- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 14
Bis dass der Tod sie scheidet
Von klein an hatte er gewusst, dass Kartoffeln schmutzig waren und böse. Sie kamen aus dem Nachtschatten und gediehen in der Dunkelheit. Mit ihren tausend Augen sahen sie ins Verborgene, und was sie verstohlen mit ihren blassen Trieben streiften, wurde vergiftet.
Deswegen liebte er sie. Sie waren seine Verbündeten. Er trug sie am Körper, wo er ihnen Unterschlupf gewährte, und hütete sie bis zu dem Tag, an dem er sie wieder der Erde übergeben musste. Sie schenkten ihm Gelassenheit, wenn er sie im Zorn fast zerquetschte oder seine Fingernägel angstvoll in ihr Fleisch grub. Sie trösteten ihn, indem sie sich liebevoll in seine Hand schmiegten.
Und sie rächten ihn. Zum Beispiel damals, als er seinem Bruder – Lichtgestalt in den Augen der Eltern - eine schwere Kartoffel an die Stirn warf und der bewusstlos zu Boden fiel. Oder als die Mutter der Frau, die er heiraten wollte, auf einer Kartoffel ausglitt und die Kellertreppe hinunterstürzte.
Und nun hatte er diesen schlimmen Verdacht.
Nachdenklich betrachtete er die kleine Kartoffel, die vor ihm auf dem Tisch lag. Sie war bereits von den Runzeln der Weisheit überzogen, ihr Inneres weich und nachgiebig. Sanft strich er mit der Spitze seines Zeigefingers über ihre Haut.
„Hilf mir, Festa“, flüsterte er.
Und die Kartoffel half.
Er versteckte sie zwischen Zeitschriften auf der Kommode, von wo aus sie mit ihren tausend Augen beobachten konnte, was in seinem Ehebett vorging.
In der Nacht wisperte sie ihm ins Ohr, was sie gesehen hatte: Dinge, die ihm die Zornesröte ins Gesicht trieben, wundervolle Dinge, die sie ihm nie erlaubte. Wut brodelte in ihm. „Wieso meinem Bruder und nicht mir?“, dachte er.
Sein brennender Blick versuchte die Dunkelheit zu durchdringen, doch er sah nur die Umrisse der Frau, hörte, wie sie ruhig und gleichmäßig neben ihm atmete.
Sie drehte sich auf den Rücken. Vorsichtig zog er die Decke weg, bis sie nackt vor ihm lag. Sie schlief immer nackt.
„Vergifte sie!“, zischte er.
Sanft strich die Kartoffel mit ihren Tentakeln über den Leib. Die Frau räkelte sich ein wenig und stöhnte im Schlaf.
Seine Lippen pressten sich aufeinander. Langsam ließ er die Kartoffel hinunterwandern von ihrem Nabel über den leicht gewölbten Bauch bis zu der kleinen Mulde oben zwischen ihren Schenkeln. „Spritze dein Gift in sie hinein!“, flüsterte er heiser.
In diesem Augenblick wälzte sich die Frau auf die Seite. Die Kartoffel fiel herunter. Er tastete nach ihr, seine Hände berührten auch den Unterleib der Frau.
Sie fuhr hoch. „Was machst du da?“ Licht flammte auf. Im letzten Moment konnte er die Kartoffel in seiner Hand bergen.
„Was soll das? Warum zum Teufel weckst du mich?“
„Tut mir leid“, murmelte er.
„Wenn du mich das nächste Mal anfasst, frag bitte vorher.“
„Jetzt?“,
„Nicht jetzt. Ich bin müde. Du weißt doch: Ich brauche meinen Schlaf.“
„Das glaube ich ihr sogar“, dachte er, „nach dem, was sie am Nachmittag mit meinem Bruder getrieben hat. Und sicher nicht zum ersten Mal. Wer weiß ...“
Sie schlüpfte in ihre Pantoffeln und warf ein Negligé über. „Ich hole mir ein Glas Milch.“
Als sie sich wieder neben ihn legte, hatte er die Augen geschlossen.
Das Licht verlosch. Dumpf brütend lag er in der schmutzigen Dunkelheit, Festa neben sich auf dem Kopfkissen. Er versuchte ihr nicht zu nahe zu kommen, denn ihr Körper hatte sich bereits braunviolett verfärbt und sie roch ein wenig unangenehm.
„Ich werde dich bald verlassen müssen“, flüsterte sie. „Doch zuvor möchte ich noch etwas für dich tun.“ Und dann raunte sie ihm ihren Plan ins Ohr.
Heftig schüttelte er den Kopf. „Nein, das kann ich dir nicht antun.“
Doch schließlich überzeugte sie ihn.
Die Frau schlief fest, als er sich im Morgengrauen in die Küche schlich. In der Schublade suchte er nach dem Schälmesser. Es würde schwer werden, sehr schwer.
Ein letztes Mal wusch er seine Festa unter einem dünnen Rinnsal. Ganz klein und schrumpelig lag sie in seiner Hand.
„Es ist genug.“
Er drückte ihr einen Kuss auf.
„Und nun tu ’s.“
Der Schmerz schnürte ihm die Kehle zusammen wie ein Würgereiz. „Ich kann nicht.“
„Du musst!“
Er biss die Zähne zusammen, griff nach dem Messer und begann, ihr bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen. Sie schrie und wimmerte in seiner Hand, doch er ließ nicht ab, denn sie wollte es so.
Ihr Schmerzensschrei gellte noch in seinen Ohren, als er zum Schlafzimmer zurückschlich. Das, was von ihr übrig geblieben war, fühlte sich fremd an, das Fleisch gummiartig. Und doch war es Festa, seine Kartoffel, die sich für ihn opferte.
Geräuschlos drückte er die Klinke hinunter und schob die Tür auf. Die Frau durfte nicht aufwachen. Noch nicht.
Nun musste alles sehr schnell gehen.
Er holte tief Luft, knipste das Licht an, griff die Nasenflügel der Schlafenden und drückte sie zusammen. Die Frau riss den Mund auf. Im selben Augenblick ließ er die Kartoffel in das gähnende Loch fallen.
Die Frau gab ein Gurgeln von sich, versuchte zu husten, röchelte, kämpfte, ihre Augen quollen hervor, doch er presste ihren Leib mit eiserner Kraft auf die Matratze. Sie wand sich, strampelte mit den Beinen ...
Er schloss seine heiß brennenden Augen, versuchte nicht daran zu denken, was Festa in ihrer Kehle alles durchleiden musste.
Die Frau zuckte nur noch schwach, dann lag sie still.
Widerstrebend öffnete er die Augen, starrte in ihren schwarzen Schlund. Vielleicht konnte er Festa noch retten? Aber sie war in der Tiefe des Rachens verschwunden.
„Ich danke dir“, flüsterte er.
Er trug die tote Frau in die Küche und legte sie vor die Spüle.
Dann ging er zum Telefon.
„Warum um alles in der Welt hat Ihre Frau eine rohe Kartoffel gegessen, am frühen Morgen?“, fragte der Notarzt, nachdem er die Leiche untersucht hatte.
Er zuckte die Achseln. „Das tat sie öfter. Schwangere haben eben seltsame Gelüste.“
Als wieder Ruhe eingekehrt war, setzte er sich an den Küchentisch, vor sich einen Korb mit jungen Kartoffeln. Ganz unten fand er eine, die Festa sehr ähnlich sah. Sorgfältig befreite er sie von Erde und Staub, ehe er sie in seine Hosentasche gleiten ließ.