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Bina und ich
Vorsichtig schaute ich um die Ecke und sah, dass sie immer noch auf dem Sofa saß. Sie hatte die Fernsehzeitschrift auf dem Schoß und blätterte uninteressiert darin.
Sie wartete auf mich.
Nicht zum ersten Mal fiel mir auf, wie gut sie aussah. Im Laufe ihrer vier bis fünf Besuche in letzter Zeit ist meine Zuneigung zu ihr immer mehr gewachsen. Bina! Und es war nicht nur ihr Aussehen! Sie war zudem noch witzig, intelligent, man konnte mit ihr einfach alles machen. Ob sie meine Zuneigung erwiderte? Ich bildete es mir jedenfalls ein. Warum sonst kam sie so oft? Ich hatte eine Schüssel mit Knabbereien dabei und begann schön langsam nervös zu werden.
Plötzlich bemerkte ich, dass sich meine Hand wie von selbst die ganze Zeit im Türstock festgekrallt hatte. Ich ließ locker und es schoss wieder Blut in meine Finger. Immer noch suchte ich eine Stütze am kalten Holz, mir war leicht schwindlig. Komisches Gefühl, was war das bloß? „Jetzt oder nie!“ dachte ich und marschierte los. Nach drei, vier Schritten jedoch spielte mein Gleichgewichtssinn verrückt und ich fiel der Länge nach auf den grauen Teppichboden, während sich der Inhalt meiner Schüssel im halben Wohnzimmer verbreitete. Bina war erschrocken aufgesprungen und kam schnell zu mir. Ein leichtes Schmunzeln flackerte auf ihrem Gesicht.
Was für eine Blamage. „Was machst du denn wieder?“ fragte sie, immer noch lächelnd. Ich war nur im Stande mit den Schultern zu zucken. Schlimmer konnte es ja gar nicht laufen. Bina warf einen kurzen Blick über die Keckse am Boden und musste unwillkürlich laut lachen. „Wolltest du mir etwa Hundecracker anbieten?“ Also doch, es konnte schlimmer laufen. Mir stand das Wasser in den Augen. Ich hatte in meiner Aufregung die falsche Packung erwischt. Außerdem begann jetzt ein gemeiner Schmerz in meinem linken Fuß zu pochen. „Jetzt bloß nicht weich werden!“ ermahnte ich mich und kämpfte immer noch gegen meine tränenden Augen. Ich murmelte etwas Unverständliches, was soviel wie eine Entschuldigung sein sollte und rappelte mich auf. Bina ging in die Küche um Schaufel und Besen zu holen und ich stand alleine und hilflos in dem von mir angerichteten Chaos. Vielleicht war Bina doch eine Nummer zu groß für mich. Auf einmal hörte ich einen Schlüssel in der Haustür und nur eine Umdrehung später standen meine Eltern im Flur. Entsetzt sah ich sie an und brachte keinen Laut über meine Lippen. Meine Mutter jedoch konnte einen leisen Schrei nicht unterdrücken, als sie mich inmitten von verstreuten Hundekuchen im Wohnzimmer stehen sah. Zu all dem kam jetzt auch noch die immer noch lachende Bina mit Schaufel und Besen. Ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich mir wünschte auf der Stelle tot umzufallen.
„Und Bina, außer diesem Chaos hier ist alles gut gegangen?“ fragte mein Vater. „Ja klar, Herr Paul!“ gab sie zur Antwort und begann die Krümel aus den Teppichfasern zu ziehen. „Dani ist für seine eineinhalb Jahre schon gut zu Fuß unterwegs und bis auf die Tatsache, dass er mich immer wieder mit neuen Geschenken erfreut...“ Sie deutete auf die Hundekuchen und die drei Erwachsenen lachten „...ist er wirklich ein ganz Braver!“
Ich hatte genug. Ohne dass es diese Großköpfe überhaupt bemerkten verschwand ich aus dem Zimmer. Vor lauter Ärger über meine Eltern, Bina und mich selbst fiel ich im Flur noch einmal hin. So sicher konnte ich wohl doch noch nicht laufen. Dieses Mal konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Wozu auch? Warum lief das nicht so wie in den Vorabend-Serien die sich Bina immer mit mir anschaute wenn sie auf mich aufpasste. Da reichte ein romantischer Abend im Wohnzimmer mit ein paar Knabbereien und zwei Menschen wurden ein Paar. Vielleicht bin ich doch noch ein bisschen zu jung... aber wann bin ich denn dann alt genug?
Ich glaube, ich warte noch, bis ich richtig sprechen kann, dann sieht die Sache bestimmt ganz anders aus...