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Brief zur Erläuterung des Urknalls
Lieber Fritz Säbelböhmer in Obermühlunterhausendorf!
Bevor Du meinen Antwortbrief liest (mit dem ich Deine Fragen hoffentlich sämtliche ein für alle mal beantworte, weshalb ich ihn Antwortbrief nenne, obwohl auch in ihm Fragen vorkommen, so daß man ihn auch Frage- und Antwortbrief hätte nennen können), bitte ich Dich eindringlich, Deinen Alkohol-Pegel sowie Deine Frustrationstoleranz zu erhöhen, weil ich ungern Leute in der geschlossenen Abteilung von Nervenheilanstalten besuche (Antworten sind nicht immer angenehm). Wen Du zu Risiken und Nebenwirkungen befragen kannst, weißt Du, Du weißt hoffentlich auch, wo Du kompetente Hilfe für die Behandlung seelischer Wunden bekommen kannst.
Bei den meisten der Leute, die einen Brief von mir gelesen haben, stellte ich einen mittelfristigen IQ-Abfall von 7,5% fest, was in einigen Fällen konkret bedeutete, daß der Grenzbereich mentaler Invalidität erreicht wurde (alle diese Personen waren später als Politiker erfolgreich).
Auch ich erhalte manchmal Post, die Auswirkungen auf mich hat. Als ich mich gestern ärgerte, daß mein Rasierapparat schon wieder hin ist, deutete ich erst nach etwa drei Minuten das (für einen Rasierapparat) ungewöhnliche Tuten richtig und legte den Hörer wieder zurück auf die Gabel. Insgesamt stelle ich fest, daß die Zahl meiner Kontakte negativ korreliert zu ihrer Freiwilligkeit, oder anders ausgedrückt: arbeite ich zuviel und vermisse schmerzlich eine Linderung meines erschreckenden Hirnzellensterbens durch Vernunft in der Welt. Ist es Zufall, daß die Zahl der hirnverkrüppelten Leute in meiner Umgebung ständig wächst (oder nimmt diese Zahl allgemein zu, sozusagen als prozentuales Äquivalent zur Scheiße, die im Fernsehen läuft?)? Nein, der Zusammenhang ist ein anderer; leider gilt für die Kommunikation mit Lebewesen eines intellektuellen Levels zumindest oberhalb des homo erectus, daß rudimentäre inhaltliche Einheiten erwünscht sind. Ich weiß, mehr, viel mehr aus Obermühlunterhausendorf zu verlangen, wäre auch nicht zweckdienlich.
Bei Frauen bevorzuge ich mittlerweile die Taubstummen, das hat den Vorteil, daß sie nicht plötzlich den Mund aufmachen und anfangen zu quatschen, zu quatschen und endlos zu quatschen, ohne Unterlaß und ohne Unterbrechung, ohne Inhalt und ohne Sinn und Zweck wie meine Kollegin Sybille. Immerhin hatte sie im April einen lichten Augenblick. Sie sagte: "Bin ich froh, daß ich mir nicht selber zuhören muß." Bekannte haben mir geraten, sie einfach umzubringen, was natürlich nicht meiner pazifistischen Einstellung entspricht, aber nicht zu vermeiden ist, glaube ich, sie irgendwann demnächst links und rechts und wieder links und rechts ins Gesicht zu schlagen.
Du siehst, mir geht es gut. Wenigstens bin ich nicht tablettensüchtig und hatte noch nie Malaria oder Hodenbruch. Ich hoffe, Du hast einigermaßen schnell jemanden gefunden, der Dir diesen Brief vorliest, so daß Du mir noch mitteilen kannst, wann Du denn gedenkst, nach Wetzlar zu Besuch zu kommen.
Vor kurzem habe ich auf eine Kontaktanzeige geantwortet, und sie (eine Frau) hat tatsächlich geantwortet auf den abgründigen Schwachsinn, den ich zu Papier brachte, also angerufen. Sie ist total intelligent und wundert sich trotzdem, daß die Männer Angst vor ihr haben, und ich hätte nicht sagen sollen, daß Dumme halt besser ficken; vielleicht hätten wir uns getroffen und geheiratet und eine Handvoll unheimlich intelligenter und unglücklicher Kinder gezeugt, denn daß Intelligenz und Unglück einander fördern, ist ja jedem klar, der nicht bei acht steckenbleibt, wenn er seine Finger zählen soll.
Inspiriert durch die Lebensgeschichte König Ludwigs von Bayern habe ich übrigens damit begonnen, einen historischen Roman zu schreiben, und bin jetzt bereits im Besitz von knapp 150 Seiten handschriftlichen Mülls, den ich, wenn kein Verlag ihn will, der NATO anbieten werde. Vielleicht ist das Zeug auf irgendeine Weise für Nervenzellen tödlich oder so. Möglicherweise könnte man es in den Weltraum schicken und Außerirdische erschrecken, obwohl's da schon besseres gibt wie zum Beispiel Übertragungen aus dem Deutschen Bundestag. Wenn ich fertig bin, schick' ich Dir das Skript zur Durchsicht, aber verabschiede Dich vorher von Deinen Freunden, falls Du welche haben solltest. Das wirklich Erstaunliche an König Ludwig von Bayern ist ja (und darum war ich so fasziniert, daß sogar noch eine Inspiration daraus geworden ist am Schluß), daß er haargenau an seinem Todestag gestorben ist, als ob er vorher Bescheid gewußt hätte!
Übrigens für Deine Tips bezüglich Sybille, meiner Kollegin: danke.
Wann glaubst Du, wird etwas eben Besprochenes und Analysiertes und Beschlossenes noch einmal analysiert und besprochen? Einen Tag später? Eine Woche später? Natürlich gleich im Anschluß, und ganz von vorn, als wäre nichts besprochen, nichts analysiert und nichts geschehen. Das ist der Grund dafür, daß ich sie töten müßte (wenn ich kein Pazifist wäre) (vor wenigen Stunden hat sie mir ihren Jamaika-Urlaub zum zwölften Mal ausführlich erzählt, und ich hätte sie fast getötet) (ich wollte nur betonen, wie friedfertig und pazifistisch ich bin, denn: jeder andere hätte sie getötet!).
Nebenbei möchte ich Dich schwerpunktmäßig bitten, mir niemals wieder einen Brief zu schreiben. Meine (unüberlegte, und wie sich jetzt herausgestellt hat: leichtsinnige) Bitte, nach der nicht ohne Konsequenzen bleibenden Lektüre des ersten um einen zweiten, resultierte aus maßloser Selbstüberschätzung und dem heroischen Willen, meine Widerstandskraft zu steigern und mir zu beweisen, daß ich ein harter Bursche bin, der einstecken kann. Daraus wurde ein Waterloo meiner auf Reserve laufenden Hirnfunktionen. Seit gestern werde ich mittels Lebensmittelschlauch ernährt, da nur noch meine vegetativen Systeme zumindest rudimentär vorhanden sind. Noch ein Brief würde aber unvermeidlich die enzymatischen Vorgänge entlang meiner Dendriten blockieren (wie das die Ärzte sagen), und nicht nur mit der Atmung wäre es Essig. Bis zu meiner Party hoffe ich wenigstens die notwendigsten Fähigkeiten des Dummschauens und Blödgrinsens wieder zu entwickeln, die für das Erobern von Frauen unersetzlich sind. Schreib mir also erst wieder, wenn Dich die Nachricht erreicht, daß ich fähig bin, beim Pinkeln die Kloschüssel zu treffen ohne vergessen zu haben, mir den Reißverschluß meiner Hose zu öffnen (aber besser noch: schreib mir niemals mehr wieder). Zudem bleibt nur zu hoffen, daß der Zahnarzt bei der Behandlung, die Dir bevorsteht, ausrutscht und Dir dabei die Stimmbänder durchtrennt, so daß auch ein Anruf Deinerseits mein Überleben nicht zu gefährden droht.
Schade, daß Du zur Party nicht kommen kannst; eine Frau zeigte aufgrund meiner Erzählungen und der Beobachtung meines seelischen Zustands infolge des Kontakts zu Dir reges Interesse, Dich kennenzulernen, allerdings arbeitet sie in der psychopathologischen Abteilung des Instituts für mentale Deviationsforschung.
Falls Du mir dennoch den Rest geben willst mittels eines neuen Briefs, vermeide zumindest - und dies ist ein Flehen, ein Winseln um Gnade für den Besiegten, am Boden Liegenden - so verdammte ausländische Wörter wie „komparativ“, „Philosophie“ oder „normal“ - zumal die Hoffnung besteht, daß Du es bislang nicht mit Absicht getan hast, sondern in Unkenntnis meines schwindenden Halts in der Welt und dem Dasein.
Zu Deinem März-Besuch: ich bin in jenem Monat häufig zu gesellschaftlichen Ereignissen eingeladen, was es problematisch macht. Schließlich kann ich Dich ja schlecht mitnehmen, solange ich beabsichtige, in dieser Stadt beheimatet zu sein (auch wenn mir geglaubt würde, daß Du mir ohne meine Zustimmung einfach von der Busstation gefolgt bist, wäre das Risiko, ausgestoßen und vertrieben zu werden, enorm).
Gestern war ich auf einem Arbeitskreis, nicht ohne wie jedesmal die fruchtbare Erörterung erleben zu dürfen, wozu dieser Arbeitskreis überhaupt da ist. Ein Beispiel ist der multikulturelle Arbeitskreis, dessen Ergebnisse auf drei zyklisch wiederkehrenden Fragen beruht:
1. Wird vorliegender Antrag auf Finanzierung bezuschußt?, also: hat der Antrag eine multikulturelle Zielsetzung?, danach:
2. Was ist eigentlich multikulturelle Arbeit?, und drei bis vier Sitzungen später:
3. Gibt es multikulturelle Arbeit überhaupt?
Konstruktiver ging es woanders zu: auf einem parallel laufenden meiner Arbeitskreise hat mich Sybille vertreten (er hat sich aufgelöst). Generell wurde auf einem Arbeitskreis letztes Jahr festgestellt, daß es zu viele Arbeitskreise gibt; aus diesem Grund wurde ein Arbeitskreis gegründet, welcher feststellen soll, welche Arbeitskreise überflüssig sind; ich habe vorgeschlagen, vorher einen Arbeitskreis zu gründen, der erarbeitet, wer in dem Arbeitskreis vertreten sein soll, der entscheidet, welche Arbeitskreise überflüssig sind, aber es hat mir nichts eingebracht (außer Unverständnis), und fast wäre ich hinausgeworfen worden.
Willst Du Sybille nicht einmal kennenlernen? Wenn Du es schaffen kannst, sie zum Schweigen zu bringen, sieht sie gar nicht so schlecht aus.
Ein bißchen schwierig ist es mit unserer Praktikantin: es ist einfacher, etwas selber zu erledigen, als sie mit etwas zu beauftragen, da das Erteilen komplexer Arbeitsaufträge Probleme bringen kann. Ein Beispiel für eine komplexe Anweisung wäre zum Beispiel, ihr zu sagen, bei Hasenbräu anzurufen und zwanzig Kästen Cola-Mix zu bestellen. Bei ihr müßte man, um beispielsweise beim Beispiel zu bleiben, dies in Einzelschritte unterteilen, also:
1. Begib dich in die Nähe des Telefons.
2. Nein, noch näher, so daß du es mit dem Arm erreichen kannst.
3. Führe die Hand zum Hörer.
4. Abnehmen!
5. Und jetzt den Hörer andersrum.
6. Anders anders rum!
Einmal habe ich sie geschickt, eine geliehene Fotobuttonsmaschine zur 15 Minuten entfernten Sportjugend zurück zu transportieren; sie kam nach vier Stunden zurück, und zwar mit Fotobuttonsmaschine, weil sie sich verfahren hatte, und, wie sie sagte, froh war, wieder zurückgefunden zu haben. Dabei hätte sie nur zweimal abbiegen brauchen und trotzdem hatte ich ihr eine genaue Wegbeschreibung mit dicken Filzstiften auf ein großes Stück Papier gezeichnet. Kollegin Sybille mag sie, da es so möglich ist, ein und dieselbe Sache 10x hintereinander zu erklären ohne Pause machen zu müssen. Die tägliche Gruppenstunde im örtlichen Irrenhaus ist eine Uni-Ringvorlesung gegen das, was sich bei uns erleben läßt.
So, nun, da meine Kräfte nach einem weiteren glorreichen Arbeitstag schwinden, werde ich enden.
Dankbar wäre ich Dir mal für ein paar Tips, was es mit dem weiblichen Geschlecht auf sich hat. Du liest doch ständig diese schlauen Bücher und bist als einziger, den ich kenne, in der Lage, seinen Videorekorder so zu programmieren, daß anschließend auf dem Band ist, was aufgenommen werden sollte (bei mir ist, egal, was ich programmiere, am Schluß immer „Die Schwarzwaldklinik“ auf dem Band). Also hilf mir.
Weißt Du übrigens, daß ich mir Sorgen um Dich mache? Dein konfuses Geschreibe, Dein konfuses Schriftbild und Dein konfuser Stil deuten darauf hin, daß Du Dir keine Gedanken mehr darüber machen solltest, verrückt zu werden, sondern über Heilungschancen. Nun, auch bei mir läuft irgend etwas Seltsames. Seit Wochen lerne ich ausschließlich Frauen kennen, die Sybille heißen. Mit niemand kann ich darüber sprechen.
Was Dich betrifft, würde ich Dir raten, jegliche Analyse auszusetzen und erst mal eine Phase psychischer Stabilität abzuwarten. Um dies zu erreichen, ist es von Vorteil, jeglichen Kontakt zur Außenwelt abzubrechen. Schließe Dich in der Wohnung ein und spüle den Schlüssel sowie Ersatzschlüssel ins Klo hinunter. Anschließend zertrümmere das Telefon mit einem Hammer oder schmeiße es kräftig gegen die Wand. Dann die Klingel abmontieren und zusammen mit Fernseher, Radio und Computer zum Fenster hinaus. Zuletzt Rollos runter und zunageln oder verkleben.
Bitte unterlasse in jedem Fall zukünftig Vergleiche zwischen Dir und Conan, dem Barbaren. Es verursacht mir Schmerzen.
Deine Erzählung war außerdem sehr wirr, aber ich erwähnte ja schon, daß ich mir Sorgen mache. Vielleicht ist es für uns beide das ganz grundsätzliche Problem, nicht zu dem Planeten zu passen. Somit bleibt nicht viel mehr als die Hoffnung auf eine schnelle Entwicklung der Raumfahrt-Technologie. Oder zumindest die Aussicht, benachbarte Zellen zu erhalten, wenn es soweit ist.
Immerhin ist es erstaunlich, daß unser Kontakt noch besteht, ist er doch letztlich Munition für alle, die meinen, daß die Todesstrafe nicht das Schlimmste ist, was einem passieren kann.
Für einige Deiner Aussagen (ich beschönige, indem ich sage: Aussagen) müßte man Dich einfach nur ohne Unterlaß ins Gesicht watschen.
Du bist zu alt für die Liebe?
Armer Irrer, als ob Dir das was nützen könnte.
Die Antwort auf die Frage übrigens, warum ich Probleme bekomme, wenn Du Dich mit Conan vergleichst, lautet, daß dieses Problem nicht spezifisch, sondern immanent ist. Es gibt niemanden, der keine Probleme bekommt bei diesem Vergleich. Naja, ich wünsch Dir noch was (und schreib mir bitte nicht so schnell wieder) und vergiß nicht, daß die Linearität der Zeit hinsichtlich der Kohärenz der Linearität der Höhe ähnelt, falls die Wirkung selbst eine Ursache ist, die die Ursache der Wirkung determiniert (womit bewiesen scheint, daß die Zeitachse ein Evolutionsprozeß ist) (somit hängen Gegenwartszustände von verschiedenen nichteindeutigen Ursachen ab {um nicht zu sagen, daß Gegenwart aus nichtidentischen Vergangenheiten herleitbar ist [ein neues Modell]}), und als einziges bestimmt und als solches strukturell semi-flexibel ist (aber zerbrich Dir nicht zu sehr den Kopf darüber).
Dein Freund Dieter
P.S.: Übrigens war der Urknall ziemlich laut.