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Black Parade
Amidous Ziel hieß Elsies River. Der Einsatztrupp hatte den Auftrag, nach dem Rechten zu sehen, dafür zu sorgen, dass die Regeln eingehalten werden, zu prüfen, ob irgendwelche Jungs sich in der Öffentlichkeit betranken und andere ansteckten. Amidou hasste es, wenn jemand sich nicht korrekt verhielt. Das galt für Weiße wie für Schwarze. Hart durchgreifen, zeigen, was passierte, wenn einer aus der Reihe lief.
Am Rande des Highways standen großflächige Werbeplakate im Brachland. Eins davon zeigte eine Frau inmitten einer Kinderschar. Der Babybauch von Grace fiel ihm ein, ihr schönes Gesicht. Welch ein Glück! Er hatte geweint, als sie ihm erzählte, sie sei schwanger. Ihr erstes Kind. Er musste sich noch mehr anstrengen. Wenn er befördert würde, konnten sie ein besseres Leben führen und Grace musste nicht mehr zusätzlich was verdienen.
Auf dem Rücksitz schloss Paul die Augen und die Schultern sackten herab. Amidou war als Anfänger mit Paul Streife gefahren. Ob er genauso müde werden würde, wenn er auf die 60 zuging? Neben ihm saß Gilroy und glotzte aus dem Fenster. Entweder war er verlegen oder konzentriert. Er war nicht lange dabei. Vielleicht seit einem halben Jahr. Ein schweigsamer Zulu der wie ein Bulle aussah, groß und mit durchtrainiertem Körper. Hinter ihnen fuhr ein weiterer Einsatzwagen. Sechs Leute insgesamt, gute Jungs, auf die man sich verlassen konnte.
„Hör mal, Gilroy.“
„Mm“, sagte dieser und drehte sich zu Amidou um.
„Wir müssen Präsenz zeigen. Die dürfen nicht übermütig werden, verstehst du?“
„Ja, so was von, Chef.“
„Das Township hat Augen. Die werden uns beobachten und wenn wir zu lasch sind, brauchen wir uns dort nicht mehr blicken lassen.“
„Klar, Sir!“
„Ich sag’s nur, weil du zum ersten Mal dabei bist.“
Sie bogen ins Zielgebiet ab. Ihre Fahrzeuge holperten über die Schlaglöcher der Main Road. In den ersten Gassen trafen sie auf ein paar alte Leute, die vor ihren Wellblechhütten saßen, sofort aufstanden und nach drinnen eilten, sobald sie die Polizisten bemerkten. Sie schlängelten sich zwischen Mülltonnen, Lastenfahrrädern und Autos durch, deren Lack von der Sonne ausgeblichen waren. Als sie dem Herz des Townships näherkamen, dem Platz, auf dem man an ein paar Ständen Obst, Gemüse, Fleisch und das, was man eben so zum Leben brauchte, kaufen konnte, hielten sie an. Sie zogen zu Fuß los und stießen auf eine Horde junger Männer, die auf Steinen hockten. Die Jungs trugen Baseballmützen und hatten Bierflaschen in der Hand. Sie zeigten mit den Fingern auf die Polizisten und grinsten. Amidou sah einen der Kerle Pistazienkerne auf den Boden spucken und den Regler der Minimusikanlage justieren. Afrikanische Hip-Hop Musik erklang: Hey! Ho! Amidou streifte den Mundschutz über die Nase, fasste den Plastikknüppel fester und öffnete das Holster. Der Anblick einer Pistole schuf Respekt, auch wenn sie nur mit Hartgummigeschossen geladen war.
„Los geht’s!“, befahl er. Sie schwärmten aus, den Jungs entgegen.
„Was macht ihr hier?“, fragte Amidou, obwohl er wusste, wie bescheuert die Frage war.
„Bier trinken und Musik hören“, antwortete der Pistazienkernspucker. „Auch ne Flasche?“
„Ab nach Hause, sonst wird’s ungemütlich“, rief Amidou und gab seinen Leuten ein Zeichen. Der Polizistentrupp griff ohne weitere Warnung an. Ein Knüppel traf den Kopf des Pistazienkernspuckers. Aus einer Platzwunde floss Blut über eine Backennarbe. Einer zertrümmerte die Musikanlage, ein anderer warf die Flaschen auf den Boden. Als einer der Jünglinge einen Flaschenhals in die Hand nahm und gegen die Polizisten werfen wollte, schoss Amidou eine Salve in die Luft. Die Jungs reagierten sofort, hoben die Arme und verschränkten sie über ihren Köpfen. Schläge prasselten auf sie ein.
Ein Mädchen tauchte auf und stellte sich Amidou entgegen, als er ausholte, um den Pistazienkernspucker zu treffen: „Er ist doch wehrlos. Bitte. Lasst sie in Frieden!“
„Wer nicht hören will … “ Amidou nahm den Knüppel und traf den Jungen am Ohr, sodass er zu Boden stürzte. Danach trat er mit den Stiefeln nach ihm.
„Sag mal, Bürschchen, wo habt ihr den Alkohol versteckt?“
„Wir haben ein paar Flaschen, mehr nicht“, presste er heraus.
„Erzähl mir keinen Mist.“ Er schlug ihm in den Bauch. Das Mädchen stellte sich dazwischen und fing sich eine Ohrfeige. „Ich habe doch gesagt, du sollst dich nicht einmischen, Schlampe!“
„Ihr wollt wissen, wo das Zeug versteckt ist?“, rief sie. Der Pistazienkernspucker schaute sie verächtlich an. Seine Nase blutete.
„Jungs, kommt mal her. Das Mädchen zeigt uns, wo das Lager ist.“
Amidou gab den Jungs ein Zeichen: „Ihr verschwindet jetzt besser.“ Sie rannten los. Als sie genug Abstand zu den Polizisten hatten, blieben sie stehen, riefen Beschimpfungen, die Amidou nicht verstand, rückten die Kleidung zurecht und schlenderten auf dem Lehmboden entlang, als wäre nichts geschehen. Dann verschwanden sie in einer Gasse.
„Okay, Lady, und wehe, wenn du uns anscheißt! Amidous Blick wanderte über ihren Körper. Auf dem T-Shirt war die Freiheitsstatue zu sehen, dahinter die New Yorker Skyline. Ihre Haut glänzte, der Hintern wölbte sich.
Amidou und seine Männer folgten dem Mädchen. Sie knüppelten auf alle ein, die sie vor ihren Behausungen vorfanden. Ein alter Mann mit weißen Augenbrauen, dürr wie ein Ast, fiel wie vom Blitz getroffen um, als ihn ein Schlag traf. Ein paar Kinder flitzten davon und versteckten sich. Amidou blieb aufmerksam. Das Mädchen könnte sie ebenso gut in einen Hinterhalt führen. Die Banden waren mächtig. Das Mädchen zeigte auf eine Hütte, an deren Eingang bunte Girlanden hingen. Sie klopfte. Die Tür öffnete sich einen Spalt. Amidou erkannte einen Kopf, der erst das Mädchen, dann die Polizisten musterte. Sie flüsterte etwas und machte eine Geste zu den Polizisten hin. Ein Mann mit Rastazöpfen reichte dem Mädchen einen Schlüssel. Sie wies auf einen Verschlag neben der Hütte. Amidou befahl den anderen draußen zu warten. Drinnen roch Amidou den Jungfrauenduft des Mädchens aus der Nähe. Er könnte sie anfassen, sie sich einfach schnappen. Vielleicht würde sie sich nicht einmal wehren. Keiner würde sich was dabei denken. So was kam vor. Das Mädchen zeigte in eine Ecke. Zwischen Spinnweben und alten Reifen, stapelten sich Kartons: Bier, Whiskey. Amidou war zufrieden und überlegte sich, wie sie die Beute wegschaffen konnten. Für einen Moment bedauerte er, dass keine Zeit für das Mädchen blieb.
„Du hast Glück gehabt“, sagte er zu ihr. So wie sie ihn anschaute, hatte sie verstanden, was er ihr sagen wollte.
Er rief nach seinen Leuten: „Kommt mal alle her und schaut euch an, was wir hier gefunden haben. Außer Gilroy. Der sichert draußen.“
Zu dem Mädchen gewandt, fragte Amidou: „Wir konfiszieren, was wir gefunden haben. Gibt’s hier irgendwo einen Karren, um das Zeug abzutransportieren?“
„Ich besorg einen“, sagte sie und huschte aus dem Verschlag. Amidou sah noch, wie Gilroy den Knüppel erhob, um anzudeuten, dass er auch nachhelfen könne. Dem Jungen schien es zu gefallen, mit dem Stock zu spielen. Er hatte die richtige Einstellung: zeigen, wo es lang geht, anders geht’s nicht und manche verstanden es einfach nicht anders. Besonders Schwarze. Ist so. Kann man nicht ändern. Mag daran liegen, dass man den Schwarzen über die Jahrhunderte hinweg das Hirn aus dem Kopf geprügelt und ihnen erzählt hat, wozu sie taugen und wozu eben nicht. Es dauerte, bis sich das historische Bewusstsein der Menschen nachhaltig verändert. Wo hatte er das gelesen? Zum Glück gab es auch welche wie ihn. welche die Bücher lasen, nachdachten. Ein Wandel war möglich, so viel stand fest. Die Vernünftigen wurden mehr, diejenigen, die verstanden hatten, worum es ging, dass es im Grunde gerade jetzt um alles ging. Deshalb musste durchgegriffen werden. Was sollte Gutes daraus entstehen, wenn die Jungs tranken, rauchten, dealten, faul auf der Straße hingen und den Tag verstreichen ließen, ohne irgendetwas für die Gemeinschaft, für die Zukunft getan zu haben? Sie sollten lieber in die Schule gehen, strebsam sein. Schwer vorstellbar bei den Kerlen, auf die sie gestoßen waren, schwer vorstellbar. Als Polizisten würden sie jedenfalls nicht taugen. Vielleicht wäre ein Umerziehungslager das Richtige. Sein Vater hatte ihm Disziplin beigebracht. Sein Vater nutzte alles, was er in die Hände bekam, den Gürtel, die Fäuste, bis Amidou so weit war, dass der Vater keine Gelegenheit mehr fand und ihn finster anschaute, immer auf der Lauer, ob Amidou doch noch einen Fehler machte, eine Kleinigkeit übersah. Disziplin einfordern, gegen Faulheit und Nachlässigkeit ankämpfen, aber das war Aufgabe der Leute ganz oben. Man musste unerbittlich sein, durfte niemals nachgeben, das war sonnenklar. Das Mädchen kam mit einem Karren zurück: „Von den Nachbarn“ sagte sie. All die Bücher, die er gelesen hatte, die Berichte aus der alten und neuen Zeit, alle erzählten dieselbe Geschichte: Der Schwarze musste zum Weißen werden, um die Freiheit zu erlangen. Aber was war mit den Frauen? Konnte eine Frau zum Mann werden und wenn: was würde es ändern, wenn nicht der Mann zur Frau wird, wenn sich nicht alles vermischte? Wenn er sich allein dieses Mädchen anschaute. Warum ließ sie sich gefallen, wie er mit ihr umsprang? Sie hätte sich weigern können, ihnen zu helfen, einfach in ihre Hüte verschwinden und sich verkriechen. Warum hatte sie seine Befehle befolgt? Um die jungen Kerle zu schützen? Nur deswegen? Oder weil sie gewohnt war, zu gehorchen? Was hätte er selbst getan? Das mit den Frauen war letztlich dieselbe Geschichte wie die mit den Schwarzen. Deshalb brauchen Frauen klare Ansagen.
Wo Grace wohl gerade war, ob sie sich bei diesem Weißen rumtrieb, für den sie kochte und einkaufte? Der Kerl hatte einen Burennamen, Sommersprossen im altersbefleckten Apartheidgesicht, einer von denen, die hinter ihren hohen Mauern hockten und glaubten, die Krise einfach aussitzen zu können, weil sie ohnehin nur handverlesene Kontakte pflegten. Warum ging Grace zu ihm? Geld könnte sie auch anders verdienen. Er glaubte manchmal, die Augen seiner Frau würden ein Ticken mehr als sonst funkeln, wenn sie von Hoogstrate erzählte. Klar, der war über siebzig, aber Bedürfnisse hatten auch ältere Männer.
Amidou befahl den Leuten, die Kisten auf den Karren zu laden. Er wusste, dass es keinen Sinn machte, den Alkohol ins Revier zu bringen und in der Asservatenkammer verrotten zu lassen. Irgendeiner würde die Flaschen sowieso klauen. Oh nein, das würde er nicht zulassen. Amidou beschloss, die Beute an seine Leute zu verteilen. So funktionierte Gerechtigkeit, nicht anders. Sie könnten ein paar der Whiskeyflaschen zusammen leeren. Irgendwo gemütlich hinsetzen, gegrilltes Fleisch, etwas Bier, Whiskey. Amidou mochte es zu trinken. Andere Drogen waren nichts für ihn. Noch bevor er eine Flasche Whiskey öffnete, berauschte er sich an dem Duft aus Getreide und Benzin, der aus der Flasche strömte. Er war kein Säufer, aber wenn er trank, dann richtig, dann ohne Limit. Seine Frau sagte, dass sie überhaupt nur dann Sex hatten, wenn er ein wenig getrunken hatte. Aber das war Blödsinn.
Gilroy und Marc, die beiden jüngsten, zogen den Karren. Amidou spürte Augenpaare, die hinter den Jalousien hervorlugten, hörte wilden Rap tönen, die Beats der jungen Leute und die Trommeln der älteren, aber vor den Hütten lungerte niemand mehr herum. Schließlich beluden sie die beiden Streifenwagen. Ein guter Einsatz. Alle Ziele wurden erreicht. Sie vereinbarten auf einem Parkplatz neben dem Highway anzuhalten, um die Verteilung der Beute zu besprechen. Sie hatten noch genügend Adrenalin, um währenddessen die Songs mitzugrölen, die im Radio liefen. Amidou dachte für einen Augenblick daran, jetzt schon eine Flasche zu öffnen, verwarf den Gedanken aber und schlug Gilroy auf die Schultern, sagte ihm, das wäre jetzt wie ein Einweihungsritual gewesen. Jetzt sei er erst ein richtiger Polizist und das nächste Mal würde er noch cooler und abgeklärter an die Sache gehen.
Auf dem Rastplatz stand nur ein einzelner Truck, von dem Fahrer war keine Spur zu sehen. In den Schlaglöchern sammelte sich rosarotes Wasser. Aus der Ferne sah man Dunst über der Stadt. Sie stellten sich so hin, dass sie jeden, der sich hierher verirrte, verscheuchen könnten. Hier draußen war es heißer als im Township. Die Sonne brannte so unerbittlich, dass sich auf Amidous Hemd Schweißflecken bildeten. Auf dem Asphalt und zwischen den vertrockneten Gräsern am Rande waren Plastiktüten, Zigarettenkippen, gebrauchte Kondome, Babywindeln verstreut. Die Mülleimer quollen über. Die Männer bildeten einen Kreis um den Kofferraum von Amidous Streifenwagen und begutachteten die Beute. Genug für alle. Sie zählten die Flaschen ab, bis jeder zufrieden strahlte und Amidou das Wasser im Mund so heftig zusammenlief, als könne er jetzt schon den scharfen Alkohol die Kehle herabfließen lassen.
„Jungs. Ich werde einen Bericht schreiben, in dem steht, dass wir ein paar jungen Kerlen einen Platzverweis gegeben haben, aber alles ohne besondere Vorkommnisse ablief“, sagte Amidou, gab jedem einzelnen die Hand und klopfte ihnen auf die Schultern. Nur zur Sicherheit. Keiner würde plaudern. Verräter lebten gefährlich. Klar, die Leute, denen die Kartons gehörten, könnten auf der Wache erscheinen und eine Anzeige aufgeben. Na und? Alles Mögliche kann spurlos verschwinden.
Paul wohnte nicht weit vom Revier entfernt in einem Flachbau. Seine Frau verkaufte vor dem Haus Gemüse und Obst. Die Geschäfte liefen ganz gut. Trotz der Seuche. Sie trugen die Beute hinters Haus, wo Mary die Obstkisten stapelte und ein paar Blumenstauden wuchsen, deren Samen aus Europa stammten und keiner so recht sagen konnte, wie der Namen der Blumen lautete. Rosen waren es keine. Mary legte einem alten Mann eine Tüte mit Maracujas in seinen Korb. Er trug als Mundschutz einen Schal, der beinahe sein ganzes Gesicht verdeckte und die abstehenden Ohren grotesk betonte, sodass er wie eine in die Jahre gekommene Micky Maus aussah. Mary schaute für einen Moment etwas verwirrt, als sie Paul mit seinen Kollegen die Kartons hinters Haus schaffen sah. Paul flüsterte ihr etwas zu und sie nickte. Der Micky-Maus-Mann zog ab, als er die Polizisten sah.
Auf dem Revier ging’s hektisch zu. Wie immer. Uniformierte liefen hin und her, andere saßen vor Computern und tippten schwerfällig darauf herum. WLAN gab’s keins. Wozu auch. Die Einsatztruppe wurde mit Kopfnicken und Gemurmel begrüßt. Amidou ging sofort den Flur entlang nach hinten, wo sich das Büro des Bosses befand. Die Tür stand offen und Chief Mbembes Glatze leuchtete ihm entgegen. Er stammte aus Johannesburg und hatte Beziehungen nach ganz oben.
„Ich schreib den Bericht gleich morgen früh. War alles in Ordnung. Ein paar jungen Leute mussten wir Platzverweise erteilen. Sonst war alles ruhig.“
„Gute Arbeit. Ärger haben wir zurzeit genug. Was ist mit Gilroy?“
„Ziemlich cooler Junge. Hat sich bewährt.“
„Gut zu wissen. Jetzt raus hier! Feierabend für sie und ihre Truppe, Amidou!“
„Klar, Chef.“
Amidou wischte sich den Schweiß von der Stirn und ging zu den anderen zurück. Sie stiegen zusammen die Treppe nach unten, wo die Spinde waren. Paul sah mit Jeans und kariertem Hemd noch mehr nach einem alten Mann aus. Amidous T-Shirt betonte seine Muskeln. Gilroy zog sich die rote Jogginghose über die Schenkel und sah lässig aus.
Als Amidou bei Paul ankam, fuhren zwei der Leute seiner Truppe gerade in einem alten Opel weg und winkten ihm zu. Er holte sich seinen Anteil, kaufte ein paar Mangos und grinste Pauls Frau an. Auf der Heimfahrt ließ er das Fenster geschlossen und drehte die Musik auf: Beyoncé sang Black Parade:
Ooh, motherland, motherland, motherland, motherland drip on me
Eeya, I can't forget my history is her story, yeah
Being black, maybe that's the reason why they always mad
Yeah, they always mad, yeah
Been passed 'em, I know…
Amidou mochte die Vibes, aber was wussten die Black People in Amerika schon von Afrika.
Zu Hause angekommen, nahm er Grace in die Arme und drückte sie fest an sich Er spürte die Wölbungen des Bauches. Grace hatte die Zöpfchen so fest gedreht und die Strähnen so sorgfältig geteilt, dass man die Kopfhaut durchsah.
„Wie war dein Tag?“, fragte sie ihn.
„Frag nicht.“
„Hoogstrate hat mir Blumen geschenkt.“
„Spinnt der?“
„Er wollte nur freundlich sein, Amidou.“
„Freundlich?“
„Ja. Er meinte, dass er meine Arbeit sehr schätzt. Besonders jetzt.“
„Und deshalb schenkt er dir Blumen? Hast du was mit ihm, mm?“
„Mach dich nicht lächerlich, Schatz.“
„Die Weißen stehen auf schwarze Hintern.“
„Seine Frau ist vor fünf Jahren gestorben. Er hat überall Bilder von ihr aufgestellt.“
„Hast du was mit ihm, Grace?“
„Nein.“
„Wo ist der Strauß?“
„Was hast du vor?“
„Ich bring ihn dem Kerl zurück.“
„Spinn doch nicht, Amidou.“
„Ich kann meiner Frau selbst Blumen kaufen. Dafür brauche ich keinen weißen Arsch.“
„Hör auf, Amidou. Warum sollte ich die Blumen nicht behalten?“
„Ich fahr da jetzt hin!“
„Komm schon. Schatz.“
„Ich fahr da jetzt hin!“
„Dann komme ich mit.“
„Oh nein, du bleibst schön hier. Ist Männersache, was ich mit dem Kerl besprechen muss.“
Amidou verriegelte die Beifahrertür, als Grace zu ihm ins Auto steigen wollte und fuhr los. Er kannte den Weg, hatte seine Frau oft genug abgeholt und den alten Mann gesehen. Einmal hatte er sogar ein paar Worte mit ihm gewechselt. Ein aus der Zeit gefallener, einsamer Kerl eben, hatte er gedacht. Aber das waren die Schlimmsten, von denen durfte man sich nicht einwickeln lassen, besonders wenn es Weiße waren. Wenn passiert war, was er befürchtete, wär’s nicht Graces Schuld. Sie hatte ein weiches Herz. Er würde sie nicht schlagen, brächte er gar nicht übers Herz, aber der Dreckskerl musste büßen, wenn. Ein paar Tränen liefen ihm über die Wangen, als er im Rückspiegel Grace sah, die ihm hinterherschaute. Vielleicht war auch gar nichts dran. Er hoffte es. Einen Polizisten log man nicht an. Er musste Hoogstrate nur in die Augen schauen, dann wäre alles klar. Natürlich war er eifersüchtig. Welcher Mann mochte es schon, wenn die eigene Frau von anderen abgescannt wurde oder wenn einer die Finger nicht bei sich behalten konnte. Eifersucht war ein unzulänglicher Begriff, wenn es um Liebe ging, echte, wahre Liebe. Amidou berührte den Schlagstock, der gleich hinter dem Sitz lag. Das Gummi war ein wenig abgegriffen, aber er lag gut in der Hand.
Er fuhr aus dem Township heraus auf den Highway, nahm die erste Ausfahrt. Dort standen Villen hinter Mauern, deren Kamm mit Stacheldraht abgesichert war. Davor standen Zedern. Bei den meisten suchten Kameras die Umgebung ab und ein paar wurden von Sicherheitsleuten bewacht, die in einem Verschlag vor dem Eingang auf Besucher warteten. Hoogstrates Anwesen gehörte zu den kleineren. Die Mauer sah verblichen aus, graubefleckter Stein. Amidou stieg aus, befestigte den Schlagstock am Gürtel, nahm den Blumenstrauß und zog eine Flasche Whiskey aus einem der Kartons im Kofferraum. Die Kamera surrte, um den Besucher genau in Augenschein zu nehmen, als er klingelte.
Kurz darauf hörte er eine Stimme, die brüchig klang, gefolgt von einem Husten: „Was kann ich für Sie tun?“
Amidou hasste Höflichkeitsfloskeln: „Ich bin der Mann von Grace und wollte Ihnen ein paar Sachen vorbeibringen.“ Amidou hielt die Blumen und die Flasche zur Kamera hin.
„Gut, junger Mann. Aber ehrlich gesagt passt es gerade nicht so. Würde es Ihnen etwas ausmachen ein anderes Mal wiederzukommen oder die Sachen einfach vor der Tür abzulegen?“
„Ich geb’s Ihnen lieber persönlich, dann geht es nicht verloren.“
„Ich bin ein wenig krank, wissen Sie?“
„Macht nichts. Nur eine Minute.“
„Na gut. Ich öffne Ihnen. Einfach durch den Garten.“
Im Garten blühten Lilien in blau, rotblättrige Königsproteen streckten ihre Dolden der Sonne entgegen. Die Tür öffnete sich einen Spalt breit. Die Glatze des alten Mannes wirkte so zart. Er stützte sich auf einen Stock und hatte einen Schal über das Gesicht gestreift. Amidou fiel sein Vater ein, der an der Grenze im Norden in einem kleinen Dorf wohnte und sein Leben lang nicht nach Kapstadt gefahren war, dieselbe Gestalt, wie ein Ast, der vom Wind gebogen worden war.
„Hier sind die Blumen, die Sie meiner Frau geschenkt haben. Wir brauchen keine Blumen von Ihnen.“
„Das war ein Abschiedsgeschenk.“
„Wieso das denn?“
„Ich wollte es Ihrer Frau nicht sagen. Aber ich habe immer Mundschutz getragen und Abstand gehalten. Meistens war ich in einem anderen Zimmer, wenn sie aufgeräumt hat.“
„Sie meinen, Sie haben ...?“
„Mich hat’s erwischt. Fieber, Kopfschmerzen und ich rieche den Duft der Blumen im Garten nicht mehr. Ich werde Ihrer Frau noch das Geld für ein paar Monate zukommen lassen.“
Amidou erschrak. Im ersten Moment spürte er die Wut wieder in sich hochkochen, fragte sich, ob der alte Mann Grace in Gefahr gebracht hatte. Dann schaute er Hoogstrate an. Wenn ein Zweig mürbe war, brach er irgendwann. Seine Augen strahlten einen matten Glanz aus. Amidou nestelte an seinem Gürtel, hoffte, dass der Stock nicht allzu sichtbar war. Den Mundschutz hatte er im Auto vergessen.
„Sie müssen ins Krankenhaus!“
„Die nehmen keine alten Leute. Außerdem gehe ich nicht in die Klinik.“
„Warum?“
„Da ist man verloren, kommt nie wieder raus.“ Der alte Mann hustete heftig und wandte sich von Amidou ab.
Amidou überlegte: „Haben Sie Verwandte?“
„Leben in Europa und melden sich an Weihnachten.“
Amidou zog das Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seiner Frau. Das Band sprang an: „He, Liebling. Ich bin bei Hoogstrate. Ich fahre ihn ins Krankenhaus, er hat Fieber und so. Weiß nicht, wann ich zu Hause bin. Mach dir keine Sorgen. Ich liebe dich!“
Amidou half Hoogstrate ein paar Sachen einzupacken. Alte Männer stecken junge nicht an. Im Krankenhaus benutzte er Uniform und Dienstausweis, berief sich auf Gesetze, die er sich ausgedacht hatte, überreichte dem Arzt, der in Seuchenmontur wie ein außerirdisches Wesen aussah, eine Flasche Whiskey, die er in Papier eingewickelt hatte, während Hoogstrate ein paar Scheine aus dem Portemonnaie zog. Amidou wartete so lange, bis der alte Mann auf dem Krankenbett lag, mitsamt übergestülptem Sauerstoffgerät.
Auf dem Weg zum Auto spürte er den zarten Wind, der vom Meer her wehte und sog die Luft ein. Er wollte gleich morgen wiederkommen und Grace mitnehmen.