Begegnung am Abend
„Ist der Stuhl noch frei?“
Von der plötzlich so nah an ihrem Ohr ertönenden Männerstimme erschrocken, setzte Elena ruckartig ihr Glas ab und würgte den gerade zu sich genommenen Schluck ihres erfrischenden Cocktails viel zu hastig runter.
„Wie bitte?“
„Ob der Stuhl bei Ihnen noch frei ist?“ Er stand neben ihr, groß, dunkelhaarig, dunkle Augen, seine sportliche Figur in einer lässigen Jeans und einem schwarzen Hemd verborgen. Seine weißen Zähne blitzen sie herausfordernd an, als er sie anlächelte. Seine rechte Hand umfasste bereits die Rückenlehne des besagten Stuhls.
Typisch. Ein Schönling, ein Frauenheld, für den am Freitagabend die Jagdsaison begann. Ein Sunnyboy der glaubte, er durfte alles. Dabei war es nicht mal acht Uhr. Ein Idiot.
Elena sah sich unruhig nach ihren Freundinnen um.
Keine Spur.
Damit musste sie wohl alleine fertig werden.
Sie schlug die Beine übereinander und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück.
„Und was kommt als nächstes? Ein kreatives ‚Bist du öfter hier?’ oder ‚Haben wir uns nicht schon mal irgendwo gesehen?’“ Mit einem bemüht arroganten Gesichtsausdruck blickte sie ihn provozierend an.
Er verzog keine Miene. „Ich glaube nicht.“ Seine Hand verhaarte noch immer auf der Stuhllehne.
„Was?“
„Ich glaube nicht, dass wir uns schon mal irgendwo gesehen haben!“
„Ach nein?!“ Wieso fühlte sie sich auf einmal wie der Idiot hier? Das sollte doch seine Rolle sein.
Noch immer keine Spur von den so dringend benötigten Busenfreundinnen.
Er folgte ihrem Blick. „Suchen Sie jemanden?“
„Ob ich – nein. Ich – ich frag mich nur, wo meine Freundinnen bleiben.“
„Ihre Freundinnen? Also ist der Stuhl schon besetzt?“
„Ja. Ich meine, nein! Also – im Moment nicht.“ Sie gab auf. Alleine war sie nicht gut in so was.
„Nun setzen Sie sich schon.“ Frustriert über ihr mangelndes Durchsetzungsvermögen griff sie wieder nach ihrem Cocktail und nahm beherzt einen großen Schluck.
Er stand immer noch neben ihr.
Jetzt wirkte er doch verwirrt und sprachlos. Damit hatte er wohl so schnell nicht gerechnet. Er hatte doch noch nicht mal seine gut einstudierten Anmachsprüche vom Stapel lassen können. Eine selbstbewusste, schlagfertige Frau machte ihm also Angst, Feigling.
Doch ein Idiot.
„Ich, ähm, ich wollte mir eigentlich nur den Stuhl mitnehmen – also, wenn er noch frei ist.“
“Oh…“ Ein großes Erdloch, das sie verschluckte, mit Haut und Haaren. Oder ein plötzlicher Meteoriteneinschlag in die parkenden Autos vor der Tür. Oder ein Rohrbruch auf dem Männerklo.
Das hätte ihr jetzt geholfen.
„Ich sitze da drüben, mit ein paar Freunden“, deutete er an und nickte in Richtung eines Tisches, dem Elena in diesem Moment keine weitere Beachtung schenken wollte. „Und ich brauch noch einen Stuhl.“
„Ach so, ja.“
„Aber der Stuhl ist wohl für ihre Freundinnen?“
„Sabine und Sybille, ja.“
Er lachte und ließ die weißen Zähne wieder blitzen. Noch etwas verunsichert lachte sie mit.
Was war denn so lustig?
„Sind das Schwestern, ihre Freundinnen? Klingt fast so.“
„Ach, wegen der Namen?“ Elena hörte sich selbst ungläubig zu, während sie wie automatisch fortfuhr: „Nee, sind keine Schwestern. Sie können sie auch Bille und Biene nennen. So werden sie meistens genannt.“ Was redete sie das bloß?
Jetzt lachte er noch viel mehr.
„Bille und Biene? Das ist fast so schlimm wie Hanni und Nanni!“
Nun musste auch Elena lachen. „Ich weiß!“
Sie lachten gemeinsam, ein erlösendes, auflockerndes Lachen.
Zum ersten Mal sah sie ihm dabei richtig in die Augen. Er hatte blaue Augen, komisch…
Das Lachen verebbte.
Elena nahm zur Überbrückung der unangenehmen Stille erneut einen Schluck aus ihrem Cocktail.
„Nicht, dass Sie denken, ich wollte Ihre Freundinnen beleidigen!“ Nun wurde sein Blick wieder ganz ernst.
„Oh, nein, nein, keine Sorge.“
„Und ich hab natürlich auch nie Hanni und Nanni gelesen!“
„Nein, natürlich nicht.“
„Ich hab eine kleine Schwester.“
„Ach so, ja.“
„Sie heißt Bärbel.“
Sie prusteten los.
„Das passt ja“, kicherte Elena vergnügt und wischte sich die vor Lachen tränenden Augen.
Er richtete sich auf, schien einen Moment lang zu überlegen und ließ dann die Stuhllehne los.
Er würde jetzt gehen, das wusste sie. Schade.
Elenas Gesicht wurde wieder ernster, ruhig blickte sie ihn an, nur ein leichtes Lächeln auf den Lippen.
„Also, ich gehe jetzt wieder zu meinen Freunden“, begann er.
„In Ordnung.“
„Aber nur unter einer Bedingung.“
„Und die wäre?“
„Sie müssen mir nachher unbedingt noch ihre beiden Freundinnen vorstellen.“
Sie grinste. „Okay, das mache ich.“
„Und dann lade ich Sie auf einen Drink ein.“
„Sehr gerne.“
„Also“, er wandte sich zum Gehen. „Bis später
„Bis später.“