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Berufswunsch
Nicht, dass ich mir diesen Beruf ausgesucht hätte, ich kam dazu buchstäblich wie die Jungfrau zum Kind. Bevor ich ihn ausübte, gab es glaube ich auch noch keinen Mückenstichanlecker. Nein, so etwas gab es sicher nicht.
Es fing ganz klein an. Ich war noch ein Kind, das noch nicht einmal zur Schule ging. Wenn ich einen Mückenstich hatte, sagte meine Großmutter „Musst du drauf Spucken.“ Es half auch immer sofort, den Juckreiz zu beseitigen. Meine kleinen Spielkameradinnen versuchten es auch, aber ihre Spucke war irgendwie nicht so wirksam wie meine. Also musste ich auch auf ihre Mückenstiche spucken. Als wir in die Schule kamen, wurde unser Benehmen deutlich besser. Ich spuckte nicht mehr auf die Stiche, sondern machte einen Finger nass mit Spucke und tippte dann auf den Mückenstich. Und je älter ich wurde auch nur noch auf meine eigenen Stiche. Es half aber immer noch perfekt. Ich vergaß, dass meine Spucke auch bei anderen besonders mückenstichfeindlich war.
Irgendwann als Erwachsene, landete ich dann in einem Großraumbüro mit zweihundert Angestellten. In jedem Sommer war dieses Büro der totale Albtraum, weil es an einem sumpfigen Seengebiet lag, also die reinste Mückenzuchtfarm darstellte. Ich leckte häufig mal meinen Finger an und tippte damit auf meine zahlreichen Mückenstiche. Die Kollegen in den Nachbarbuchten wurden bald aufmerksam und fragten, was ich da mache. Ich erklärte ihnen den Tipp meiner Großmutter und wie gut er mir half. Nun fingen die Kollegen also auch an, ihre Finger mit Spucke zu nässen und ihre Mückenstiche damit zu behandeln. Bei einigen half es wenigstens etwas, aber bei den meisten juckte es trotzdem wie verrückt.
Schließlich fragte mich eine befreundete Kollegin, bei der das Jucken mörderisch zuschlug, wie sie mir beteuerte. „Bitte, hab ein Herz. Bitte, mach mal deine Spucke drauf, ich halt es nicht mehr aus.“ Ein wenig unwohl war mir zwar dabei, aber was war schon in Wirklichkeit dabei? Das Jucken hörte auch sofort auf, wie sie sagte. Leider erzählte sie es im ganzen Büro herum. Nach knapp zwei Wochen war ich spätestens zur Mittagspause umzingelt von Kollegen, die mir ihre angestochenen Körperteile hinhielten. Vom ständigen Händewaschen zwischendurch, hatte ich schon ganz trockene Hände. Auch meine Zunge klebte dauernd am Gaumen. Meine Spucke brauchte ich ja für meine Kollegen.
Offenbar war eine meiner Kolleginnen mit einem Journalisten verheiratet. Sie fragte an, ob ich ihm ein Interview geben würde. Ich dachte mir nicht viel dabei und stimmte zu. Er würde schon merken, dass ich völlig uninteressant war. Allerdings sorgte dann das übliche Sommerloch für eine Veröffentlichung des Interviews und prompt fing mein Telefon an zu läuten. Es kamen zunächst Anfragen aus Deutschland, dann aus der ganzen Welt. Ich sollte meine Spucke zur Verfügung stellen. Einige Wissenschaftler wollten sie analysieren, ein Milliardär wollte mich einstellen. Man stelle sich vor, mit einem sechsstelligen Monatsgehalt! Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Ich stellte erst einmal den Wissenschaftlern einige Proben zur Verfügung, in der Hoffnung, die mückenstichabheilenden Wirkstoffe könnten im Labor synthetisch nachgebildet werden. Keine Chance! Die Wissenschaftler fanden nicht einmal heraus, warum meine Spucke etwas Besonderes war. Sie bestätigten allerdings, dass darin irgendetwas anders war. Dieser unbekannte Wirkstoff war nur leider nicht besonders stabil außerhalb meines Körpers. Also konnte man die Spucke weder in Flaschen noch in Tiegel abfüllen. Ich musste wirklich zu den „Angestochenen“ reisen.
Der Milliardär wiederholte sein Angebot mit einigen zusätzlichen Annehmlichkeiten, wie einem eigenen Jet, ausgezeichneter Krankenversicherung und eigenen Angestellten. Ich kaufte mir also eine Grosspackung von diesen Holzspateln die Ärzte benutzen – ich konnte doch einem Milliardär nicht mit meinem angeleckten Finger betatschen - und sagte zu. Den Jet konnte ich auch privat nutzen, um überall in der Welt, anderen Menschen zu helfen. Diese Behandlungen machte ich dafür aber völlig umsonst. Meine Gabe brachte mir schließlich mehr als ausreichende Geldmittel ein, da sollte ich der Menschheit ein wenig zurückgeben. Aber die Aufgabe ist für einen einzelnen Menschen einfach zu groß. Die Wissenschaftler arbeiten weiter an einer anderen Lösung, damit ich irgendwann in ein normales Leben zurückkehren kann.
Aber so oder so, in spätestens zehn Jahren werde ich in Rente gehen. Die Nebenwirkungen sind eben recht unangenehm. Ich darf nicht viel trinken, sonst werden die Wirkstoffe verdünnt. Daher klebt ständig meine Zunge am Gaumen und ich haben einen enormen Verbrauch an Lippenpflegestiften. Das Rumreisen ist auch nichts für mich, ständig falle ich von einer Zeitzone in die Nächste. Es gab schon Tage, da wusste ich nicht auf welchem Erdteil ich war. Reich zu werden hatte ich mir anders und erheblich leichter vorgestellt.