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Café Ellinikós

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06.10.2017
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Café Ellinikós

Der Zug rattert bergan, gleichmäßig und unbeirrbar wie eine Lawine im Rückwärtsgang, und durchpflügt die flirrende Hitze. Die vertrockneten Grashalme am Rande der Böschung bewegen sich im Wind wie die Haare einer schlafenden Hexe. Ray setzt die Baseballkappe ab, wedelt sich Luft zu und streicht eine nasse Strähne aus der Stirn. Vorsichtig betastet er die Beule am Haaransatz und schaut aus dem Fenster.
„Ein Fisch“, sagt er, mehr zu sich selbst.
Der Mann neben Ray sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass er gar nicht dort sitzt.

„Wäre doch wirklich toll, Ray, wenn wir einen Hund hätten ….“ Jane nahm eine ihrer dicken, roten Haarsträhnen zwischen die Finger, wedelte ihm damit vor dem Gesicht herum, kitzelte seine Nase und machte leise Winselgeräusche.
„Guck mal, wie der sich freut! Der mag dich!“, sagte sie.
Ray lachte, schnippte den Wedelschwanz zur Seite und küsste Jane auf den Hals.
Auf die Stirn. Andere Seite vom Hals. Ohren. Brust. Überall.
Alles.
Später zupfte sie ein wenig auf ihrer Gitarre und begann, leise zu singen:
“Oh Ray,
won’t you buy me
a cute little dog … “
In gespielter Genervtheit stöhnte er auf, verdrehte die Augen, und plötzlich wechselte Jane zu Punk, griff abwechselnd drei Akkorde, haute hart in die Saiten und ließ ihre Locken durch die Luft fetzen. Ray war sprang auf, war bereit: der Meister der Luftgitarre, King of Headbanging. Er spielte zusammen mit Jane in perfekter Disharmonie, bis er nicht mehr konnte, bis er seine imaginäre Gitarre zertrümmerte und sich erschöpft zurück auf die Dielen fallen ließ. Mein Gott, dachte er schwer atmend, wir haben Massivholzdielen …
Vor zwei Monaten waren sie zusammen in die Wohnung gezogen, Ray und Jane, und noch immer fühlte er sich ein wenig wie ein Einbrecher. Mitten in der Stadt gelegen, in einer der hippen Ecken – natürlich war das kein Schnäppchen, aber die hohen Decken, die Holzböden, der Erker, der Balkon mit Abendsonne und Blick ins Grüne entsprachen genau dem, was Jane sich vorgestellt hatte.
Du musst dann heute mit dem Hund gehen“, sagte Ray grinsend, als er sein weißes Hemd zuknöpfte. „Der Herr Ober muss jetzt leider los.“
„Wir spielen heute Abend im Krachhaus“, sagte Jane.
„Armer Hund“, sagte er und zerwuselte ihre rote Mähne, die sie gerade zu bürsten begonnen hatte.

Ray zusammen mit Jane in dieser Wohnung ... Things on strange places – so hatte er eine seiner Fotoserien genannt. Das Leben schien seinen Spaß daran zu haben, unpassende Dinge zu kombinieren. Er verbrauchte einen Großteil seiner Energie dafür, Jane nicht merken zu lassen, dass das so war. Schon recht irgendwie, wenn sie etwas stilvoller wohnten. Mit ein paar zusätzlichen Nebenjobs würde er das hinbekommen.

Er ließ die Kamera sinken, für den Fisch war er zu langsam gewesen.
Es war stickig und warm, und beim Anblick des alten Ehepaares, das ihm schräg gegenüber saß und angezogen war, als würde es nach Alaska fahren, schwitzte Ray noch mehr. Der Mann spielte mit den Kugeln eines Perlenkettchens, das er in der Hand hielt. Als er merkte, dass Ray ihn dabei beobachtete, zwinkerte er ihm zu. Die Lachfalten in seinem Ledergesicht ließen Ray an die Porträts denken, die er im Altersheim gemacht hatte. Er war geduldig gewesen, hatte lange mit den Leuten geredet, sie erzählen lassen und so getan, als hätte er selbst etwas zu erzählen. Am Ende waren es genau die Fotos geworden, die er sich vorgestellt hatte: Keine senilen, zahnlosen Sabbergreise mit trübem Blick, sondern verwegene Abenteurer, unsterblich Verliebte, verschlagene Halunken und neugierige Kinder, deren Augen die Vergangenheit spiegelten. Und allen stand zum Schluss die gleiche Verwunderung darüber im Gesicht, wie sie hierhergekommen waren.
„Komboloi“, sagte der Alte stolz und ließ den Perlenkranz zwischen seinen Fingern einen klackernden Tanz vollführen, und dann legte er selbst los und brachte seine Sprache zum Springen: ratterte labyrinthartige Sätze herunter, komplizierte Wörter, für die es besondere Buchstaben brauchte. Vielleicht erzählte er seine Lebensgeschichte, rezitierte ein Gedicht, erklärte, wie der perfekte Schnaps gebrannt wurde, schimpfte über den Zustand der Welt oder fragte Ray nach dem Woher und dem Wohin, nach seinem Ziel.
Einfach weg – das war Rays Ziel. Egal wohin, eigentlich. Hinter die Berge.
Der Zug erreichte eine Hochebene, Olivenhaine zogen vorbei, Feigenbäume, niedrige Eichen und schlitzäugige Ziegen, die durch die Macchia staksten und an den Rinden der Bäume knabberten.

„Ziegenhirte“, sagte Jane und führte ihre Zungenspitze an die Lippen, „Dimi sieht aus wie ein Ziegenhirte!“
Ray hatte seine neuesten Porträtfotos auf dem Esstisch ausgebreitet, betrachtete sie kritisch und überlegte, welche davon er für den Wettbewerb einreichen könnte.
Das Bild von Dimi wäre auf jeden Fall dabei. Er war einer der Vollzeit-Kellner im Hellas – der Neffe vom Chef. Ein echter Kumpel, und an den Tagen, an denen Ray dort aushalf, waren sie beide das Dream-Team, die Trinkgeldkönige.
„Tss, tsss, keine Vorurteile, du schlimmer Mensch! Nur weil er ein Ziegenbärtchen hat und Grieche ist …“ Ray lachte, biss Jane in den Hals, machte Hundegeräusche: winselte, knurrte, hechelte.
Die Sonne schien durchs offene Fenster und die hellen Vorhänge bewegten sich leicht im Wind.
„Guter Hund!“, sagte Jane und kraulte ihm das Kinn.

Ziegenhirte, dachte Ray grinsend, als er und Dimi an diesem Abend ihre Athenteller, Olympia-Spieße und Getränketabletts aneinander vorbei jonglierten. Dabei hätte Dimi alles sein können. Mit seinem Blick, der jede Kleinigkeit aufsaugte, als wäre sie bemerkenswert, dem Lachen, das selbst die griesgrämigsten Gäste gegen ihren Willen die Mundwinkel nach oben ziehen ließ, seinen Rabenhaaren und den strahlenden Zähnen – kleinen Leuchttürmen, die abwechselnd mit den Augen helle Blitze in die Umgebung schickten. In die jeweiligen Klamotten gesteckt wäre er als Juniorchef einer Investmentfirma durchgegangen, als Dirigent eines Symphonieorchesters, als genialer Astrophysiker – oder eben tatsächlich als junger Ziegenhirte, zufrieden in die Kamera blickend, abgelichtet unter einer knorrigen Olive, auf deren Zweige die Abendsonne schien.
Er war Kellner im Restaurant seines Onkels, aber das würde er nicht bleiben.

„Bald bin ich hier weg“, sagte Dimi, als beide nach Küchenschluss einen Absacker tranken. „Malaka“, zischte er leise – keine Vokabel, die es auf die bedruckten Servietten geschafft hätte – und deutete mit dem Kopf in Richtung seines Onkels. Dimi schenkte nach, und während er erzählte, richteten sich seine Leuchtaugen in die Ferne, auf bizarre, schneebedeckte Berge und in dunkle Schluchten, tiefer als der Grand Canyon, aus denen einst seine Großeltern gekommen waren. Noch immer nahezu unberührt, das Pindos-Gebirge, und genau darin läge das Potential. Eine Goldgrube wäre das: ein kleines, uriges Hotel, Trekkingtouren, Rafting, Mountainbiken, und am Ende eines aufregenden Tages die herrlichsten Speisen, direkt aus den dampfenden Kesseln der Götter, aus den Flüssen und Wäldern, von den sonnigen Hängen und aus den grünen Tälern. Forellen, Kaninchen, Pilze, Käse, Wein, Tsipouro ... „Hör auf“, sagte Ray, „ich krieg‘ Hunger!“
„Alles original und unverfälscht“, sagte Dimi. Ruhe pur, nur das Rauschen der Eichenwälder und ab und zu das Heulen der Wölfe, manchmal kämen ein paar Bären vorbeispaziert …
Dimi strich sich durchs Haar, während er erzählte, knippelte am Ouzo-Etikett, legte einen kleinen Kreis aus Papierkügelchen, zerstörte ihn wieder, begann von vorne und summte dabei leise. Dann sah er Ray fragend an, als hätte er ihn komplett vergessen. Schenkte nach. Ja, sagte er, das würde er machen, wenn er genügend Startkapital zusammen hätte. Zunächst wollte er hier etwas Eigenes aufbauen: ein kleines Café, ein Kafenion mit Stil, abseits der üblichen Athenteller-Gastronomie. Ein Geheimtipp würde das werden, ein paar kleine Gerichte, jeden Tag frisch zubereitet nach den Rezepten seiner Giagia. Orangenkuchen, Tyropita, Stifado … Die Einrichtung ganz im Stil dieser Bergdörfer, Naturstein und Holz, ein knisterndes Kaminfeuer, mit einer kleinen Bühne vielleicht sogar, und er könnte …
Ray schob sein Glas über den Tisch. Er schrieb am nächsten Morgen eine Klausur, die er nicht verhauen durfte – sowieso hatte er sein Studium ziemlich vernachlässigt in letzter Zeit … Aber es war gut, mit Dimi hier zu sitzen und seinen Visionen zuzuhören. Jemand, der wusste, was er wollte: das würde er auch gern sein.
Die Flasche war fast leer, als Ray sagte: „Lass uns das zusammen machen! Ich kann kochen lernen und alles, zum Großmarkt fahren, Salat putzen, servieren. Ich kann … Alles.“
Sie schoben ein Blech Moussaka in den Ofen, öffneten eine Flasche eisgekühlten Wein und redeten weiter. Sprachen über Details, über Nägel mit Köpfen. Es war ganz einfach, sie hatten eine Vision und Ideen und es konnte funktionieren. Es würde funktionieren.
„Kafé Ellinikós“, sagte Dimi und servierte schwankend zwei kleine Tassen sehr süßen, starken Kaffee.

Die Frau des Geschichtenerzählers öffnete ihre verbeulte Thermoskanne, und Kaffeeduft durchströmte das Abteil. Der Alte hörte schlagartig auf zu reden, als hätte man ihm den Stecker gezogen, und nahm den dampfenden Becher entgegen.
Ray malte mit dem Finger einen Kreis auf die Fensterscheibe, zwei Punkte für die Augen, ein Smiley ohne Mund. Die Landschaft wischte vorbei wie Fotos auf einem Smartphone: trockenes Gras und Ginster und Schafe und Eichen und Ziegen und nichts, NichtsNichts, NichtsNichts, NichtsNichts, bis sie den Tunnel verließen und eine neue Gegend erschien. Der Zug schrammte links millimeterdicht an den Felswänden vorbei und rechts am Abgrund – kein Platz mehr für irgendwas, um neben den Gleisen zu liegen. Eine Eisenbrücke tauchte auf, die ins Endlose zu führen schien; auf filigranen Stelzen überspannte sie eine Schlucht und wirkte wie die Hauptattraktion eines stillgelegten Vergnügungsparks. Die Männer, die das gebaut haben, dachte Ray, hätte ich gerne porträtiert.

Porträtaufnahmen waren inzwischen Rays Steckenpferd, obwohl er die Serie mit den Dingen an seltsamen Plätzen immer noch sehr mochte. Eine Blechgießkanne am Rand eines Roggenfeldes zum Beispiel, eine Luftmatratze auf zugefrorenem See, ein Fahrrad unterhalb der Klippen ...
Wenn sie ihr Café hatten, würde er ein kleines Studio im Nebenzimmer einrichten, er könnte die Gäste porträtieren, in seiner eigenen Galerie ausstellen … Er reihte Detail an Detail, redete sich in Ekstase, und Dimi und Jane verdrehten synchron die Augen. „Oh Mann, Ray! Ruhe jetzt, wir haben’s verstanden“, stöhnte Jane und hielt ihm den Mund zu. Ihre Hand roch nach frischem Oregano.
Jane und Ray hatten griechisch gekocht und Dimi zu sich eingeladen. Ihre Moussaka hatte sein Wohlwollen gefunden, die Aufnahmeprüfung bestanden, und das Joghurt-Kirsch-Dessert, das Jane danach servierte, quittierte er mit nach oben gestrecktem Daumen und Kussmund.
Jane nahm ihre Gitarre und zupfte etwas, das entfernt griechisch klang. „Und das Coolste ist, ich kann dann jederzeit mit meiner Band dort auftreten!“, sagte sie.
„Hm, solange wir nichts Besseres haben … manchmal ... Mal sehen“, sagte Dimi, ohne das Gesicht zu verziehen. Jane stutzte kurz, dann schüttelte sie ihre Faust unter seiner Nase, sagte Na warte! und boxte ihn mehrfach in die Seite.
Ray lehnte sich zurück. Er war sich sicher gewesen, dass es funktionieren würde, dass sie die gleiche Wellenlänge hatten: Jane und er und der Ziegenhirte, wie sie Dimi nun manchmal nannten, wenn er nicht dabei war.
Ray brachte drei Tassen Kaffee an den Tisch. Café Ellinikos, so wollten sie ihr Restaurant nennen.
Jane scrollte durch verschiedene Webseiten, machte Notizen, kaute an ihrem Stift. Sie hatte zwei Semester BWL studiert, bevor sie auf Pädagogik und später auf Schmuckdesign umgestiegen war, und nun fachsimpelte sie und kalkulierte, als hätte sie nie etwas anderes getan und Ray war wieder fasziniert davon, wie sie das immer hinbekam: gleichzeitig seriös und wild auszusehen.
„Geschmorte Kaninchenkeule“, sagte Dimi und schenkte allen Wein nach, „in Weißwein, mit Knoblauch und Thymian. Pfeffer natürlich und ein bisschen Zimt …“

Ein Hauch von Thymian wehte herüber, als die alte Frau die Thermoskanne wieder in ihrem Korb verstaute und dabei ein frisches Kräuterbündel berührte.
Die beiden Alten wären sicher ein gutes Motiv, dort, wo sie hingehören, dachte Ray, während das Ehepaar in seinen dicken Jacken diverse Koffer, Körbe und Tüten aufnahm und damit den Zug verließ.

Dimi hatte vorgeschlagen, gemeinsam in die Heimat seiner Großeltern zu fahren. Eine Studienreise, Inspirationen sammeln, alte Rezepte erfragen, wertvolle Überlieferungen vor der Versenkung bewahren – und Ray könnte fotografieren: Schluchten und gepflasterte Pfade, die tief in die Wälder und in die Vergangenheit führten, das schwarze Wasser des wilden Acheron, Natursteinhäuser mit Schieferdächern, die silbern in der Sonne schimmerten, und natürlich die Menschen, die darunter wohnten: eine Giagia, eine alte Bäuerin mit Kopftuch und krummen Beinen, die nie aus ihrem Bergdorf herausgekommen war, aber dennoch die ganze Welt gesehen hatte; einen kleinen Jungen mit abgeklebtem Brillenglas, der im Regen auf einer Steinmauer saß und einen nassen Hund umarmte; einen Ziegenhirten, zufrieden in die Kamera blickend, abgelichtet unter einer knorrigen Olive.

Sie würden alleine fahren, Dimi und Ray. Jane musste für ihre Klausuren lernen; Ray selbst hatte sein Studium abgebrochen, um mehr Zeit für die Jobs zu haben. Seit kurzem war er tagsüber als Fahrradkurier unterwegs: Speedy Ray, ein Pegasus mit bereiften Hufen, der über die Straßen der Stadt flog, von nichts und niemandem aufzuhalten, und mit diesen Fotos würde er seinen Durchbruch schaffen.

Ray musste geschlafen haben. Auf den Plätzen schräg gegenüber saßen mittlerweile drei Gestalten in schwarzen Gewändern, mit hohen Hüten und dichten Bärten. Märchenfiguren, diffusen Kindheitserinnerungen entsprungen: orthodoxe Priester, die mit ihren Perlenkränzen klapperten, während sie sich murmelnd unterhielten. Einer trug eine schwere Goldkette um den Hals und erinnerte Ray an einen alternden Gangster-Rapper. He, Brüder, stellte er sich vor, die drei zu fragen, was dagegen, wenn ich ein paar Porträts von euch mache?

„Schöne Kette“, sagte Ray, als er mit seinen Küssen an Janes Halskuhle angelangt war. Er betrachtete das silberne Amulett, das an einem Lederband hing. „Neu?“
„Ja“, sagte Jane, „Das ist so ein Griechen-Ding, ein Zauberkreis. Hat der Ziegenhirte mir gegeben, zur Besiegelung unserer Café-Ellinikós-Partnerschaft sozusagen. Total süß, oder?“
„Total“, sagte Ray und widmete sich wieder Janes Hals, den Ohren, der Brust und dem Bauch, aber dann kam Moff angejapst und kläffte hysterisch, sprang zwischen den beiden hin und her, und Jane sagte: „Oh! Kannst du bitte nachher mit Moff gehen? Ich muss gleich mit Dimi zu diesem Makler. Wenn wir Glück haben, bekommen wir heute den Zuschlag für die Räume!“

„Fuck - was ist das denn?!“, hatte Ray eine Woche zuvor gefragt, als er von seiner Kurier-Tour heimgekommen war, durstig und verschwitzt, und fast über eine graue Fellrolle gestolpert wäre, die im Flur auf den Holzdielen lag und ihn misstrauisch anblinzelte.
„Das ist unser Hund, Ray!“ Jane platze fast vor Begeisterung und ihre roten Haare standen wild nach allen Seiten ab.
„Wie, jetzt …“, sagte er und kratzte sich am Kopf. „Wir brauchen keinen Hund! Jetzt noch nicht, jedenfalls. Du weißt das auch … Aber das hier - das ist ein verdammter Mops! Vor allem brauchen wir keinen gottverdammten Mops!“
Janes Gesichtsausdruck schwankte zwischen beleidigt, traurig und trotzig, aber dann bewegte sich der Hund, schnupperte an ihr, sabberte, schniefte, musterte Ray mit skeptischen Knopfaugen und zerfurchter Stirn – und Jane sah einfach nur glücklich aus.
„Er heißt Zeus“, sagte sie leise und kraulte die Speckwülste auf dem Rücken des Tieres. „Ein Freund vom Ziegenhirten – also der Vater von dem Freund eigentlich, von dem ist die Mutter ins Heim gekommen. Ganz plötzlich. Und jetzt ist da Zeus … Na ja, und Dimi wusste ja, dass wir einen Hund wollen und …“
„Hund …“, sagte Ray tonlos.
„Wir können ihn auch anders nennen“, sagte Jane.
„Horst“, sagte Ray, „Klingt doof und nach kurzen Beinen. Passt.“
Jane verdrehte die Augen und presste ihre vollen Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Zeus atmete.
Die Welt ist voll von herrlichen Hunden, großen Tieren mit klugen Augen, ausdauernd und schnell, loyal bis in den Tod, dachte Ray, aber ein Mops, Heilige Scheiße …
„Moff?“, schlug er vor und kniff dem Tier leicht in den Nacken.
„Moff …“, probierte Jane nachdenklich. „Moff ... Moff!“
Sie lächelte entgegenkommend. „Ja, Ray - das klingt wirklich gut! Das klingt nach Mops und Wuff und tatsächlich auch nach kurzen Beinen: Moff!“
Ray unterdrückte ein Grinsen. Seine Intention war letztlich gewesen, eine Kurzform für Motherfucker zu finden. Tut mir leid, Jane, dachte er, irgendwann werden wir Kinder haben, freche, rothaarige Rotznasen, die einem riesigen Setter hinterherjagen, und allen werden wir wunderschöne Namen geben.

Hätten wir ihnen gegeben“, sagte Ray leise zu sich selbst. Neben ihm saß ja niemand – der Mann, der eigentlich dort sitzen sollte, lag jetzt im Krankenhaus, den Kopf einbandagiert wie eine ägyptische Mumie.
Gut, vielleicht war es auch nicht ganz so schlimm.
Wahrscheinlich lag er zu Hause, erholte sich von den Blessuren, eine Schnabeltasse voll Tee in der Hand und neben sich seine fürsorgliche Freundin.

Seine Freundin.
Falls Jane nicht gerade kopf- und ziellos durch die Straßen rannte und
Moff! rief, was ziemlich wahrscheinlich war: „Moff! Moooohoff!
Ray liebte sie immer noch bei dieser Vorstellung.

Die Abendsonne scheint durchs offene Fenster, die Vorhänge bewegen sich im Wind.
Janes Haar glüht wie Kaminfeuer, aber ihre Augen sind starr vor Kälte.
„Rainer … Ich muss … “, sagt Janes Stimme.
Da weiß Ray, dass es vorbei ist.
Er betrachtet den Schatten an der Wand, ihr Profil an der grauen Tapete, der Mund bewegt sich, geht auf und zu und sagt Wörter wie Dimitris und passiert und Café und Schnapsidee und trotzdem Freunde. Ihre Schattennase ist viel zu lang, einzelne Locken springen auf und ab, und Ray denkt: Ich werde nicht miterleben, wie dieses Haar seine Leuchtkraft verliert.
Ray sagt ein paar sinnlose Sätze, die mit Aber beginnen. Er hört wieder auf, als er merkt, dass die Wörter noch gar nicht erfunden sind, die irgendetwas ändern könnten.
Moff liegt auf seinem Kissen und bewegt die Augen zwischen Jane und Ray hin und her, langsam und gelangweilt wie ein geschmierter Schiedsrichter.
„Hm“, sagt Jane, „blöd jetzt - aber ich muss wirklich zur Probe … Wir reden später weiter, ja? Tut mir leid … Alles …“
„Ja“, sagt Ray und schaut ihr ins Gesicht, sieht dort verschiedene, komplizierte Ausdrücke in schneller Folge miteinander verschmelzen wie durch Morphing: Bedauern, Erleichterung, Schuld, Verliebtheit, Trotz und …
Er wartet nicht ab, was davon am Ende stehen bleibt; er dreht seinen Kopf zurück zur Tapete, schaut zu, wie der Schatten verschwindet und eine leere Leinwand hinterlässt, als wäre es ein Film ohne Abspann.

Jane hat ihre Gitarre mitgenommen, also kann er sie nicht zertrümmern. Er denkt kurz darüber nach, die Wohnung zu verwüsten, die Dielen rauszureißen, die Fenster einzuschlagen, aber dann packt er nur die Kamera und ein paar Klamotten in den Kurierrucksack, stopft Moff obendrauf, springt aufs Rad und flitzt mit seinem wütenden Gepäck auf dem Rücken quer durch die Stadt, überfährt rote Ampeln, holpert Treppen hinunter, hält ein Tempo, als gälte es, eine Ladung Herzklappen in die Chirurgie zu bringen, und erst, als er eine ruhige Stelle im Stadtpark erreicht hat, bremst er schlingernd ab. Moff kriecht aus dem Rucksack und schnauft fassungslos. Ich hab immer gewusst, dass du ein Dreckskerl bist, sagt sein Blick. „Wir sind frei, Moff“, sagt Ray und fährt davon, ohne sich umzudrehen – er braucht das Gefühl, ein elender Fiesling zu sein.
„Hi“, sagt er, der Form halber, nachdem Dimi die Tür geöffnet hat; mehr wird nicht geredet und der Ziegenhirte ist viel zu überrascht, als dass er sich richtig wehren könnte. Trotzdem brummt Rays Stirn von dem Schlag, den er abbekommen hat, auch seine Fingerknöchel schmerzen: Er hätte nicht gedacht, dass ein Nasenbein so hart sein konnte. Zur Sicherheit schlägt er ein weiteres Mal zu, Malaka!, und dann zurück aufs Rad und im Herzklappentempo zum Bahnhof, Zug zum Flughafen und ab in die Luft und in die Hauptstadt von Hellas, wo er in einen graffitiverzierten Eisenbahnwaggon springt und weiterfährt, immer weiter, und der Zug rattert bergan, gleichmäßig und unbeirrbar wie eine Lawine im Rückwärtsgang, durchpflügt die flirrende Hitze, und die vertrockneten Grashalme am Rande der Böschung bewegen sich im Wind wie die Haare einer schlafenden Hexe. Neben den Gleisen liegt ein Fisch, weit entfernt vom Meer, glitzert silbern in der Sonne wie ein großes Amulett an einem schmalen Hals.

Auf der letzten Etappe wird Ray von einem Pickup mitgenommen, einem staubigen Toyota mit fünf schmalbärtigen Ziegen auf der Ladefläche. „Jásu, Bro“, sagt der Fahrer und begrüßt Ray mit Ghettofaust. Ein junger Typ mit Sonnenbrille und New-York-Yankees-Cap, der beim Fahren raumgreifend gestikuliert und dabei lispelnd schwierig klingende Flüche in seiner Muttersprache ausstößt. Sie schrauben sich auf engen Serpentinen langsam in die Höhe, holpern über Kopfsteinpflaster und näheren sich den versteckten Dörfern dieser Gegend, die Hinter den Bergen genannt wird.
Ray fühlt verstohlen die Beule an seiner Stirn, als befürchtet er, sich unbemerkt in ein Einhorn verwandelt zu haben: einen hornamputierten Ziegenbock.
„Was machst du?“, fragt der Fahrer in gebrochenem Englisch. „Hier. Hier ist nichts?"
Einen Traum begraben, will Ray sagen, aber er ist sich sicher, dass der Grieche ihn nicht verstehen wird. „Fotografieren“, sagt er stattdessen, „ich arbeite an einem Bildband über alte Kafenions in dieser Gegend.“ Das könnte ja so sein, denkt er, das könnte durchaus so sein. Als erstes wird er jetzt in dieses Dorf gehen und versuchen, etwas zu trinken zu bekommen, Wasser auf jeden Fall und vielleicht einen verdammten Kafé Ellinikós, und dann wird er sich umdrehen und nach Hause laufen. Pinienwälder durchwandern und Flüsse auf uralten Steinbogenbrücken überqueren: einzig dafür gebaut, die verschiedenen Seiten des Nirgendwo miteinander zu verbinden; und er wird an bizzaren Felsensäulen vorbeikommen, auf deren Spitzen wahnsinnige Mönche vor Jahrhunderten diese Klöster errichtet haben, die wie Luftschlösser aus dem Wolkendunst ragen.
„Fotografieren“, sagt Ray nochmal und hebt zur Bestätigung seine Kamera hoch. Der Ziegenrapper antwortet mit einem griechischen Sprechgesang. Kurz vor dem Ort hält er an, lässt Ray aussteigen, kontrolliert die Laderampe, zählt die Ziegen und tritt beiläufig nach einem struppigen Hund, der von irgendwo her angelaufen kommt. Dann verabschiedet er sich mit einer Abfolge diverser Handschläge und biegt auf eine Schotterpiste ab.
Ray atmet tief ein. Die Luft riecht nach absolut nichts, und noch nie hat er einen Geruch so deutlich wahrgenommen. Er läuft los, auf das Dorf zu, und der Hund trottet in vorsichtigem Abstand hinter ihm her wie ein kleines, mobiles Weizenfeld. Kommt dann näher, wedelt zaghaft mit dem Schwanz und schnuppert am Rucksack. Hier bin ich, sagen seine Augen, Ich komme mit.
Ray kann seinen Kopf kraulen, ohne sich zu bücken. „Komm!“, sagt er.

 

Hola @Raindog,

in Deiner Antwort auf Lanis Komm lese ich:

... während du den Kommentar geschrieben hast, bist du gerade in die offene Baustelle gerannt. In dem Moment habe ich das Ende geändert und einiges gestrafft.
... und nehme an, die Baustelle ist beseitigt. Also auf nach Griechenland, da bin ich gerne dabei. Besonders mit einer Autorin wie Dir, soll heißen, mit einer, die schreiben kann. Seit ‚Zughausen’ stehst Du bei mir hoch im Kurs. Und der Raindog’sche Humor gefällt mir.

Deine Geschichte hatte ich gleich nach der Veröffentlichung gelesen. Die winzigen Eckchen – wie der Name schon sagt, ein wenig unrund – würden geglättet, und fertig wäre wieder eine fabelhafte Geschichte. Dachte ich, auch weil Du selbst sagtest, dass Du noch einmal ‚massiv’ rangehen wolltest.
Aber ich habe eh nicht vor, zu kritisieren bei Autoren, die jeden Satz ganz bewusst so und nicht anders formulieren. Da muss ich davon ausgehen, dass sie die Kritik des Herrn Gscheitle ignorieren – und das ist auch gut so. Sonst könnten wir alle Milupa schreiben. Siehe Raindog:

Ich weiß, paradox, schräg - will ich aber wirklich so.
Meine Idee bei dem Amulett und dem Moment war ja, dass Ray an die von Dimi geschenkte Kette denkt, und mit dem zu kurzen Moment seine Beziehung zu Jane meint.
Ach, wenn doch das Wissen des Autors auch immer das Wissen des Lesers wäre!

So, jetzt sitz ich mit im Zug – ich sag einfach, wie ich die Sache sehe und wir bleiben Freunde:

wie eine Lawine im Rückwärtsgang
Kreativ, aber: Eine Lawine fängt klein an und hört gigantisch auf. Im Rückwärtsgang ist es umgekehrt. Tja.

Die vertrockneten Grashalme am Rande der Böschung bewegen sich im Wind wie die Haare einer schlafenden Hexe.

Mir scheint das ziemlich gewollt. Früher kannte ich alle Märchen auswendig, aber von Hexenhaaren hab ich nie etwas gehört – und deshalb nicht die geringste Vorstellung, wie die wohl aussehen könnten. Ach ja! Wie getrocknetes Gras:shy:.
Vorsichtig betastet er die Beule am Haaransatz, schaut aus dem Fenster. „Ein Fisch“, sagt er, mehr zu sich selbst.
Kein Wunder bei der Hitze.
Der Mann neben Ray sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass neben ihm gar niemand sitzt.
Das versteh ich – als ob jemand etwas sagen könnte, der gar nicht da ist:rolleyes:. (Liebe Raindog, bitte lies das in einem halben Jahr noch mal.)
„Wäre doch wirklich toll, Ray, wenn wir einen Hund hätten ….“ Jane nahm eine ihrer dicken, roten Haarsträhnen zwischen die Finger, wedelte ihm damit vor dem Gesicht herum, kitzelte seine Nase und machte leise Winselgeräusche.
„Guck mal, wie der sich freut! Der mag dich!“, sagte sie.
Wunderschön ungekünstelt, Raindog Original eben. Im Gegensatz zum Einstieg.
Und abgesehen vom vermaledeiten Fisch, der unbedingt nochmals auftauchen muss statt segelbespannter Windmühlen, beginnt eine toll geschriebene Geschichte, die mir viel Spaß gemacht hat. Vielen Dank.


Bienenfleißig bist Du, und beneidenswert talentiert. Griechenland rückt mir sehr nahe. Du brennst – mit Esprit – ein griechisches Feuerwerk ab (bei dem nur die Akropolis vergessen wurde:dozey:). Vermute, dass Dein Kalkül in diese Richtung ging: Sollte die Handlung schwächeln, reißt meine Art zu schreiben alles wieder raus. Rechnung aufgegangen.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf: Einiges ‚Griechische’ schien mir gegoogelt oder dem Kochbuch entlehnt. Statt Kulurakia oder Tyropita wäre es anschaulicher, das Gericht zu beschreiben, Geschmack, Farbe, Duft (und Wirkung auf die Sinne). Vielleicht auch ‚Komboloi’ entschärfen durch ‚Perlenkette’ o. ä.

ratterte labyrinthartige Sätze herunter,
Das kann ein Fremder mMn nicht beurteilen. Sätze werden es sein, aber wo fangen sie an und wo hören sie auf? Unmöglich zu sagen, dass sie labyrinthartig seien, wenn man sie nicht versteht.


Keine senilen, zahnlosen Sabbergreise mit trübem Blick, sondern verwegene Abenteurer, unsterblich Verliebte, verschlagene Halunken und neugierige Kinder, deren Augen die Vergangenheit spiegelten.

Ganz große Klasse!

Mit einmal Lesen ist es nicht getan, Du hast soviel Originelles und Schönes in diesen Text gepackt, dass ich aus dem Staunen nicht herauskomme.

Liebe Raindog, großes Kompliment; würde ich alles zitieren, was mir besonders gut gefallen hat (besonders die Sache mit dem Hund, die wäre alleine schon eine schöne Geschichte), käme eine lange Liste zustande. Über ein paar Belanglosigkeiten habe ich mich künstlich aufgeregt, aber das musste sein, sonst möchtest Du demnächst im Pluralis Majestatis angesprochen werden:D.

Viele Grüße!

José

 

Hi @Raindog,

ich habe kein ganz deutliches Bild von deiner Geschichte, wie sie vor der Bearbeitung ausgesehen hat, aber mir scheint, dass die Kürzungen ihr dienlich gewesen sind. Der Anfang hat mir ja übrigens schon immer gefallen. Wie er das da so trocken sagt, der Ray: "Ein Fisch".
Etwas zweifelhaft finde ich allerdings auch das Bild von der Lawine im Rückwärtsgang. Willst du's nicht doch streichen?

Die letzen beiden Sätze aus dem ersten Abschnitt:
--"Der Mann neben Ray sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass neben ihm gar niemand sitzt."
finde ich besser als anfangs. Entweder hast du den letzten geändert oder ich habe mich an ihn gewöhnt. Trotzdem überzeugt mich das noch nicht ganz. Das liegt vermutlich an der zweimaligen Unbestimmtheit: "Der Mann" und "gar niemand". "Der Mann ... sagt nichs. Das liegt vor allem daran dass er nicht da ist" oder "Dimi neben ihm sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass dort gar niemand sitzt" fänd ich beides denkbar. Man weiß ja noch nicht, dass "der Mann neben ihm" jemand bestimmtes ist.

Dann fand ich es bei ersten Lesen etwas enttäuschend, aus dieser Szene gleich wieder herausgerissen zu werden. Jetzt stört es nicht mehr. Liegt entweder an mir oder an dir (s.o.).

Dieser Wechsel zwischen Kursiv und Nicht-Kursiv strengt etwas an, wäre die Frage, ob das nötig ist, oder ob man die unterschiedlichen Spielorte nicht auch so versteht. Insgesamt finde ich die Wechsel aber schlüssig gesetzt, das ist viel wert (und auch das habe ich beim ersten Lesen noch nicht so eindeutig empfunden).

Am ersten Dialog habe ich nichts zu meckern. Schöne Einfälle!
Der darauffolgende letzte normal gesetzte Abschnitt erscheint mir dagegen fast entbehrlich. Na, vielleicht nicht der ganze Abschnitt - vom Fotografieren zu erfahren kann schon sinnvoll sein - aber doch das:
"Das Leben schien seinen Spaß daran zu haben, unpassende Dinge zu kombinieren. Er verbrauchte einen Großteil seiner Energie dafür, Jane nicht merken zu lassen, dass es so war."
Das ist zwar ganz witzig, dass man das auf Jane und ihn selbst beziehen kann. Aber nötig ist es eigentlich nicht. Dafür ist es leicht unklar: "dass es so war" -- dass was genau so war?

Was das Fotografieren angeht, erscheint mir Ray allenfalls für jemanden, der offenbar echte Ansprüche hat, zu unspezifisch in der Motivwahl. Z.B. hier:
"Er ließ die Kamera sinken, für den Fisch war er zu langsam gewesen."
Aus dem Zug heraus Schnappschüsse machen ... hm, ich weiß nicht recht, ob ihm das steht.

Diesen Satz:
"Kalimera, Efcharisto, Jassas – das war alles, was Ray aus dem Stimmengewirr im vollbesetzten Zug herausfiltern konnte."
könnte ich mir gut ohne Verlust wegdenken. Das wirkt ein bisschen, als wolltest du "Griechenland" sagen, ohne "Griechenland" zu sagen. Geduld, wir kommen da schon noch drauf. Auch sonst hab ich an der Formulierung etwas zu mosern. "Das war alles, was er herausfiltern konnte" - klingt so, als könnte er mehr Griechisch, kann aber nur diese Worte herausfiltern. Das ginge ja, aber dafür ist es mir dann doch wieder nicht eindeutig genug. Es sind ja Wörter, die man auch dann versteht, wenn man kein Griechisch kann. Dann würde ich aber eher sagen: Er kann immerhin diese Wörter herausfiltern. Das ist nämlich gar nicht so ohne, wenn man eine Sprache nicht oft gehört hat ...

Davon abgesehen steht das folgende:
"Es war stickig und warm," usw.
doch viel besser ohne den Vorspann. Deswegen aus meiner Sicht: Lieber weg mit den Sprachfetzen.

Auch lieber weg - aus meiner Sicht - mit dem Urteil über das eigene Werk:
"Am Ende waren es seine besten Fotos geworden"
Das wird seinem Anspruch doch nicht gerecht, wenn er selbst überrascht ist, dass er keine Tattergreise abgebildet hat. Natürlich sind es seine besten Fotos geworden, aber dass muss er nicht dazu sagen, das hat er so erwartet.

"rezitierte ein Gedicht" -- ich wette, er tut das nicht, das würde Ray hören, auch wenn er die Sprache nicht kennt. (Mich überzeugen die "labyrintartigen Sätze" übrigens auch nicht ganz; und auch nicht die "Wörter, für die man eigene Buchstaben braucht". Wenngleich das ein Verfremdungseffekt ist - stimmt ja nicht, dass man eigene Buchstaben braucht, es gibt sie halt einfach -, der mir noch gefallen könnte, wenn ich ihn etwas sacken lasse.

"„Ziegenhirte“, sagte Jane" -- Perfekter Übergang!

Auch das Wiederaufgreifen des Hundethemas find ich von der Idee her gut und auch gut umgesetzt. Dabei unter anderem: Wie sie die Rollen wechseln, erst sie, jetzt er der Hund ist.

"den strahlenden Zähnen – kleinen Leuchttürmen, die abwechselnd mit den Augen helle Blitze in die Umgebung schickten." -- gewagtes Bild ...

"In die jeweiligen Klamotten gesteckt wäre er als Juniorchef einer Investmentfirma durchgegangen, als Dirigent eines Symphonieorchesters, als genialer Astrophysiker" – gilt das nicht für fast jeden Menschen? Sieht man einem Dirigent oder Astrophysiker denn normalerweise am Gesicht an, wer sie sind?

" "Ray kannte das Wort inzwischen – die jüngeren Griechen benutzten es häufiger als alles andere. Keine Vokabel, die es auf die bedruckten Servietten geschafft hätte." -- Find ich ein bisschen viel auf dem Wort rumgeritten, angesichts dessen, dass die Mehrheit der Leser es wahrscheinlich auch ohne Erklärung ungefähr versteht.

Ich muss mal ein bisschen schneller machen und sage nur summarisch: Die jetzt folgende Zukunfstphantasie finde ich im Grunde schon ansprechend, aber im einzelnen doch noch nicht straff genug.

"Kaffeeduft durchzog das Abteil" -- Auch der Übergang haut hin, kommt aus meiner Sicht aber nicht ganz an den Ziegenhirten ran.

Den nächsten:
"Die Männer, die das gebaut haben, dachte Ray, hätte ich gerne porträtiert. / „Und Fotos von den Gästen“, sagte Ray," -- finde ich demgegenüber etwas gewollt.

Überhaupt finde ich den folgenden Dialog etwas langatmig. Wie Ray seine mittelmäßig interessanten Ideen ausbreitet, das bräuchte ich nicht alles in direkter Rede, da wäre ich eventuell für eine erzählende Zusammenfassung dankbar. Und dann fängt auch noch Jane an, und Dimi funkt rein … das sind ja alles ganz hübsche Ideen, aber mir letztlich zu, ähm, unfokussiert.

Ob es dann wirklich nötig ist, die wirtschaftliche Ausgangslage anzudeuten? Ich könnte mir das ja gut in dieser Form gestrafft vorstellen:
"Es musste möglich sein, ihr Café Ellinkós auch ohne Eigenkapital zu eröffnen. Jane scrollte durch verschiedene Webseiten, machte Notizen, kaute an ihrem Stift. Sie hatte zwei Semester BWL studiert, bevor sie auf Pädagogik und später auf Schmuckdesign umgestiegen war, und nun fachsimpelte sie und kalkulierte, als hätte sie nie etwas anderes getan und Ray war wieder fasziniert davon, wie sie das immer hinbekam: gleichzeitig seriös und wild auszusehen."

Auch das hier:
"Die beiden Alten hätten ein schönes Motiv abgegeben, dachte Ray"
klingt mir für den Anspruch, den Ray offenbar hat, einen Tick zu beliebig. "Schönes Motiv" - sicher, aber was gefällt ihm, was verspricht er sich für eine Wirkung?

Und - wie gesagt - würde ich auch die Motivwahl reduzieren. Aus meiner Sicht in jedem Fall die Forelle (und den Bär) wegnehmen. Der will doch vor allem die Menschen einfangen, also die Bewohner der Schluchten und Steinhäuser. Den Rest nimmt er so mit, aber das gehört nicht zur Planung und Vorfreude. Jedenfalls sehe ich ihn so.

"Diese Fotos könnten sein Durchbruch werden." -- Warum nur? Glaub ich nicht ...

Ob ich hier:
" „Fuck - was ist das denn?!“, hatte Ray gefragt, als er von seiner Kurier-Tour heimgekommen war" den Rückblick im Rückblick liebgewinnen kann, weiß ich noch nicht so recht. Bisher finde ich ihn ein bisschen störend, ein Schnörkel zu viel. Vielleicht würde mir an der Stelle auch ein Übergang helfen, im Sinne von: "Dieser Hund, der ..." - und dann allerdings trotzdem eine etwas kürzere Vorstellung im Anschluss. Das ist zwar alles ganz witzig, aber als Rückblick im Rückblick für mich irgendwie zu lang, da würde für mich im Vordergrund stehen, dass ich eine Info nachgeliefert bekomme, die ich noch brauche. Also, wirklich hübsch, das alles um den Moff herum, dagegen will ich gar nichts sagen nur für mich nicht ganz am richtigen Platz (und dabei bin ich mir nicht sicher, ob der richtige Platz nach meinen Vorstellungen nicht sogar in einer anderen Geschichte wäre).

Das da:
"Ray sagt ein paar sinnlose Sätze, die mit Aber beginnen. Er hört wieder auf, als er merkt, dass die Wörter noch gar nicht erfunden sind, die irgendetwas ändern könnten."
find ich ganz vorzüglich.

Auch das:
"Einen Traum begraben, will Ray sagen, aber er ist sich sicher, dass der Grieche ihn nicht verstehen wird. „Fotografieren“, sagt er stattdessen, „ich arbeite an einem Bildband über alte Kafenions in dieser Gegend.“ Das könnte ja so sein, denkt er, das könnte durchaus so sein."
gefällt mir gut.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Absatz danach schon endet. Dabei ist die Beschreibung der Gegend wirklich gar nicht schlecht zu lesen - nur: Wer hat das nicht so oder so ähnlich immer wieder mal irgendwo gelesen?
Im Detail find ich das:
"auf deren Spitzen wahnsinnige Mönche vor Jahrhunderten komplette Klosteranlagen errichtet haben"
nicht ganz perfekt, denn Fragmente von Klosteranlagen werden die Mönche wohl nicht in die Berge setzen.

Diesen Schluss:
"Ray kann seinen Kopf kraulen, ohne sich zu bücken. „Komm!“, sagt er."
finde ich nicht schlecht. Aber eine Überlegung hab ich doch noch. Hier wendet sich die Sache ja auf die Bosheit gegenüber dem Moff zurück. Das empfinde ich nicht als schlechte Idee. Aber es hat doch auch etwas verharmlosendes, so als hätte Ray die Aktion jetzt wieder gut gemacht. Dabei ist es vielleicht besonders zwiespältig, wenn er den einen Hund aussetzt und gegenüber dem anderen jetzt den Freund mimt. Was ich sagen will: Ich fände das Ende womöglich stärker ohne den Moff. Da machen sie immer diese Hundespielchen und wär doch toll, wenn wir einen hätten usw., und erst am Ende hat er einen - aber nicht Jane. Könnte aus meiner Sicht was für sich haben. Weiß nicht, wie letztlich herauskäme, ist aber auch wurscht, denn einen solchen Eingriff würde ich dir weder zumuten wollen noch wirst du ihn je vornehmen.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

 

Liebe @Chai,

danke, für die Rückmeldung:

Finde ich gut, die Geschichte jetzt früher enden zu lassen. Wirkt runder auf mich, die "Amy Winehouse"-Geschichte war fast wie eine neue Geschichte, die mit der alten jetzt nicht sooo viel zu tun hatte für mich.
Ja, es scheint wirklich so zu sein, und dann hat sich das ja gelohnt.
Ja, das wollte ich nur nochmal gesagt haben.
Finde ich gut, dass du das sagst!

Liebe Grüße von Raindog

@Joséfelipe

Lieber José,

Ich freue mich sehr, dass du mit mir durch Griechenland gefahren bist und Spaß dabei hattest.

Und der Raindog’sche Humor gefällt mir
Das gefällt mir! :)

... und nehme an, die Baustelle ist beseitigt…. Die winzigen Eckchen – wie der Name schon sagt, ein wenig unrund – würden geglättet, und fertig wäre wieder eine fabelhafte Geschichte. Dachte ich, auch weil Du selbst sagtest, dass Du noch einmal ‚massiv’ rangehen wolltest.
Ich muss gestehen, ich komme gerade nicht so oft zum Überarbeiten wie ich gerne würde, deshalb zieht sich das einfach blöd in die Länge. Massiv war für mich u.a. schon, den Schluss zu kappen, aber andere Details, wie mehr Fokus auf das Zusammenspiel der drei Protas zu richten, die stehen immer noch auf der Liste.

Aber ich habe eh nicht vor, zu kritisieren bei Autoren, die jeden Satz ganz bewusst so und nicht anders formulieren. Da muss ich davon ausgehen, dass sie die Kritik des Herrn Gscheitle ignorieren
Na, na, generell ist das aber nicht so. Fifty-fifty vielleicht … ;)

Meine Idee bei dem Amulett und dem Moment war ja, dass Ray an die von Dimi geschenkte Kette denkt, und mit dem zu kurzen Moment seine Beziehung zu Jane meint.
Ach, wenn doch das Wissen des Autors auch immer das Wissen des Lesers wäre!
Meine Rede! :rolleyes: Nein, ich weiß, das ist auch eine der Stellen, mit denen ich noch nicht fertig bin.

So, jetzt sitz ich mit im Zug – ich sag einfach, wie ich die Sache sehe und wir bleiben Freunde:
Ich bitte darum! :eek:

wie eine Lawine im Rückwärtsgang
Kreativ, aber: Eine Lawine fängt klein an und hört gigantisch auf. Im Rückwärtsgang ist es umgekehrt.
Oh, was mache ich nur jetzt … :hmm: Alles, was ich jetzt sage, sieht danach aus, als würde ich „die Kritik des Herrn Gscheitle ignorieren“, aber so ist das nicht, ich ignoriere gar nichts, never ever, ich stelle alles auf den Prüfstand. Wenn es dann doch so bleibt, sage ich, warum. Manchmal brauche ich auch ein paar Tage, um etwas sacken zu lassen und ändere es dann doch noch heimlich.
Natürlich hast du Recht, was die ursprüngliche Naturgewalt einer Lawine betrifft. Ich finde es trotzdem ein schönes Bild, und sinnbildlich auch passend: der Zug, also eigentlich Ray, kommt aus seiner bisherigen Welt mit den vielen halbverwirklichten Träumen und seiner Beziehung (gigantisch) in dieses Bergdorf gebrettert, und dort angekommen macht er sich bewusst, dass davon nicht mehr viel übrig ist dass er neu anfangen muss (klein). Also, war nicht von vornherein mein Gedanke dabei, aber man kann sich das schon so zurechtbasteln, eigentlich. ;)

Die vertrockneten Grashalme am Rande der Böschung bewegen sich im Wind wie die Haare einer schlafenden Hexe.
Mir scheint das ziemlich gewollt. Früher kannte ich alle Märchen auswendig, aber von Hexenhaaren hab ich nie etwas gehört – und deshalb nicht die geringste Vorstellung, wie die wohl aussehen könnten. Ach ja! Wie getrocknetes Gras
Ja, genau so sehen die aus! Hast du das noch nie gesehen? Außerdem werden rothaarigen Frauen ja oftmals Hexengene angedichtet, und natürlich sind das nicht alles Hexen, wissen wir heute, aber mit Sicherheit gibt es viele Schläferinnen unter ihnen. Ich erwarte nicht, dass der Leser alle diese Assoziationen nachvollziehen wird, dafür ist es zu vage, aber für mich persönlich legitimiert es diese Formulierung auf jeden Fall.

Vorsichtig betastet er die Beule am Haaransatz, schaut aus dem Fenster. „Ein Fisch“, sagt er, mehr zu sich selbst.
Kein Wunder bei der Hitze.
:lol:
Aber Mensch! Mimimi. Langsam kann ich eine Fischsuppe kochen, so, wie auf dem armen Tier herumgehackt wird. Und langsam fängt der Fisch mir auch an zu stinken, gerade bei der Hitze. Aber ich kann ihn noch nicht aufgeben, weil er zu den Things on strange places gehört, die ich noch stärker in den Vordergrund rücken möchte. Mal schauen …

Der Mann neben Ray sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass neben ihm gar niemand sitzt.
Das versteh ich – als ob jemand etwas sagen könnte, der gar nicht da ist . (Liebe Raindog, bitte lies das in einem halben Jahr noch mal.)
:lol: Ich muss auch jetzt schon darüber lachen, wenn es so losgelöst dasteht. Ursprünglich hat es mehr Sinn ergeben, weil danach noch etwas kam. Das hat dann aber die Spannung reduziert. Jetzt ist da mehr Fragezeichen, oder eben überhaupt die Frage, ob die Autorin vielleicht einen an der Waffel hat … Aber gib mir mal noch etwas Zeit. @erdbeerschorsch (Danke schon mal! Und toll, dass du den Fisch magst! Yes!!! :kuss:) hat dazu vorhin auch etwas in seinem Kommentar geschrieben, was ich mir noch in Ruhe zu Gemüte führen muss.

Und abgesehen vom vermaledeiten Fisch, der unbedingt nochmals auftauchen muss statt segelbespannter Windmühlen, beginnt eine toll geschriebene Geschichte, die mir viel Spaß gemacht hat. Vielen Dank.
Irgendwas passiert vielleicht noch mit dem Fisch, und über den Rest des Satzes freue ich mich total.

Vermute, dass Dein Kalkül in diese Richtung ging: Sollte die Handlung schwächeln, reißt meine Art zu schreiben alles wieder raus. Rechnung aufgegangen.
So richtig leugnen kann ich diese Aussage nicht, habe ja selbst in einer anderen Antwort das hier geschrieben:
Ich gebe zu, der Plot ist wirklich nicht der Hammer und ich habe lange überlegt, ob ich das so mache – ich neige ja sowieso zu diesen dahinplätschernden Geschichten und hatte wohl gehofft, das Wie des Erzählens reicht aus. Tut es nicht, das entnehme ich deinem und den anderen Kommentaren. Und genau deshalb bin ich ja hier.
Und die Rechnung ist auf jeden Fall aufgegangen: dass mit eurer Hilfe die Geschichte immer besser wird.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf:
Aber natürlich!
Einiges ‚Griechische’ schien mir gegoogelt oder dem Kochbuch entlehnt. Statt Kulurakia oder Tyropita wäre es anschaulicher, das Gericht zu beschreiben, Geschmack, Farbe, Duft (und Wirkung auf die Sinne). Vielleicht auch ‚Komboloi’ entschärfen durch ‚Perlenkette’ o. ä.
Ich weiß, du bist ja hier der Mann fürs Kulinarische im Forum, da kann ich dir sowieso nix vormachen. Mit genaueren Beschreibungen der Speisen habe ich mich allerdings bewusst zurückgehalten, damit die Geschichte nicht noch mehr zerfasert, die ja eh schon etwas unfokussiert zwischen den Themen Fotos, Hunde, Liebe und Eifersucht dahindümpelt – deshalb habe ich mich da wirklich gebremst. Es sollen halt der Atmosphäre halber schon ein paar griechische Begriffe fallen, und ich finde, es ist an der Stelle auch nicht so wichtig, zu wissen, was Kulurakia sind, es klingt natürlich schöner und griechischer als schnödes trockenes Gebäck … Ich habe diese Begriffe auch so genommen, weil Dimi davon spricht und kein allwissender, klugscheißender Erzähler: für Dimi ist das ja normal, der darf das sagen. Aber ich entferne jetzt einfach Kulurakia, dann wirkt es vielleicht nicht mehr ganz so nervig. Einmal Komboloi ist auch ausgetauscht, danke.

ratterte labyrinthartige Sätze herunter,
Das kann ein Fremder mMn nicht beurteilen. Sätze werden es sein, aber wo fangen sie an und wo hören sie auf? Unmöglich zu sagen, dass sie labyrinthartig seien, wenn man sie nicht versteht.
Das ist so ein subjektiver Eindruck, für Ray klingen die Sätze verschlungen, du sagst doch selbst: wo fangen sie an und wo hören sie auf?

Ich freue mich, dass dir die Bilder der verwegenen Abenteurer, unsterblich Verliebten, verschlagenen Halunken und neugierigen Kinder so gut gefallen!

würde ich alles zitieren, was mir besonders gut gefallen hat (besonders die Sache mit dem Hund, die wäre alleine schon eine schöne Geschichte), käme eine lange Liste zustande.
Das macht mich sehr froh, und die lange Liste ist nicht nötig, dein Kommentar war ja schon ausführlich und lang genug, dafür danke ich dir sehr!
Über ein paar Belanglosigkeiten habe ich mich künstlich aufgeregt, aber das musste sein, sonst möchtest Du demnächst im Pluralis Majestatis angesprochen werden.
Interessanter Gedanke eigentlich! Ich danke dir sehr für die künstliche Aufregung, meine Beweggründe für dies und das habe ich ja dargelegt, aber wie gesagt, ich bin auch immer noch nicht fertig mit der Geschichte, nur dass es jetzt gerade aus Zeit- und Hitzegründen etwas schleppend vorangeht.

Danke für deinen tollen Kommentar, José,
und viele Grüße von Raindog

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi @erdbeerschorsch,

ich habe kein ganz deutliches Bild von deiner Geschichte, wie sie vor der Bearbeitung ausgesehen hat, aber mir scheint, dass die Kürzungen ihr dienlich gewesen sind.
Ich habe irgendwo noch eine Kopie, aber so, wie es jetzt ist, gefällt es mir auch besser. :)

Der Anfang hat mir ja übrigens schon immer gefallen. Wie er das da so trocken sagt, der Ray: "Ein Fisch".
Du bist wirklich der erste, der den Fisch mag! Was möchtest du trinken? :anstoss:

Etwas zweifelhaft finde ich allerdings auch das Bild von der Lawine im Rückwärtsgang. Willst du's nicht doch streichen?
Ich habe heute in meiner Antwort an Joséfelipe ganz viel dazu geschrieben – darf ich dich bitte dorthin schicken?

Die letzen beiden Sätze aus dem ersten Abschnitt:
--"Der Mann neben Ray sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass neben ihm gar niemand sitzt."
finde ich besser als anfangs. Entweder hast du den letzten geändert oder ich habe mich an ihn gewöhnt.
Da habe ich etwas geändert.

Trotzdem überzeugt mich das noch nicht ganz. Das liegt vermutlich an der zweimaligen Unbestimmtheit: "Der Mann" und "gar niemand". "Der Mann ... sagt nichs. Das liegt vor allem daran dass er nicht da ist" oder "Dimi neben ihm sagt nichts. Das liegt vor allem daran, dass dort gar niemand sitzt" fänd ich beides denkbar. Man weiß ja noch nicht, dass "der Mann neben ihm" jemand bestimmtes ist.
Da muss ich nochmal überlegen, ob ich etwas ändere. Dimi will ich auf jeden Fall nicht nennen, weil ich dann wieder mit der Tür ins Haus fallen würde, was ich gerade geändert habe.

Dann fand ich es bei ersten Lesen etwas enttäuschend, aus dieser Szene gleich wieder herausgerissen zu werden. Jetzt stört es nicht mehr. Liegt entweder an mir oder an dir (s.o.).

Es waren nur Kleinigkeiten in der Überarbeitung, aber es liest sich jetzt wirklich besser, glaube ich.
Dieser Wechsel zwischen Kursiv und Nicht-Kursiv strengt etwas an, wäre die Frage, ob das nötig ist, oder ob man die unterschiedlichen Spielorte nicht auch so versteht. Insgesamt finde ich die Wechsel aber schlüssig gesetzt, das ist viel wert (und auch das habe ich beim ersten Lesen noch nicht so eindeutig empfunden).
Ohne Wechsel zwischen Kursiv und Nicht fände ich es nerviger, glaube ich.

Das Leben schien seinen Spaß daran zu haben, unpassende Dinge zu kombinieren. Er verbrauchte einen Großteil seiner Energie dafür, Jane nicht merken zu lassen, dass es so war.
Das ist zwar ganz witzig, dass man das auf Jane und ihn selbst beziehen kann. Aber nötig ist es eigentlich nicht. Dafür ist es leicht unklar: "dass es so war" -- dass was genau so war?

Man soll es schon auf Jane und ihn beziehen, und dass es so war, habe ich jetzt geändert in „dass das so war“, dass das Leben mit ihnen beiden unpassende Dinge kombiniert hat.

Was das Fotografieren angeht, erscheint mir Ray allenfalls für jemanden, der offenbar echte Ansprüche hat, zu unspezifisch in der Motivwahl. Z.B. hier:
"Er ließ die Kamera sinken, für den Fisch war er zu langsam gewesen."
Aus dem Zug heraus Schnappschüsse machen ... hm, ich weiß nicht recht, ob ihm das steht.
Normalerweise nicht, das stimmt, aber in diesem Fall hat der Fisch an der Böschung zu seiner Serie Things on strange places gepasst, und er hat es eben probiert.

Diesen Satz:
"Kalimera, Efcharisto, Jassas – das war alles, was Ray aus dem Stimmengewirr im vollbesetzten Zug herausfiltern konnte."
könnte ich mir gut ohne Verlust wegdenken. Das wirkt ein bisschen, als wolltest du "Griechenland" sagen, ohne "Griechenland" zu sagen. Geduld, wir kommen da schon noch drauf.
Ja, das trifft es wohl, was ich damit beabsichtigt habe. Ich vertraue dir, wenn du meinst, ihr kommt da noch drauf … ;) Hab’s gekillt.
Davon abgesehen steht das folgende:
"Es war stickig und warm," usw.
doch viel besser ohne den Vorspann. Deswegen aus meiner Sicht: Lieber weg mit den Sprachfetzen.
Ja, wie gesagt, weg isses.

Auch lieber weg - aus meiner Sicht - mit dem Urteil über das eigene Werk:
"Am Ende waren es seine besten Fotos geworden"
Das wird seinem Anspruch doch nicht gerecht, wenn er selbst überrascht ist, dass er keine Tattergreise abgebildet hat. Natürlich sind es seine besten Fotos geworden, aber dass muss er nicht dazu sagen, das hat er so erwartet.
Das habe ich auch geändert in: Am Ende waren es genau die Fotos geworden, die er sich erhofft vorgestellt hatte …

"rezitierte ein Gedicht" -- ich wette, er tut das nicht, das würde Ray hören, auch wenn er die Sprache nicht kennt. (Mich überzeugen die "labyrintartigen Sätze" übrigens auch nicht ganz; und auch nicht die "Wörter, für die man eigene Buchstaben braucht". Wenngleich das ein Verfremdungseffekt ist - stimmt ja nicht, dass man eigene Buchstaben braucht, es gibt sie halt einfach -, der mir noch gefallen könnte, wenn ich ihn etwas sacken lasse.
Na, das lasse ich mal noch so, und du lässt das ja auch sacken … :D
"„Ziegenhirte“, sagte Jane" -- Perfekter Übergang!
Danke!

"den strahlenden Zähnen – kleinen Leuchttürmen, die abwechselnd mit den Augen helle Blitze in die Umgebung schickten." -- gewagtes Bild ...
Zu übertrieben?

"In die jeweiligen Klamotten gesteckt wäre er als Juniorchef einer Investmentfirma durchgegangen, als Dirigent eines Symphonieorchesters, als genialer Astrophysiker" – gilt das nicht für fast jeden Menschen? Sieht man einem Dirigent oder Astrophysiker denn normalerweise am Gesicht an, wer sie sind?
Ich schaue es mir nochmal an.

"Ray kannte das Wort inzwischen – die jüngeren Griechen benutzten es häufiger als alles andere. Keine Vokabel, die es auf die bedruckten Servietten geschafft hätte." -- Find ich ein bisschen viel auf dem Wort rumgeritten, angesichts dessen, dass die Mehrheit der Leser es wahrscheinlich auch ohne Erklärung ungefähr versteht.
Das habe ich auch ein wenig gekürzt, du hast Recht.

"Kaffeeduft durchzog das Abteil" -- Auch der Übergang haut hin, kommt aus meiner Sicht aber nicht ganz an den Ziegenhirten ran.
Den nächsten:
"Die Männer, die das gebaut haben, dachte Ray, hätte ich gerne porträtiert. / „Und Fotos von den Gästen“, sagte Ray," -- finde ich demgegenüber etwas gewollt.
Den ersten Übergang habe ich noch etwas geändert, bei dem zweiten muss ich mal sehen, da ich an dem Absatz sowieso noch einiges machen will, du sagst es ja auch:
Überhaupt finde ich den folgenden Dialog etwas langatmig. Wie Ray seine mittelmäßig interessanten Ideen ausbreitet, das bräuchte ich nicht alles in direkter Rede, da wäre ich eventuell für eine erzählende Zusammenfassung dankbar. Und dann fängt auch noch Jane an, und Dimi funkt rein … das sind ja alles ganz hübsche Ideen, aber mir letztlich zu, ähm, unfokussiert.
Da soll auch noch mehr Knistern zwischen Jane und Dimi rein, das wird nochmal angepackt.

Ob es dann wirklich nötig ist, die wirtschaftliche Ausgangslage anzudeuten?
Ein wenig gestrafft habe ich das jetzt auch, die vielen Studienrichtungen von Jane möchte ich aber lassen, weil das zu ihrer Charakteristik beiträgt.

Auch das hier:
"Die beiden Alten hätten ein schönes Motiv abgegeben, dachte Ray"
klingt mir für den Anspruch, den Ray offenbar hat, einen Tick zu beliebig. "Schönes Motiv" - sicher, aber was gefällt ihm, was verspricht er sich für eine Wirkung?
Und - wie gesagt - würde ich auch die Motivwahl reduzieren. Aus meiner Sicht in jedem Fall die Forelle (und den Bär) wegnehmen. Der will doch vor allem die Menschen einfangen, also die Bewohner der Schluchten und Steinhäuser. Den Rest nimmt er so mit, aber das gehört nicht zur Planung und Vorfreude. Jedenfalls sehe ich ihn so.
Da gehe ich auch nochmal ran.

"Diese Fotos könnten sein Durchbruch werden." -- Warum nur? Glaub ich nicht ...
Er glaubt das aber, bzw. hofft er das. Dass endlich mal etwas vorwärts geht.

Ob ich hier:
" „Fuck - was ist das denn?!“, hatte Ray gefragt, als er von seiner Kurier-Tour heimgekommen war" den Rückblick im Rückblick liebgewinnen kann, weiß ich noch nicht so recht. Bisher finde ich ihn ein bisschen störend, ein Schnörkel zu viel.
Mir fällt allerdings nichts Besseres ein als der doppelte Rückblick, ich finde das eigentlich ganz interessant, dass man plötzlich mit dem Moff konfrontiert wird und erst im nächsten Absatz erfährt, was es mit ihm auf sich hat.

Also, wirklich hübsch, das alles um den Moff herum, dagegen will ich gar nichts sagen nur für mich nicht ganz am richtigen Platz (und dabei bin ich mir nicht sicher, ob der richtige Platz nach meinen Vorstellungen nicht sogar in einer anderen Geschichte wäre).
Puh. :sconf: Neue Geschichte, neuer Hund. Deal?

Das da:
"Ray sagt ein paar sinnlose Sätze, die mit Aber beginnen. Er hört wieder auf, als er merkt, dass die Wörter noch gar nicht erfunden sind, die irgendetwas ändern könnten."
find ich ganz vorzüglich.
Freut mich sehr! :)

Auch das:
"Einen Traum begraben, will Ray sagen, aber er ist sich sicher, dass der Grieche ihn nicht verstehen wird. „Fotografieren“, sagt er stattdessen, „ich arbeite an einem Bildband über alte Kafenions in dieser Gegend.“ Das könnte ja so sein, denkt er, das könnte durchaus so sein."
gefällt mir gut.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Absatz danach schon endet. Dabei ist die Beschreibung der Gegend wirklich gar nicht schlecht zu lesen - nur: Wer hat das nicht so oder so ähnlich immer wieder mal irgendwo gelesen?
Zeige mir bitte, wo du das so schön schon einmal gelesen hast, und du bekommst dein Geld zurück! :D Na ja, ich habe an den Beschreibungen schon so gekürzt, dass die übrigen jetzt wirklich bleiben müssen, für mein Gefühl. Weil sie auch eine gewisse Bedeutung haben, sinnbildlich.

Im Detail find ich das:
"auf deren Spitzen wahnsinnige Mönche vor Jahrhunderten komplette Klosteranlagen errichtet haben"
nicht ganz perfekt, denn Fragmente von Klosteranlagen werden die Mönche wohl nicht in die Berge setzen.
Stimmt. "Komplette" ist wirklich Quatsch, und ich habe es wahrscheinlich nur aus Gründen des Sprachrythmus verwendet. Ich habe das jetzt etwas geändert: auf deren Spitzen wahnsinnige Mönche vor Jahrhunderten diese Klöster errichtet haben, die wie Luftschlösser aus dem Wolkendunst ragen.

Diesen Schluss:
"Ray kann seinen Kopf kraulen, ohne sich zu bücken. „Komm!“, sagt er."
finde ich nicht schlecht. Aber eine Überlegung hab ich doch noch. Hier wendet sich die Sache ja auf die Bosheit gegenüber dem Moff zurück. Das empfinde ich nicht als schlechte Idee. Aber es hat doch auch etwas verharmlosendes, so als hätte Ray die Aktion jetzt wieder gut gemacht. Dabei ist es vielleicht besonders zwiespältig, wenn er den einen Hund aussetzt und gegenüber dem anderen jetzt den Freund mimt.
Verharmlosend soll das nicht sein. Er hat sich ja selbst nicht wirklich wohlgefühlt bei der Moff-Aktion. Er macht es nicht wieder gut, aber er fängt neu an.

Was ich sagen will: Ich fände das Ende womöglich stärker ohne den Moff. Da machen sie immer diese Hundespielchen und wär doch toll, wenn wir einen hätten usw., und erst am Ende hat er einen - aber nicht Jane. Könnte aus meiner Sicht was für sich haben. Weiß nicht, wie letztlich herauskäme, ist aber auch wurscht, denn einen solchen Eingriff würde ich dir weder zumuten wollen noch wirst du ihn je vornehmen.
Ich verstehe genau, wie du das meinst, und das könnte mir sogar auch gefallen. Aber nicht mehr in dieser Geschichte, und nicht bei dieser Hitze, da triffst du es genau mit deinem letzten Satz. ;)

Danke für deinen ausführlichen, hilfreichen Kommentar, Erdbeerschorsch! Wie du siehst, ich habe ganz viel von deinen Tipps übernommen, für anderes brauche ich noch ein wenig Zeit.

Eine gute Nacht wünscht dir Raindog

 

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