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Bettelnder Beruf
Bettelnder Beruf
Alvin war ein Bettler. Er war eigentlich schon immer ein Bettler gewesen und hatte nie eine Chance, etwas anderes zu sein als ein Bettler. So kann Betteln auch ein Beruf sein, sagte Alvin immer. Alvin war es gewohnt, dass er abhängig war, von den Launen der Bürger. Ein sonniger Tag war sicherlich ein guter Tag; da kamen die Bürgerinnen, in weißer Sommertracht und mit ihren Sommerschirmen, lachend und vergnügt die Straße entlang des Parks und trennten sich leicht und gern von einigen Kupfermünzen. Es war zwar nur Kleingeld, aber es kam oft einiges dabei zusammen. Sie schenkten ihm manchmal ein Lächeln dazu und manchmal lächelte Alvin sogar zurück, nicht zu viel, sonst glaubten die Menschen, es ginge ihm gut. Später am Nachmittag hatten sich den Bürgerinnen elegant gekleidete Herren zugesellt, die ihnen die Aufwartung machten. Sie mussten auf diese imposant wirken und durften sich selbstverständlich nicht knauserig zeigen. Also kamen schon die ersten Silberlinge in den Hut.
Wenn es regnete, dann sah es schlecht aus mit den Münzen. Der Regen war aber oftmals der Segen für die Bauern. Sie waren hungernden Bettlern dann sehr zugeneigt, wenn diese an ihre Tür klopften. Dann wurde Gutes aufgetischt. Gut und reichlich! Und der Bettler verließ dann niemals den Hof mit einem leeren Bündel.
Schnee und Winter als Jahreszeiten, in denen die Kinder die Glücklichen waren. Allen anderen ging es dann schlecht. Die Kälte war elendig und Menschen ohne ein Dach über ihren Kopf waren besonders zu bemitleiden. Das wusste der Pfarrer in der Kirche und die Patres in den Klöstern. Und da sie sich in ihrer Barmherzigkeit bestätigt fühlen mussten, hatten sie immer ein dürftiges Mahl und eine warme Nische zum Aufwärmen. Geld hatten sie nie, aber einen Segen, den sie Alvin gaben.
Sonntage waren für Alvin besonders lukrativ. Er stellte sich immer so in die Nähe des Ausgangs der Kirche, dass alle Menschen ihn sehen konnten. Es war wichtig, dass er von allen gesehen wurde, denn die Kirchgänger mussten der Gemeinde ihre Mildtätigkeit beweisen, also spendeten sie ein zweites Mal, diesmal für Alvins Klingelbeutel. Der angesehene Bürgermeister oder der angesehene Hochindustrielle nahmen Alvin manchmal unter den Augen der Anwesenden dann beispiellos mit sich in ihren Wagen für ein gutes Mahl in der Bedienstetenküche. Nur in seltenen Fällen wurde Alvin bereits während der Fahrt wieder ausgeladen.
Alvin verpasste niemals eine Hochzeit. Er zog dann natürlich sein schönstes Bettlerkostüm an, denn er war ja sentimental. Und seine Anwesenheit wurde auch immer mit einigen Goldstücken belohnt, denn die Hochzeit ist doch ein Fest der Freude, wer denkt dann schon an das Geld?! Alvin dachte stets daran.
Betteln ist ein Beruf sagte er immer, bevor er sich selbst in den wohlverdienten Ruhestand schickte. Und heute noch schaut er gerne aus dem Fenster seines warmen, gemütlichen Hauses auf die Bettler, die unten auf der Straße ihren Beruf ausübten.