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Brauner Schnee, das Glück aus Ankara

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20.11.2001
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Brauner Schnee, das Glück aus Ankara

»Kann ich bei dir schlafen?«, schrie sie mir ins Ohr, nachdem wir uns kaum eine halbe Stunde durch Blicke und einen Joint, den sie mir weiterreichte, kannten. »Ich fühl mich zuhause so verlassen, wenn mein Freund nicht da ist, ich halt das nicht aus.«
Da, wo ich wohnte, in dem Mädchenheim, hatte ich das einzige Zimmer im Erdgeschoß, das man nicht von der Polizei gegenüber sehen konnte.
»Ja, gern«, schrie ich zurück. »Wie heißt du denn eigentlich?«
»Angie, und du?«
»Inge.«
Aus den Boxen dröhnte Frank Zappa so laut, daß man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte. Deshalb redeten wir auch nicht viel, sondern sahen den beiden Männern auf der Tanzfläche zu, wie sie die Musik in seltsame Bewegungen umsetzten, die eher an magische Rituale erinnerten, als an tanzen. Ich bewunderte sie im Stillen für ihr Selbstbewusstsein.
Irgendwann hatten Angie und ich genug von dieser Räucherkammer und gingen hinaus an die frische Luft. Die öffentlichen Verkehrsmittel hatten längst ihren Betrieb eingestellt, so wanderten wir durch das schlafende Häusermeer, bis wir bei dem Fenster ankamen, das ich beim Weggehen offen gelassen hatte. Wir stiegen ins Zimmer ein.
»Machst du das immer so?«, fragte Angie mit einem Grinsen im Gesicht.
»Ja.«
»Und das fällt gar nicht auf?«
»Nein, bis jetzt nicht. Wenn um zehn die Anwesenheit kontrolliert wird, bin ich ja immer da. Also kein Grund, sich um mich Sorgen zu machen.« Ich musste lachen. Doch mein Lachen gefror im nächsten Moment.

Angie holte ein Stück Alufolie heraus, entrollte es, darin lag weißes Pulver, das sie auf einen Löffel dosierte. Aus einer kleinen gelben Plastikflasche tropfte sie etwas Zitronensaft dazu und hielt die Feuerzeugflamme darunter. Um alles restlos aufzusaugen, legte sie ein winziges Stück Watte auf den Löffel. Ich schaute ihr gebannt zu und hatte Angst. Angst, dass sie zu viel erwischen könnte und dann in meinem Zimmer liegt.
»Mach dir keine Gedanken«, beruhigte sie mich, »ich weiß schon, was ich tu. Kannst du mir mal helfen und den Schal fester binden?«
»Ins Bein willst du dich stechen?!«, fragte ich.
»Ja, meine Arme sind schon so verknorpelt, da hab ich schon zu oft reingestochen.« Sie sagte das, als wäre es das Normalste der Welt, dass man sich eben in die Beine sticht, wenn die Arme schon kaputt sind. Sie zog etwas Blut auf und drückte dann die Spritze leer. Mir wurde übel.
»Warum machst du das, Angie?«
»Ich mach das schon, seit ich vierzehn war. Da bin ich von meinen Eltern abgehauen, oder besser gesagt, sie haben mich hinausgeprügelt, und dann hab ich bei ein paar Junkies Unterschlupf gefunden. Erst kam ich mir vor, wie ein Außenseiter, aber dann hab ich irgendwann mit Sniefen angefangen, und gehörte richtig dazu. Von meinen Eltern hab ich nie wieder was gehört.« Sie schien nachdenklich zu werden. »Aber ich bin nicht süchtig, wenn du das glaubst.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Du bist nicht süchtig, wo du doch schon gar nicht mehr in die Arme stechen kannst?«
»Nein, bin ich ehrlich nicht. Manchmal mach ich ein paar Tage Pause, das tut mir überhaupt nichts.«

Ich war verwirrt, glaubte ich doch bisher den Erzählungen, Heroin mache sofort abhängig. War es ein Märchen oder Angie eine seltene Ausnahme? Oder hatte sie doch gelogen?
Als sie mit allem fertig war und mir wieder ihr Gesicht zuwandte, sah ich in ihre Augen. Sie hatte plötzlich einen markanten schwarzen Ring um ihre graublaue Iris, und ich fand das einfach faszinierend schön, konnte nur mehr ihre Augen anstarren, die so cool wirkten und zugleich soviel Tiefe verrieten, als könne man in sie kriechen, um sich geborgen zu fühlen.
Wir spielten die halbe Nacht Karten und mit jedem Blick zu ihr wünschte ich mir auch solche Augen.

Angie schlief dann die ganze Woche bei mir. Wir machten alles gemeinsam, Arbeit hatten wir ja beide nicht. Wir hätten schwimmen gehen können, es war Mitte Juli und hatte dreißig Grad. Aber das wollte sie nicht, wegen der Einstichstellen. So waren wir tagsüber meistens in ihrer Wohnung. Die Küche war nur mit wenigen, weiß furnierten Küchenkästen zwischen Herd und Kühlschrank eingerichtet und sah unbenutzt aus. Das Wohnzimmer hingegen war reich mit indischen Zutaten geschmückt – bestickte und gebatikte Tücher, Halsketten mit filigranen Anhängern und ein Bild von Shiva hingen an den Wänden, Ravi Shankar drehte sich am Plattenteller, Räucherstäbchen und Kerzen verbreiteten den passenden Duft, und während ich mich auf einen der ledernen Hocker niederließ, stellte sie das indische Teeservice auf den kleinen runden Holztisch.
Sie erzählte mir, dass ihr Freund gerade in der Türkei sei, um dort etwas einzukaufen. Ich sah sie ungläubig an. Ein wenig zweifelte ich an ihren Worten und hatte den Verdacht, dass sie das alles nur erzählte, um sich wichtig zu machen. Warum verriet sie es mir sonst? Aber wenn ich in ihre Augen sah, dann wusste ich, dass sie tatsächlich die Wahrheit einfach so unbefangen auf den Tisch legte. Ich bewunderte sie sogar dafür, dass sie das konnte. Wenn ich über meine Situation redete, hatte das immer nur einen nicht enden wollenden Tränenfluss zur Folge. Aber Angie schien stark zu sein. Wenn sie erzählte, warum sie einst von zuhause weggelaufen war, brach sie nicht in sich zusammen, konnte reden und mich mit ihrem Blick gefangennehmen.

Langsam wurde Angie nervös, weil noch immer nichts im Briefkasten war. Ich fühlte mit ihr und machte mir Sorgen, ob ihrem Freund etwas passiert sein könnte. Am Ende der Woche ging ihr Vorrat aus. »Wenn das morgen noch immer nicht ankommt, muss ich mir von einem Freund was holen.«
»Ich dachte, du brauchst es nicht? Wir haben doch immerhin noch was zu rauchen hier.«
»Nein, es ist nur wegen meinem Freund, um mich zu beruhigen. Ich kann nicht leben ohne ihn. Wenn er dann da ist, mach ich eine Woche Pause, um es dir zu beweisen, okay?«
Ich schämte mich für meine Frage, wollte nicht das Vertrauen zerstören und sagte: »Ich glaub dir ja, du brauchst mir nichts beweisen. War doch nur Spaß.«

Am nächsten Tag machte sie beim Öffnen des Briefkastens einen Luftsprung, als käme aus ihm das pure Leben. Endlich war das Buch, dessen Seiten zu einem Geheimversteck ausgehöhlt waren, angekommen. In der Küche nahm sie das Folienpäckchen sofort heraus und öffnete es. Ich staunte, dass der Inhalt nicht weiß sondern braun war und sie meinte freudig: »Das ist was besonders Feines, da ist noch nichts gestreckt, das ist völlig rein.«
Sie nahm ihren Löffel und bereitete sich eine Mischung zu. Statt lang mit der Hose herumzutun, um ins Bein zu stechen, sah sie in den Spiegel an der Wand und stach sich in den Hals. Daran konnte ich mich noch immer nicht gewöhnen, obwohl ich ihr jetzt schon so oft zusah, wenn sie sich irgendwo hineinspritzte. Und dann noch dazu in den Hals. Aber ich beneidete sie um ihr entspanntes Gesicht danach, um ihre Augen und dafür, dass sie dann alles so locker nehmen konnte.
Angie würde mir sicher was abgeben, dachte ich, dann könnte ich mich auch einmal so fühlen wie sie. Und dann sagte ich mir, dass ich es ja auch sniefen könnte, ich müsste es ja nicht spritzen, das würde ich mich sowieso nicht trauen. Aber wenn Angie davon nicht süchtig wurde, dann könne ich es doch sicher zumindest einmal ausprobieren, ohne gleich nicht mehr davon loszukommen. Ich schaute wieder in ihre Augen, die jetzt sogar vor Glück richtig strahlten. Das Graublau zwischen der Pupille und dem großen, schwarzen Kreis leuchtete, und ich konnte meine Frage nicht mehr zurückhalten: »Lässt du mich was sniefen?«

Ihre Antwort war klar und deutlich, sie wusste, wovon sie sprach: »Nein. Bei mir bekommt niemand sein erstes Heroin. Ich verkaufe nur an Leute, die bereits süchtig sind. Alle Dealer, die das anders machen, sind Arschlöcher, und ich will keins sein.«
Sie schlief ab nun wieder bei sich zuhause. Vormittags trafen wir uns noch drei Tage lang, um unter den Ankommenden der Züge aus der Türkei nach ihrem Freund Ausschau zu halten.
Während des Wartens erinnerte ich mich daran, dass sie eine Woche Pause machen wollte, wenn er zurückkäme, und, als hätte sie meine Gedanken gelesen, meinte sie: »Wenn Paul dann da ist, kommen wir sicher eine Woche lang nicht aus dem Bett. Wie letztes Mal. Da war ich die ganze Woche über clean, so glücklich war ich.«

Nachdem Paul ankam, hab ich Angie nie wieder gesehen. Als ich zwei Wochen später bei ihr vorbeischauen wollte, stand die Wohnung leer. Die Nachbarin steckte ihren Kopf zur Tür heraus. »Die sind delogiert worden, haben die Miete nicht bezahlt. Naja.«

*

Der erste Schnee fällt vom Himmel. Ich sitze im Aufenthaltsraum und wärme meine Hände an einem warmen Häferl Kakao. Neben mir sitzt Ilona, liest Kronen-Zeitung und schielt immer herüber, als hätte sie Angst, dass ich die Buchstaben herauslesen könnte. Sie blättert von Seite fünf auf Seite sechs, und da seh ich diese Augen aus dem Schwarz-Weiß-Druck strahlen. Ich bekomme eine Gänsehaut bei dem Anblick und lese die Überschrift:
»Heroinschmuggler an Grenze verhaftet: Freundin setzt sich goldenen Schuss« steht groß über drei Spalten geschrieben. Ilona will weiterblättern, ich halte ihre Hand zurück. Sie erkennt, wohin meine Augen gerichtet sind, und sagt:
»Is’ eh nicht schade drum …«

 

Danke Euch beiden, Salem und chazar! :)

Schreckliches, schon beinahe zu erwartendes Ende. Bin noch ganz hin und weg.
Und das von einem Horror-Autor... :kuss:
Erschreckend die Selbsttäuschung von Angie. Prima ihre Einstellung zum Anfixen.
Freut mich unheimlich, daß das angekommen ist! :)

schon der Anfang brachte mich dazu, weiterzulesen
Gerade erst vor ein paar Tagen hab ich mir Gedanken darüber gemacht, ob der Einstieg eigentlich interessant ist und zum Weiterlesen animiert. Dann kann ich ja die Gedanken wieder weglegen...:)
vorhersehbar, auch wenn das vielleicht daran liegt, dass es einfach realistisch und darum eben leider auch bekannt ist
Eben, wir sind ja schließlich in "Gesellschaft", und nicht in "Märchen". ;)

Danke nochmal, hach, tut das Lob gut! :)

Liebe Grüße,
Susi :)

Weil ich die maximalen Smilies noch nicht ausgenutzt hab: :)

 

Hi Häferl,

gut, diese Geschichte für unser Projekt von dir empfohlen bekommen zu haben. Ich habe dadurch wieder Elan geschöpft und mir geistert gerade dadurch ein Plot durchs Hirn, mal sehen, inwieweit ich ihn verwerten kann.

Inge ist schon sehr naiv - mit ihren Fragen, ihrem Glauben an das, was Angie sagt, obwohl sie doch durch das Heim auch schon mit allen Wassern gewaschen sein müsste.
Du hast diese Verklärtheit den Drogen gegenüber sehr gut ins Licht gesetzt. Ich erinnere mich noch gut an die Schülerinnen-Zeiten, als ich alle Drögler einfach cool fand, ohne die Tragweite ihres Handelns abschätzen zu können.

Das Ende fand ich für die Geschichte auch nicht zwingend notwendig; aber es ist eben auch oft schlichtweg Realität - das Ende mit einem goldenen Schuß oder dergleichen.

Eine authentische Geschichte ist dir da gelungen.

Lieber Gruß
bernadette

 

Liebe bernadette!

Danke fürs Lesen dieser Geschichte! Besonders freut mich natürlich, daß Du dadurch wieder "Elan geschöpft" hast für unser Projekt. :)

Inge ist schon sehr naiv - mit ihren Fragen, ihrem Glauben an das, was Angie sagt, obwohl sie doch durch das Heim auch schon mit allen Wassern gewaschen sein müsste.
Hm. Ich kam bisher nicht auf die Idee, daß es von Belang sein könnte, aber Inge ist noch nicht lange in dem Heim, und sie ist dort freiwillig hingezogen, weil es dort besser ist als zuhause. Das kommt scheinbar aus der Geschichte nicht raus, ich werde das morgen noch einfügen. - Ist natürlich die Frage, ob das eine Auswirkung auf Deine Meinung hätte, also ob Du die Naivität dann unter einem anderen Licht sehen würdest.

Das Ende fand ich für die Geschichte auch nicht zwingend notwendig;
Du meinst, ich hätte auch endlos weiter schreiben können? :D ;)

aber es ist eben auch oft schlichtweg Realität - das Ende mit einem goldenen Schuß oder dergleichen.
Es ist auch nicht jeder goldene Schuß ein absichtlicher - oft passiert es ja, wenn einer mal ein weniger als üblich gestrecktes Zeug bekommt und dann falsch dosiert. Aber spätestens nach ein paar Jahren sind die Junkies alle so kaputt, daß sie dann eben an etwas anderem sterben, irgendein Organversagen oder sie fallen irgendwann blöd auf den Hinterkopf und sind auch tot.

Voriges Jahr durfte ich durch einen Bekannten die Praxis in einer Entziehungsstation miterleben - jetzt wundern mich auch die vielen Rückfälle nicht mehr ...

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo cagliostro!

Schade, daß Du mir nicht sagst, ob Dir die Geschichte gefallen hat oder nicht. Willst mich also nur ausfragen. Hm, dann mach ich es mir auch einfach und lege Dir den Begriff wallraffen vor die Füße, der sagt Dir sicher was.
Ja, das Ambiente liegt wohl an meinem Alter und der Zeit, in der ich solche Wohnungen gekannt habe.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo cagliostro!

Wow, jetzt bist Du ja noch richtig ausführlich und konstruktiv geworden, danke! :)

bevor ich deine Geschichte kritisiere wollte ich einfach vorsichtig sein, um dich nicht zu verletzen, falls du das so selbst erlebt hast.
Da brauchst Du keine Angst haben. In grob geschätzt 80 % meiner Geschichten ist zwar tatsächlich irgendwas real Erlebtes drin, in manchen mehr, in manchen weniger, aber was ich außer Geschichtenschreiben auf kg.de noch gelernt hab ist, daß man nichts posten sollte, bei dem man noch verletzt werden kann. Danke trotzdem für Deine Rücksicht. :)

Nach wenigen Sätzen (ich kenne da Ambiente, bin auch bald 40) fiel mir sofort mal Christiane F. ein und da passt eben auch das Ambiente rein. Wir haben hier also ein Thema, in dem man wohl tief drin stecken muß, um darüber schreiben zu können (wie gewallrafft auch immer).
Ja, die Christiane F., die hat sich ja damals ganz schön vermarkten lassen, und später war sie erst wieder süchtig, soweit ich das mitbekommen habe. Aber die hat eben auch viel zu wenig an den Ursachen gearbeitet, oder eigentlich gar nicht. Ich hatte damals sowohl beim Buch als auch beim Film mehr das Gefühl, es ginge darum, zu zeigen, wie toll es in der Szene ist.
Daß ich so meine eigenen Erfahrungen habe (mit allem Möglichen, aber weder mit H noch mit Koks), bestreite ich auch nicht – es war letztendlich das Werk meiner Mutter, mich so weit zu bringen. Mein Werk war es, da so halbwegs wieder rauszukommen, dafür brauch ich mich nicht schämen, da steh ich dazu. Aus dem Gesehenen und Erlebten lassen sich natürlich viele Geschichten spinnen. Aber die Erfahrung ist nicht alles, ich beschäftige mich schon mehrere Jahre mit der Psychologie dahinter.

Wenn es nun eine Geschichte ist, die in der Vergangenheit stattfindet (s.Ambiente) funktioniert das ja, dann stellt sich aber die drängende Frage, warum ein ewig akutes Problem wie Sucht in deiner Kurzgeschichte unbedingt in der Vergangenheit spielen muß - das wird nicht klar und die heutige Generation sieht halt icht mehr so aus (die Mehrzahl der Mädchen in Mädchenheimen sind halt keine "Hippies").
Da hast Du natürlich Recht. Eigentlich hab ich mir die Frage gar nicht gestellt. Aber ich denke, daß ich so wohl zusätzlich aufzeige, daß es immer gleich ist, von Generation zu Generation. Die Musik und Äußerlichkeiten ändern sich, aber die Probleme sind die gleichen.
Nein, das käme mir gar nicht in den Sinn, solche Geschichten in die Jetzt-Zeit zu verfrachten. (Dann müßte ich mich ja mit der ganzen neuen Musik und so befassen, viel zu anstrengend…) So ist es halt ein nostalgischer Rückblick für so alte Leute wie uns. :D

Wenn die Zeit aber für die Geschichte wichtig ist, dann wird sie in der Geschichte nicht greifbar, außer man kennt sich aus und weiß wer Zappa ist etc.
Naja, wer Zappa war, wissen die meisten jungen Leute aber auch, zumindest die, die sich ein bisschen mit Musik befassen – schau in den Musikthread im Kaffeekranz. Und wenn Du in Deinem CD-Laden unter Weltmusik bei Indien schaust, wen findest Du da? Ravi Shankar. :)

Wenn die Zeit nicht wichtig ist, sondern nur die Personen (die dann ja zeitlos sind, letztendlich wäre es egal, ob ein Junkie Zappa hört oder Techno, dies wären also nur Umschreibungen für gewisse Jugendszenen), dann gehtes nur um die innere Zerrissenheit dieser Personen, eine Beschreibung ihres Umfelds oder szenetypischer Beschreibungen wären also gar nicht unbedingt vonnöten, letztlich reicht ja "Junkie" und "Mädchenheim" - da kann man sich schon einiges vorstellen.
Da muß ich Dir widersprechen. Daß ich zum Beispiel die Wohnung so detailliert schildere, ist sehr bewußt gemacht: Den Spruch »Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist« kennst Du doch sicher – und ich habe von einer unbenutzt wirkenden, weiß furnierten Küche geschrieben (in der sie sich noch dazu den Schuß setzt), und von einem überaus liebevoll geschmückten Wohnzimmer, in dem sanfte, ruhige Musik spielt. Sagt Dir das nichts? ;) In dem Fall dient also die Beschreibung nicht dem Datieren der Geschichte, sondern hat einen psychologischen Zweck.
Ich wollte sie nicht nur so klischeehaft rüberbringen, vonwegen »reicht ja Junkie …«. Wenn ich mir so klischeehaft die Wohnung eines Junkies vorstelle, dann kommt dabei eine fast leere Bude heraus – weil schon fast alles verkauft ist – mit einer vom verschütteten Bier stinkenden Matratze, und ebenso wie die, liegt auch alles andere am Boden, aber so ein Bild soll der Leser hier hier nicht bekommen.
Und bei der Musik im Lokal: Natürlich könnte da jede andere Musik auch spielen, sofern sie in die Gifthütte paßt, die ich da beschrieben habe. Zappa hab ich deshalb genommen, weil der auch heute noch einen relativ großen Bekanntheitsgrad hat, und so möglichst viele Leser gleich die passende Stimmung im Ohr haben.

Was ich gut finde, ist das Vorkommen der "Faszination" der "coolen" Person, die Drogen nimmt
Ah, endlich mal ein Lob. :)

das gibt es so tatsächlich, das […] solche Leute eine gewisse Anziehungskraft haben. Allerdings wird dieser Sog, in den man dann gezogen werden kann, nicht wirklich herausgestellt. Was macht diese Anziehungskraft aus? Außer der Augenringe? Mir fehlt das, was an diesen Menschen […] nagt, was sie durch dieses Leben gehen lässt. Das ist immer das, was spannend ist. Die Begründung, warum wer wie da hinein gerät muss nicht sein und ist in diesem Fall, auch wenn es leider oft tatsächlich so ist, billig.
Die Begründung mag billig sein, aber – das kannst Du nicht wissen – Kindesmißhandlung ist mein Primärthema, mit allem, was dazugehört; das Drogenthema ist ein Teilbereich davon, weil eben Kindesmißhandlung, psychischer Druck, etc. sehr oft genau da hinführen. Ich will also gar keinen anderen Grund finden, weil der Grund selbst der Grund für die Geschichte ist.

die Beziehung aber zwischen diesen beiden Mädchen (Frauen), die ja eigentlich wirklich interessant ist kommt aber zu kurz. Welche Wechselwirkungen entstehen da?
Ich überlege schon, ob ich da noch was einfüge, und damit auch gleich die oben erwähnte Anziehungskraft mehr hervorhebe. Der Tip ist jedenfalls gut – es kann aber ein bisschen dauern, bis ich da was umschreibe – ich muß mir jetzt erst einmal dafür was einfallen lassen.

Und in diesem Sinne hätte man den Schluß auch komplett weglassen können. Warum muß das Mädchen sterben? Warum dieses wieder so plakative "Die Medien sind auch scheisse"? Warum der erhobene Zeigefinger?
Hm, das hat bernadette auch kritisiert, daß der Schluß wegbleiben könnte. So richtig gefällt er mir auch nicht, und ich wüßte gern einen anderen. Wenn ich ihn nur weglasse, hört die Geschichte irgendwie zu unvermittelt auf.

Es reicht nicht, nur den Auslöser zu erkennen, denn das ist tatsächlich bei fast allen ein familiäres Problem etc. Wenn man darüber schreibt, muß man viel tiefer gehen und herausfinden, was diese Menschen umtreibt und worum es im gesellschaftlichen und vielleicht auch philosophischem Kontext geht.
Die Geschichte war sicher nicht meine letzte Geschichte zu dem Thema, vielleicht schaffe ich es ja einmal, das alles unterzubringen. :-)

Bist du eigentlich selbst zufrieden damit????
Sollten die vier Fragezeichen bedeuten, daß Du es nicht für möglich hältst, daß ich zufrieden damit bin? ;-) Doch, bis auf den Schluß bin ich es eigentlich. Daß man natürlich immer alles noch besser machen kann, ist eh klar – und wie gesagt, werde ich mir den Tip mit der Anziehungskraft noch einmal vornehmen und vielleicht den Schluß noch ändern.

Zum Abschluß noch eins: "delogieren" ist ein wunderschönes Wort!!
Aber auch nur das Wort – delogiert zu werden ist sicher gar nicht schön, weil man danach auf der Straße sitzt.

Ich hoffe, du verstehst mich richtig und ich bin dich nicht zu hart angegangen.
Ich hoffe jedenfalls, daß ich Dich richtig verstanden habe. »hart angegangen«, wo? Danke für Deine ausführliche Kritik!
Ach ja, und herzlich willkommen auf kg.de! :) – Und kriegen wir bald auch von Dir was zu lesen?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Gnafu!

Freut mich, daß Dich die Geschichte gefesselt hat und Du sie gut findest! :)

Danke fürs Lesen und Ausgraben, ;)

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

ja, hat mir auch gut gefallen die Geschichte.

Als einziges, was mich ein wenig gestört hat. Angie ist mir ein wenig zu austauschbar dargestellt, also in den "üblichen" Klischees gezeichnet: Sie sagt selbst sie ist nicht süchtig und kann schnell mal ne Woche aufhören, wenn ihr Freund wieder da ist ... die Wohnung mit gebatikten Tüchern ... ist vielleicht nur meine Sicht, aber das sind genau die Bilder, die ich immer von Drogenabhängigen habe. Andererseits allerdings ist die Austauschbarkeit gerade auch das was die Geschichte interessant macht. Weil du damit eben nicht auf einen bestimmten Menschen "zielst", sondern eben viele dieser Menschen ansprichst. Ob beabsichtigt oder nicht, es ist auf jeden Fall ein toller Aspekt der Geschichte, der mir gefallen hat.

Zwei kleine sprachliche Sachen habe ich noch:

Rituale erinnerten, als an Tanzen. Ich
tanzen (also klein) ... oder?!

herumzutun, um in die Beine zu stechen, sah
Wieso in die Beine? Wenn denn sticht sie sich doch nur in eines. (Fast ein wenig pingelig, ich weiß :))

Alles in allem eine richtig gute GEschichte, die zum Nachdenken anregt!

Liebe Grüße
Lemmi

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Susi!

Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen. Vor allem, dass du den typischen Klischees ausgewichen bist, fand ich hervorragend. Deine Geschichte besticht für mich durch die gefühlvolle Erzählweise und nachvollziehbare Realitätsnähe. Echt super gemacht. Der pointierte Schluss, ist typisch für die über weite Strecken vorherrschende Gesellschaftsmeinung.
Vielen Dank für diesen lesenswerten Beitrag.:thumbsup:

Liebe Grüsse,
Manuela:)

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Manuela, lieber Lemmi!

Danke Euch beiden fürs Lesen der Geschichte und Eure Ausführungen dazu! :)

Lemmi schrieb:
Angie ist mir ein wenig zu austauschbar dargestellt, also in den "üblichen" Klischees gezeichnet:
Gut, Du siehst das nachher ohnehin anders, aber trotzdem kurz dazu: Klischees sind ja meistens deshalb Klischees, weil sie häufig zutreffen. Bei einer Gesellschaftskritik ist es daher meiner Meinung nach keineswegs falsch, zutreffende Klischees zu verwenden. Z. B. bei einer SF-, Horror- oder Fantasygeschichte sehe ich das auch anders, aber gesellschaftliche Klischees sind so lange aktuell, bis der Mißstand abgestellt ist.

Sie sagt selbst sie ist nicht süchtig und kann schnell mal ne Woche aufhören, wenn ihr Freund wieder da ist ...
Das war eigentlich nicht als Klischee gedacht, sondern es sollte zeigen, daß sie zwar vielleicht nicht körperlich abhängig ist (wir sehen den Beweis ja nicht), auf jeden Fall ist sie es aber psychisch. Die psychische Abhängigkeit sollte deutlich werden durch ihre Nervosität, wann das Päckchen endlich ankommt, und vor allem durch die Aussage, sie müsse sich etwas bei einem Freund besorgen, wenn es nicht ankommt. Nur, wenn sie eine Überdosis Liebe bekommt, kann sie mal kurz darauf verzichten – greift aber dann wieder darauf zurück. Natürlich belügt sie sich mit »nicht süchtig« selbst. Man kann es als Klischee bezeichnen oder auch als Wahrheit, die auf viele Süchtige zutrifft. Man denke an die Alkoholiker, die alle natürlich keine Alkoholiker sind, bloß ihr tägliches Bier brauchen …

die Wohnung mit gebatikten Tüchern ... ist vielleicht nur meine Sicht, aber das sind genau die Bilder, die ich immer von Drogenabhängigen habe.
– Ein Junkie macht meistens relativ schnell alles zu Geld, bis auf die Matratze, auf der er schläft, solange er noch eine Wohnung hat – ist also in dem Fall kein Klischee, sondern zeigt vielmehr, daß es ihr noch nicht ganz so schlecht geht (weil der Freund ja dealt). Reiche Leute zum Beispiel können sowas relativ lang geheimhalten, weil sie keine Probleme haben, sich die Sucht und das Leben(snotwendige) zu finanzieren.
Aber eigentlich wollte ich mit der Beschreibung der Küche und des Wohnzimmers ein bisschen von ihrem Inneren zeigen. Die unbenutzt wirkende Küche, die eigentlich dafür da wäre, sich mit Nahrung – Leben – zu versorgen, als ein Ort ohne Leben, an dem sie sich den Schuß in den Hals setzt … Das reich geschmückte Wohnzimmer als Spiegel ihres tiefsten und im Grunde schönen Inneren. – Auch, wenn das außer mir vielleicht niemand so aufnimmt, war es so gedacht. ;)

Andererseits allerdings ist die Austauschbarkeit gerade auch das was die Geschichte interessant macht. Weil du damit eben nicht auf einen bestimmten Menschen "zielst", sondern eben viele dieser Menschen ansprichst. Ob beabsichtigt oder nicht, es ist auf jeden Fall ein toller Aspekt der Geschichte, der mir gefallen hat.
Freut mich, daß sie Dir trotz der »Klischees« gefallen hat! :)
Deine Korrekturen hab ich übernommen, danke dafür. Hab dabei gleich noch einen Fehler entdeckt … naja, die Geschichte ist ja schon älter. ;-)


Manuela schrieb:
Deine Geschichte hat mir sehr gut gefallen.
Das freut mich sehr. :)
Vor allem, dass du den typischen Klischees ausgewichen bist, fand ich hervorragend.
Ich bin immer froh, wenn meine Kritiker sich so einig sind, wie Ihr zwei. :lol: ;)

Aber back topic: Deine Geschichte besticht für mich durch die gefühlvolle Erzählweise und nachvollziehbare Realitätsnähe. Echt super gemacht. Der pointierte Schluss, ist typisch für die über weite Strecken vorherrschende Gesellschaftsmeinung.
Auch Dein Lob freut mich sehr! :)

Danke Euch beiden nochmal fürs Lesen meiner Geschichte und Eure Anmerkungen dazu,

liebe Grüße,
Susi :)

[edit: Hatte den Text von Manuela schon ins Word kopiert, bevor sie ihn geändert hat - hab jetzt die zuviel zitierten Stellen entfernt.]

 

Servus Häferl,

dachte ich mir doch, den Titel richtig interpretiert zu haben...
Die Geschichte sagt mir zu, leise und rund erzählt, die Selbstlüge wird ohne erhobenen Zeigefinger abgebildet und lässt mich dadurch als Leser eine eigene Meinung haben. Das mag ich.

Ob allerdings Heroin per Post ankommt wage ich zu bezweifeln, besonders dann, wenn es rein ist, also aus einem Ursprungsland stammt (selbst, wenn es umgeschlagen und dann erst versendet wird), der Zoll lässt Drogenhunde durch Importpakete schnüffen.
Dennoch eine Geschichte über Junk und Liebe, die mir zusagt.

Eine Frage noch, ein Häferl ist ein Becher ?!

Grüße,
C. Seltsem

 

Oh, danke Dir für's Lesen und Kommentarschreiben, C. Seltsem! :)

Freut mich sehr, daß Du die Geschichte gut findest. :)

Ob allerdings Heroin per Post ankommt wage ich zu bezweifeln, besonders dann, wenn es rein ist, also aus einem Ursprungsland stammt (selbst, wenn es umgeschlagen und dann erst versendet wird), der Zoll lässt Drogenhunde durch Importpakete schnüffen.
Heute vielleicht nicht mehr, aber zu der Zeit, in der die Geschichte spielt, ging das noch.
Dafür gibt es heute umso mehr Menschen, die es für Geld in ihrem Körper schmuggeln und damit ihr Leben riskieren. :sad:

Eine Frage noch, ein Häferl ist ein Becher ?!
Richtig. :D

Danke nochmal,
liebe Grüße,
Susi :)

 

Hej Susi,

nun hab ich mehr durch Zufall endlich auch mal wieder eine Geschichte von Dir gefunden. Eigentlich bin ich in letzter Zeit viel zu müde, um noch wirklich hier zu lesen, so dass ich oft nur anlese und dann weiterklicke. Deine Geschichte hat mich aber gerade festgehalten.
Du beschreibst sehr eindrücklich, sehr bildlich, die beiden Frauen bekommen eine Tiefe, die in so kurzen Geschichten selten ist. Dazu kommt, dass Du Deine Kritik so geschickt unterbringst, dass sie keinen erhobenen moralischen Zeigefinger enthält, sondern dem Leser viel subtiler mitgeteilt wird. Die süchtige Angie, die ihre Sucht nicht erkennt, und Inge, die glaubt, dass man Heroin nehmen könne, ohne sich zu ruinieren. Das Ende ist zwingend notwendig, denke ich, ein Happy End wäre nicht realistisch.

Eine Geschichte, die im Halse stecken bleibt und lange im Gedächtnis haftet. Nicht schön, weil das Thema es nicht sein kann, aber sehr gut geschrieben.

Liebe Grüße
chaosqueen

 

Liebe chaosqueen!

Danke für Deine lobenden Worte, die tun richtig gut! :) Und besonders freut mich auch, daß Dich die Geschichte trotz Müdigkeit festhalten konnte.

Das Ende ist zwingend notwendig, denke ich, ein Happy End wäre nicht realistisch.
Naja, wenn man es glaubwürdig schreibt, kann es schon ein Happy-End auch geben. Ein paar gibt es ja doch, die davon tatsächlich wieder loskommen. Aber das wäre dann eine andere Geschichte, weil dann der Schwerpunkt bei der Schwierigkeit des Entzugs liegen würde. Zumindest wenn ich sie schreibe. :)

Eine Geschichte, die im Halse stecken bleibt
Ich hoffe, Du hast sie da inzwischen wieder rausbekommen? ;)

Danke nochmal,
alles Liebe,
Susi :)

 

Hej Häferl,

ja, die Geschichte ist inzwischen in den Magen gerutscht und wird verdaut. ;)

Natürlich kann es Geschichten mit Happy End auch bei diesem thema geben, aber - wie Du ganz richtig geschrieben hast - dann wäre der Schwerpunkt ein anderer. Und mir persönlich gefallen Geschichten ohne Happy End oder zumindest mit offenem Ende eh besser, als wenn am ende Friede, Freude, Eierkuchen stehen. :)

Liebe Grüße
chaosqueen

 

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