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Blind Date
„Hallo, ich bin Anna.“ Ich reiche ihm die Hand und setze mich.
„Sehr erfreut Sie kennen zu lernen, Anna“, spricht er charmant, umrahmt von einem warmen Lächeln, „schön, dass Sie heute Zeit für mich haben.“
Wir sitzen uns gegenüber und er schaut mich an.
„Einen sehr hübschen Pullover tragen Sie.“
Ich schaue an mir herunter, als wüsste ich nicht, was ich anhabe, dabei hat die Auswahl der Kleidung den halben Tag beansprucht. Es ist ein einfacher, schwarzer Wollrolli, nichts Aufregendes.
„Vielen Dank. Ich mag ihn sehr, wissen Sie.“
„Er steht Ihnen sehr gut.“
„Danke“, wiederhole ich mich verlegen.
„Wissen Sie, Anna, ich selbst habe es ja nicht so mit Sachen.“
Ich begutachte sein Hemd, ebenfalls nichts Aufregendes, aber auch kein Zeichen schlechten Geschmacks. Der Rest hält sich unter dem Tisch verborgen. Tief in mir hoffe ich, er möge keine orangekarierte Hose und grüne Schuhe tragen.
„Wie meinen Sie das? Sie haben es nicht so mit Sachen?“
„Ich habe zum Beispiel nur zwei Jeans. In denen fühle ich mich sehr wohl. Wohlfühlen ist wichtig, Anna. Deshalb ersetze ich auch eine kaputte immer durch die gleiche Marke.
„Ah“, sage ich und denke an den Haufen Kleidung, der sich auf meinem Bett stapelt.
Die Bedienung kommt an den Tisch und fragt nach unseren Wünschen.
„Oh, ich habe noch gar nicht ...“, ich greife zur Karte. „Wenn Sie vielleicht noch mal ...“
„Wie wäre es mit einem einfachen Kaffee bei Ihnen?“
„Ja, Kaffee ist gut. Einen Milchkaffee.“
„Zwei Kaffee für uns bitte, keinen Milchkaffee.“
Ich blicke ihn fragend an.
„Der Milchkaffee ist über einen Euro teurer als der normale Kaffee, wussten Sie das?“
Nein, das wusste ich nicht. Aber es kommt mir jetzt auch nicht ungewöhnlich vor.
„Dabei ist es nur ein Schluck Milch mit heißer Luft“, zufrieden lächelt er seinem Spiegelbild in der Fensterscheibe zu, als hätte er mir gerade das Leben gerettet.
„Wissen Sie, Anna, man muss heutzutage sehr aufpassen.“ Sein Lächeln ist dem Ernst des Lebens gewichen. „Dass man nicht über den Tisch gezogen wird.“ Der mahnende Zeigefinger unterstützt die Schwerlast seiner Aussage.
Als der Kaffee kommt, nimmt er das beiliegende Zuckertütchen und steckt es in die Tasche.
Dann beobachtet er sich beim Trinken und schweigt.
Ich schiebe meinen Zucker zu ihm hinüber und verabschiede mich.
Ein paar Ecken weiter bestelle ich mir einen Kaffee mit Milch und heißer Luft.