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Bogomor - der Überfall
Es traf sich, dass mein alter Freund Bogomor mich eines Abends besuchte, als ich bereits vor dem Screen of Joy, dem Fernsehapparat, hing und der Speichel über mein Doppelkinn tropfte.
Schnell wischte ich mir die Flüssigkeit aus meinem unteren Gesichtsfeld und ließ ihn herein in meine zwar nicht überansehnliche, aber letztendlich doch einigermaßen bewohnbare Unterkunft.
Er hielt sich gar nicht lange mit Begrüßungen auf, sondern setzte sich ohne große Umstände auf meinen Fernseher.
Meine Irritation diesbezüglich ließ ihn in erheiterter Wonne schwelgen. Er gluckste vor sich hin und packte einen Beutel mit eingelegten Wolfsnippeln aus seiner Brusttasche. Zur Erleichterung der Nahrungsaufnahme band Bogomor sich seinen ausladenden Schnauzer an die Augenbrauen und bot mir einen Teil seines Mahls an. Ich lehnte ab, allerdings mit unverholter Gier in den Augen, denn ich war gerade auf Diät.
Er schmatzte gemütlich vor sich hin während ich auf der Suchmission nach den richtigen Worten war. Nach mehr als drei Stunden fernsehen war mir immer etwas schwummerig im Kopf, so dass mir Gespräche meist schwer fielen. Ich schlug mir ein paar mal mit der Handfläche auf die Stirn, bis der Wackelkontakt in meinem Cortex abgeflaut war und ich mich wieder kommunikationsfähig fühlte.
"Warum kommst du zu so später Stunde? Und vor allem gerade jetzt? Ich meine, ich habe dich die letzten zwanzig Jahre nicht gesehen..."
Bogomor beschwichtigte mich mit einer Handbewegung und deutete mir, dass er gerade den Mund voll habe.
Als er den Speisebrei einen Stock tiefer zwischengelagert hatte, erklärte er mir seine Beweggründe.
"Mein Haus ist während eines interessanten Experiments zusammengebrochen. Die Konstruktionsweise hier ist einfach unter aller Sau. Nun ja, auf jeden Fall brauche ich deswegen für die nächsten Tage eine neue Bleibe"
Er hatte sofort an mich gedacht, nachdem ich einmal in der Schule mein Pausenbrot mit ihm geteilt hatte. Meine Güte war ihm die ganze Zeit über in Erinnerung geblieben.
"Du bist ab jetzt mein bester Freund!", hatte er damals ausgerufen.
Man muss wissen, dass Bogomor kein gewöhnlicher Mensch war, eigentlich war er überhaupt kein Mensch, sondern ein Tongul. Diese sehen zwar im großen und ganzen wie Menschen aus, wie Leute mit starker Körperbehaarung halt, aber tatsächlich kommen sie von einem ganz anderen Sternensystem. Die Regierung konnte die Landung der Tongul - Raumsegelbote verheimlichen und die Besucher ohne Probleme als ausländische Staatsbürger in die Gesellschaft eingliedern.
Bogomor hatte mir das vor langer Zeit erzählt, damals waren wir gerade elf und ich war über seinen bereits voll ausgeprägten Bartwuchs verwundert.
Tongule haben irgendwie eine grundsätzlich andere Art, sie sagen immer das was sie auch tatsächlich meinen.
Es konnte sehr erfrischend sein, dass die Kommunikation mit Bogomor auf direktem Wege erfolgte und man nicht immer nach dem Eigentlichen forschen und nachfragen musste.
Manchmal jedoch war diese Eigenart für Bogomor zum Kulturproblem geworden, etwa als er in reiferem Alter seine Mitschülerinnen ganz offen über ihre Kopulationsbereitschaft befragt hatte. Er verstand nicht, was für ein Problem das für sie darstellte.
Auch ich stand nun vor einem kleinen Problem, meine Wohnung war nicht sehr groß. Wenn ich die Wände neu gestrichen hätte, wie es eigentlich schon lange notwendig gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich nur noch seitwärts durch den Flur bewegen können.
"Bogomor, du weißt, dass du für mich immer ein guter Freund warst...aber du siehst ja, wie klein meine Wohnung ist."
"Kein Problem", meinte er, "ich schlafe ja eh im Stehen. Und bei der Toilette lasse ich dir den Vortritt."
Ich wusste nicht so recht, was ich antworten sollte, seine Argumentation war so bestechend. Das war auch so eine Sache mit den Tongulanern, sie hatten Charisma, das musste man ihnen lassen.
Schließlich ließ ich ihn doch bei mir wohnen.
Nachdem Bogomor sich die Ecke neben der Stehlampe als Schlafplatz ausgesucht hatte und sich gerade seinen Pyjama anzog, fiel mir noch eine wichtige Frage ein.
"Was war das eigentlich für ein Experiment, das du erwähnt hast?"
"Nichts großartiges, nur ein paar Tests mit Mini-Fusions-Reaktoren. Ein kleines Erdbeben wurde dadurch ausgelöst. Aber mach dir keine
Sorgen, den Leuten in der Stadt ist nichts passiert. Und die drei Gebäude die sonst noch kaputt gingen, waren eh schon alt."
Ich hatte vorher im Fernsehen von einem unerklärlichen Erdbeben in einer zu nahezu Null Prozent erdbebengefährdeten Gegend gehört, bei dem vier Häuser zu Bruch gegangen waren und ein Dackel sich den Schenkel verstaucht hatte.
Ich wollte noch etwas sagen, weil mich das ganze doch sehr betroffen machte, aber Bogomor war bereits eingeschlafen und schnarchte dezent.
Ich muss sagen, letzten Endes war es doch eine gute Idee, Bogomor bei mir aufzunehmen, denn mit seinen Ratschlägen schaffte ich es, in meiner Firma zweimal befördert zu werden.
Und auch ganz allgemein gesehen war es gar nicht so schlecht, denn als die Erde von seiner Rasse übernommen und die Menschheit versklavt wurde, konnte er mich als Ehrenrassenangehörigen zu sich nach Hause in sein Sternensystem mitnehmen, wo es mir eigentlich ganz gut ging. Nur die rasierten Katzenschwänze, die dort als Ohrschmuck getragen wurden, wollten mir auch nach mehreren Eingliederungskursen nicht so recht gefallen. Aber so ist das eben, andere Planeten, andere Sitten.