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Brüder
„Im Schlafe dem Leben die Hand schütteln. Auf dem Abenteuerhengst die Schafe hüten. Den Schäferhund beflügeln. Eine Menschenseele ganz vorsichtig mit den Fingerspitzen berühren. Ihre Wärme spüren. In sie eintauchen und in einem wilden Dschungel an Gefühlslianen durch das Blätterwerk schwingen. An der Rückwand sie wieder verlassen. Durch des Denkers Vision streifen. Über dessen hohe Türme schmunzeln, hinaufsteigen, einmal an den Wolken kratzen, den Schäfchen „Hallo“ sagen, sich fallen lassen und – aufgefangen werden.“
Sein Gegenüber schmunzelte und schüttelte den Kopf: „Da dreh ich dem Schlaf doch lieber den Rücken zu: Drei Uhr nachts, ein Glas Wein und eine Frau, deren Lippen genauso dunkelrot sind. Unsere Füße erzählen Bände vom Tanzen, unsere Blicke von der Trunkenheit - und Freude. Sie entledigt sich ihrer Schuhe und legt erschöpft ihre Beine über die meinen. Ein Gespräch entbrennt, entfesselt noch einmal den Abend und das Leben. Es wird wohl die Sonne aufgehen, bevor wir die Augen schließen werden, um uns für eine kurze Zeit von der Welt zu verabschieden.“
„Gern werd ich euch dann begrüßen – mit einem Glas Sekt aus den innersten Kellern der Geheimnisse. Du denkst, du wärest in ihrem Lebensbrunnen auf den Boden gestoßen, hättest das klare Wasser durchschaut? Lass mich dir einen Eimer aus den Tiefen schöpfen. Koste ihn bis auf den letzten Tropfen aus und spüre, wie ihr Leben durch dich hindurchfließt, mit dir eins wird...“
„...bis die Glocken den Tag einläuten, in dem ihr Innerstes nicht in einen Eimer passt. Ich mag vielleicht nie über die Fassade ihrer Lippen und ihrer dunkelbraunen Augen hinwegkommen und meine Bedürfnisse als Schablone über ihren Charakter legen. Aber mit dem, was ich dort sehe, bin ich rundum glücklich.“
„Sind wir denn dann so verschieden?“
„Nein, mein Bruder. Wir leben nur in verschiedenen Welten. Ich komme nicht ohne dich aus und du nicht ohne mich.“ Er blickte auf die Uhr und bemerkte: „Dann muss ich langsam wieder los. Es war schön mit dir zu plaudern, doch der Schlaf ist heute nur kurz.“
Sein Gegenüber nickte lächelnd. Sein Gesicht strahlte Wärme aus, wie Sonnenstrahlen, die ganz leicht auf der Haut kitzeln.