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Big Little Homes

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04.03.2018
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Big Little Homes

Baschar steht vor der abschüssigen Zufahrt. In der einen Hand hält er einen Zettel, mit der anderen trägt er einen Koffer. Er schaut auf das Holzschild über ihm, dann auf das Papier und geht weiter.
Vor ihm öffnet sich eine Senke, auf deren Flanken sich ein Dutzend Holzhäuser, Zirkuswagen und umgebaute LKW verteilt. Über einigen Dächern steigen schmale Rauchsäulen in die Morgensonne. Irgendwo in der Nähe hört er das leise Knurren von Hunden.
Er geht hinab zu der Feuerstelle in der Mitte des Camps. Ein verkohlter Ast ragt aus dem Steinring. Asche weht über den Rand. Um die Feuerstelle stehen Hocker aus Baumstämmen. In einem steckt ein Beil. Holzscheite liegen im Gras daneben. Durch die Pappeln hinter dem Steinring schimmert ein Arm des Stausees, der sich wie ein grünlicher Tentakel in die Senke schiebt. Auf dem Wasser schweben Nebelschlieren.
Baschar hört etwas. Einige Schritte entfernt steht ein Schuppen, der mit groben Brettern verkleidet ist. Reif liegt auf dem Teerdach, das Kaminrohr raucht, die Fenster sind beschlagen. Ein Keil steckt unter der Tür, sie ist halb nach außen aufgestellt. Aus dem Innern dringt Wärme und Gelächter.

»Hallo, bitte … « Baschar nähert sich vorsichtig, klopft an den Rahmen, hält den Zettel ausgestreckt vor sich, wartet. Das Lachen erstirbt, Stühle werden gerückt, Schuhsohlen quietschen. Baschar fröstelt.
Der erste, der an die Tür kommt, verschränkt die Arme, als er ihn sieht.
»Grüß Gott, der Herr, wie können wir ihm weiterhelfen?«
Baschar sieht die Camouflage-Hose, eine Welle geht durch seinen Bauch. Als er ihm den Zettel hinhält, schaut Baschar zur Seite. Der junge Mann macht keine Anstalten zu lesen. Er mustert ihn, das gebügelte Hemd, die gescheitelten, glänzenden Haare.
»Suche eine junge Frau. Lo … kemper?«
»Lokemper?«, der Mann schüttelt den Lockenkopf. »Kenn ich nich.« Bevor er wieder hineingeht, zieht er mit einem Ruck die Tür vom Keil.
»Mensch, Morschi!« Hinter ihm kommt eine ältere Frau aus der Tür, die Baschar anlächelt, die Schultern hebt und ihm den Zettel aus der Hand nimmt. Sie zieht eine Brille aus der Wolljacke und liest.
»Lodenkemper. Das ist die Tina, die schläft noch, was willst du denn von der?«
Baschar schrumpft, sein Mund kämpft mit den Worten.
»Hab sie getroffen … früher.«

Der Koffer mit den Aufklebern gehört zu ihm, seit Großvater ihn vererbt hat. Als Junge fuhr Baschar mit der Fingerspitze über die bunten Bilder, sog die Buchstaben auf, las Tripolis und Rabat am Meer, Namen wie aus tausendundeiner Nacht. Er mochte Málagas Wappen aus Wellen und Burg, aber auch den einsamen Eisenpickel des Tour Eiffel, die Eule namens Athena vor den aufstrebenden Säulen im Hintergrund, und wo Großvater außerdem war. Er dachte, wenn Fingerspitzen sich im Himmel berührten, hieße das Vatikan.
Später hat er Stadt für Stadt laut gelesen, hat sie auf Vaters Mittelmeer-Karte mit Fingerstrichen verbunden und sich das Land passend zum Klang der Namen vorgestellt. Die Europa-Karte seiner Vorstellung war nicht topographisch, sie bestand aus Tönen, die sich an manchen Stellen zu Melodien vereinigten. Sah er Berge, hörte er ein weißes Pinselstrich-Zermatt über die Schneestille wehen. Sah er ein Karussell, hörte er Vienna wie ein Liebeslied aus dem Riesenrad schallen.
Als später vorbei war, übertönten Bomben die innere Musik, der Regent seiner Heimat führte Krieg gegen das eigene Volk.

Der Seelenverkäufer, mit dem er übersetzte, hatte weder mit den Gondeln aus Venezia, noch mit den stählernen Ozeandampfern der Hamburg-Amerika Linie etwas gemein. Seit der Überfahrt hörte er die Karte nicht mehr. Deutschland war keine Melodie, es war geschäftig und laut. Und Europa war ein Versprechen, das nicht eingelöst wurde.
Jetzt sitzt Baschar vor dem Bretterschuppen und wartet. Durch Gischt, Sonne und Regen sind die Farben der Aufkleber verblichen, die Kanten lösen sich ab. Das genarbte Leder der Kofferhülle ist an den Ecken mit Zwirn vernäht. Der Koffer ist der seidene Faden, der sein Leben in der Senkrechten hält. Mit den Jahren wurde er leichter, der Griff kleiner. Hier in der Fremde ist er alles, was ihm bleibt.

»Machst du dir das nicht zu leicht, Morschi?« Abel hat wieder diesen säuselnden Ton. Das Feuer spiegelt sich in seiner Nickelbrille. »Weißt du, es ist doch viel einfacher, jemanden abzulehnen als Gutes an ihm zu finden.«
»Stimmt, scheiße finden ist einfacher.« Karla lacht weinselig und hebt einmal kurz die Beine. Der Klotz, auf dem sie sitzt, wackelt.
»Ich mein ja nur«, sagt Morschi. »Der stellt sich dahin mit seinem Koffer und dem Zettel in der Hand …« Morschi stochert im Feuer, die Glut knistert.
»… und dann nimmt die Tina den auch noch auf.« Sein Blick wandert über den Platz hinüber zu Tinas altem Bremach-LKW mit Aufbau. Die Gardinen dämpfen das Licht der Fenster, sie leuchten weich in die Nacht wie Positionslichter.
»Da, wo er herkommt, ist Gastfreundschaft heilig.« Abels Miene verbirgt sich hinter dem Vollbart. Einen Moment lauscht er dem Knacken des brennenden Holzes.
»Was würdest du machen, Morschi, … an seiner Stelle?«
»Abel, spar dir das Pädagogen-Gequatsche, ich kann es nicht mehr hören.«
Er will noch mehr sagen und lässt es doch, wieder flackert sein Blick zum Bremach, der neben seinem hölzernen Tiny House steht, gespaltene Lärche an Wand und Dach, traditionell, wie er es in Kärnten gelernt hat, als seine Welt noch in Ordnung war.
»Ich würde zum Amt gehen und mir helfen lassen.«
»Ach so, und du meinst nicht, dass er da schon war?«, Abel lässt nicht locker, »vielleicht läuft er gerade davor weg?«
»Den Grund wüsste ich gerne, weshalb er vor dem Amt wegläuft«, sagt Morschi.
»Hat er dir eigentlich was getan?« Karla läuft eine feine Spur Rotwein aus dem Mundwinkel. Sie wischt mit dem Wollärmel über das Kinn.
»Nee, natürlich nicht, aber darum gehtʹs auch nicht.«

Referendar. Das Wort klang wie eine Drohung. Als Abel das erste Mal vorne stand, überfiel ihn die Hitze. Er entschuldigte sich höflich, ging auf die Toilette, riss sich den Pullover vom Leib und hielt den Kopf unter kaltes Wasser. Nach einer halben Minute bekam er wieder Luft. Er trocknete die Haare mit der Leinenrolle aus dem Spender, ging vor die Tür und lief los. Er lief weg von der Klasse, weg von dem Betonklotz, in dessen Innern sein zukünftiges Leben stattfinden sollte. Erst vor der Wohnungstür fiel ihm auf, dass der Schlüssel in seiner Tasche steckte, die verwaist am Lehrerpult lehnte.
Er holte sich den Notschlüssel vom Nachbarn, klappte das Laptop auf und buchte einen Flug nach British Columbia. Sieben Tage später kaufte er in Whitehorse ein Kanu und ließ es in den Yukon gleiten. Bis Hootalinqua waren die Blasen an den Händen verheilt. Allmählich löste sich der Krampf in den Eingeweiden.
Länger brauchte er, um sich an die schmerzenden Arme und die immergleichen Bewegungen zu gewöhnen. Zugleich spürte er, wie jeder Paddelstich ihm half, die Balance wiederzuerlangen.
In Dawson City hörte er nicht auf. Er ließ die bunten, lauten Kanuten in den Camps hinter sich und paddelte weiter gen Norden. Er blieb allein. Polarlichter, Wracks mit Schaufelrädern, Geisterstädte – all das hatte er gesehen, nichts davon berührte ihn. Er wusste nicht, was er noch suchte, die Einsamkeit tat ihm gut.
Nach weiteren zweieinhalb Wochen bekam er eine Ahnung. Das Paddel ins Wasser zu stechen war gleichbedeutend mit Atmen. Seine innere Unruh richtete sich neu aus und gab die Schlagzahl vor. Unaufhörlich trieb sie ihn voran, Stich auf Stich, gleichmäßig wie der Takt eines Metronoms. Abel paddelte vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung. Er konnte nicht aufhören, der Rhythmus war zu seinem Herzschlag geworden. Als der erste Schnee fiel, lachte er und paddelte weiter. Dass sie ihn in der Einöde fanden, ausgemergelt und halb erfroren, war Zufall.

Zurück in Deutschland mietete er einen Schuppen an der Müritz und baute sein erstes Leistenkanu. Er fuhr die bauchige Form mit den Fingerspitzen ab, wusste, wie es fahren würde, erfühlte, wo er schleifen musste, um es zu trimmen. Von den Kanus, die er in den folgenden zwei Jahrzehnten baute, kam keines zu ihm zurück. Im Netz überschlugen sich Abnehmer mit Lobeshymnen. Abel las nichts davon. Zuletzt hatte ʹAbels Canadierʹ Lieferzeiten von mehreren Jahren – bis es genug war.
Abel Scharchmann kaufte den kleinen Campingplatz am See und baute ihn zum Tiny-House-Park um. Sein letztes Kanu lag vertäut am Steg. Ab und an stieg er noch hinein, doch der Eifer hatte ihn verlassen. Hier in ʹBig Little Homesʹ war er angekommen .

»Worum gehtʹs denn dann?« Abel muss nicht laut werden. Die Worte, die er spricht, sind deutlich.
»Das müsstest du doch am besten wissen«, Morschi deutet mit dem Kinn zu Abel, »du hast beschlossen, keinen mehr auf den Platz zu lassen.«
»Keinen mit Gefährt oder Hänger, das stimmt«, sagt Abel, »… aber der Baschar, der hat nur seinen Koffer.«
»Kommst du jetzt mit sonner ʹBoot-is-voll-Scheißeʹ?« Karla schwenkt den Rotwein, als würde sie fechten.
»Ihr beide wollt das nicht verstehen.« Morschi steckt den Stock tief in die Glut, knetet die Hände. »Ich denk halt auch an Tina.«
»Ah, da liegt der Hase im Pfeffer!«, sagt Karla.
Abel versucht den väterlichen Ton: »Du, die Tina ist alt genug, die weiß, was sie tut. Die war mit dem Bremach bis Mauretanien. Alleine.«
»Weiß ich doch, aber trotzdem: Bei denen zuhause müssen die Frauen Burka tragen, nur ein kleiner Seeschlitz bleibt frei.«
Abel schüttelt den Kopf, atmet laut. Karla ist schneller.
»Aha, bei denen, alles klar. Und du? Du würdest die Frau an den Herd stellen und nebenbei ne Hand voll kleine Morschis werfen lassen. Auch nicht besser.«
»Das sagt die Richtige. Bei dir haben ja alle bisher die Flucht ergriffen.«
Morschi nimmt das Beil und fängt an, von einem Scheit kleine fingerdicke Stücke zu schlagen.
Es dauert ein paar Hiebe, bevor Karla antwortet.
»Das ist nicht fair, Morschbacher, das weißt du auch. Du weißt genau, was bei mir gelaufen ist.« Die Stimme klingt belegt. »Und nur, weil du bei der Tina nicht landen kannst, musst du nicht blind um dich schlagen.«
Morschi springt auf, drischt das Beil in den Hauklotz.
»Der bleibt hier nicht. Dafür sorge ich.«
Er stapft durch das Gras und verschwindet in der Dunkelheit. Nur Momente später knallt die Tür. Außen fällt eine Schindel von der Wand.

Karla war als letzte dazugestoßen. Nach dem Notverkauf des gemeinsamen Hauses hatte sie irgendwo ein klapperiges Wohnmobil aufgetrieben, mit dem sie im Dunkeln aufgetaucht war, weil es keinen TÜV mehr hatte. Ein Haufen Glasfaser und rostiges Blech, der ohne Tape auseinandergefallen wäre. Bis Ende November musste sie es darin aushalten.
Den Stellplatz für das bestellte Tiny House hatte sie direkt in Beschlag genommen, oben am Hang mit Blick über die Dächer zum See. Mit Maßband und Daumen hatte sie die Ausrichtung gepeilt und das Fahrzeug so abgestellt, dass die Tür dort war, wo später der Eingang sein würde. ΄Fürs Feeling΄, wie sie meinte.

Karla steht in der Tür, sie ist in eine Decke gewickelt, der Kaffee in der Hand dampft. Sie schaut über Tinas Bremach zum Bootssteg. Auf dem See hängt früher Nebelflaum. Weißgrau wie seine Haare, als sie ihn verließ. Ein Ziehen in der Leiste, sie atmete es weg. Sie versucht, nicht an ihn zu denken, es geschieht dennoch, einfach so, überfällt ihre Arme mit Nadelstichen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Seinen Namen versucht sie nicht zu hören, doch er ist in ihrem Ohr. Sie spürt seine Hände, wie sie streicheln, wie sie zu Fäusten wurden. Sie weiß, wenn sie kratzt, wird es schlimmer. Dennoch, manchmal hilft nichts anderes.
Rauch steigt aus Abels Schornstein. Schnarchel sagen die anderen nur, wenn er nicht in der Nähe ist. Die beiden Mischlinge liegen am Fuß der kleinen Stiege. Die Köpfe ruhen auf den Vorderläufen, ab und an zuckt ein Ohr.
Asche vom Vorabend weht über Gras, einzelne Flocken kleben an leeren Rotweinflaschen. Im Steinring glimmen unter weißgrauen Ascheflocken Glutnester.

»Dieser verdammte Kaffer!« Morschi kommt in Gummistiefeln und Bademantel aus dem Sanitärhäuschen geschossen. Er hält unterhalb von Karlas Wohnmobil inne.
»Der hat heute Nacht das Fenster aufgemacht und das Licht angelassen. Auf dem Klo sind alle Falter und Mücken vom ganzen See versammelt. Der Spiegel ist schwarz. Absolut ekelhaft.«
Karla geht den Weg hinunter. Als sie bei ihm ist, liegt ihre Stirn in Falten.
»Woher weißt du, dass er das war?«, sagt Karla.
»Gibtʹs sonst noch jemand, der das nicht weiß?«, sagt Morschi.
»Ja, du letzten Sommer«, kommt es von hinten. Abel steht in der Tür seines Fichte Leichtbau-Tiny. Vom Aludach tropft der Tau. »Wenn ich mich recht entsinne, wusstest du das auch nicht.«
»Das ist doch was anderes.«
»Wieso ist das was anderes?«
»Weil ihr mir das nicht gesagt hattet.«
»Aha, also waren wir eigentlich schuld«, Abel nickt und schiebt die Unterlippe vor, »interessant − so hab ich das noch nie gesehen.«
»… und jetzt die Tina, weil sie dem Baschar auch direkt gesagt hat, wie enorm wichtig das ist«, sagt Karla.
»Wie kann man nur so blöde sein!«, zischt Morschi und geht hoch zu seiner Hütte. Diesmal fällt keine Schindel, als er die Tür schlägt.
»Habe ich was falsch gemacht?« Baschar wirkt vor dem sandfarbenen Bremach wie ein Zwerg.
»Nee du, alles okay, der Morschi ist nur gerade mies drauf, das legt sich wieder.« Karla hustet, zieht die Decke enger.
»Kann ich Frühstück machen?«
»Gerne, kannst mir helfen. Ich zieh mir nur eben was an.«

Monatelang bauten sie den alten Bremach auf, setzten eine Wohnkoje auf die Pritsche, schweißten Bodenbleche und versteckten Reservetanks unter den Bänken. Bei schönem Wetter schraubten sie Solarpaneele aufs Dach, montierten weitere Scheinwerfer und lackierten die Kiste sandfarben.
Tina schoss von allem Fotos. Zusammen wollten sie die Weltreise bloggen und dadurch finanzieren. Crowdfunding, wiederholte er ständig. Crowdfunding, als wäre es eine Zauberformel, die durch häufige Verwendung an Wirksamkeit gewinnt. Nach sechs Wochen hielt er die Enge der Behausung und die Nähe zu Tina nicht mehr aus und floh. Sie wartete eine Weile, er kam nicht zurück.
Tina fuhr alleine weiter, schwebte mit achtzig durch die flirrende Hitze Andalusiens, lenkte den Bremach auf eine Wolke und ließ sich Richtung Süden treiben, über die Straße von Gibraltar, durch rote Königsstädte mit bunten Souks und vorbei an den kargen Hügeldörfern des Atlas.
Butterweiche, einfache Tage, die sich auflösten in nichts, die auf der Zunge schmolzen und nach Fata Morgana schmeckten.
Tablet und Handy lud sie nicht mehr, das Radio ließ sie ausgeschaltet. Sie hielt den Blick gerichtet auf das, was hinter der Landschaft vor der Scheibe lag, als würde der Sand nur eifersüchtig vor ihr verstecken, was er zuvor begraben hatte.

Kurz vor Agadir wurde sie wach, als die Autobahn endete und sich leckende Sandzungen über die Straße legten. Tina füllte sämtliche Kanister und fuhr weiter, bis der Asphalt endete und nur zwei Fahrspuren im Sand blieben.
Der Sand stillte das Blut, trocknete die Schwären in ihrem Innern und half der Haut, durch sein feines Schmirgeln die Taubheit zu verlieren. Sie ritt auf Dünenkämmen, driftete durch die Wüste wie auf Treibsand und hoffte, irgendwann anzukommen, wenn sie nur weit genug führe.
Timbuktu war Richtung, nicht Ziel und tief unten ahnte sie, sie würde es nie erreichen. Ihn und alles Gemeinsame ließ sie in der Staubwolke hinter sich.

»Das Rührei ist köstlich, Baschar.« Tina hat die Haare in einen Handtuch-Turban gedreht. Die Ringe an ihren Fingern klimpern, als sie in den Korb mit den Aufback-Brötchen greift.
Abel braucht nur einen Kaffee und raucht an der offenen Türe.
»Weiß jemand, wo der Morschi bleibt?« Karla werkelt an der Kaffeemaschine.
»Hab gesehen, wie der mit der Karre weg ist«, sagt Abel. »Einkaufen will der bestimmt nicht, … ist ja auch nicht dran.«
»Na, vielleicht ist der nur mal kurz lüften, oder Kippen holen«, sagt Karla.
»Der kann von mir aus bleiben, wo der Pfeffer wächst.« Tina ist sauer. »So wie der drauf ist, meldet er den Baschar beim Amt.«
»Nee du, das macht der nicht.« Karla schüttelt den Kopf. Ihre Stimme klingt ungewöhnlich hoch.
»Bitte, nicht das Amt«, sagt Baschar, schüttelt den Kopf. »Ich gehe nicht zurück.«
Tina schaut ihn an. Unter ihren Augen dunkle Ringe. In ihrem Blick liegt Melancholie und ganz hinten etwas wie Wüstenflimmern.
»Baschar, wir müssen eine Lösung für dich finden.«
»… für uns alle finden«, sagt Karla.
»Und woran hast du da gedacht, Tina?«, Abel schnippt den Stummel in den Rasen.
»Ich dachte …«, Tina zögert, »ich dachte, vielleicht kann der Baschar erst mal hier schlafen, im Schuppen?«
»Im Schuppen? Du weißt selbst, wie schweinekalt es hier morgens ist, bevor wir den Ofen anmachen«, sagt Karla.
»Als Notlösung für ein paar Tage … okay. Aber wenn sich einer beschwert, kann es auch sein, dass der Platz Schwierigkeiten bekommt«, sagt Abel.
Draußen schlagen die Hunde an, ein Motor brummt und kommt zum Stillstand, die Handbremse knarzt.

Zu Beginn räumte Morschi mit den anderen die marode Almhütte leer, fegte zwischen huschenden Mäusen Spinnweben aus den Zimmerecken, schleppte Bodendielen und Schutt durch die Eingangstür. Dann trugen sie Lehmwände und Außenhaut ab, bis das nackte Balkengerüst vor ihnen lag. Er sah die Würfel, die der Pilz gefressen hatte und die Stellen, wo Bock und Wurm sich ins Fleisch gebohrt und stehendes Wasser die Fasern zersetzt hatte.
Nach einer Weile bekam er ein Gefühl für die Arbeit. Er tauschte Verfaultes gegen Frisches, schäftete Balkenenden an, setzte neues Holz ein und heilte das Gerippe Stück für Stück.
Mit dem kleinen Latthammer klopfte er das Skelett ab und erst, wenn das Holz nicht mehr dumpf antwortete, sondern kräftig unter seiner Hand federte und sang, gab er es frei.
Wochenlang nagelte er Lärcheschindeln aufs Dach und setzte Querlatten vor die Stützbalken. Wenn die letzte Lücke geschlossen war, und das Haus fortan das neue, straffe Kleid herzeigte, zog er weiter zum nächsten Haus, das mit seinem Können geheilt werden wollte.

Morschi liebte den Geruch des frischen Nadelholzes, wenn es im Sonnenlicht seinen Harzduft entfaltete. Es erinnerte ihn an Waldspaziergänge, Hand in Hand mit Vater, der ihm erklärte, wie er an Blatt und Stamm den Baum erkennt. Vater, der ihm sagte, auf welchem Boden welches Gewächs gedeiht und der selbst so früh ging, weil etwas im Boden an seinen Wurzeln nagte. Vater, der sich in Zell am See nicht mehr wohlfühlte, seit Frauen vermummt Motorboot fuhren und Restaurants Speisenkarten in arabischer Schrift auslegten. Und der nach der Sache mit Mutter nichts mehr wollte, noch nicht mal sein.
Ganz tief in seinem Innersten glaubte Morschi, wenn er das Holz mit Kenntnis und Liebe bearbeitete, wenn er alles richtig machte, würde es eine Brücke schlagen. Eine Brücke über die Klamm in seiner Seele, die dort war, seit Mutter mit einem ging, der die neuen Speisekarten las, und Vater ihn zum Halbwaisen machte.
Er stellte sich vor, wie seines Vaters Hand über das geriffelte Holz strich, wie er schnupperte und prüfte, leicht mit dem Kopf nickte, über seine Bartstoppeln kratzte und endlich lächelte.

»Baschar schläft bei mir, nicht mit mir.« Tina ist bedient. Sie kann nicht fassen, wie Morschi sich aufführt.
»Na immerhin schläft er mit dir in einem Bett – oder hast du ein Gästezimmer?«
»Selbst wenn, was geht dich das an?«
»Ich will hier keine Probleme. Der soll dahin zurück, wo er herkommt.«
»Er ist also ein Problem, ja? Wie wärʹs denn, wenn du dich verziehst?«, sagt Tina. Ihre Kiefernmuskeln treten hervor. »Ich kann dich eh nicht mehr ertragen.«
Morschis Hand trifft Tina nicht im Gesicht, sondern wischt an der Schläfe vorbei. Er hebt nochmal die Hand, dann blinzelt er und fällt in sich zusammen. Tina reißt den Mund auf, fährt mit der Hand an die Stirn, sie bringt keinen Ton heraus.
»Nicht schlagen ...« Baschar drängt sich zwischen Tina und Morschi, hebt die Arme. »Ich gehe ..., ich gehe schon.«
»Du bleibst. Wir reden mit Morschi.« Abel steht in der Tür, schaut Morschi an und deutet mit der Hand nach innen. »Jetzt.«
»Leute, Leute.« Karla schüttelt den Kopf, dann geht sie hinein. Die anderen folgen. Abel als Letzter schließt die Tür.
»Ich hab das alles schon erlebt, ich weiß, wie das endet«, sagt Morschi.
»So, du hast schon alles erlebt«, sagt Tina, »und du meinst, du musst uns arme, germanische Frauen beschützen? Und wenn wir nicht gehorchen, schlägst du uns?«
»ʹTschuldige, ich wollte das nicht.« sagt Morschi. Er faltet seine Hände, drückt die Nägel in den Handrücken.
»Glaube ich dir aufʹs Wort«, sagt Tina.
»Meine Mutter ist mit so einem weggegangen«, sagt Morschi und schaut auf seine Hände.
»Na und? Durfte sie das nicht, sollte sie dich fragen oder was?«, sagt Karla.
»Du musst unterscheiden lernen«, sagt Abel, »das Leben ist selten einfach und viele Dinge sind auf den zweiten Blick doch ganz anders.«
»Und deshalb hast du keinen Kontakt mehr?«, sagt Tina. »Verstehe ich nicht, absolut nicht.«
Morschi springt auf und schreit: »Verdammt, mein Vater wollte danach nicht mehr, der ist vom Berg gesprungen.« Tränen laufen über seine Wangen. Sein Blick wandert zu Tina, die Hände reden mit. »Nichts kann je wieder gut werden«, sagt er und fährt leise fort: »Es schien nur so, für einen Moment.«

Als sie eine halbe Stunde später aus dem Schuppen treten, ist von Baschar keine Spur zu sehen. Etwas liegt im Feuer und qualmt. Abel zieht mit dem Schürhaken den rauchenden Koffer aus dem Feuer. Das Beil steckt im Deckel, zwischen Tripolis und Rom. Als er ihn aufklappt, sehen alle, dass der Koffer leer ist.
Die Hunde bellen übers Wasser. Tina schlägt die Hand vor den Mund und stöhnt. Den Grund sehen die anderen erst, als sie ihrem ausgestreckten Arm folgen und zwischen den Bäumen hindurchsehen. Abels Kanu dümpelt draußen auf dem Arm des Stausees. Es ist leer. Das Paddel treibt davor, neben einem dunklen Fleck, der ein Baumstamm sein kann und auch alles andere.

 

Hallo @linktofink,
Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen und ich wollte dir kurz ein paar Zeilen dazu schreiben.
Ich finde sie souverän geschrieben, das Erzähltempo ist angenehm, die Dialoge glaubhaft.

Besonders gut finde ich die Sprünge zwischen Personen und Zeiten. Diese Absätze zeichnen die Personen bzw. deren innere Dämonen sehr gut und geben den Protagonisten mehr Tiefe, bringen sie mir näher, lassen selbst Morschi verletzlich erscheinen. Das ist dir wirklich gut gelungen.

Ja, und nicht zuletzt willst du uns etwas mitteilen (so denke ich jedenfalls): nämlich, dass wir alle gleich sind, dass wir alle eine Geschichte haben, alle unsere Dämonen und etwas, vor dem wir fliehen und dankbar sind, wenn wir eine Zuflucht finden, räumlich, aber vor allem auch emotional.

Nicht gefallen hat mir das Ende, der wahrscheinliche Suizid (oder Unfall?) Baschars. Mir hätte ein optimistischeres Ende besser gefallen. So ist mir das irgendwie zu düster.

Aber abgesehen davon eine gut geschriebene Geschichte mit Tiefgang, die ich sehr gern gelesen habe.

Beste Grüße,
Fraser

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @Fraser,

schön, dich hier zu lesen, endlich eine Rückmeldung nach der Überarbeitung, das erlöst mich ein wenig von der Warterei.

Mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen und ich wollte dir kurz ein paar Zeilen dazu schreiben.
Ich finde sie souverän geschrieben, das Erzähltempo ist angenehm, die Dialoge glaubhaft.
:kuss: gerade die glaubhaften Dialoge freuen mich sehr, denn das ist nicht gerade meine Stärke.

Besonders gut finde ich die Sprünge zwischen Personen und Zeiten. Diese Absätze zeichnen die Personen bzw. deren innere Dämonen sehr gut und geben den Protagonisten mehr Tiefe, bringen sie mir näher, lassen selbst Morschi verletzlich erscheinen. Das ist dir wirklich gut gelungen.
Wow, das Lob freut mich sehr, denn das zeigt mir, dass die Konstruktion der Geschichte für dich funktioniert. Gerade, dass du den Morschi verletzlich liest, freut mich ganz besonders, weil es anfangs zu recht hieß, er wäre unverständlich und eindimensional. Das ist mir dann wohl noch halbwegs geglückt.

Ja, und nicht zuletzt willst du uns etwas mitteilen (so denke ich jedenfalls): nämlich, dass wir alle gleich sind, dass wir alle eine Geschichte haben, alle unsere Dämonen und etwas, vor dem wir fliehen und dankbar sind, wenn wir eine Zuflucht finden, räumlich, aber vor allem auch emotional.
Meine schlimmste Sorge war, dass Morschis Ablehnung des Flüchtlings iwie schief rüberkommt. Darum sollte es jedoch nicht vorrangig gehen, sondern vielmehr, wie du geschrieben hast, um die Geschichten, die Päckchen, die wir alle mit uns tragen.

Nicht gefallen hat mir das Ende, der wahrscheinliche Suizid (oder Unfall?) Baschars. Mir hätte ein optimistischeres Ende besser gefallen. So ist mir das irgendwie zu düster.
Ich empfand das Ende als offen, alles ist möglich. Doch ein Suizid wäre nur konsequent, nachdem seine letzte Hoffnung enttäuscht wurde. Neben dir haben zwei andere Kommentatoren ebenfalls angemerkt, das der Schluss mit dem Koffer im Feuer ihnen ausreichen würde. Ich überlege mal, mit etwas Abstand. Ist nicht vergessen.

Aber abgesehen davon eine gut geschriebene Geschichte mit Tiefgang, die ich sehr gern gelesen habe.
Vielen Dank für deine positive Rückmeldung,

Peace, linktofink

 
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Lieber @linktofink,

Prokrastination ist mein zweit liebstes Hobby, deshalb hat es mit dem Komm etwas gedauert. Ich kenne den Text in seiner Ursprungsform, du hast ihn noch nicht lange überarbeitet, also komme ich doch irgendwie zum rechten Zeitpunkt.

Lass uns gleich chronologisch in die Vollen gehen!

Er schaut auf das Holzschild über ihm, dann auf das Papier und geht weiter.
Muss das nicht heißen?: Er schaut auf das Holzschild über sich, …

Vor ihm öffnet sich eine Senke, auf deren Flanken sich ein Dutzend Holzhäuser, Zirkuswagen und umgebaute LKW verteilt.
Verteilt bezieht sich auf Dutzend, doch weil die Aufzählung Häuser, Wagen und LKW
folgt, erwartet mein Hirn verteilen. Seltsam!

Durch die Pappeln hinter dem Steinring schimmert ein Arm des Stausees, der sich wie ein grünlicher Tentakel in die Senke schiebt.
Einer meiner Lieblingssätze!

Baschar sieht die Camouflage-Hose, eine Welle geht durch seinen Bauch.
Anfänglich dachte ich, die Hose soll dem jungen Mann einen militanten (sogar rassistischen) Anstrich geben,
aber die Welle in Baschars Bauch ist die Folge von Erinnerungen an Soldaten in seiner Heimat, gut gemacht

Als er ihm den Zettel hinhält, schaut er zur Seite.
Wer schaut zur Seite? Baschar oder der junge Mann?
Beide Männer könnten gemeint sein.
Der junge Mann macht keine Anstalten zu lesen.

Als Junge hat Baschar die Bilder und Buchstaben aufgesaugt, las Tripoli und Rabat am Meer, Namen wie aus tausendundeiner Nacht.
gefällt mir sehr

Die Europa-Karte seiner Vorstellung war nicht topographisch, sie war lautmalerisch.
Hast gute Ideen umgesetzt!

Als später vorbei war, übertönten Bomben die innere Musik, der Regent seiner Heimat führte Krieg gegen das eigene Volk.
Da bin ich hängen geblieben, mir fehlte ein Satzteil, bis ich merkte, dass du das später vom vorigen Abschnitt wieder aufgegriffen hast. Vllt kursiv?

Jetzt sitzt Baschar vor dem Bretterschuppen und wartet. Durch Gischt, Sonne und Regen sind die Farben der Aufkleber verblichen, die Kanten lösen sich ab. Das genarbte Leder der Kofferhülle ist an den Ecken mit Zwirn vernäht. Mit den Jahren wurde er leichter, der Griff kleiner. Hier in der Fremde ist er alles, was ihm bleibt.
Nachdem du den seidenen Faden und die Senkrechte entfernt hast (was ich übrigens schade finde), hängt das er etwas ohne Bezug in der Luft. Im gesamten Abschnitt gibt es das Wort Koffer noch nicht. Könntest du nutzen.

Karla lacht weinseelig und hebt einmal kurz die Beine.
weinselig

Die Gardinen dämpfen das Licht der Fenster weich, sie leuchten in die Nacht wie Positionslichter.
Geht das denn mit dem weich dämpfen, dämpfen würde doch reichen?

»Abel, spar dir das Pädagogen-Gequatsche, ich kann es nicht mehr hören.«

»Hat er dir eigentlich was getan?« Karla läuft eine feine Spur Rotwein aus dem Mundwinkel. Sie wischt mit dem Wollärmel über das Kinn.

»Worum gehtʹs denn dann?« Abel muss nicht laut werden. Die Worte, die er spricht, sind deutlich.

Nur mal als Beispiele für die lebensnahen Dialoge. Es ist dir wirklich super gelungen, die Figuren übers Sprechen zu charakterisieren. Das ist ja nicht ganz einfach, mehr als zwei Personen in einem Gespräch glaubhaft rüberzubringen.

Referendar. Das Wort klang wie eine Drohung. Als Abel das erste Mal vorne stand, überfiel ihn die Hitze. Er entschuldigte sich höflich, ging auf die Toilette, riss sich den Pullover vom Leib und hielt den Kopf unter kaltes Wasser. Nach einer halben Minute bekam er wieder Luft. Er trocknete die Haare mit der Leinenrolle aus dem Spender, ging vor die Tür und lief los. Er lief weg von der Klasse, weg von dem Betonklotz, in dessen Innern sein Leben stattfinden sollte.
Sehr eindringlich geschriebene Szene, kann mir gut vorstellen, wie sich der junge Abel gefühlt hat.

Aber warum lässt du Abel vor dieser Rückblende nicht noch etwas sagen, damit das eine schöne fließende Überleitung wird?

»Weiß ich doch, aber trotzdem: Bei denen zuhause müssen die Frauen Burka tragen, nur ein kleiner Seeschlitz bleibt frei.«
Ach, dieses korrekte Wort Burka passt so gar nicht zu dem Morschi, den ich vor Augen habe, früher stand da Sack über Kopf, fand sicher Anstoß.

Mit Maßband und Daumen hatte sie die Ausrichtung gepeilt und das Fahrzeug so abgestellt, dass die Tür dort war, wo später der Eingang sein würde. ΄Fürs Feeling΄, wie sie meinte.
schönes Detail

Auf dem See hängt früher Nebelflaum. Weißgrau wie seine Haare. Er. Ein Ziehen in der Leiste, sie atmete es weg. Sie versucht, nicht an ihn zu denken, es geschieht dennoch, einfach so, überfällt ihre Arme mit Nadelstichen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Seinen Namen versucht sie nicht zu denken. Sie spürt seine Hände, wie sie streichelten, wie sie zu Fäusten wurden. Sie weiß, wenn sie kratzt, wird es schlimmer. Dennoch, manchmal hilft nichts anderes.
Da komme ich Karla sehr nahe, hast ihren Dämon gut eingefangen.

»Dieser verdammte Kaffer!« Morschi kommt in Gummistiefeln und Bademantel aus dem Sanitärhäuschen geschossen.
Na, da ist er doch wieder, der alte Morschi!

Monatelang bauten sie den alten Bremach auf, setzten eine Wohnkoje auf die Pritsche, schweißten Bodenbleche und versteckten Reservetanks unter den Bänken. Bei schönem Wetter schraubten sie Solarpaneele aufs Dach, montierten weitere Scheinwerfer und lackierten die Kiste sandfarben.
Tina schoss von allem Fotos.
Bis zu diesem Punkt dachte ich, die Mannschaft vom Platz war da fleißig am Werkeln.
Ab hier war ich im Bilde: Es ist der Freund.
Zusammen wollten sie die Weltreise bloggen und dadurch finanzieren. Crowdfunding, wiederholte er ständig.

Tina fuhr alleine weiter, schwebte mit achtzig durch die flirrende Hitze Andalusiens, lenkte den Bremach auf eine Wolke und ließ sich Richtung Süden treiben, über das Wasser, durch rote Königsstädte mit bunten Souks und vorbei an den kargen Hügeldörfern des Atlas.
Butterweiche, einfache Tage, die sich auflösten in nichts, die auf der Zunge schmolzen und nach Fata Morgana schmeckten.
Mag ich auch sehr. Insgesamt kannst du mir deine Figuren mit ihren Verletzungen aus der Vergangenheit genau in diesen Passagen sehr nahe bringen. Das trifft für alle zu.

Sie hielt den Blick gerichtet auf das, was hinter der Landschaft vor der Scheibe lag, als würde der Sand nur eifersüchtig vor ihr verstecken, was er zuvor begraben hatte.
Hier hab ich ein Verständnisproblem: Meinst du, was hinter der Landschaft lag, ist vom Sand bedeckt. Aber der Sand ist doch die Landschaft.

»Das Rührei ist köstlich, Baschar.« Tina hat die Haare in einen Handtuch-Turban gedreht. Die Ringe an ihren Fingern klimpern, als sie in den Korb mit den Aufback-Brötchen greift.
Na, das ist doch mal eine klare Figurenzeichnung!

Mir persönlich sind diese Beschreibungen von Morschis Tätigkeit und die Liebe zum Handwerk etwas zu ausufernd, aber ich kann auch verstehen, wenn du das genauso haben möchtest. Hast ein bisschen aus dem Nähkästchen geplaudert, gell? :D

Morschi liebte den Geruch des frischen Nadelholzes, wenn es im Sonnenlicht seinen Harzduft entfaltete. Es erinnerte ihn an Waldspaziergänge, Hand in Hand mit Vater, der ihm erklärte, wie er an Blatt und Stamm den Baum erkennt. Vater, der ihm sagte, auf welchem Boden welches Gewächs gedeiht und der selbst so früh ging, weil etwas im Boden an seinen Wurzeln nagte.
Schöne Begründung dafür, dass Morschi sein Handwerk liebt.

Vater, der sich in Zell am See nicht mehr wohlfühlte, seit Frauen vermummt Motorboot fuhren und Restaurants Speisenkarten in arabischer Schrift auslegten. Und der nach der Sache mit Mutter nichts mehr wollte, noch nicht mal sein.
Kurzer Stolperer, aber ich habs geschnallt. Vater wollte nicht mehr auf der Welt sein. Ist die gleiche Situation in meinem Kopf wie weiter oben mit dem später.

Ganz tief in seinem Innersten glaubte Morschi, wenn er das Holz mit Kenntnis und Liebe bearbeitete, wenn er alles richtig machte, würde es eine Brücke schlagen. Eine Brücke über die Klamm in seiner Seele, die dort war, seit Mutter mit einem ging, der die neuen Speisekarten las, und Vater ihn zum Halbwaisen machte.
Er stellte sich vor, wie seines Vaters Hand über das geriffelte Holz strich, wie er schnupperte und prüfte, leicht mit dem Kopf nickte, über seine Bartstoppeln kratzte und endlich lächelte.
Ich denke, die fehlende Motivation für Morschis Ablehnung Baschar gegenüber hast du hiermit ausreichend nachgeliefert. Man nimmt dem jungen Mann seine Vorbehalte ab, denke ich.

Abel zieht mit dem Schürhaken den rauchenden Koffer aus dem Feuer. Das Beil steckt im Deckel, zwischen Tripolis und Rom. Als er ihn aufklappt, sehen alle, dass der Koffer leer ist.
Das Beil ist hier neu, da hat es also noch mal Verwendung gefunden.

Ach, ist ein trauriges Ende. Und obwohl gerade die kleine Gemeinschaft des Campingplatzes es doch wissen sollte (sie sind ja selber in der Welt herumgekommen und haben genug eigenes Schicksal), wie wichtig ein Hafen zum Anlegen ist, konnten sie sich nicht einigen und Baschar wenigstens ein bisschen Wärme und Hoffnung in der Fremde geben.

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen und war ganz nahe bei den Personen, besonders in den Rückblenden habe ich mit ihnen mitgefühlt.

Meine anfänglichen Zweifel, ob es eine gute Idee sein, in einer KG so viele Personen gleichrangig agieren zu lassen, konntest du sehr schnell zerstreuen. Wirklich toll erzählte Geschichte.

Liebe Grüße von peregrina und rutsch gut rein ins Jahr 2020!

 

Liebe @peregrina,

Schön, dass du deine Prokrastination überwunden hast, um mir einen Kommentar da zu lassen. ;) Freut mich. Lass uns mal schauen.

Vor ihm öffnet sich eine Senke, auf deren Flanken sich ein Dutzend Holzhäuser, Zirkuswagen und umgebaute LKW verteilt.
Verteilt bezieht sich auf Dutzend, doch weil die Aufzählung Häuser, Wagen und LKW
folgt, erwartet mein Hirn verteilen. Seltsam!
Ja, das habe ich schon anders probiert, und finde doch den Singular mit dem Bezug zu Dutzend weniger merkwürdig als den Plural.

Durch die Pappeln hinter dem Steinring schimmert ein Arm des Stausees, der sich wie ein grünlicher Tentakel in die Senke schiebt.
Einer meiner Lieblingssätze!
Danke, das organische hat mir auch gefallen, dass die Natur ein Eigenleben hat.

QUOTE]Baschar sieht die Camouflage-Hose, eine Welle geht durch seinen Bauch.
Anfänglich dachte ich, die Hose soll dem jungen Mann einen militanten (sogar rassistischen) Anstrich geben,
aber die Welle in Baschars Bauch ist die Folge von Erinnerungen an Soldaten in seiner Heimat, gut gemacht [/QUOTE]Ja, so war es gedacht. Weniger als Aussage über Morschi denn als Hinweis auf Baschars Erfahrung.

Als er ihm den Zettel hinhält, schaut er zur Seite.
Wer schaut zur Seite? Baschar oder der junge Mann?
Beide Männer könnten gemeint sein.
Der junge Mann macht keine Anstalten zu lesen.
Baschar ist es, der wegschaut. Hab ich jetzt deutlich gemacht. Danke.

Vielen lieben Dank für die Textstellen, die du lobend erwähnst, auch später in deinem Kommentar. Ich werde sie nicht alle zitieren, dennoch habe ich mir angeschaut, was dir gut gefällt. Das ist sehr schön.

Als später vorbei war, übertönten Bomben die innere Musik, der Regent seiner Heimat führte Krieg gegen das eigene Volk.

Da bin ich hängen geblieben, mir fehlte ein Satzteil, bis ich merkte, dass du das später vom vorigen Abschnitt wieder aufgegriffen hast. Vllt kursiv?
ja, ich hab das gemacht.

Jetzt sitzt Baschar vor dem Bretterschuppen und wartet. Durch Gischt, Sonne und Regen sind die Farben der Aufkleber verblichen, die Kanten lösen sich ab. Das genarbte Leder der Kofferhülle ist an den Ecken mit Zwirn vernäht. Mit den Jahren wurde er leichter, der Griff kleiner. Hier in der Fremde ist er alles, was ihm bleibt.
Nachdem du den seidenen Faden und die Senkrechte entfernt hast (was ich übrigens schade finde), hängt das er etwas ohne Bezug in der Luft. Im gesamten Abschnitt gibt es das Wort Koffer noch nicht. Könntest du nutzen.
Ich hab´s jetzt wieder reingenommen. Es kam die Rückmeldung, das wäre zu pathetisch, zu dick aufgetragen. Ich überlege noch.

Karla lacht weinseelig und hebt einmal kurz die Beine.
weinselig
yep, getan

Die Gardinen dämpfen das Licht der Fenster weich, sie leuchten in die Nacht wie Positionslichter.
Geht das denn mit dem weich dämpfen, dämpfen würde doch reichen?
Das hab ich jetzt umgestellt und das weich mit dem leuchten gekoppelt, ist vllt. Besser.

Nur mal als Beispiele für die lebensnahen Dialoge. Es ist dir wirklich super gelungen, die Figuren übers Sprechen zu charakterisieren. Das ist ja nicht ganz einfach, mehr als zwei Personen in einem Gespräch glaubhaft rüberzubringen.
Dialoge finde ich sehr schwierig und der Reiz/die Herausforderung beim Schreiben war, den Text zum Großteil aus Dialogen und Rückblenden zusammenzusetzen. Schön, dass das gelungen scheint.

Aber warum lässt du Abel vor dieser Rückblende nicht noch etwas sagen, damit das eine schöne fließende Überleitung wird?
Top Idee, muss ich drüber nachdenken, was das sein könnte.

»Weiß ich doch, aber trotzdem: Bei denen zuhause müssen die Frauen Burka tragen, nur ein kleiner Seeschlitz bleibt frei.«
Ach, dieses korrekte Wort Burka passt so gar nicht zu dem Morschi, den ich vor Augen habe, früher stand da Sack über Kopf, fand sicher Anstoß.
ja, das ist so eine Sache mit der political correctness. Meine große Sorge war, dass diese Ablehnung des Flüchtlings schief ankommt. Vllt. sollte ich da mutiger sein.

Insgesamt kannst du mir deine Figuren mit ihren Verletzungen aus der Vergangenheit genau in diesen Passagen sehr nahe bringen. Das trifft für alle zu.
Wow, nehme ich mal einfach so hin. ;) Ebenso das Lob zu Morschis Charakterzeichnung.
Schöne Begründung dafür, dass Morschi sein Handwerk liebt.
merci, da habe ich auch gekürzt und dazugestrickt.

Sie hielt den Blick gerichtet auf das, was hinter der Landschaft vor der Scheibe lag, als würde der Sand nur eifersüchtig vor ihr verstecken, was er zuvor begraben hatte.
Hier hab ich ein Verständnisproblem: Meinst du, was hinter der Landschaft lag, ist vom Sand bedeckt. Aber der Sand ist doch die Landschaft.
Gedacht war, sie schaut in die Ferne und sucht etwas Vergangenem, was nicht mehr da ist, weil es im Sand verschwunden ist.

Kurzer Stolperer, aber ich habs geschnallt. Vater wollte nicht mehr auf der Welt sein. Ist die gleiche Situation in meinem Kopf wie weiter oben mit dem später.
jep, hab ich kursiv gesetzt, wie das später auch.

Ich denke, die fehlende Motivation für Morschis Ablehnung Baschar gegenüber hast du hiermit ausreichend nachgeliefert. Man nimmt dem jungen Mann seine Vorbehalte ab, denke ich.
Oh, danke, du hast heute aber viel Lob für mich. Das hier ist besonders wichtig für mich, weil das ja ein echter Mangel des Textes war. Scheint zum Glück behoben.

Abel zieht mit dem Schürhaken den rauchenden Koffer aus dem Feuer. Das Beil steckt im Deckel, zwischen Tripolis und Rom. Als er ihn aufklappt, sehen alle, dass der Koffer leer ist.
Das Beil ist hier neu, da hat es also noch mal Verwendung gefunden.
Ja, ja, Tschechows Gewehr, wie auch die Hunde, die jetzt dreimal erscheinen.

Ach, ist ein trauriges Ende. Und obwohl gerade die kleine Gemeinschaft des Campingplatzes es doch wissen sollte (sie sind ja selber in der Welt herumgekommen und haben genug eigenes Schicksal), wie wichtig ein Hafen zum Anlegen ist, konnten sie sich nicht einigen und Baschar wenigstens ein bisschen Wärme und Hoffnung in der Fremde geben.
Sie sind aber so in ihren Filmen gefangen, dass es ihnen abgeht, einfach die Hand hinzuhalten. Darum geht´s.

Ich habe die Geschichte sehr gerne gelesen und war ganz nahe bei den Personen, besonders in den Rückblenden habe ich mit ihnen mitgefühlt.
Meine anfänglichen Zweifel, ob es eine gute Idee sein, in einer KG so viele Personen gleichrangig agieren zu lassen, konntest du sehr schnell zerstreuen. Wirklich toll erzählte Geschichte.
Danke peregrina, da kann ich nur wenig mehr zu sagen, als dass mir dein Zuspruch in meiner Schreiberseele sehr guttut.

Peace und guten Rutsch. Wir sehen uns 2020, dann wieder näher an Maastricht, linktofink

 

Hi linktofink,

ich muss zugeben, dass ich mehrere Anläufe benötigt habe, um rein zu kommen.
ich habe direkt in die erste Fassung reingeschaut, es später erneut versucht und nun gesehen, dass du überarbeitet hast.
Dann wollen wir mal.

Big Little Homes
Was hat es mit dem Titel auf sich, fragte ich mich die ganze Zeit. "Homes" wie "Zuhause" oder doch etwas anderes?

Baschar steht vor der abschüssigen Zufahrt
Vor ihm öffnet sich eine Senke,
Abschüssig und Senke ist irgendwie doppelt. Eine Senke ist ja immer "unten".

Meine Verwirrung am Anfang resultiert aus den unterschiedlichen Beschreibungen im Text. Mir fiel es schwer, Fuss zu fassen, wusste lange nicht, worum es sich genau handelt:

ein Dutzend Holzhäuser, Zirkuswagen und umgebaute LKW
ein Schuppen
Er geht hinab zu der Feuerstelle in der Mitte des Camps.
seinem hölzernen Tiny House
Später noch Campingplatz.

Apropos Tiny House: Dieses Wort ist mir beim ersten Überfliegen ins Auge gestochen. Dann las ich später im Internet einen Artikel über Tiny Houses, wusste, was gemeint ist und las weiter.

In einem steckt ein Beil.
Ja, wie das berühmte Gewehr am Anfang einer Geschichte, das später Bedeutung bekommt.

»Lokemper?«, der Mann schüttelt den Lockenkopf.
Lo-ke, Lo-cke. Zufall? ;-)

Als Junge fuhr Baschar mit der Fingerspitze über die bunten Bilder, sog die Buchstaben auf, las Tripolis und Rabat am Meer, Namen wie aus tausendundeiner Nacht. Er mochte Málagas Wappen aus Wellen und Burg, aber auch den einsamen Eisenpickel des Tour Eiffel, die Eule namens Athena vor den aufstrebenden Säulen im Hintergrund, und wo Großvater außerdem war. Er dachte, wenn Fingerspitzen sich im Himmel berührten, hieße das Vatikan.
Könnte man kürzen, auf die Dinge runtertrimmen, die auch später erwähnt werden.

Deutschland war keine Melodie, es war geschäftig und laut. Und Europa war ein Versprechen, das nicht eingelöst wurde.
Woher weiß er, dass es nicht eingelöst wurde? Er ist doch gerade mitten in der Phase, wo es gut oder schlecht enden könnte.

Bremach-LKW
Bremach? Nie gehört.
Wird später auch noch so oft wiederholt. Vielleicht wäre eine kleine Erklärung sinnvoll.
"Bremach, der alte, umgebaute Militär-LKW" oder eben passend.

gespaltene Lärche an Wand und Dach, traditionell,
M.E. hast du zu sehr Fachsprache benutzt. Und zu viel.

Referendar. Das Wort klang wie eine Drohung. Als Abel das erste Mal vorne stand,
Die Rückblicke fand ich ganz okay. Allerdings zu ausführlich.

Der arme Geflüchtete ist gerade irgendwo in der Geschichte bzw. im Camp untergegangen (wo steckt er gerade eigentlich und was tut er?), und dann wird erst mal groß und breit der Lebenslauf der anderen erzählt.
Ich will doch wissen, wie es dem Barschar ergeht! Das interessiert mich. Nicht, wie das Holz heißt, wie es am besten verarbeitet wird, an welchen Orten die anderen alles gewesen sind usw.

sein erstes Leistenkanu. Er fuhr die bauchige Form mit den Fingerspitzen ab, wusste, wie es fahren würde, erfühlte, wo er schleifen musste, um es zu trimmen.
Da so ein Beispiel für Fachsimpelei.
Und ich frage mich, wo überhaupt der Schwerpunkt der Geschichte liegt.
Über Barschar, den ich als Hauptprota sehe, erfahre ich am wenigsten.

Er war angekommen in ʹBig Little Homesʹ.
Da wird der Titel erklärt.
Aber es ist bezogen auf Abel. Besser fände ich einen Titel, der sich auf Barschar bezieht.

Ein Ziehen in der Leiste, sie atmete es weg.
Sind es Bauchschmerzen oder so etwas in der Art, wie, wenn man beim Mann schreiben würde "Eine Schwellung in der Hose"?

vor dem sandfarbenen Bremach
Bei schönem Wetter schraubten sie Solarpaneele aufs Dach, montierten weitere Scheinwerfer und lackierten die Kiste sandfarben.
Das erste sandfarben kann weg. Oder den zweiten Satz, die Lackierung, vorziehen.
Wofür ist das schöne Wetter notwendig? Kann mir denken, dass sie die Paneele nicht im Regen oder bei Blitz und Donner installiert haben. ;)

Tablet und Handy lud sie nicht mehr, das Radio ließ sie ausgeschaltet.
Sehr schön. Ein Satz, der alles aussagt.
Manchmal ist weniger mehr.
Wenn du so etwas bei den Rückblicken/Erklärungen der einzelnen "Aussteiger" gebracht hättest, anstatt den vielen Zeilen Beschreibungen, wäre es super!

Der Sand stillte das Blut, trocknete die Schwären in ihrem Innern und half der Haut, durch sein feines Schmirgeln die Taubheit zu verlieren.
Wohl eine Metapher, oder welches Blut ist gemeint?

Er sah die Würfel, die der Pilz gefressen hatte und die Stellen, wo Bock und Wurm sich ins Fleisch gebohrt und stehendes Wasser die Fasern zersetzt hatte.
Wie hieß es früher im Radio bei 1Live: "Langweil mich, langweil mich." :sealed:

Vater, der ihm sagte, auf welchem Boden welches Gewächs gedeiht und der selbst so früh ging, weil etwas im Boden an seinen Wurzeln nagte.
Toll.

Und der nach der Sache mit Mutter nichts mehr wollte, noch nicht mal sein.
Auch sehr toll.

Ja, im Großen und Ganzen hat es mir gefallen, mit einigen Abers.
Zu viel Stoff für kleinen Text. Schwerpunkt nicht einwandfrei taxiert. Zu viel Fachsprache, dabei ist Barschar ja selbst kein Zimmermann/Schreiner. Kleines Durcheinander bei der Verortung, da LKW, Schuppen, Tiny House sich für mich nicht nach Campingplatz anhören. Alles alles natürlich nur meine persönliche Meinung. Vielleicht haben andere Leser diese Probleme gar nicht.
Habe die Kommentare nicht (alle) gelesen, sorry, wenn sich da jetzt etwas doppelt oder schon längst erklärt worden ist.

Guten Rutsch und bis Freitag bei nem kleinen Bierchen im Ruhrpott.
Liebe Grüße, GoMusic

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber @GoMusic,

kurz vor knapp kommst auch du zu Besuch, das ist schön.

ich muss zugeben, dass ich mehrere Anläufe benötigt habe, um rein zu kommen.
ich habe direkt in die erste Fassung reingeschaut, es später erneut versucht und nun gesehen, dass du überarbeitet hast.
Ja der Anfang ist auch umgearbeitet und der jetzige Einstieg kam bisher gut an.

Was hat es mit dem Titel auf sich, fragte ich mich die ganze Zeit. "Homes" wie "Zuhause" oder doch etwas anderes?
Keine andere Wortbedeutung, sondern im übertragenen Sinn. Sie wohnen alle in kleinen Behausungen, die für sie trotzdem das Größte sind, auch im Sinne von alternativlos.

Abschüssig und Senke ist irgendwie doppelt. Eine Senke ist ja immer "unten".
Ja, das muss er nur erst mal sehen. momentan sieht er nur den Weg nach unten.

Meine Verwirrung am Anfang resultiert aus den unterschiedlichen Beschreibungen im Text. Mir fiel es schwer, Fuss zu fassen, wusste lange nicht, worum es sich genau handelt
Nun ja, um einen umgebauten Campingplatz mit diversen Behausungen. Das ergänzt sich doch zur Beschreibung eines Camps, oder nicht? Das wundert mich, dass da kein Bild bei dir entsteht.

»Lokemper?«, der Mann schüttelt den Lockenkopf.
Lo-ke, Lo-cke. Zufall? ;-)
Ja, absolut. :D

Als Junge fuhr Baschar mit der Fingerspitze über die bunten Bilder, sog die Buchstaben auf, las Tripolis und Rabat am Meer, Namen wie aus tausendundeiner Nacht. Er mochte Málagas Wappen aus Wellen und Burg, aber auch den einsamen Eisenpickel des Tour Eiffel, die Eule namens Athena vor den aufstrebenden Säulen im Hintergrund, und wo Großvater außerdem war. Er dachte, wenn Fingerspitzen sich im Himmel berührten, hieße das Vatikan.
Könnte man kürzen, auf die Dinge runtertrimmen, die auch später erwähnt werden.
Könnte man, ich könnte schlicht alter Koffer schreiben, doch dann würden mir Baschars Träumereien und Sehnsüchte fehlen, die doch wesentlich dazu beitragen, dass der Koffer für Baschar diese große Bedeutung hat.

Woher weiß er, dass es nicht eingelöst wurde? Er ist doch gerade mitten in der Phase, wo es gut oder schlecht enden könnte.
Ich denke, die Desillusionierung geht schnell, wenn du beinahe ertrinkst oder in Moria landest oder in einem deutschen Flüchtlingsheim, wo Gewalt regiert, wenn du Pech hast. Und Baschar hatte leider Pech, sonst wäre er nicht verzweifelt.

Wird später auch noch so oft wiederholt. Vielleicht wäre eine kleine Erklärung sinnvoll.
"Bremach, der alte, umgebaute Militär-LKW" oder eben passend.
Bei der ersten Erwähnung im Text schreibe ich Bremach-LKW. Wer es dann ganz genau wissen will, kann ja googeln.

gespaltene Lärche an Wand und Dach, traditionell,
M.E. hast du zu sehr Fachsprache benutzt. Und zu viel.
Mag fremd wirken, aber wenn du die Bauart der Häuser und Hütten in den Alpen kennst, ist das kein Fachchinesisch, sondern Alltag. Gespalten wird das Holz, weil es so witterungsbeständiger ist als alles Gesägte oder Geschliffene. Das "angeschäftet" ist vermutlich das für Laien unverständliche Wort (bedeutet steil angeschrägt), Latthammer oder Lärcheschindeln sollten doch verständlich sein?

Ich will doch wissen, wie es dem Barschar ergeht! Das interessiert mich. Nicht, wie das Holz heißt, wie es am besten verarbeitet wird, an welchen Orten die anderen alles gewesen sind usw.
Und ich frage mich, wo überhaupt der Schwerpunkt der Geschichte liegt.
Über Barschar, den ich als Hauptprota sehe, erfahre ich am wenigsten.
Die Geschichte hat keinen klassischen Protagonisten, Baschar ist es nicht, es geht vielmehr um die Gemeinschaft, um alle, die dieses Camp bilden. deren Geschichten sind genauso gewichtet wie die aktuelle Handlung. Baschar ist nur derjenige, an dem sich der Konflikt kristallisiert, als er (beinahe zufällig) das Camp streift.

Er war angekommen in ʹBig Little Homesʹ.
Da wird der Titel erklärt.
Aber es ist bezogen auf Abel. Besser fände ich einen Titel, der sich auf Barschar bezieht.
Der Titel ist nicht auf Abel bezogen. Er ist lediglich der Eigentümer und somit sicherlich Namensgeber des Camps, aber es ist nicht sein Titel. Die übertragene Bedeutung trifft auf alle zu, was durch die Rückblicke in die einzelnen Geschichten nach und nach deutlich werden sollte.

Ein Ziehen in der Leiste, sie atmete es weg.
Sind es Bauchschmerzen oder so etwas in der Art, wie, wenn man beim Mann schreiben würde "Eine Schwellung in der Hose"?
Schmerz kann sich auf vielerlei Weise äußern, aber nicht durch eine Schwellung in der Hose. Da ist nichts sexuell motiviert, es geht um gefühlte Panik, um Traumatisierung.

Wofür ist das schöne Wetter notwendig? Kann mir denken, dass sie die Paneele nicht im Regen oder bei Blitz und Donner installiert haben. ;)
Genau, bei schönem Wetter Außenarbeitern, bei schlechtem Wetter Innenausbau.

Tablet und Handy lud sie nicht mehr, das Radio ließ sie ausgeschaltet.
Sehr schön. Ein Satz, der alles aussagt.
Manchmal ist weniger mehr.
Wenn du so etwas bei den Rückblicken/Erklärungen der einzelnen "Aussteiger" gebracht hättest, anstatt den vielen Zeilen Beschreibungen, wäre es super!
Ja, aber der Satz funktioniert auch nur, weil er entsprechend eingebettet ist, das baut sich ja langsam auf, die Lebensträume, die platzen, weil sie verlassen wird, die folgende Betäubung, das Dahingleiten durch die Wüste, das Ausschalten des Verstandes, dann auch des Tablets und Handys. Nur in dem Kontext funktioniert das auch.

Wohl eine Metapher, oder welches Blut ist gemeint?
Jep, es geht um die seelische Verletzung, die ihr Freund ihr zufügte.

Er sah die Würfel, die der Pilz gefressen hatte und die Stellen, wo Bock und Wurm sich ins Fleisch gebohrt und stehendes Wasser die Fasern zersetzt hatte.
Wie hieß es früher im Radio bei 1Live: "Langweil mich, langweil mich." :sealed:
Ist doch anscheinend gelungen. :D

Zu viel Stoff für kleinen Text. Schwerpunkt nicht einwandfrei taxiert. Zu viel Fachsprache, dabei ist Barschar ja selbst kein Zimmermann/Schreiner. Kleines Durcheinander bei der Verortung, da LKW, Schuppen, Tiny House sich für mich nicht nach Campingplatz anhören. Alles alles natürlich nur meine persönliche Meinung. Vielleicht haben andere Leser diese Probleme gar nicht.
Die Geschichte ist nicht linear erzählt, sondern setzt sich aus vielen Einzelfacetten zusammen, die dann ein Gesamtbild ergeben.
Hier besteht die Parallele zum Camp, denn auch das Camp setzt sich aus sehr unterschiedlichen und doch sich ergänzenden Behausungen und Fahrzeugen zusammen, und nur zusammen ergeben sie Big Little Homes. Also bezieht sich der Titel auf beides, auf die Bewohner mit ihren Lebensgeschichten und ihre Fahrzeuge.
Ich verstehe natürlich, wenn das jemand nicht gerne liest, ist auch eine Frage von Lesegewohnheiten, aber ich nehme mir heraus, immer wieder Neues zu probieren.

Guten Rutsch, bis Freitag ;), Peace, Linktofink

 

Hallo Linktofink,

... da habe ich gleich noch einen zweiten Text von Dir gelesen. Auch hier bin ich beeindruckt. Besonders von deinem facettenreichen Umgang mit kleinen Szenen, deiner Sprachgewalt, deiner Genauigkeit, die mir - im Gegensatz zu anderen - sehr gefällt. Ich finde, dass die Präzision die Glaubwürdigkeit erhöht und auch wenn ich nicht wusste, was ein Latthammer ist, konnte ich mir etwas darunter vorstellen. Mein Freund hat Tischler gelernt, vielleicht habe ich dadurch eher Zugang zur "Holzwelt". Aber auch der Campingplatz, die tiny Houses haben bei mir gleich ein genaues Bild erzeugt. Vom Setting fand ich alles 1a. Auch die Figuren gefielen mir, ihre Empfindlichkeiten, ihre Interaktionen, ihre kleinen und vielleicht auch großen Kämpfe. Die Figurenebene habe ich nicht immer gleich verstanden, da musste ich manches zweimal lesen.
Besonders gefallen mir die archaischen bildgewaltigen Schlussszenen, der Koffer, das Kanu.

Noch ein paar Details

ah er Berge, hörte er ein weißes Pinselstrich-Zermatt über die Schneestille wehen. Sah er ein Karussell, hörte er Vienna wie ein Liebeslied aus dem Riesenrad schallen.
Mir gefällt wie visuelle Ebene und akustische aufeinander folgen
Der Seelenverkäufer, mit dem er übersetzte, hatte weder mit den Gondeln aus Venezia, noch mit den stählernen Ozeandampfern der Hamburg-Amerika Linie etwas gemein.
Mit Seelenverkäufer hattest du mich gleich am Haken
Der Koffer ist der seidene Faden, der sein Leben in der Senkrechten hält.
tolles Bild!
»Ich würde zum Amt gehen und mir helfen lassen.«
»Ach so, und du meinst nicht, dass er da schon war?«, Abel lässt nicht locker, »vielleicht läuft er gerade davor weg?«
»Den Grund wüsste ich gerne, weshalb er vor dem Amt wegläuft«, sagt Morschi.
»Hat er dir eigentlich was getan?« Karla läuft eine feine Spur Rotwein aus dem Mundwinkel. Sie wischt mit dem Wollärmel über das Kinn.
»Nee, natürlich nicht, aber darum gehtʹs auch nicht.«
Den Dialog fand ich spannend.
Referendar. Das Wort klang wie eine Drohung. Als Abel das erste Mal vorne stand, überfiel ihn die Hitze.
gut.
Er trocknete die Haare mit der Leinenrolle aus dem Spender,
erst bin ich über die Leinenrolle gestolpert, weil ich Leinen mit einem graueren Ton verbinde. Aber ich weiss, was du meinst. Und es gibt natürlich auch weißes Leinen.
Erst vor der Wohnungstür fiel ihm auf, dass der Schlüssel in seiner Tasche steckte, die verwaist am Lehrerpult lehnte.
erinnerte mich an Nachzug nach Lissabon.
Sie versucht, nicht an ihn zu denken, es geschieht dennoch, einfach so, überfällt ihre Arme mit Nadelstichen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Seinen Namen versucht sie nicht zu denken. Sie spürt seine Hände, wie sie streichelten, wie sie zu Fäusten wurden. Sie weiß, wenn sie kratzt, wird es schlimmer. Dennoch, manchmal hilft nichts anderes.
gefiel mir
Butterweiche, einfache Tage, die sich auflösten in nichts, die auf der Zunge schmolzen und nach Fata Morgana schmeckten.
die butterweichen Tage haben es mir angetan.
Er sah die Würfel, die der Pilz gefressen hatte und die Stellen, wo Bock und Wurm sich ins Fleisch gebohrt und stehendes Wasser die Fasern zersetzt hatte.
>> kann ein Pilz Würfel fressen? So geometrisch?! Kann ich mir nicht vorstellen.
Ansonsten top.
Mit dem kleinen Latthammer klopfte er das Skelett ab und erst, wenn das Holz nicht mehr dumpf antwortete, sondern kräftig unter seiner Hand federte und sang, gab er es frei.
Das sang gefällt mir besonders! Ansonsten toller Satz
Abel zieht mit dem Schürhaken den rauchenden Koffer aus dem Feuer. Das Beil steckt im Deckel, zwischen Tripolis und Rom. Als er ihn aufklappt, sehen alle, dass der Koffer leer i
Tolle Passage!
Das Paddel treibt davor, neben einem dunklen Fleck, der ein Baumstamm sein kann und auch alles andere.
>> finde ich beeindruckend. Der "dunkle Fleck" erinnert mich an einen ähnlich dramatischen Fleck in einer Peter Stamm Geschichte, die ich vor vielen Jahren mal gelesen habe.

gern gelesen! petdays

 

Hey @petdays,

nur kurz ...

... da habe ich gleich noch einen zweiten Text von Dir gelesen. Auch hier bin ich beeindruckt. Besonders von deinem facettenreichen Umgang mit kleinen Szenen, deiner Sprachgewalt, deiner Genauigkeit, die mir - im Gegensatz zu anderen - sehr gefällt.
Mich plagt da schon das schlechte Gewissen, da du hier erneut einen Text von mir lobst und ich dir im Gegenzug so viel Kritik da lasse. Aber was soll ich sagen, ich denke du spürst wie ich, dass Lob schnell weggeschleckt ist, doch die Kommentare, die ein wenig piksen oder sogar weh tun, letztlich nachhaltiger wirken. Also meine Hoffnung, dass sich das, wenn auch nicht quid pro quo (das kann nicht Ziel sein), irgendwie ausgleicht. ;)

Peace, linktofink

 

Hi linktofink,

Mich plagt da schon das schlechte Gewissen, da du hier erneut einen Text von mir lobst und ich dir im Gegenzug so viel Kritik da lasse.
>> kein Problem. :)
Deinen Kommentar zu in die Finsternis habe ich als sehr hilfreich empfunden und Deine Vorschläge soweit umgesetzt. Vielleicht magst Du Dir die beiden Textstellen nocheinmal anschauen, wo ich Deine Kritik versucht habe umzusetzen.

liebe Grüße, petdays

 

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