Flusen auf, er scheuchte sie von Olafs Gummibaum, der sich zwischen Schreibtisch und Fenster presste. Eine Handbreit weiter links, und der Schuss wäre in die Brust gegangen. Das dürre Pflanzgerippe mit den wenigen sonnenverbrannten Blättern verspottet zu haben, kam Beckmann auf einmal wie ein Sakrileg vor.
Noch auf dem Besucherparkplatz vor dem Wohnblock stehend hatte Olaf die Balkonpflanzen im dritten Stock bewundert. Geranienwolken vor dem Balkon ganz links, daran erinnerte er sich, weiß, rosa und rot, ein marmoriertes Flimmern, und dazwischen, nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, die Vorderpfote einer kuhfleckigen Katze.
Er versuchte, die Gedanken zu dem Formular zurück zu zwingen, auf dem er bisher nur Name und Dienststelle eingetragen hatte, und konnte doch nur an den langgestreckten, schwarzweißen Vorderlauf denken, der träumerisch zuckte, bevor er zwischen den Blüten verschwand.

Er faltete das Papier zweimal zusammen und steckte es in die hintere Hosentasche; obwohl die Pfeiffer geknickte Bögen hasste, oder vielleicht gerade deswegen. Sacht fuhr er mit dem rechten Mittelfinger über das leere Holster, die Pistole hatte er noch in Friedrichs Wohnung abgeben müssen.
Im Tresor im unteren Halbgeschoss, im Vorraum des Schießstandes, fand sich bestimmt die eine oder andere Waffe; nicht jeder hatte sich wie er einen Sicherheitsschrank zuhause einbauen lassen. Früher hatte er darauf verzichtet, die Heckler & Koch dennoch mitgenommen, dann war Noa eingezogen und mit ihr deren achtjährige Tochter, und Beckmann hatte diese mit viele anderen Bequemlichkeiten über Nacht aufgegeben.
Noch auf dem Absatz vor der Pforte zögerte er. Die Tür zum Schießstand war nur angelehnt, Beckmann meinte, den Schmauch riechen zu können, der sich wie ein Film über seine Haut legte. Seine Füße bewegten sich die Treppe hinunter wie vorprogrammiert, im Kopf wattige Leere.
„He Beckmann, alles fit?“ Carsten federte die Treppe herauf, zwei Stufen auf einmal nehmend, frisch geduscht, die Sporttasche geschultert. Er versetzte Beckmann einen jovialen Klaps auf die Schulter, der diesen aus dem Gleichgewicht brachte und gegen das Treppengeländer warf.
„Mensch, alles in Ordnung? Du bist doch sonst nicht so schwach auf den Beinen!“
„Alles klar.“
Die Luft um Carsten atmete synthetischen Moschusduft, der Sportraum hinter dem Schießstand spie eine Handvoll Kollegen von der Sitte aus, die zwischen Beckmann und dem Psychologen die Stufen hinaufdrängten. Carstens Blicke griffen nach seinem Gesicht, das zu entgleisen drohte.
Er weiß alles. Der Puls tobte durch die zugeschnürte Kehle, die Stufen gaben unter ihm nach, im letzten Moment ließ Beckmann sich mit dem Pulk die Treppe hinauf reißen und nach draußen spülen.
Was wolltest du am im Schießstand? An den Waffenschrank. Und dann?
Beckmann weigerte sich, den Gedanken zu Ende zu führen. Er zitterte immer noch so stark, dass der Autoschlüssel mehrmals zu Boden fiel, fühlte sich beobachtet, zwang sich, ruhig und langsam durch das Rolltor auf die Straße zu treten und irgendwohin zu gehen, Hauptsache er wirkte nicht ziellos.

In der Emmy-Noether-Straße holte ihn die Vierzehn ein, mit der Olaf immer nach Hause fuhr. Beckmann sprang auf, kurz bevor die Türen sich schlossen. Obwohl die Bahn nur von wenigen Schülern besetzt war, die trübe von der Hitze an den Scheiben fläzten, blieb er stehen. An eine Haltestande gelehnt, schloss er die Augen, fühlte dem Schweiß nach, der sich unterm Hemdkragen und in den Leisten sammelte und Stoff und Haut verklebte.
Heute Abend wolltest du mit Noa und Berit ins Freibad.
Bis zum Ostendplatz träumte er sich in eine türkisfarbene Wasserwelt, die ihn gütig einschloss, und in der alle Geräusche zu einem fernen Echo verdämmerten.

Olaf war bereits zu Hause, er trug den Arm in der Schlinge, das Hemd über den Verband hochgekrempelt.
„Nur eine Schramme“, sagte er, noch bevor Beckmann fragen konnte. „Diese Spinner wollten mich im Krankenhaus behalten, zur Beobachtung“, äffte er eine besorgte Krankenschwester nach. „Wozu, frag ich dich. Mir geht’s gut, und rumliegen kann ich auch zuhause.“
Er dirigierte Beckmann ins Wohnzimmer, goss Kaffee ein ohne zu fragen, und schob den Zucker so heftig über den Tisch, dass die Dose umfiel und die Hälfte verschüttete.
„Verdammte Scheiße aber auch!“
„Lass mal, ich feg das auf!“ Beckmann strich den Zucker in die hohle Hand und schüttete ihn in der Küche in die Spüle, weil er den Müll nicht fand. Als er zurückkehrte, hockte Olaf zusammengesunken auf der Couch, das Gesicht hochrot, und biss in die Faust. Doch kaum saß Beckmann ihm gegenüber, riss er den Kopf hoch und drückte das Kreuz durch.
„Ohne dich wäre ich platt, Mann! Ich schuld dir was. Wenn du mal Hilfe brauchst …“
„Lass gut sein. Ich bin nicht hier, um mir einen Orden abzuholen.“
Eine Weile brüteten sie aneinander vorbei, schließlich ertrug Beckmann das Sirren der Sprudelflasche nicht mehr, die Fliege, die wie irre gegen das Fenster klackerte, irgendwann abstürzen und zu einer Chitinhülle mit angewinkelten Beinen vertrocknen würde.
Nur um nicht an ihr zukünftiges Sterben zu denken, sagte er: „Ich versteh das nicht. Gut, Wiese war sein bester Freund, aber wenn einer deine eigene Schwester umbringt … was muss der ihm erzählt haben, dass Friedrich …“
„Das ist mir so was von scheißegal!“ Olaf sprang auf und fuchtelte mit dem unversehrten Arm in der Luft herum. „Das ist krank, diese ganze verdammte Brut ist einfach nur krank! Ich hab keinen Bock, mir vorzustellen, was in denen vorgeht. Das geht mir so was von am Arsch vorbei!“
„Schon gut, tut mir Leid“, sagte Beckmann leise. „Komm, setz dich wieder.“
Doch Olaf blieb am Fenster stehen, tat so, als sehe er hinaus in den handtuchschmalen Garten, in dem sich Meisen im Vogelbad balgten. Seine Schultern zuckten, und Beckmann fragte sich, ob er lachte oder weinte.
„Ich bin selbst schuld“, sagte Olaf schließlich mit brüchiger Stimme. „Ich hätte nicht nach links zeigen sollen, Lennart, auf diese scheiß Schlüssel und die scheiß Küchentür, ich wollte dich unbedingt drauf aufmerksam machen. Dass der mit dem Blechporscheanhänger fehlt, und dieses blöde Holzschild an der Küchentür mit Omas Haushaltsweisheiten hing schief. Aber als wir das erste Mal bei ihm waren, hat er die Flusen vom Flokati wieder aufgerichtet. Alle in eine Richtung gekämmt.“
Er lachte, viel zu laut, und nestelte so heftig am hochgekrempelten Hemdsärmel, dass die Naht krachte. „War klar, dass er das bemerken musste. Idiot, ich! Ich hätts dir auch draußen sagen können.“
„Mach dir keine Vorwürfe, Olaf. Woher solltest du wissen …“
„Wir sind Kriminaler, Mann! Wir werden scheiß verdammt fünf Jahre dafür ausgebildet, dass wir wissen!“
„Ist doch egal. Hauptsache, du lebst.“
Und ich habe einen Menschen umgebracht, Olaf, sag mir, wie ich damit leben soll.
Als habe der es gespürt, wand er sich weg.
„Claudia muss jeden Moment nach Hause kommen. Sie wird sich wundern, dass ich schon da bin.“
„Ja, für mich wird es auch langsam Zeit“, echote Beckmann tonlos, obwohl er nicht wusste wohin mit sich, und überhaupt.

Die Hitze hatte einen faulen Geruch angenommen, ein Gewitter, das sich zusammendrückte, ohne sich entladen zu wollen.
Berit schickte eine SMS, sie werde bei einer Freundin übernachten und vorher nicht mehr nach Hause kommen. Beckmann hatte seit längerem den Verdacht, sie fühlte sich mittlerweile zu groß für den „Familienkram“. An anderen Tagen hätte er sie angerufen, nach Name und Adresse der Freundin gefragt, und ob Noa Bescheid wisse, doch nun drückte er die Nachricht weg, zu müde, über gebrochene Vereinbarungen zu streiten. Nachdem Friedrich dazugekommen war, würde Noa ohnehin länger im Institut bleiben.

Die Pathologie atmete einen eigenen Dunst, der sich in die Kleider heftete und noch stundenlang, nachdem man sie verlassen hatte, im hintersten Winkel der Nase festsaß. Formalin und Kühlaggregate, eingefrorener Zerfall, das Innehalten des Todes, der sich unter den Mikroskopen ausstreckte und willig betrachten ließ.
Noa kam ihm vor der Flügeltür entgegen, die den Sektionsbereich von den Labors trennte. Das dicke schwarze Haar unter der Haube zu einem Knoten zusammengeschlungen, den Mundschutz unters Kinn geschoben, streifte sie die doppelte Lage Latexhandschuhe mit gleichgültigem Schmatzen in einen Mülleimer.
Die Tür schwang nach und schaufelte einen Schwall kalter Luft in den Vorraum, und mit ihr den Geruch verbrannten Knochenstaubs.
Noa hatte ihm einmal erzählt, bei manchen Toten habe sie das Gefühl, sie stünden hinter ihrem Rücken und versuchten, sie auf etwas hinzuweisen, während sie den Körper öffnete. Andere schienen noch ganz in sich selbst zu sein, wie Eingeschlossene, die erstaunt waren, dass ihrer Hülle die Nägel geschnitten, die Zahnzwischenräume gereinigt und die Haare gekämmt wurden.
Doch irgendwann verschwanden sie alle, meist noch bevor die Sektion beendet war, was Noa mit befundlosen Organen und Zellstoff füllte, war eine Hülle, die sie nur noch aus Respekt vor den Angehörigen behutsamer als nötig in den Sarg des Beerdigungsinstituts bettete.
So waren sie sich näher gekommen, auf dem Sommerfest der Polizei, als die Sekretärin über Zombies und Vampire dozierte, sich nach Noas Geschichte jedoch angewidert abwandte und die beiden allein ließ. Später liebten sie sich auf Noas Schlafsofa, sie saugte sich an ihm fest während er in sie kam, zwischen ihren gespannten Lippen und seiner schweißnassen Schulter entwichen fiepende Seufzer, die die nebenan schlafende Berit mit Sicherheit nicht weckten.

Als sie ihn wortlos umarmte, er die Nase in ihre Halskuhle presste, tief in ihr Parfüm hinein, das holzig und zitrisch jeden andern Geruch überdeckte, wünschte er, er könnte gerade jetzt ihre Haut spüren, ihren Mund austrinken, in ihr Trost finden.
„Ich hab davon gehört“, murmelte sie an seiner Haut, und als ob ihm etwas geschehen wäre, „es tut mir Leid, Lennart.“
Er war gekommen um zu fragen, ob er Friedrich noch einmal sehen könnte bevor sie ihn aufschnitten. Er hatte Abbitte leisten wollen, gehofft, der andere werde ihm jetzt, aus dem Tod heraus, noch verzeihen.
Doch nun konnte er nur noch an Olafs Gummibaum denken, mit welcher Hingabe er immer neue Pflegetricks ausprobierte, und daran, wie Noa am gestrigen Abend zwischen duschen und Zähne putzen gesagt hatte, noch fühle sie sich jung genug für ein zweites Kind.
„Kannst du Schluss machen? Ich brauch dich jetzt.“
Sie nickte wortlos, fuhr ihm durchs Haar, und er hoffte, sie würde sich später hingeben ohne zu fragen, und ihn für einen Moment vergessen lassen.

Später, nachdem Noa eingeschlafen war, setzte er sich ins Küchenfenster und versuchte, die Tiefe unter ihm abzuschätzen. Die späte Sonne blendete zwischen den Bäumen, deren Schatten wie Finger über die Hauswand strichen, ein steigender Wind raufte das Laub nach oben, in seiner Thermik warfen Mauerseglern sich entlang der Fassade über den Dachfirst, standen mehrere Sekunden reglos in der Luft, bevor sie seitlich wegkippten und sich schräg nach unten fallen ließen.
Beckmann verfolgte das Schauspiel bis es dunkel wurde, und als er das Fenster schloss weil er fror, spürte er tatsächlich so etwas wie Glück. Klein und flüchtig nur, doch es war da, und Beckmann dachte, dass das für den Augenblick vielleicht genug war.

 

He Pardus,

eine sehr starke Geschichte!
Atmosphärisch beneidenswert dicht, ohne Hänger, ohne Aufreißer. Ich habe dir das Geschehen sofort abgenommen. Authentisch, die vielen kleinen wunderbar beobachteten Details, greifbar, dieses zermürbende Gefühl Beckmans. Gekonnt gezeichnet, deine Nebenfiguren, die Begegnungen glaubwürdig. Und schön und danke für Noa und den Hoffnungsschimmer am Ende. In wie vielen Fällen hätte der Autor es bei dem depressiven Ausklang gelassen. In meinen Augen zeugt es von Mut und Können, diesen Schimmer ans Ende zu setzen, ohne dabei aus dem Ton zu brechen oder gar in den Kitsch.

Ein bisschen was zum Kritteln habe ich dennoch gefunden:

Das erste, woran Beckmann sich nach dem Schuss erinnerte, war die eigenartig leere Stille, die die Geräusche von der Straße in die Diele saugte.
Das ist mir ein bisschen zu viel die. Insbesondere für den Einstiegssatz. Da du sonst so hervorragend gebügelt hast, ohne dass Falten zu sehen wären, würde ich auch den Einstieg noch mal aufs brett legen.

schoss Beckmann durch den Kopf.
Mal abgesehen davon, dass ich die Formulierung wirklich nciht mag, da sie abgegriffen ohne Ende ist, finde ich sie auch wegen des zuvor gefallenen Schusses nicht passend.

„Wie konnte das passieren?
Anführungszeichen fehlt

r erinnerte sich, dass er, Beckmann, sich in die Hocke warf, noch bevor Olaf aufschrie, seine Größe mit einem Mal als Verletzlichkeit wahrnahm wie eine zur Schau gestellte, unverbundene Wunde. Seine Muskeln zäh wie Bitumen. Die Zeit, bis er die Lederschlinge zur Seite genestelt hatte und den Griff der Waffe in der Hand spürte, dehnte sich ins Unendliche, und in die geweiteten Minuten hinein schoss Friedrich noch einmal.
Der Absatz ist mir ein bisschen zu überfrachtet. Da wäre knappere Sätze meiner Meinung nach besser. Zumal der Bezug nicht eindeutig genug ist mit deinen Pronomen.
seine Größe ist Olaf
seine Musekeln - auch Olaf?
die Zeit bis er die Lederschlinge - doch wieder Beckmann, oder?
Da würde ich schon mal den Namen fallen lassen.

Beckmann schmeckte Blut, nur seine Zunge, in die er gebissen hatte.
ist mir zu viel.
Und dann?Beckmann weigerte sich, den Gedanken zu Ende zu führen.
Leerzeichen nach Komma

Die Pathologie atmete einen eigenen Dunst, der sich, kaum dass man sie betrat, in die Kleider heftete und noch stundenlang, nachdem man sie verlassen hatte, im hintersten Winkel der Nase festsaß. Formalin und Kühlaggregate, eingefrorener Zerfall, das Innehalten des Todes, der sich unter den Mikroskopen ausstreckte wie eine gnädige Diva und willig betrachten ließ.
Es gibt viele gute Stellen, aber das hier ist wirklich fantastisch geschrieben

Die Tür schwang nach und schaufelte einen Schwall kalter Luft in den Vorraum
das ist das perfekte Verb für dieses Bild!

Eine wirklich dichte Geschichte mit einem plastischen Protagonisten, einem fühlbaren Konflikt, voller gekonnter Formulierungen. Respekt!

grüßlichst
weltenläufer

 

Salve weltenläufer,

schön, dass die Geschichte so bei Dir angekommen ist, wie ich sie erzählen wollte. Mich hat immer gestört, wie leicht Mainstream-Protagonisten in Film und Literatur Todesgefahr überwinden oder selbst töten, nur um wenige Minuten später ein Bier trinken zu gehen, mit einer Frau zu schlafen oder den zu Schrott gefahrenen Dienstwagen mit irgendeiner witzig-geistreichen Bemerkung in der Werkstatt abzuliefern.

Das ist meine bescheidene Antwort darauf, von daher ist die deprimierende Grundstimmung gewollt, ebenso der Hoffnungsschimmer zum Schluss. Beckmann soll ja ins Leben zurück finden, nur dauert es eben seine Zeit.
Außerdem mag ich nur depri selbst nicht lesen.

Die Krittelpunkte habe ich mir selbstredend zu Herzen genommen.

Und schön und danke für Noa
Schön, dass sie gut angekommen ist. Ich hatte Bedenken, dass sie zu wenig Charakter hat, zu sehr anschmiegsame, willige Trösterin ist. Aber wenn dem so sein sollte, scheint es nicht unangenehm ins Gewicht zu fallen.

Vielen Dank noch einmal für das Lob,
Pardus

 

Hallo Pardus,

ich schließe mich weltenläufer an - ich mochte Deine Geschichte.
Beckmann kommt so menschlich daher, dass man ihn einfach mögen muss. Auch die anderen Mitwirkenden kommen bei mir an. Schön das Gegenbild Olaf, der den Geschehnissen mit Verdrängung begegnet. Ebenfalls plastisch und nachvollziehbar.

Schön, dass sie gut angekommen ist. Ich hatte Bedenken, dass sie zu wenig Charakter hat, zu sehr anschmiegsame, willige Trösterin ist. Aber wenn dem so sein sollte, scheint es nicht unangenehm ins Gewicht zu fallen.

Ich weiß nicht, hättest Du Nora anders gezeichnet, hätte ich die Beziehung der beiden in Frage gestellt. Ich finde es nur natürlich, dass man den Partner in den Arm nimmt und ihn nicht unnötig vollquatscht. Er hat da mit sich zu tun, man kann ihm nicht helfen, außer ihn beruhigend in den zu Arm nehmen und damit "hey ich bin da" zu symbolisieren.

... hatte Olaf die Balkonpflanzen im dritten Stock bewundert ... und dazwischen, nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, die Vorderpfote einer kuhfleckigen Katze.

Holla, was für Augen! Eine Pfote in einem Meer von Geranien im dritten Stock zu erkennen - Respekt!

„Wir sind Kriminaler, Mann! Wir werdend scheiß verdammt fünf Jahre dafür ausgebildet, dass wir wissen!“

Noa kam ihm vor die Flügeltür entgegen,

klingt ungeschickt

... die erstaunt waren, dass ihrem Gefängnis die Nägel geschnitten, die Zahnzwischenräume gereinigt und die Haare gekämmt wurden.

Damit kam ich nicht klar, mit dem Gefängnis - da wollte mir das Wort zu mächtig erscheinen, für das, was es eigentlich ausdrücken wollte.

Was mir beim Lesen auffiel, sind die vielen starken Verben und Bilder, die natürlich die Intensität in die Geschichte bringen, aber an manchen Stellen war es mir persönlich einfach zu viel. Ich habe mich stellenweise wirklich erschlagen gefühlt. Aber wahrscheinlich bin ich mit dieser Empfindung ziemlich allein ;).

Sehr gern gelesen!
Beste Grüße Fliege

 

Hallo Fliege,

auch Dir ein herzliches Dankeschön!
Die Fehler habe ich natürlich behoben, das Gefängnis ersetzt.
Die Stimmung, die durch die Bilder und Verben erzeugt wird, will ich nicht ändern, aber vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle zu gewichtige Worte für den Inhalt gefunden, und er käme mit einer dezenteren Formulierung besser zum Tragen.
Wenn Du da ein paar konkrete Hinweise für mich hättest, wäre ich Dir dankbar.

Besonders freut mich, dass die Protagonisten glaubhaft agieren und der Leser mti ihnen mitgehen kann, bei einem Thema, zu dem jegliche eigene Erfahrung fehlt, kann das schnell ins Auge gehen. Schön, dass dem wohl nicht so ist.

Bei Noa hatte ich weniger Bedenken wegen der Umarmung, sondern dass sie sich - nicht geschildert, nur zwischen den Zeilen herauslesbar - als Trösterin tatsächlich körperlich hingibt. Wie Trostsex vom Leser bewertet werden würde, war mir eben nicht klar.

Das mit der Katzenpfote auf dem Balkon halte ich nicht für unwahrscheinlich. Polizisten sind, denke ich, darauf geschult, auch vermeintlich nebensächliche Dinge wahrzunehmen und sich zu merken. Zumindest hatte ich einmal mit einem Polizeipressesprecher unter anderem wegen eines Praktikumsplatzes telefoniert, und mehrmals im Gespräch das Gefühl, er teste diese Fähigkeit bei mir ab. Er streute Infos beiläufig ein und führte das Gespräch so weiter, dass ich ihm nur folgen konnte ohne nachzufragen, wenn ich mir die genuschelte Randbemerkung Minuten zuvor gemerkt hatte.

Liebe Grüße vom Leoparden :)

 

Lieber Leopard,

Die Stimmung, die durch die Bilder und Verben erzeugt wird, will ich nicht ändern, ...

Das wäre ja auch fatal! Dann wäre ja die schöne Geschichte futsch.

... aber vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle zu gewichtige Worte für den Inhalt gefunden, ...
Wenn Du da ein paar konkrete Hinweise für mich hättest, wäre ich Dir dankbar.

Ja, eher so. Aber warte noch ein paar Komms ab, mag ja sein, dass es wirklich nur mir so ging.

Bei Noa hatte ich weniger Bedenken wegen der Umarmung, sondern dass sie sich - nicht geschildert, nur zwischen den Zeilen herauslesbar - als Trösterin tatsächlich körperlich hingibt. Wie Trostsex vom Leser bewertet werden würde, war mir eben nicht klar.

Hab ich schon gelesen, dass mit dem Sex und wahrscheinlich hab ich mich ungeschickt ausgedrückt, indem ich es auf die Umarmung bezogen habe. Also, dieser Trostsex ist für mich okay.

Das mit der Katzenpfote auf dem Balkon halte ich nicht für unwahrscheinlich.

Ich schon, also rein physisch ist das ne bemerkenswerte Leistung ;).

Wollt ich nur noch richtig gestellt haben.
Irgendwie bekommt das alles viel zu sehr Gewicht - ich mochte die Geschichte! Das wiederhole ich hier gern nochmal.

Schönen Abend
Fliege

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Pardus,

ja, das ist eine sehr dichte Geschichte, mit Charakteren, die mir sowohl plastisch als auch sympathisch sind. Es ist aber auch eine sehr enge Geschichte, mit all diesen zum Teil ueberdrechselten Saetzen. Passt einerseits zur Antmosphaere, andererseits wird meine Aufmerksamkeit dadurch oft vom Geschehen und vom Gefuehl zur Sprache gelenkt. Die Beschreibungen der Umwelt kamen mir insgesamt geglueckter vor als die metaphorischen Bilder, auch weil die aus sehr unterschiedlichen Bildspendebereichen stammen. Ich glaube, ein bisschen schlanker koennte die Geschichte schon sein. Und ein bisschen einheitlicher, was die Bildspender angeht.

Er stand regungslos, betrachtete den Toten wie ein abstraktes Kunstwerk, dessen Sinn sich erst nach langem Studium erschloss.
den zweiten Halbsatz wuerde ich streichen. Ich verstehe schon, dass man einen Toten wie ein abstraktes Kunstwerk betrachten kann, aber man braucht kein langes Studium, um den Sinn eines abstrakten Kunstwerkes zu erschliessen. Zumindest wenn es gut ist.

Rainer Friedrich war mit erstaunt offenem Mund hintüber gekippt, als habe er sich in seinem letzten Moment nicht vorstellen können, dass er, Beckmann, feuern würde. Die offenen Hände halb über den Kopf gestreckt, schien er sich in ein Spiel zu ergeben, dessen Ausgang er nicht kannte, das ihn jedoch keinesfalls ängstigte. Der rote Fleck auf seiner Stirn ein Klecks Wasserfarbe, dass ein Kind dem Mitspieler auf die Stirn gemalt hatte, dessen Niederlage im Rollenspiel von Anfang an feststand: Peng, du bist tot!
Hier koennte m.E. ausgeduennt werden. Auch zu Gunsten der Anschaulichkeit. Du hast den Spielvergleich ja doppelt drin, einmal in seinem unglaeubigen Ausdruck, dann in der wie aufgemalt wirkenden Kopfwunde. Den zweiten finde ich deutlich staerker, weil der erste etwas umstaendlich beschrieben ist.

an einem Wollstrang des Webteppichs, auf den er gestürzt war, zog die Flüssigkeit dunkel bis hin zur Waffe
das muesste nicht unbedingt

Das Fenster wies auf einen sonnenblinden Innenhof hinaus. Wenn Beckmann blinzelte, meinte er, die Luft schwimmen zu sehen.
Auch hier. sonnenblind ist schoen, schwimmende Luft brauchts nicht unbedingt

Arme vor der Brust verschränkt, auf den Ballen wippend dass die Hausschuhe tiefe Kuhlen in die Berberbrücke gruben, antwortete er kurz angebunden, als sei er in Eile, und das Gespräch hielte ihn auf.
das fand ich z.B. sehr gut

Während er redete – nur das Gespräch nicht abreißen lassen, Friedrich war zu gewinnen – ging er in Gedanken den kurzen Weg zur der Wohnungstür mehrmals zurück, eine Schramme hoch an der Wand, die letzte Woche noch nicht gewesen war, die Staubfäden an der Bogenlampe, die nicht ins aseptische Interieur passen wollten, der handgeschnitzte röhrende Hirsch, in dessen Geweih die Schlüssel hingen.
wa? Im Sinno von "musste gewonnen werden" oder "konnte gewonnen werden"? Und wozu?

Und plötzlich, Beckmann noch in Gedanken bei den Schlüsseln, deren Anordnung ihm verändert vorkam, undenkbar in Friedrichs autistisch aufgeräumter Wohnung, schoss dieser.
Also das funktioniert nicht so recht, Dynamik in diesem Wurmsatz darzustellen, mit dem Heldenverb ganz ans Ende geklemmt - auch nicht mit "ploetzlich"

Er erinnerte sich, dass er, Beckmann, sich in die Hocke warf, noch bevor Olaf aufschrie
dieses "er, Beckmann" finde ich nun schon zum zweiten Mal etwas unhandlich, auch wenn es Verwirrung vorbeugt. Du koennstest doch die explizite Erinnerung weglassen, wir wissen ja, dass wir uns in Beckmanns Rueckschau befinden. Ausserdem nimmt diese Reflektion auch wieder Dynamik raus. Du wirst wahrscheinlich sagen, das soll so sein, weil er sich zeitlupenmaessig erinnert. Mein Vorschlag trotzdem: "Beckmann warf sich in die Hocke ..." Obwohl, wie wirft man sich in die Hocke?

Dass er seine Größe mit einem Mal als Verletzlichkeit wahrnahm wie eine zur Schau gestellte, unverbundene Wunde.
Dies ist ein Streichvorschlag

Friedrich fiel, lautlos wie eine Lumpenpuppe, die man in eine Ecke warf, und Beckmann fragte sich
SV

Die Tür klemmte, er musste mehrmals kräftig ziehen, bis sie schloss, der Knall fuhr ihm wie Eiswasser in die Eingeweide.
kein Fan von Eiswasser

Der Luftzug saugte das Papier an und fächerte die Seiten auf, niemand hatte ihm in den fünfzehn Jahren seit seiner Ausbildung gesagt, wie sich in so etwas einfinden.
aber Fan von aufgefaechertem Papier, typisches Metapher pfui, Beschreibung yes-Muster, das sich fuer mich durch den Text zieht.
Aber "wie sich in sowas einfinden" hoert sich sehr stange an.

Das dürre Pflanzgerippe mit den wenigen angesengten Blättern verspottet zu haben, kam Beckmann auf einmal wie ein Sakrileg vor.
Wieso ist der Baum angekokelt (und warum hab ich nur Standar-smileys, um mein Befrenden auszudruecken?)?

Die Tür zum Schießstand war nur angelehnt, Beckmann meinte, den Schmauch riechen zu können, der sich wie ein Film über seine Haut legte und ihn in schwammige Leichtigkeit versetzte. Seine Füße bewegten sich die Treppe hinunter wie ein vorprogrammiertes Getriebe, im Kopf wattige Leere.
wattig und schwammig ist mir ein bisschen drueber. Kein Getriebefan

„He Beckmann, alles fit?“ Carsten federte die Treppe herauf, zwei Stufen auf einmal nehmend, frisch geduscht, die Sporttasche geschultert. Er versetzte Beckmann einen jovialen Klaps auf die Schulter, der diesen aus dem Gleichgewicht brachte und gegen das Treppengeländer warf.
Viel besser, so (fast) ohne Metapher

Carstens Blicke griffen wie Klauen nach seinem Gesicht, das zu entgleisen drohte.
Klauen und Gleise passen mir nicht so schoen zusammen

Das Puls tobte durch die zugeschnürte Kehle,
der Puls, dachte ich jedenfalls immer, aber Du bist ja was medizinisches oder?

die trübe von der Hitze an den Scheiben fläzten und blicklos nach draußen starrten
auch hier, wahrscheinlich flaezen sie sich nicht mit glaenzend wachen Augen truebe herum. Ausserdem, war blicklos nicht schon mal?

Bis zum Ostendplatz träumte er sich in eine türkisfarbene Kachelwelt, in der alle Geräusche zu einem fernen Echo verdämmerten, und die ihn gütig einschloss wie ein Uterus.
Ach, der guetige gruen gekachelte Uterus ;) Ein bisschen weniger dick, nur ein bisschen ...

„Lass mal, ich feg das auf!“ Beckmann strich den Zucker in die hohle Hand und schüttete ihn in der Küche in die Spüle, weil er den Müll nicht fand. Als er zurückkehrte, hockte Olaf zusammengesunken auf der Couch, das Gesicht hochrot, und biss in die Faust. Doch kaum saß Beckmann ihm gegenüber, riss er den Kopf hoch und drückte das Kreuz durch.

nestelte so heftig am hochgekrempelten Hemdsärmel, dass die Naht krachte.
beides sehr gut

Und ich bin ein Mörder, Olaf, sag mir, wie ich damit leben soll.
Also, bei aller Betroffenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so denkt. Warum Moerder? "Ich habe einen Menschen getoetet" reicht doch vollkommen.

Das dicke schwarze Haar unter der Haube zu einem Knoten zusammengeschlungen, den Mundschutz unters Kinn geschoben, streifte sie die doppelte Lage Latexhandschuhe mit gleichgültigem Schmatzen in einen Mülleimer.
Die Tür schwang nach und schaufelte einen Schwall kalter Luft in den Vorraum, und mit ihr den Geruch verbrannten Knochenstaubs.
Dies auch wieder viel besser als das:
Die Pathologie atmete einen eigenen Dunst, der sich, kaum dass man sie betrat, in die Kleider heftete und noch stundenlang, nachdem man sie verlassen hatte, im hintersten Winkel der Nase festsaß. Formalin und Kühlaggregate, eingefrorener Zerfall, das Innehalten des Todes, der sich unter den Mikroskopen ausstreckte wie eine gnädige Diva und willig betrachten ließ.
zwischen ihren gespannten Lippen und seinem schweißnassen Arm entwichen fiepende Seufzer, die die nebenan schlafende Berit mit Sicherheit nicht weckten.
Das hat mich ein bisschen verwirrt zuerst, weil ich dachte da fiept es zwischen Mund und Achsel, also Mund auf schweissnassem Arm irgendwie

Beckmann verfolgte das Schauspiel bis es dunkel wurde, und als er das Fenster schloss weil er fror, spürte er tatsächlich so etwas wie Glück. Klein und flüchtig nur, doch es war da, und Beckmann dachte, dass das für den Augenblick vielleicht genug war.
Glueck? Kann man da nicht irgendwie anders um dieses abstrakte Konzept herumschreiben, ohne es zu nennen.

Okay, das war ne lange Liste, aber die Geschichte hat mir gefallen :D Ich habe trotzdem das Gefuehl, du muesstest da noch mal mit nem strengen Augen drueber. Die Beobachtungen sind oft echt sehr gut, aber die Metaphern, die Metapher, und die Vergleiche auch!

lg
fiz

 

Salve feirefiz,

Welch angenehme Überraschung, dass diese Geschichte noch von Seite irgendwo ausgegraben wurde - sie gehört zu den Texten, an denen mir liegt.

Mit etwas Abstand fand ich den Text sprachlich streckenweise selbst zäh, wusste aber nicht, woran es liegt. Die Metaphern opfere ich nur ungern, ich mag sie, jede einzelne. Aber gut, manchmal muss ein Lieblingskind sterben, damit das Gruppenfoto stimmiger ist.

Stellenweise hab ich Deinen Vorschlägen folgend ausgedünnt, die Satzstellung, ich denke, das entschlackt auch. Aber ein paar meiner geliebten schrägen Bilder werde so lange bleiben, bis ich einen besseren Ausdruck finde, um das Gefühl, das dahinter steht, zu beschreiben.

Z.B. "sich einfinden" - "mit etwas umgehen" ist zu handlungsfixiert, als hätte man in einer solchen Lebenssituation noch die Kontrolle. "Sich mit etwas abfinden" dagegen ist zu fatalistisch. Ich wollte ausdrücken, dass das eien Situation ist, in die man sich erst hineinfühlen, sich emotional neu positionieren muss, sich als Mensch verändern, um mit ihr zurecht zu kommen. In der Psychologie würde man das wohl als Adaption oder Coping bezeichnen.
So gehts mir oft, entweder, ich finde den passenden Ausdruck nicht, um zu beschreiben, was ich ausdrücken will, oder er ist derart umständlich, dass ich gleich eine Seitenangabe im Brockhaus einfügen könnte.
Dann suche ich ein Bild oder einen neuen Begriff, der das Gemeinte codiert - und das sind meist die Stellen, wos schief geht.
Da zum Beispiel:

Ach, der guetige gruen gekachelte Uterus Ein bisschen weniger dick, nur ein bisschen ...
Geh doch mal, wenn Du schwer genervt von allem bist, oder auch psychisch angekratzt, oder übermüdet, oder sonst dünnhäutig, ins Schwimmbad. Tief Luft holen, in ein möglichst großes, leeres Becken tauchen, und ein, zwei Minuten fast regungslos unter Wasser bleiben.
That's the feeling.

Schade drum, dass es auf dem Papier nie will, wie in Kopf und Bauch. Versetze uns doch mal einer wieder ins Paradies zurück, wo Objekt und Begriff identisch sind.

Ich verstehe schon, dass man einen Toten wie ein abstraktes Kunstwerk betrachten kann, aber man braucht kein langes Studium, um den Sinn eines abstrakten Kunstwerkes zu erschliessen. Zumindest wenn es gut ist.
Ich dachte auch nicht an das universitäre Studium, sondern ein Synonym für "Betrachten". Und in ein Bild muss man sich schon vertiefen, wenn man es verstehen will. Egal, ist geändert.
schwimmende Luft brauchts nicht unbedingt
Ich finde, schwimmende Luft ist so Sommer und Hitzelähmung, das gehört da hin.
Im Sinno von "musste gewonnen werden" oder "konnte gewonnen werden"? Und wozu?
Dazu: "Dachten, sie könnten Friedrich überzeugen, dass es besser war, wenn er ihnen verriete, was er über Wieses Verbleib wüsste."
Wieso ist der Baum angekokelt (und warum hab ich nur Standar-smileys, um mein Befrenden auszudruecken?)?
Weil er zu nah am Fenster steht - dann versengen die Blätter, wenn die Scheibe heiß wird.
Als Smiley böte sich dieser an: :confused:.
Viel besser, so (fast) ohne Metapher
Wo ist da die Fast-Metapher? :susp:
Also, bei aller Betroffenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er so denkt. Warum Moerder? "Ich habe einen Menschen getoetet" reicht doch vollkommen.
Sollte den Zwiespalt ausdrücken - dass Beckmann mit seinem Schuldgefühl keinen Platz findet, ohne gleichzeitig zum Ausdruck zu bringen, es sei besser gewesen, sein Kollege sei getötet worden. Da musste an dieser Stelle ein starkes Wort hin, dass den Tod Friedrichs als moralisch problematisch darstellt - was er für Beckmann ja auch ist.
Mal sehen, ob ich mit dem "umgebracht"-Kompromis glücklich werde, wenn nicht, kommt der Mörder zurück. "Getötet" ist mir zu wertfrei.
der Puls, dachte ich jedenfalls immer, aber Du bist ja was medizinisches oder?
Got me. :aua:
Glueck? Kann man da nicht irgendwie anders um dieses abstrakte Konzept herumschreiben, ohne es zu nennen.
Kann man sicher. Aber nachts um drei fällt mir dazu nichts ein, und in den nächsten Tagen ist Zeit knapp und teuer, da komm ich kaum zu langwierigeren Überarbeitungsschritten. Aber ich bleibe gedanklich dran.

Danke nochmal für die ausführliche Auseinandersetzung. Und natürlich freu ich mich über Lob und Placet. :gelb:

Liebe Grüße zur Nacht,
Pardus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Pardus,

ich wollte nur ein paar Verwirrungen aufklaeren.

Beim "sich einfinden" ging es mir gar nicht um das Verb sondern um die Satzkonstruktion. "Keiner hat mir erklaert, wie sich in sowas einfinden." Das hoert sich fuer mich arg kuenstlich an.

Geh doch mal, wenn Du schwer genervt von allem bist, oder auch psychisch angekratzt, oder übermüdet, oder sonst dünnhäutig, ins Schwimmbad. Tief Luft holen, in ein möglichst großes, leeres Becken tauchen, und ein, zwei Minuten fast regungslos unter Wasser bleiben.
That's the feeling.
Ich verstehe ja das feeling, sich da im weiten leeren Becken treiben zu lassen und alles hallt so schoen und stinkt nach Chlor. Aber den Uterus kauf ich Dir immer noch nicht ab. Hat mich aber immerhin amuesiert.

Wo ist da die Fast-Metapher?
Ich dachte an das Federn, aber eigentlich tut er das wohl im woertlichen Sinne.

Gut, der Moerder, ich denke gerade ein Polizist wird auch in hoechster moralischer Bedreangnis, noch an so einer sachlichen Unterscheidung festhalten.

Ich dachte auch nicht an das universitäre Studium, sondern ein Synonym für "Betrachten". Und in ein Bild muss man sich schon vertiefen, wenn man es verstehen will.
Das habe ich schon verstanden, und meine trotzdem "nein", weil es beim abstrakten Kunstwerk eben nicht Sinn zu verstehen gibt, sondern nur was zum wahrnehmen. Vertiefen kann und soll man sich natuerlich trotzdem. Aber ist ja eh weg jetzt.

ja, das war's.

lg
fiz

 

Salve fiz,

"Keiner hat mir erklaert, wie sich in sowas einfinden." Das hoert sich fuer mich arg kuenstlich an.
Klar, spricht im Alltagsleben keiner in Ellipsen - es sei denn, er hat ne Weisheitszahnoperation hinter sich, oder gehört zur "Gehst du Schule"-Fraktion.
Aber in nem fiktionalen Text - hm. Da möcht ich schon ab und zu mal dürfen.
Auch hier ganz der Mörder - wenn mir der vollständige Satz auf Dauer nicht gefällt, komt die Ellipse zurück.
Ich dachte an das Federn, aber eigentlich tut er das wohl im woertlichen Sinne.
Tut er.
Gut, der Moerder, ich denke gerade ein Polizist wird auch in hoechster moralischer Bedreangnis, noch an so einer sachlichen Unterscheidung festhalten.
Der Prot ist ja nicht nur in Bedrängnis, er befindet sich bereits jenseits der roten Linie, und kann nicht mehr zurück. Das ist glaub ich so was existentielles, dass das Gehirn erst mal ausschaltet.
Obwohl - manche rationalisieren auch, um sich möglichst alles von der Seele zu halten.
Got me again. Nun bin ich mit mir selbst uneins. Aber da ich mit "umbringen" gefühlsmäßig im Augenblick gut kann, soll mich das nicht weiter stören.

Im Augenblick fühle ich mich mit dem Text jetzt anders unwohl, als vorher - als würd ich in ner Baustelle leben. Mal sehen, was noch draus wird.

Aber danke erst mal für die Rückmeldung.

LG, Pardus

 

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