Blutopfer
Blutopfer
Drei, vielleicht vier Monate verbleiben ihr noch, sagen die Ärzte. Sie meinen, wir sollen die letzten gemeinsamen Wochen genießen. Noch so viele schöne Stunden wie möglich miteinander verbringen. Sie sagen, sie hätten alles in ihrer Macht stehende für sie getan. Sie könnten ihr nicht mehr helfen.
Ich nehme sie mit nach Hause in die Wohnung. Sie soll nicht im steril unpersönlichen Krankenhaus sterben müssen.
Sie ist so schwach und liegt nur im Bett. Dabei ist sie so entsetzlich fahl. Wie das Laken, auf dem sie liegt.
Sie versucht zu lächeln. Doch es ist nur eine entstellte Grimasse.
Ich lasse sie nicht sehen, wie ich weine. Sie soll nicht auch mein Leid noch ertragen müssen.
Es kann nicht sein! Sie darf nicht sterben. Sie darf mich nicht verlassen. Nicht so.
Sie zerfällt vor meinen Augen und ich kann nichts tun. Der Krebs wuchert in ihr. Zerfrisst sie. Zehrt sie aus.
Ich versuche ihr Trost zu spenden und ihr Halt zu geben. Doch meine Kraft geht zuneige.
Warum? Was haben wir getan, um so gestraft werden. Sie ist doch noch so jung.
Ich treffe mich mit einem Freund aus Studienzeiten. Mittlerweile Professor der Medizin. Möglicherweise weiß er Rat. Vielleicht kennt er die Rettung. Ich will alles Erforderliche tun. Was es sei.
Doch auch er enttäuscht mich.
Nach der Diagnose der Kollegen ein aussichtsloser Fall, ist seine Feststellung. Die Medizin ist einfach noch nicht so weit, meint er.
Die letzten Hoffnung entgleitet meinen Händen. Alles verloren.
Ihr Tod unabwendbar. Ich liebe sie doch so sehr.
Eines kann ich noch für euch tun, sagt er und schiebt mir einen Zettel mit einer Adresse zu. Es kann sein, dass man euch dort helfen kann. Es ist nicht wissenschaftlich. Aber bei deiner Verzweiflung. Und wenn ihr bereit seid, etwas außergewöhnliches zu versuchen.
Alles will ich versuchen.
Ich tue es und gehe hin. Eine alte, grauhaarig runzlige Frau empfängt mich. Ich schildere ihr alles. Sie nickt und versteht.
Und sie weiß Rat. Ich werde euch helfen, wispert sie. Mit seinem Beistand kann ich deine Frau retten. Doch es wird dich einiges kosten.
Geld spielt keine Rolle, sage ich.
Ich rede nicht von Geld. Geld hat er genug. Und ich auch, meint sie.
Er will etwas ganz anderes. Etwas, wovon er nie genug bekommen kann.
Sie gibt mir einen schwarzen Dolch.
Sieben Leben. Sieben Leben will er für das Leben deiner Frau.
Ich zucke zusammen. Sie grinst gelbzähnig.
Du willst sie doch retten. Erlöse sie von ihrem Leid.
Wer ist er, frage ich. Sie schweigt. Ich gehe.
Tagelang trage ich den Dolch bei mir. Doch ich finde keinen Mut.
Dann wird es schlimmer. Meine Liebste leidet Qualen. Die Schmerzen lassen sie stöhnen. Die Spritzen helfen kaum noch. Ihr Zimmer riecht nach Sterben und Tod.
Das erste Mal fällt mir noch schwer. Es widert mich an und ich ekle mich vor mir selbst.
Doch schnell wird es besser. Man kann alles ertragen und sich an alles gewöhnen.
Ich nehme Penner. Die vermisst niemand. Und meist sind sie zu betrunken, um sich zu wehren.
Meine Liebe schläft viel. Aber ich glaube, es geht ihr schon besser. Sie bekommt wieder Farbe im Gesicht.
Nach dem Fünften steht sie zum ersten Mal wieder aus dem Bett auf.
Wir werden es schaffen. Ich kann meinen Schatz retten. Ich liebe sie. Sie wird leben.
Nach dem sechsten geht sie wieder vor die Tür.
In der Nacht ziehe ich wieder los. Richtung Bahnhof. Dort werde ich einen finden.
Dann ist der Durst des schwarzen Stahls gestillt.
Tatsächlich. In einer dunklen Ecke liegt ein Opfer.
Nur für dich mein Liebling.
Ich schleiche mich an. Er bemerkt mich nicht. Er stinkt nach Schnaps und Nikotin.
Ich ziehe den dunklen Dolch aus meinem Mantel.
Noch eine Kehle durchtrennen und sie ist erlöst. Noch ein wertloses Leben opfern, um ihr kostbares Leben zu retten.
Nur noch ein kurzer Schnitt. Ich setze die Klinge an.
Dann der Schrei.
Halt! Keine Bewegung, tönt es.
Die Polizisten haben ihre Waffen gezogen und zielen auf mich.
Nicht jetzt! Nicht so kurz vor dem Ziel.
Der Penner ist erwacht und torkelt davon. Mit ihm die Hoffnung auf ihre Erlösung.
Das Messer weg und die Hände hoch, schreien die Männer.
Warum nicht nur einen Tag später? Dann wäre es vollbracht und sie gerettet. Nur ein Leben fehlt noch.
Nochmal schreien die Männer. Sie kommen näher. Meine Gedanken rasen.
Alles verloren. Alles umsonst.
Schwer liegt das Messer in meiner Hand.
Mein Engel!
Ich bin schnell. Schneller als sie.
Mit aller Kraft ramme ich den Dolch in meine Brust.
Ich lächle, während ich zu Boden gehe.