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Bobs Frühling
Bob sprang aus seinem Multifunktionssessel und lief zur Tür, mit einer Beweglichkeit, die er vor langer Zeit das letzte Mal gespürt hatte. Endlich war sie da. Cindy. Der neueste Gesellschaftsroboter.
Drei Wochen lang Prospekte analysieren, über die Vor- und Nachteile von langen Haaren nachdenken, sorgfältig den Umfang der Oberweite und die Proportionen der Beine abwägen, die Augenfarbe, Lippenform, Nasengröße, Schuhgröße und andere Parameter bedenken, die er inzwischen wieder vergessen hatte, das alles war in sein Projekt des Jahres, vielleicht sogar seines Lebens geflossen.
Bob war die Lust auf echte Frauen endgültig vergangen, nachdem seine Chatpartnerin Luisa ihr Bild geschickt hatte und nicht das ihres Avatars. Er könnte sich heute noch übergeben, wenn er daran dachte, an den Sex mit dieser Person, diesem Etwas, der natürlich nur virtuell über den Sensor-Vibrator-Anzug 2000 geschehen war, denn allein der Gedanke an den Austausch echter Körperflüssigkeiten führte zu einer Art Schockstarre, aus der er nur erwachte, wenn Malcom, sein aktueller Haushaltsroboter, ein Antitraumamittel spritzte.
Malcom war eine gute Investition, über die er sich fast täglich freute, und die ihm vor Kurzem wieder einmal das Leben gerettet hatte, nachdem Bobs Herzattacken in letzter Zeit häufiger wurden. Es war weise gewesen, Malcom mit der Medizinausstattung 5.0 zu kaufen, auch wenn er dafür sein Haus verkaufen musste und schweren Herzens in das altersgerechte Appartement Zen im Tower der kinderlosen über Achtzigjährigen gezogen war.
Die Wohnung war winzig, ohne Balkon, geschweige denn mit Garten, aber der integrierte Wandschrank mit der Ladefunktion für Haushaltsroboter und die maßgefertigte Küche überzeugten Bob damals. Seit dem Einzug war er kein einziges Mal an der frischen Luft gewesen. Und das war inzwischen über drei Jahre her.
Für ihn als Ingenieur, der praktisch sein ganzes Leben mit der Entwicklung von Robotern verbrachte, war das die ideale Umgebung. Das dachte Bob zumindest anfangs, aber seit einer Weile fühlte er sich einsam. Trotz des anhaltenden Ekelgefühls fehlten ihm die langen Gespräche mit Luisa, die Momente, in denen sie virtuell ihre Lieblingsserie gemeinsam ansahen. Das Lachen. Er konnte es noch hören. Es war zwar manchmal schrill, aber auch warm und herzlich.
Die einzigen Geräusche, die Bob jetzt umgaben, waren die von Malcom. Sein Kettenantrieb quietschte schon eine ganze Weile, aber Bob konnte sich nicht aufraffen, ihn zu ölen. Wozu auch? Im Labor hatte immer irgendetwas gequietscht. Es störte ihn nicht und außer ihm gab es niemanden hier.
Bob schlich um das Paket, das der Postbot mitten im Raum platziert hatte und sagte zu Malcom:
»Öffne das Paket.«
»Okay.« Malcom fuhr eine kleine Schere aus seinem Multifunktionsarm heraus und zerschnitt den Klebstreifen oben auf der Verpackung.
Bob stand neben Malcom, leicht nach vorne gebeugt, um sicherzugehen, dass Malcom nichts beschädigte. Er schüttelte den Kopf. »Alles Hightech, aber das verdammte Paketklebeband gibt es immer noch.«
»Okay«, tönte Malcom.
»Bist heut wieder super gesprächig, was?«
»Soll ich das neue Gesprächsprogramm laden?«
»Mach endlich die Kiste auf!«
»Kiste. Okay.«
Malcom fuhr die kleine Schere ein und rollte rückwärts in Richtung einer Holzkiste, in der Bob Erinnerungen aus seinem Haus aufbewahrte.
Bob hob die zittrigen Hände und fuchtelte mit ihnen, als ob er einen Schwarm Bienen verscheuchen wollte. »Das Paket sollst Du öffnen. Paket!«
Malcom drehte um und fuhr quietschend in Richtung Paket zurück, blieb aber an einem Hausschuh hängen, den Bob am Morgen nach Malcom geworfen hatte. Nach einem langwierigen Ausweichmanöver war Malcom am Paket angelangt, das ungefähr einen halben Meter hinter dem Schuh lag. Die Schere fuhr diesmal langsamer aus und kurz bevor sie ihre Endposition erreichte, fing auf Malcoms Oberseite ein kleines oranges Licht an zu blinken.
»Batterietest. Berechne Restenergie. Energie reicht nicht zum Öffnen des Pakets. Kehre in Ladestation zurück.«
Bob schnaufte, beugte sich nach unten, schnappte den Hausschuh und warf ihn mit aller Kraft hinter Malcom her, der allerdings im Wandschrank verschwunden war, bevor ihn der Schuh erwischen konnte.
Nach längerer Suche in der Holzkiste fand Bob schließlich das Schweizer Armeemesser seines Großvaters, mit dem dieser angeblich eine selbst gefangene Forelle zerlegt hatte. ›In einem Fluss? Kannst du dir das vorstellen?‹, hatte er Luisa ungläubig erzählt und Luisas Avatar, eine dunkelbraune, schlanke, asiatische Schönheit in den Zwanzigern, riss ihre Mandelaugen so weit auf, dass Bob für einen Moment glaubte, in ihre Seele blicken zu können. Bob musste über sich selbst lachen. Als ob ein Avatar eine Seele hätte.
Die Klinge des Messers war rostig, aber scharf genug für das Klebeband. Bob setzte sich mit knackenden Knien neben das Paket. Es kam ihm wie sein erster Schultag vor. Freudig erregt, aber doch ein wenig ängstlich, wie die Klassenkameraden sein werden.
Endlich. Das Paket war offen, die oberste Schicht Styropor entfernt, die Plastikfolie abgezogen. Er stand auf. Da lag seine Cindy. Die Mandelaugen offen, das braune Haar schulterlang. Glatte Haut, volle Lippen. Nur das Kinn, das gab es einfach nicht mit dieser neckischen Zuspitzung, wie es bei Luisas Avatar der Fall war. Bob strich mit seinen faltigen Fingern über Cindys Wangen und knetete die Brüste. Wow, was das wohl für ein Material ist? Da haben die echt Fortschritte gemacht.
Die Betriebsanleitung brauchte Bob nicht.
»Cindy! Aufwachen!«
Nichts passierte.
»Cindy! Aufwachen!«, rief Bob energisch.
Malcom piepste und fuhr aus der Ladestation: »Bob. Bitte hinsetzen. Der Blutdruck ist zu hoch.«
»Ich bin kein Kind.«
»Nein, Bob. Bitte hinsetzen. Der Blutdruck ist zu hoch.«
»Geh mir aus dem Weg.«
Bob schnappte die Betriebsanleitung und begann zu lesen, während Malcom zum Medizinschrank fuhr. Für die Inbetriebnahme las Bob, als er einen Schmerz im Hintern spürte und kurz aufschrie: »Verdammt! Malcom! Muss das sein?«
»Bob. Bitte setzen. Blutdruck zu hoch. Die Spritze sollte gleich helfen.«
Bob ließ sich mit einem Seufzer in den Multifunktionssessel fallen. Er blickte aus dem Panoramafenster und die Augen sprangen von einem Hochhaus zum nächsten, während er mitzählte und mit der rechten Hand an dem Medizinarmband spielte, das alle wichtigen Körperparameter überwachte. Als er bei dem zweiunddreißigsten angelangt war, sagte Bob: »Blutdruck wieder normal.«
»Na dann. Malcom, verbinde dich mit Cindy!«
»Verbindung nicht möglich. Benötige Update.«
»Dann mach das verdammte Update.«
»Update nicht möglich. Updateserver vorübergehend nicht erreichbar.«
Bob rollte die Augen und schnaufte tief durch: »Hauscom. Aktiviere Pairing mit neuem Gerät Cindy.«
»Benötige Retinascan.«
Aus dem Multifunktionssessel fuhr eine Scaneinheit heraus und schob sich langsam vor Bobs Auge. Er versuchte, still zu halten, hielt die Luft an, aber sein Lid zuckte.
»Bitte nicht blinzeln. Starte Retinascan erneut.«
Seine Finger trommelten auf der Armlehne, während er die Augen aufriss.
»Pairing erfolgreich. Soll ich den Lebensfaden synchronisieren?«
»Erlaubnis gewährt, aber ohne Thema Luisa.«
»Synchronisierung läuft. Restzeit fünf Minuten.«
Wow. Wie schnell. Bei Malcom hat das fast zwei Tage gedauert. Kaum ist man drei Jahre weg, verbessert jemand drastisch mein entwickeltes Interface. Bob gähnte, versank in seinen Erinnerungen und nickte ein.
»Hallo Bob!« Er schlug schlagartig die Augen auf und zuckte zusammen, als er in zwei dunkle Mandelaugen starrte. »Ich bin Cindy. Deine neue Freundin. Was möchtest du tun?«
»Äh ...«
»Willst du etwas essen? Es ist schon spät und Malcom hat das Abendessen zubereitet. Ich leiste dir gerne Gesellschaft.«
Bobs Mund stand offen. Er starrte in ihre Augen und suchte nach etwas Elektronischem, nach einer LED, einem Chip, irgendetwas Künstlichem, aber es war nichts zu sehen, nur dunkle Pupillen, dunkelbraune Iris und weiße Augäpfel, in denen sogar kleine rote Adern verliefen. Sein Blick wanderte abwärts, zu den rot geschminkten, vollen Lippen, glitt übers Kinn, stieg den Hals hinab, umrundete die Brüste und wogte kurz synchron mit dem atmenden Brustkorb, suchte den Bauchnabel unter dem enganliegenden Oberteil, folgte der Rockfalte zwischen den Oberschenkeln und tastete die schwarzbestrumpften Beine bis zu den Stöckelschuhen ab.
Ein Spuckefaden hing an Bobs Mundwinkel.
Malcom piepste. »Bob. Der Blutdruck ist zu hoch.«
»Lass ja die Spritze im Schrank! Wir haben eine Lady im Haus. Aber was für eine!«
»Das ist aber ein schönes Kompliment, Bob. Dein Blutzuckerspiegel ist niedrig und dein Herzschlag schnell. Du solltest etwas essen. Ich möchte dir Gesellschaft leisten.«
»Hast du gehört Malcom? So spricht man mit mir. Also. Essen. Was gibt es?«
Cindy saß auf einem Holzstuhl, den Bob direkt neben seinen Multifunktionssessel gestellt hatte, damit sie abends gemeinsam Filme ansehen konnten. Nach der anfänglichen Euphorie, in der Bob fast den ganzen Tag mit Cindy gesprochen und sich gefühlt hatte wie ein Teenager, waren die Gespräche immer wortkarger geworden. Bob starrte auf das Panoramafenster, das auch als Bildschirm für einen Kinofilm diente. Irgendeiner flog mit einem Minijet durch eine Stadt und jagte einen Bösewicht. Denen fällt nichts Neues mehr ein.
Bob drehte den Kopf zur Seite und ließ seinen Blick auf Cindys Oberschenkeln ruhen. Er hatte einen extra kurzen Rock liefern lassen und am Rocksaum blitzte die Spitze ihrer halterlosen Strümpfe hervor. Warum eigentlich nicht?
Er ging zur Holzkiste, kramte zwischen den Sachen herum und fand schließlich eine zerdrückte Papppackung für Medikamente, zog an dem Tablettenstreifen, drückte eine kleine, blaue Tablette heraus, schluckte sie gierig und setzte sich wieder in den Multifunktionssessel. Es dauerte nicht lange. Bob grinste, drehte den Kopf zu Cindy, die immer noch auf den Film starrte. Er legte seine Hand auf ihren Oberschenkel und streifte sanft die Innenseite.
»Komm!«
Cindy stakste ungelenk in den Stöckelschuhen hinter ihm her.
»Setz dich!«
Cindy setzte sich neben ihn. Bob zog die Hose aus und warf Cindy auf den Rücken. Ungeduldig riss er das teure bisschen Stoff zwischen ihren Beinen runter, legte sich auf sie und versuchte einzudringen. Es ging nicht.
»Für Geschlechtsverkehr wird das Gleitmittel B-23 benötigt«, sagte Cindy.
»Malcom! Bring das B-23-Zeug!«
Bob lag neben Cindy, lauschte dem Quietschen und schnaufte tief durch, als Malcom endlich näherkam.
Das Gleitmittel roch nach Desinfektionsmittel. Er legte sich wieder auf sie. Ganz schön weit. Sein Becken ging auf und ab, während Malcom zurück zur Ladestation quietschte. Cindy starrte an die Decke. Bob schwitzte und ihm wurde schwarz vor Augen. Schließlich rollte er sich auf den Rücken.
»Setz dich drauf!«
»Worauf soll ich mich setzen, Bob?«
Kopfschüttelnd zeigte Bob mit beiden Händen auf sein Glied, das tablettengestählt emporstand.
»Dafür ist das Standard-Geschlechtsverkehr-Programm nicht ausgelegt.«
»Dann eben von hinten.«
»Wie geht von hinten?«
»Du musst dich hinknien.«
Cindy kniete sich hin. Ihre Oberschenkel hatte er extra lang bestellt. Zu lang. Bob packte die Wut. Er hielt sich an Cindy fest, zog sich ein wenig hoch und stieß so kräftig er konnte. Sein Glied schmerzte und trotzdem drang er nicht ein.
»Mach dich ein wenig kleiner!«, ächzte Bob.
»Dies ist bei der gewählten Beinlänge nicht möglich«, sagte Cindy.
Bob schrie kurz auf und bekam plötzlich keine Luft mehr. Malcom fing an zu piepsen und fuhr schnell los.
Das erste, was Bob wahrnahm, als er wieder zu sich kam, war ein Medbot, der surrend in dem Gang vor dem Krankenhausbett entlangfuhr. Auf kurzer Distanz hing ein riesiger Monitor, der seinen Namen zeigte. Plötzlich erschien ein Livestream.
»Guten Tag, Bob Brandt! Schön, dass Sie aufgewacht sind. Sie hatten einen kleinen Herzinfarkt. Nichts Schlimmes. Wir haben das im Griff. Wie fühlen Sie sich?«
»Ganz gut, denke ich«, nuschelte Bob.
»Schön. Sie bekommen einen neuen Medikamentenplan. Den schicken wir an Ihren Hauscom. Außerdem sollten sie ein Fitnessprogramm durchführen.«
»Fitnessprogramm? Laufen? An der frischen Luft?«
»Nein, nein. Nur ein wenig Gymnastik. Drinnen.«
»Ach so. Mir tut es auch hier weh.« Bob zeigte auf sein Genital.
»Tut mir leid. Sie haben nur die Basisversicherung. Ich bin kein Arzt und das Medprogramm ist für solche Art von Beschwerden nicht ausgelegt. Auf Wiedersehen.«
Bob starrte noch eine Weile auf den Bildschirm, bevor er versuchte, sich in eine andere Sitzposition zu bringen, was ihm aber nicht gelang. Sein Hintern schmerzte. Es fühlte sich an, als ob Malcom ihm eine ganz Armada von Spritzen gegeben hatte. Er wollte gerade zu dem Glas mit Wasser greifen, als auf dem Monitor wieder der Mann auftauchte:
»Ihre Entlassungsuntersuchung hat gezeigt, dass Sie nach Hause können. Ein Transbot kommt gleich und fährt Sie zum Taxistand vor der Klinik. Vielen Dank für Ihren Aufenthalt.«
Es war ruhig, als Bob nach Hause kam. Cindy saß neben Malcom in ihrer Ladestation. Die Augen waren geschlossen. Malcom erwachte, nahm den kleinen Koffer, den Bob vor sich gestellt hatte, und zog ihn hinter sich her zum Schrank. Bob ließ seinen Mantel fallen, schlüpfte aus den Schuhen, schlurfte die fünf Schritte zu dem Multifunktionssessel, sank erschöpft hinein und stellt das Massageprogramm auf volle Leistung. Er starrte aus dem Fenster und zählte die Wolkenkratzer. Bei Nummer zweiundvierzig kam Malcom mit einem Glas Wasser und einem Schälchen Tabletten. Bob registrierte kurz, dass es nun doppelt so viele waren wie vor dem Herzinfarkt, nahm sie ein, erhob sich und ging zur Holzkiste.
Ganz unten am Boden fand er schließlich das alte Notizblatt. Vorsichtig entfaltete er es und starrte auf die von Kinderhand gemalten Figuren. Eine blonde Frau mit Rock, ein braunhaariger Mann und drum herum drei Kinder, die zwischen gelben Blumen standen, und alle lachten.
Das Bild stammte von Louis, dem Sohn seines ehemaligen Arbeitskollegen Manuel. Der hatte tatsächlich Kinder. Drei. Das muss man sich mal vorstellen. Was das kostete. Schließlich musste Manuel für jedes Kind Strafe zahlen. Eine hohe Strafe. Sie hatten ihn alle ausgelacht, wie er so blöd sein konnte, fast sein ganzes Gehalt für Kinder auszugeben. Bob war mal bei ihm zum Abendessen. Danach musste Hellen, Manuels Frau, doch tatsächlich das Geschirr abräumen und abspülen, weil kein Geld für eine Spülmaschine übrig war. Was für eine Zeitverschwendung. Nachdem alle in der Küche zum Aufräumen waren, hatte Bob auch mitgeholfen. Er erinnerte sich, wie die Kinder gelacht hatten, als er umständlich versuchte, ein Rotweinglas abzutrocknen und mit der Hand steckenblieb. Überhaupt war die ganze Familie sehr fröhlich gewesen. Manuel strahlte morgens immer, wenn er mit dem Fahrrad ins Labor kam, während Bob missmutig aus seinem autonom fahrenden Miniflitzer stieg. ›Was für ein schönes Wetter, ist das nicht herrlich?‹, sagte Manuel immer, egal ob es regnete oder die Sonne schien. Auf Louis’ Bild war auch Bob gemalt, ein wenig entfernt von der Familie. Wenn man genau hinsah, konnte man bei ihm eine Andeutung eines Lächelns erkennen. Bob starrte lange auf das Bild und es wurde ihm bewusst, dass ihn außer Manuels Familie nur Luisa zum Lächeln gebracht hatte.
»Zeit für deine Gymnastik, Bob«, sagte Cindy hinter ihm. Er drehte sich rum und starrte auf ihre Oberschenkel. Etwas Hautfarbenes lugte ein Stückchen unterm Rocksaum hervor.
»Was ist das?« Bob schob den Rock langsam nach oben.
»Das ist das Ergebnis einer Fehlfunktion im Reinigungsprogramm.«
»Was für ein Reinigungsprogramm?«
»Aus hygienischen Gründen ist nach jedem Geschlechtsverkehr eine Reinigung erforderlich. Malcom hat das Reinigungsprogramm durchgeführt. Aber Malcom hat einen Defekt.«
»Was für ein Defekt, Malcom?«
»Rohrreinigungsaufsatz defekt«, antwortete Malcom.
Bob erinnerte sich. Malcom hatte vor einiger Zeit den Duschablauf mit dem Rohrreinigungsaufsatz gereinigt. Er hätte diesen Aufsatz säubern müssen. Das war ihm aber zu eklig gewesen.
Er ahnte Schlimmes. Langsam schob er den Rock weiter hoch und zum Vorschein kam ein Gemisch aus Haaren, zerfetzten Hautimitaten und einer schmierigen, glibberigen Masse, die eindeutig aus dem Duschabfluss stammte und von der Stelle tropfte, an der einmal Cindys Vagina war. Es blitzten Teile von Cindys Becken hervor, das aus einer neuartigen und silbrig glänzenden Legierung gefertigt war. Bob atmete tief ein, doch der Gestank, den dieses haarige, schmierige Etwas verströmte, ließ die Tabletten wieder hochkommen und er übergab sich auf Cindys Schuhe.
Malcom hatte ganze Arbeit geleistet und alles wieder saubergemacht, sogar die Schuhe. Cindy saß fast nackt neben ihm. Rock und Strümpfe stanken so sehr, dass er sie wegwerfen musste. Die Hautimitate hatte Malcom mit seiner Multifunktionsschere sauber abgetrennt, sodass anstelle von Cindys Vagina ein faustgroßes Loch den Blick auf Drähte, Stäbe und Hydraulikelemente freigab. Cindy starrte auf den Panoramabildschirm, der den Wetterbericht zeigte. ›Morgen sonnig und Temperaturen um die 25 °C.‹
»Das wird echt schön morgen, Bob. Da können wir den ganzen Tag hier sitzen und nach draußen schauen.«
Bob sah auf den Boden. Aus dem Fenster starren. Wie Gregor, drei Wohnungen weiter. Der hatte auch nur noch aus dem Fenster gestarrt. Und dann? Dann hat er sich von seinem Haushaltsroboter die Spritze geben lassen. Diese verdammte Spritze, die jeder bekam, der über achtzig war, wenn er sie wollte. Von wegen wollen. Eigentlich wurde erwartet, dass man sich das Zeug spritzte, wenn man nicht mehr arbeitete und auch sonst nicht mehr nützlich war.
»Ich will lachen.«
»Soll ich einen Witz erzählen, Bob?«
»Nein. Bring mich zum Lachen!«
»Wie soll ich dich denn zum Lachen bringen?«
»Wie Luisa das gemacht hat.«
»Wer ist Luisa?«
Bob schüttelte den Kopf, knetete seine Hände und öffnete schließlich nach einer Weile sein Chatprogramm. Er klickte auf den einzigen Kontakt, den er hatte. Sofort prangte Luisas echtes Gesicht auf dem Panoramabildschirm und lächelte ihn an. Er sah lange in die blauen Augen und stellte erstaunt fest, dass ihm auf einmal die Falten in ihrem Gesicht sogar reizvoll vorkamen. Ihm gefiel diese faltige, lebendige Haut. Seine Augen folgten den Rundungen ihres Körpers und der Gedanke, sich daran zu schmiegen, sich in ihre Arme zu legen und Luisas Hände sanft auf seinem Körper zu spüren, brachte eine Sehnsucht hervor, die er nicht kannte, die er nie zugelassen, sondern wie in einem Tresor weggeschlossen hatte, damals, als er beschloss, keine Frau und keine Kinder zu haben, sondern sich der Arbeit zu widmen, wie es sich für einen guten Bürger gehörte.
Mit sehnsuchtsvollem Blick wählte er Luisa an.
Sofort erschien eine Art Durchfahrt-verboten-Schild und der Text: ›Dieser Nutzer hat Sie gesperrt. Eine Kontaktaufnahme ist nicht möglich.‹
Bob saß die ganze Nacht regungslos in seinem Multifunktionssessel neben Cindy. Am nächsten Morgen blinzelte er in den Sonnenaufgang, dessen Orangetöne einen warmen Frühlingstag ankündigten. Er sah nach links, aber der Stuhl war leer. Cindy war im Laufe der Nacht in ihre Ladestation zurückgekehrt.
»Hol mir die Spritze«, rief Bob.
Bob lauschte dem Quietschen von Malcom und beobachtete, wie die Sonne hinter einem Wolkenkratzer hervorkroch. Er spürte die Wärme der Sonnenstrahlen in seinem Gesicht, lächelte. Plötzlich sprang er auf, lief zur Kiste und holte das Armeemesser heraus.
Bob schnaufte, das Herz schlug schnell.
»Hauscom! Eine Angel bestellen. Zum Fischen!«
Im nächsten Moment stach ihn die Nadel einer Spritze.