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Chanukka 5778

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Chanukka 5778

Chanukka 5778

oder

Wei[h]nnacht 2017

"It all sounds the same!", schallt's aus dem Publikum ...
"It's all one song", antwortete von der Bühne Neil Young.
vgl. https://en.wikiquote.org/wiki/Talk:Neil_Young

"Die Welt liebt ihren Kot und Stank,
Hält viel von schnöden Dingen,
Und also geht sie auch den Gang,
Den ihre Väter gingen"


»Mama, ich habe dich so lieb; wenn du einmal stirbst, lasse
ich dich ausstopfen und stelle dich hier im Zimmer auf, damit
ich dich immer, immer sehen kann.«
O. v. Bismarck, Reichskanzler,
zitiert durch S. Freud, Traumdeuter​


Alle sind sie heute beschäftigt -

die einen auf der Maloche und die andern bereiten das Lichterfest vor, dass der letzte Fußgänger trotz Unwetterwarnung den Enkel bei der Hand nimmt und spazieren geht. Nächstes Jahr wird Ulli zur Höheren Schule wechseln und da kann es nicht schaden, von der Welt und allem, was darinnen ist, ein bisschen zu erfahren und sei es aus dem Leben des Opa Friedel, wie der die Dinge mit seinem beschränkten Verstand sieht.

"Sind wir's nicht wert, so sieh doch an
Die, so kein Unrecht je getan,
Die kleinen Kinderlein:
Soll'n sie denn in der Wiegen noch
Mit tragen solches schweres Joch?"​

Ich mochte gerade auf die Realschule gekommen sein und weil mein Papa - dein Uropa Fritz - selbst am Sabbat und auch schon mal am Sonntag arbeiten musste, um unsere Mischpoke am Kacken zu halten, nahm mein Großvater, mein Opa Fritz - der Vater deines Uropas, dein Ur-Uropa ...

... Nee, nur zwei Ur, weißte. -
Die sind aber alle lange schon tot.
Gestorben im letzten Jahrhundert und der Ur-Ur-Uropa, der mit den drei Ur, weißte, wurde schon unterm Eisernen Kanzler im vor-vorigen Jahrhundert geboren ...

... Nee, Bismarck war kein Ironman, schon gar kein Spider- oder Superman. Erst recht keine Mutti im Kanzleramt und noch weniger ein Mufti. -

Der bastelte Deutschland aus ein paar größeren, vielen kleinen und noch mehr kleinsten Ländern zusammen, manchmal auch mit Blut und Eisen - daher die Bezeichnung Eiserner Kanzler -, aber der war immer abwägend wie ein Schachspieler.

Wie ein guter Schachspieler!

Vorher gab's keinen Deutschen, nur jede Menge Leute, die Deutsch - oder was sich wie Deutsch anhörte - sprachen, musste dazu wissen.

Aber es ging uns allen gut unter diesem Kanzler. Der war koscher, selbst wenn er mal mauschelte. Auf keinen Fall aber schleimte er.
Dachten einfach alle, bis der Eiserne Kanzler nicht mehr war. -

Schmeckt der Kaugummi überhaupt noch? ...

... Ja gut, kannste ganz gut und kurz retten: Kaugummi auf die Zunge und ab an die frische Luft mit der Zunge und dem Kaugummi. Da darfste mal dem Opahausen die Zunge zeigen, ohne dass Opahausen seine als Antwort rausholt oder auch nur mit dem Kopf wackelt oder Grimassen schneidet. -

Schmeckt wieder? ...

... Von gebrauchten Dingen soll man eh nicht allzu viel erwarten wie überhaupt von Erwartungen - können alle nur enttäuschen.

Moshe Dajan -

das war der Held meiner Schulzeit - hat da nix von gehalten, zu warten, und in sechs Tagen gefährlichen, aber übermächtigen Nachbarn den Hammer gezeigt, als sie seinen Leuten drohten. Allein, weil er deren Erwartungen nicht erfüllen wollte oder einfach nur keine Geduld hatte, bis dass die über seine Leute herfielen. Im fernen, winzigen Israel.

Aber hast schon recht, kann nicht schaden, den eigenen Kopf zu benutzen, statt Anweisungen, Befehlen und der öffentlichen Meinung blind und taub zu folgen.

Einen klugen Ullifurz haben wir - ehrlich!

Wo war ich?
Ach so:
Dein Ur-Uropa Fritz nahm mich gelegentlich nachmittags, wenn die Hausarbeiten getan waren, an die Hand und so gingen wir zwei spazieren, wie wir beide es gerade tun.

Einmal erzählte er von der Zeit, als er so alt war wie du.

Damals wuchsen noch keine Zebrastreifen und Ampeln hingen da nur über Kreuzungen großer Straßen. Es fuhren auch nur wenige Autos und die meisten Wagen wie auch die Straßenbahn wurden manchmal, da, wo noch kein Strom floss, von Pferden gezogen und auf dem Land gab es auch noch Ochsengespanne wie anderthalb Jahrtausend zuvor bei der Völkerwanderung. Aber in der Stadt wurden Pferde bevorzugt, weil ein Pferdeapfel als Dünger und gelegentlich als Hundefutter taugt und auch als Brennstoff, was bei Kuhfladen eher eine ekelhafte Angelegenheit ist wie auch Schafscheiße, die nur Bingo und Belgia Spaß macht, wenn sie sich drin wälzen können, um zum Wolf im Schafspelz zu werden.

In Berlin saß damals ein Schisser von Kaiser auf seinem Thrönchen und löste so wenig Probleme wie Mutti und Papa oder Opahausen und Oma Ele. Nur, -

wenn wir mal mit der buckligen Verwandtschaft Bohei hatten, gab's vielleicht mal einen Satz heißer Ohren, aber keinen Schlamassel mit aller Welt wie bei diesem Schisser. Als dieser Kaiser den Eisernen Kanzler aus dem Amt rausschmiss, war's mit dem Massel vorbei und der Schlamassel begann.
Das war in dem Jahr, als er, dein Ur-Uropa Fritz, geboren wurde.
Der Kaiser liebte Schmoo und machte doch nur Schmonzes. Die Schmonzette dieses Schmocks endete in einem Krieg, der mit Unterbrechungen insgesamt dreißig Jahre dauern sollte und wenn man so will, immer noch, also mehr als hundert Jahre schon, und Völkerwanderungen auslöste wie seit anderthalb Jahrtausend nicht mehr.

Glaub nur nicht alles, was die Leute so von früher erzählen.

Nix war besser unter dem Kaiser oder schlechter als heute. Nur, das ganz, ganz Gute und das ganz, ganz böse Schlechte wird schneller rumgetragen mit der Stillen Post und heute schneller denn je.
Und schon gar nicht war es sicherer auf den Straßen und nicht etwa wegen der wenigen Autos.
Als ich zehn war und mein Großvater Fritz mich die ersten Male auf seinen Spaziergängen mitnahm, um von der Welt und allem, was darinnen ist, ein bisschen zu erzählen - und sei es aus dem eigenen Leben, wie er die Dinge mit seinem beschränkten Verstand sehe - erzählte er mir an einem Scheißtag fast so wie heute, aber kurz vor dem Lichterfest, wie viel Massel wir damals gehabt hatten.

"Lass auch einmal nach so viel Leid
Uns wieder scheinen unsre Freud,
Des Friedens Angesicht,
Das mancher Mensch noch nie einmal
Geschaut in diesem Jammertal."​

Als ich noch jung war, gingen dein Papa und ich am Sabbat in feiner Kluft spazieren, ähnlich wie wir beide heute, als einer aus der Kirche daherkommt und mit einer heftigen Bewegung mir und dem Papa die Kippot von den Köpfen reißt, in den Dreck wirft und darauf herumtritt mit den Worten:

Scheißjud, runter vom Bürgersteig, der gehört dem fleißigen teutschen Bürger und jedem ordentlichen Christenmensch!

Und - was habt ihr getan?, frug ich.

Er, Opa, sei vom Bürgersteig gegangen, habe beide Kippot aufgehoben, etwas ausgeklopft und eingesteckt, war die gelassene Antwort meines Opas Fritz - was mir nicht sonderlich heldenhaft erschien - bis ich ein schlimmes Erlebnis hatte, das sogar mir Bammel bereitete.

Deine Mama war da noch im Kindergarten und ich arbeitete in einem Krankenhaus. Als ich an einem Scheißtag wie heute nicht mit dem Fahrrad nach Hause fahren konnte, nahm ich den Bus, auf dessen Rückbank ausgelassen laute, junge Leute saßen, die ihren Spaß hatten und wohl am Kanal angeln wollten - trotz Regens und Windes - bis ein Gastarbeiter, wahrscheinlich ein Türke, vorne beim Fahrer in den Bus stieg, um einen Fahrschein zu lösen.

Da wurde besonders laut gefragt, dass es auch der Busfahrer und jeder Fahrgast hören musste,

was unterscheid't den Muselman
vom Jud', der nich' mehr schachern kann?

Schlagartig wurd' es still im Bus,
bis einer unter großem Gelächter der anderen von hinten losplatzte,

die einen haben noch vor sich, was
die andern schon hinter sich haben...

Und schon grüßte die Gruppe Petri heil!, hob den rechten Arm und tönte Petri dank! zurück.

"Erbarm dich, o barmherzig's Herz,
So vieler Seufzer, die der Schmerz
Uns aus dem Herzen zwingt!

Du bist ja Gott und nicht ein Stein:
Wie kannst du denn so harte sein!"​


Meschugge, allemal, wie auch vorige Tage und am Freitag vor einer Woche - ausgerechnet am Tag der Aussprache der Araber - öffentlich Feuer zu legen oder legen zu lassen am Schild Davids durch Pelischtim und Rassisten, so wenig eine ausgekochte Tat wie deren Anlass, durch spießige Philister und goßkotzige Grölfratzen von dem Getrampel Amerikas bis Sultan Abdülhamid Erdogan, vom Tempelberg bis Schamass - alle wenig betucht mit Verstand und ohn' Vernunft!

Aber gestern ging ein erster Höhepunkt durch die Welt, als in einem Video ein Schmock mit feuchter Aussprache sein Gift verspritzte und uns alle zurück nach Palästina wünscht oder den Tod, denn was er einem von uns sagt, meint er für alle: In zehn Jahren lebste nicht mehr!, dass wir zu Chanukka kein abzockendes Dreidel mehr drehn und nicht öffentlich feiern. Gut und ruhig zu essen, hat noch niemand geschadet hinter eigenen vier Wänden, verborgen dem scheelen Blick des Neides und der Bosheit.

Nur Gast auf Erden sind wir von sehr bescheidenem Verstand,
der Mutter Sprache soll uns werden zu Himmel, Erd' und Vaterland!​

Und schweigend greif ich in meine Jackentasche, hol hervor zwo Kippot und geb die eine dem Ullifurz, die andere Kippa setz ich auf den angestammten Platz des eigenen Kopfes und sag dem Enkel: Nimm sie, bewahr sie gut auf und wenn dir einmal danach ist, trag das Erbe deiner Vorfahren.

Niemand wird mir meine abnehmen, wenn ich es nicht will. Es ist nicht gut kuschen und sich verstecken oder selbst zu werden wie die auf Aas lauernden Geier. Vielleicht wird man mich als letzten Fußgänger dereinst ausstopfen, in die Vitrine verbannen und im Museum ausstellen nahe bei der Lampe mit dem Schirm aus Menschenhaut. Auffällig genug ist er schon, der aufrechte Gang, nicht aufs Handy zu starren und zu buckeln. Es hat siebentausend Generationen gebraucht, den aufrechten Gang zu lernen und eine Generation, ihn wieder aufzugeben. Den drei Affen gesellt sich der vierte zu, der ohne den kleinen Ratgeber nichts mehr tun kann. Gebe dich einfältig wie die Taube, aber klug wie die Schlange, wie einer aus Nazareth so rät.
Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!

"Was wird bloß aus unseren Träumen
In diesem zerrissenen Land
Die Wunden wollen nicht zugehn
Unter dem Dreckverband
Und was wird mit unseren Freunden
Und was noch aus dir, aus mir -
Ich möchte am liebsten weg sein
Und bleibe am liebsten hier
..."​

 

Ein Aufruf von Campact

"Der menschenverachtende Terror in Israel macht sprachlos. Warum wir aber gerade jetzt laut werden müssen gegen Hass und Antisemitismus und was wir dafür bereits für diesen Sonntag planen, schreibt Dir Campact-Vorstand Christoph Bautz. Und bittet Dich um Deine Unterstützung. ..."

und die Bilder, die um die Welt gehen lassen mich diesen älteren Text "ausgraben".

Friedel

 

Lieber @Friedrichard,

danke, dass du diesen Text qua Kommentar wieder hochgespült hast!
Sehr schön - witzig, zart und ungebeugt. Wärmer als die Kakophonie, die ich vor ein paar Wochen beim Aufräumen (beim Abtragen von Papierstapeln) wiedergefunden habe.
Und leider immer und immer aktuell, man möchte es fast nicht glauben. Großväter und Enkel gehen durch die Jahrhunderte spazieren; und was geschehen ist, kann wieder und wieder geschehen.
Da fällt mir ein Buchenwald-Überlebender ein, der April 1999 seine Rede schloss mit den Worten: Wir brauchen ein Jahrhundert der Musik, der Poesie, der Kultur.
Mitten im Kosovokrieg! Das passt jetzt gar nicht her.
Daher zwei Stolpermomente meinerseits:

die nur Bingo und Belgia Spaß macht, wenn sie sich drin wälzen können, um zum Wolf im Schafspelz zu werden
Das habe ich gar nicht verstanden! Und ich versteh's noch nicht. Bingo? Belgia? Da bin ich womöglich die Einzige - erklärst du's mir?
Als ich noch jung war, gingen dein Papa und ich am Sabbat in feiner Kluft spazieren, ähnlich wie wir beide heute, als einer aus der Kirche daherkommt und mit einer heftigen Bewegung mir und dem Papa die Kippot von den Köpfen reißt, in den Dreck wirft und darauf herumtritt mit den Worten:
Abgesehen von der guten, knappen Szene: Mir war im ersten Moment nicht klar, welcher Opa zu welchem Enkel spricht. Klärt sich dann natürlich, und die Anführungszeichen wolltest du nicht drin haben für die Dialoge, braucht es sonst auch nicht.
So, jetzt wieder zurükke zum Herrn Keller, dessen Grünen Heinrich ich endlich in Erfurt aufgetan habe. "Zweitausend Seiten für neun Euro achtzig", schmollte der Antiquar, als er das Buch in den Händen wog.
Dir einen schönen Abend,
Lieben Gruß
Die Placidus

 

die nur Bingo und Belgia Spaß macht, wenn sie sich drin wälzen können, um zum Wolf im Schafspelz zu werden
worauf Du,

liebe @Placidus,

fragst

Das habe ich gar nicht verstanden! Und ich versteh's noch nicht. Bingo? Belgia? Da bin ich womöglich die Einzige - erklärst du's mir?

Hoppela,

ein Paar Hunde von mir, Belgia – wie der Name näherungsweise verraten kann, eine Groendaele (belgischer Schäferhund – die sind nicht so überzüchtet wie Deutsche), deren Fell in der Sonne hennafarben glänzte, und Bingo (mit dessen Namen ich in meiner Anfangszeit gelegentlich hierorts kokettiert und angenommen habe) ein Mix aus großem Spitz (was die quadratische Bauweise verriet) und Bärenfell.
In meinem Alter besorg ich mir keinen Hund mehr - gleich, wer als erste gehen müsste, scheu aber auch nicht, mich um „fremde“ Tiere zu kümmern ...

Hier in der Wiege der Ruhrindustrie gibts übrigens einen Künstler, der gelegentlich „Stolpersteine“ in den Wegen der Laufkundschaft anlegt, auf dass die Namen der hierorts im 3. Reich Verschleppten nicht vergessen werden.

Was den von mir verehrten Gottfried Keller betrifft – schau hier mal rein
Leben, um von zu erzählen, dass kein Krieg um Troia sei
(https://www.wortkrieger.de/threads/leben-um-von-zu-erzählen-dass-kein-krieg-um-troia-sei.44831/)

Dank Dear und bis zum nächsten Mal!

Friedel

 

Ha! Auf die Hunde wäre ich nun auch nach längerem und allerlängstem Nachdenken nicht gekommen.
Den Keller habe ich mir gefunden, nachdem ich den keinen Krieg um Troja von dir gelesen habe, genauer: deswegen.
Auch die Stolpersteine haben ihren Weg hierhergefunden, wohl das ausgedehnteste Monument, das je war, jetzt sogar in Schweiz und Polen, frag mich, was ich merkwürdiger finde ...
Einen schönen Abend dir in den Pott!

 

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