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Beschränkter Geist
“Starte KNK-Befragung Nummer 1. Wir haben den 12. Juli 2043. Es ist 13:46 Uhr. Fangen wir an. Wie heißen Sie?”
“Karl …”
Der weiße Raum, in dem er saß, wirkte kalt und steril. Keine Bilder, keine Dekoration und keine Pflanzen. Es gab nur zwei Stühle und einen Tisch. Der Ausgang befand sich zu seiner Rechten und zu seiner Linken war ein länglicher Spiegel in die Wand eingelassen. Es dauerte eine Weile, bis er verstand, was die junge Frau, die vor ihm saß, von ihm erwartete, aber er bemühte sich, die Frage ehrlich zu beantworten. Zumindest schien sie seltsam einfach zu sein. Sein Name war Karl. Dessen war er sich sicher. Aber warum? Sein Kopf schien ansonsten bedenklich leer zu sein. Er erinnerte sich an … nahezu nichts. Wie war das möglich?
“Sehr gut, Karl. Haben Sie auch einen Nachnamen?”
Nachname? Karl dachte angestrengt nach. Friedmann klang gut. Er konnte nicht sagen warum, aber es wirkte … <<korrekt>>
“Friedmann. Ich heiße Karl Friedmann.”
Der Blick der jungen Frau veränderte sich kurz. Sie wirkte überrascht. Positiv überrascht. Er lag richtig. Instinktiv. Ein gutes Gefühl. Dennoch verunsicherte ihn die Situation. Warum fiel es ihm so schwer, sich zu erinnern?
“Können Sie mir sagen, warum ich hier bin? Ich erinnere mich an nichts. Alles ist so … seltsam.”
“Alles wird gut, Herr Friedmann. Wir kümmern uns um Sie. Können Sie mir sagen, woran Sie sich als Letztes erinnern?”
Karl durchkämmte seine Gedanken. Irgendwo musste es doch einen Anhaltspunkt darauf geben, was hier vor sich ging. Ein Bild blitzte vor seinem inneren Auge auf. Ein Ballon.
“Ich erinnere mich an einen Ballon.”
“Sehr interessant. Wie sieht dieser Ballon aus?”
“Wie ein Tier. Aber nicht so wie ein normales Tier.”
“Sehr gut. Was stimmt mit diesem Tier nicht?”
“Die Proportionen. Ich denke, es sollte ein Bär sein, aber er ist zu klein.”
“Ein Teddybär?”
Teddybär? Karl dachte über diesen Begriff nach. Das waren doch Plüschtiere. Er redete über einen Ballon. Aber etwas in ihm stimmte zu. Dieser Ballon sah aus wie ein Teddybär, auch wenn es keiner war. Sie hatte vermutlich recht. <<korrekt>>
“Ja, der Ballon hat die Form eines Teddybären.”
Die Frau notierte einige Dinger auf ihrem Bogen. Ihre Hand wirkte dabei zittriger als zuvor. Etwas an seiner Antwort hatte sie verunsichert.
“Es tut mir leid. War diese Antwort nicht das, was Sie hören wollten?”
“Nein … Nein, Herr Friedmann. Es ist alles ok.”
Karl bemerkte ein leichtes Stottern in ihrer Antwort. Sie war wirklich verunsichert. Aber warum? Waren diese Antworten falsch? Welchen Zweck hatte die Befragung überhaupt?
“Entschuldigen Sie, aber können Sie mir erklären, wo ich hier bin? Hatte ich einen Unfall? Ich … kann mich nicht erinnern.”
“Beruhigen Sie sich, Herr Friedmann. Es wird alles wieder gut. Wir kümmern uns um Sie.”
Es musste so sein. Ein Unfall. Er wurde vermutlich verletzt. Am Kopf? Konnte er sich deswegen an nichts erinnern? Wie kam er in diesen Raum? Das alles ergab keinen Sinn. Das war falsch! <<fehler>>
Ein Klopfen unterbrach Karls Gedanken. Es klang rhythmisch, aber er konnte nicht zuordnen, wo es herkam.
“Hören Sie das? Dieses Klopfen?”
Die Frau sah ihn mit einem leicht verstörten Blick an.
“In Ordnung, Herr Friedmann. Ich denke, das reicht für heute.”
“Aber dieses Klopfen! Macht Ihnen das keine Sorgen? Es muss doch von irgendwo herkommen. So ein Klopfen ist doch nicht …”
Dunkelheit. Kein Klopfen mehr. Kein Raum. So war es besser. Friedlicher … ruhiger. <<korrekt>>
“Starte KNK-Befragung Nummer 1. Wir haben den 13. Juli 2043. Es ist 14:13 Uhr … Ok. Wie heißen Sie?”
Karl befand sich wieder in dem Raum. Die Dame vor ihm hatte ihre Augen wieder auf den Fragebogen fixiert und erwartete eine Antwort. Aber etwas an der Eröffnung passte nicht. Sie saßen doch schon einmal in diesem Raum. Was sagte sie damals? 12. Juli. Das war dann gestern.
“Ich glaube, Sie haben da einen Fehler gemacht.”
Die Frau blickte erschrocken hoch. Diese Reaktion hatte sie offensichtlich nicht erwartet.
“Sie sagten KNK-Befragung Nummer 1. Aber wir hatten doch gestern schon eine solche Befragung, oder?”
“Das stimmt. Sie erinnern sich?”
“Natürlich. Sie fragten mich nach meinem Namen und meiner letzten Erinnerung.”
“Das ist … richtig. Sie haben recht … Ich werde das sofort korrigieren.”
Sie kritzelte einige Bemerkungen in den Bogen. Sie wirkte dabei äußerst schwungvoll. Fast so, als habe Karls Bemerkung ihr neuen Auftrieb gegeben. Ihre Motivation nachdrücklich erhöht. Das war gut, oder? Hieß es, dass er auf einem Weg der Besserung war?
“Befragung Nr.2. Setzen wir dort an, wo wir gestern aufgehört haben. Sie erinnerten sich an einen Ballon. Wenn wir das Bild erweitern, was ist da noch in Ihrer Erinnerung?”
Die Frau hatte jetzt definitiv neuen Elan. Die Sätze überschlugen sich bei ihr beinahe. Das freute Karl. Aus irgendeinem Grund mochte er sie. Sie half ihm schließlich, oder? Und sie hatte etwas Vertrautes.
“Das war gut, oder? Dass ich sie korrigiert habe?”
“Konzentrieren wir uns, Herr Friedmann. Beantworten Sie meine Frage. Neben dem Ballon, woran erinnern Sie sich noch?”
Karl holte das Bild des Ballons zurück vor sein inneres Auge. Da musste noch etwas gewesen sein. Ein Hinweis. Irgendetwas – Ein Schrei! <<korrekt>>
“Ich erinnere mich an einen Schrei.”
“Ein Schrei?”
“Ja. Eine Frau. Ich bin mir nicht sicher, aber es wirkt, als ob sie um Hilfe ruft.”
“Können Sie sich an das Gesicht der Frau erinnern?”
“Nein. Aber sie wirkt verzweifelt. Sie wiederholt ihren Ruf. Ja, ich bin mir sicher - sie braucht Hilfe. So dringend! Aber ich glaube, es kommt niemand.”
Karl verstörte diese Erinnerung. Dieser Schrei wirkte entsetzlich. Er würde ihr gerne helfen. Ihr all das Leid abnehmen, das sie mit diesem Schrei offenbarte. Aber es war nur eine Erinnerung, richtig? Nichts das er tun könnte. <<korrekt>>
“In Ordnung, Herr Friedmann. Sie machen das sehr gut. Versuchen Sie, sich jetzt von diesem Schrei zu lösen. Woran erinnern Sie sich noch?”
Von dem Schrei lösen. Das klang so einfach. Aber etwas an der Verzweiflung dieser Frau verstörte ihn. So etwas lässt man doch nicht einfach los. Das war falsch! <<fehler>>
Erneut unterbrach ein Klopfen die Gedanken von Karl. Rhythmisch, eindringlich. Ein Klopfen. Aber wo kam es her?
“Hören Sie das? Das Klopfen schon wieder. Sie müssen das doch hören!”
Die Frau blickte wieder besorgt in Karls Richtung. Es tat ihm leid. Er wollte sie nicht beunruhigen. Sie hatte ihn doch gerade noch gelobt. Aber jetzt – nein das war nicht richtig – sein Verhalten. Aber das Klopfen war nun einmal so laut. Das musste man doch hören. Warum hörte sie es nicht? Das war falsch! <<fehler>>
“Beruhigen Sie sich, Herr Friedmann. Es wird alles wieder gut. Sie haben das gut gemacht. Wirklich. Aber es ist wohl besser, wenn wir jetzt eine kleine Pause machen.”
“Nein, warten Sie. Dieses Klopfen. Was hat das zu bedeuten? Bilde ich mir das nur ein? Was ist los mit mir? Bitte helfen Sie mir! Bitte …”
Dunkelheit. Eine sanfte Ruhe. Keine Fragen. Keine schreiende Frau. Einfach nur … Frieden. <<korrekt>>
“Starte KNK-Befragung Nummer 1. Wir haben den 14. Juli 2043. Es ist 11:36 Uhr.”
Die Frau vor Karl setzte einen tiefen Seufzer ab, bevor sie ihre Befragung fortsetzte.
“Wir starten. Wie heißen Sie?”
“Karl Friedmann. So wie gestern. So wie vorgestern. Und wir sind bei Befragung Nummer 3.”
Eine kurze Pause. Der Blick der Frau erstarrte kurz, bevor er sich fragend in Richtung Spiegel wandte. Es dauerte einen Moment, bis sie sich sammeln konnte.
“Ähm… entschuldigen Sie Herr Friedmann. Dieser Fehler ging auf meine Kappe.”
“Kein Problem. Obwohl ich glaube, dass sie das absichtlich machen.”
“Was meinen Sie?”
“Die Nummer der Befragung. Sie starten absichtlich bei 1. Falls ich mich nicht erinnere. Stimmt das?”
Die Frau benötigte einen Moment, bevor ihr eine Antwort darauf einfiel.
“Wir machen das, um Ihnen zu helfen, Herr Friedmann.”
“Das glaube ich ihnen sogar. Und dafür bin ich dankbar.”
“Gut. Dann machen wir weiter.”
Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Karl gefiel das. Er mochte Sie, auch wenn er nicht erklären konnte warum.
“Gehen Sie wieder zu ihrer letzten Erinnerung zurück. Was sehen Sie?”
Karl fokussierte sich erneut. Da war ein Ballon. Die schreiende Frau - aber die vergessen wir ganz schnell wieder. <<korrekt>> Was ist da noch? Da musste noch etwas sein. Der Ballon flog über ihm, aber er wurde durch etwas noch leicht verdeckt. Fast unbemerkbar, aber da war etwas in diesem Bild - zwischen ihm und dem Ballon. Eine Person? <<korrekt>> Eine kleine Person! Ein Kind? <<korrekt>> Ein Mädchen. Natürlich! Gehörte ihr der Ballon? <<korrekt>>
“Ich sehe ein Mädchen.”
Das Gesicht der Frau wurde kreidebleich. War das falsch? <<fehler>> Nein. Er war sich sicher. Das Mädchen war da!
“Da ist eindeutig ein Mädchen. Ich sehe sie vor meinem inneren Auge. Ihr gehörte der Ballon!”
“Wie sieht sie aus?”
Ihre Stimme wurde brüchig. Was hatte Karl falsch gemacht? Er konnte sich doch erinnern. <<fehler>>
“Sie hat etwas Vertrautes. Ich kenne sie …”
“Woher?”
Sie wurde aufdringlicher. Das Mädchen? Nein - die Frau. Moment - woher kam diese Verwirrung? <<fehler>>
“Sie … Ist sie meine Tochter?”
<<korrekt>>
“Sie wirkt so traurig. Warum ist sie traurig?”
<<fehler>>
Das Klopfen begann erneut. Woher kam das? Woher kam dieses aufdringliche Klopfen? Es musste doch einen Grund dafür geben. Die Frau hatte jetzt Tränen in den Augen. Er musste etwas falsch gemacht haben. Aber er konnte sich nicht erklären was. Dann ein klarer Gedanke.
“Katherina!”
Das war ihr Name. Sie hieß Katherina! <<korrekt>>
“Papa?”
Ja, das hatte das Mädchen gesagt. <<fehler>> Nein - nicht das Mädchen. Die Frau? <<korrekt>> Aber die Frau … Jetzt konnte Karl es sehen. Die Ähnlichkeit, die Vertrautheit. Sie war da. Die ganze Zeit. Katherina - seine Katherina! Sie saß vor ihm. Aber sie war so alt. Viel älter, als er sie in Erinnerung hatte.
“Papa? Kannst du dich erinnern? Ich bin hier!”
“Katherina? Aber wie …”
Wieder das Klopfen. Der Rhythmus wurde schneller - eindringlicher. Woher kam dieses Klopfen?
“Woher kommt dieses Klopfen?”
Ihr Blick wanderte an ihm herunter - und er folgte ihrem. Und dann sah er es. Es waren seine Finger! <<korrekt>> Nein, das konnte nicht korrekt sein. Diese Finger waren nicht seine. <<fehler>> Aber wie? Sie waren aus Metall - künstlich. Er spürte sie nicht. <<fehler>> Nein - kein Fehler. Das waren seine Hände, aber auch irgendwie nicht. Das ergab keinen Sinn. <<fehler>>
“Warum kann ich meine Hände nicht spüren?”
“Alles wird gut, Papa. Wir sind hier, um dir zu helfen!”
Sie weinte. Das tat ihm leid. Er wollte sein kleines Mädchen nicht zum Weinen bringen. Das war falsch! <<fehler>> Aber etwas stimmte nicht. Er konnte nichts spüren. Keine Finger, keine Hände, keine Beine. Alles war stumm. <<fehler>>
“Ich spüre meine Beine nicht. Ich spüre meine Finger nicht. Katherina! Was passiert hier? FEHLER!”
“Alles wird gut, Papa. Wir finden einen Weg. Es wird funktionieren. Wir waren so nah dran!”
“Katherina! Ich hab Angst. FEHLER! Warum spüre ich meinen Körper nicht. FEHLER! Warum …”
Dunkelheit. Die Hände sind verschwunden. Kein Körper, kein Gefühl. So hat alles wieder gepasst. So sollte es sein. So war es richtig. <<korrekt>>
Joseph, der Projektleiter begann zu referieren:
“Ich denke, wir haben heute einen enormen Erfolg zu verzeichnen. Projekt KNK ist endlich an einem Punkt angelangt, wo wir die klare Persönlichkeit von Proband Alpha identifizieren konnten!”
Erfolg, Proband - Katherina wurde bei diesen Begrifflichkeiten schlecht. So sprachen sie über ihren Vater? Sie hatten komplett vergessen, warum sie all das taten. KNK stand für Kybernethisch-Neuronale-Kopplung. Es war einst der Traum ihres Vaters und ihrer Mutter, das Bewusstsein eines Menschen in eine künstliche Hülle zu transferieren. Das würde ewiges Leben bedeuten. Es wäre revolutionär. Die größte Errungenschaft der Menschheit, ein Milliardenpatent für ‘Friedmann Technologies’.
“Katherina! Könntest du uns noch mal erzählen, welche Erinnerung dein Vater beschrieben hat?”
“Seinen Tod!”
Eine gespenstische Stille lag im Raum. Die Antwort war direkt - sicherlich - aber Katherina hatte keine Lust mehr auf schonende Worte. Sie war wütend!
“Ja. Er hat seinen Tod beschrieben. Er starb an einem Herzinfarkt. Wir waren gerade auf dem Jahrmarkt. Er kaufte mir einen Luftballon in Form eines Teddybären. Dann kippte er einfach um. Meine Mutter hat nach Hilfe gerufen. Die anderen Passanten haben nur zusehen können. Als der Notarzt eintraf, war er fast tot. Ein Spenderorgan kam für ihn nie in Frage. Stattdessen spendete er wiederum sein Hirn seiner eigenen Firma.”
Für einen kurzen Moment konnte sie einen schamvollen Blick in ihren Gesichtern erkennen. Dann setzte Joseph wieder an:
“Ich denke, hier liegt der Unterschied zu unseren bisherigen Versuchen. Bei den, durch deine Mutter durchgeführten Befragungen, konnten wir nie solche Erfolge vorweisen. Aber dein Gesicht, ist vermutlich das Letzte, das er vor Verlust des Bewusstseins wahrgenommen hatte. Deswegen fiel es ihm jetzt leichter, sich zu erinnern. Das ist wirklich ein immenser Erfolg!”
Katherina hielt es nicht mehr aus. Jetzt auch noch ihre Mutter. Seit dem Tod von Katherinas Vater, hatte ihre Mutter jeden Cent aus dem Gewinn der Firma abgezweigt, um das Projekt KNK am Leben zu halten. Jede Woche wurde eine Sitzung durchgeführt. Die Ergebnisse waren nicht nennenswert. Aber vor einem Monat war auch sie gestorben. Ein unentdecktes Aneurysma - und somit keine Chance für Projekt KNK. Katherina übernahm die Leitung der Firma und die Befragungen. Sie hatte sich nicht ein Mal die Zeit für das Trauern nehmen können. Es ging einfach alles viel zu schnell.
Katherina wurde zunehmend unwohl. Krampfhaft drückte sie mit ihrer Hand einen Kugelschreiber zusammen. Joseph schien das nicht zu bemerken, oder ignorierte es.
“Wir sind dennoch erst am Anfang. Die heftigen körperlichen Reaktionen von Karl deuten daraufhin, dass wir hier noch einen internen Fehler haben. Offensichtlich blockiert hier etwas. Thomas, vielleicht kannst du das kurz erläutern.”
Thomas war der Chef-Ingenieur des Projektes. Sehr intelligent - nur leider besaß er keinerlei Empathie.
“Natürlich. Danke, Joseph. Also, wir gehen davon aus, dass das Problem im zentralen Vermittler liegt. Der dort enthaltene Kern sollte normalerweise das Hirn und die Sensorik miteinander verbinden. Damit dies in der gewünschten Geschwindigkeit funktioniert, haben wir mit Hilfe eines neuronalen Netzes eine Art Vermittlungs-KI gebaut. Jetzt die Theorie: KI und menschliches Bewusstsein konkurrieren über die Deutungshoheit der Sensorik. Wenn das stimmt, müssten wir den Lernmechanismus …”
“ES REICHT!”
Katherina konnte sich das nicht mehr antun. Neuronen, Sensorik, Vermittler. Hinter all dem steckte noch immer ihr Vater. Mag sein, dass es früher sein Traum war, dieses Projekt zu unterstützen. Aber nun, in diesem Zustand - tief in den mechanischen Eingeweiden seines neuen Körpers hatte er gelitten. Das konnte sie sehen. Sie konnte es spüren. Mag sein, dass ihre Mutter trotz der vielen Fehlversuche am Projekt festhielt. Aber nun hatte sie die Leitung übernommen. Und es musste ein Ende her.
Sie konnte sehen, dass Joseph wusste, was folgen würde:
“Was schlagen Sie vor, Frau Friedmann?”
“Gar nichts. Ich beende das.”
“Starte KNK-Befragung Nummer 1. Wir haben den 14. Juli 2043.”
Ihr Blick wanderte zur Uhr. Katherina vermied es ihren Vater anzusehen. Oder das, was aus ihm nun geworden war. Ein Gerüst aus runden metallenen Zylindern und Stäben, die einen vollständigen Körper samt Kopf, Armen, Händen, Beinen und Füßen nachbildeten. Sowie die darunter liegenden, offen sichtbaren Kabelstränge.
“Es ist 16:21 Uhr.”
Der Körper ihres Vaters fuhr hoch. Das leise Surren von Servomotoren begleitete seine Bewegungen.
“Wo bin ich?”
“Alles wird gut, Herr Friedmann. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen.”
Sie hielt sich zunächst an das Protokoll, damit er nicht zu früh unruhig wurde. Das war wichtig - nein - ihr war es wichtig. Es sollte ein letzter Abschied werden. Sie wollte nicht, dass es ihn zu sehr unter Stress setzt.
“Ich vertraue Ihnen … Ich kann mich nur nicht erinnern, wie ich herkam.”
Sein Blick wanderte wirr durch den Raum.
“Es tut mir leid, Papa.”
Für einen kurzen Moment wirkte es, als ob die Servomotoren stoppten. Tränen sammelten sich in Katherinas Gesicht. Es war schwer, aber sie musste es zu einem Ende bringen. Das war sie ihm schuldig.
“Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für dich tun konnte. Ich weiß du hast dieses Projekt geliebt. Ich weiß du und Mama, ihr habt so viel Zeit hier rein gesteckt. Aber ich sehe, dass du leidest. Und …”
Ihre Stimme brach ab. Mit einem Wisch versuchte Katherina sich die Tränen aus dem Gesicht zu schieben. Keine Chance - es kamen einfach zu viele. Die Servomotoren blieben stumm.
“Und ich weiß, dass es dir besser gehen wird, wenn ich dich endlich gehen lasse.”
Absolute Stille im Raum. Katherina traute sich nicht, ihren Vater anzusehen.
“Und daher werde ich das hier beenden.”
Ein kurzes Surren der Motoren durchbrach die Stille.
“Es ist ok meine Kleine. Ich bin stolz auf dich.”
Da war er wieder. Karl Friedmann, ihr Vater. Ein kurzes Aufblitzen seines Wesens. Dann begann wieder das Klopfen. Das Surren der Servomotoren entbrannte in einer metallenen Kakophonie.
“Ich … FEHLER! Klopfen … FEHLER!”
Unter Tränen betätigte Katherina den Schalter unter dem Tisch. So schnell wie das Klopfen kam, war es wieder verschwunden und mit ihm die letzten Regungen des metallenen Körpers. Katherina protokollierte die letzten Sekunden von Projekt KNK. Es war beendet, und ihr Vater fand endlich seinen Frieden.