- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 18
Countdown – Die Bombe tickt
Countdown – Die Bombe tickt
„Das Gebäude ist geräumt. Jetzt gilt es“, plärrte die verzerrte Stimme über Martins Funkgerät
„Roger.“
Langsam und vorsichtig hob Martin den Deckel ab. Die Schrauben waren schon vorsorglich entfernt worden. Die digitale Anzeige sprang ihm sofort in die Augen.
238
237
„Vier Minuten.“
Martin fragte sich kurz, warum nahezu jeder Bombenleger einen digitalen Countdown in die Bombe einbaute. Dann schob er alle Gedanken beiseite und widmete sich seiner Aufgabe.
225
224
„Reicht die Zeit, Martin? Schaffst du es?“
Martin ließ sich nicht von seinem Partner stören. Er zwang sich mehrfach tief durchzuatmen. Eiswasser musste durch seine Adern fließen.
Sein Blick glitt die Kabel entlang. Suchte die Anschlussstellen. Flog kurz über die Kontakte und zurück zum Zünder.
212
Ein dünner offener Draht zwischen Zünder und Spengstoff. Ein weiterer hin zur Anzeige. Zu einfach.
Martin schob die Teleskopkamera tief in die Eingeweide des Kastens und schrak auf. Ein Gewirr von Drähten. Keine Farbverteilungen. Alle weiß.
204
„Dreieinhalb Minuten, Martin. Abbruch?“
Mit einer kurzen Handbewegung brachte Martin seinen Partner erneut zum Schweigen. Nicht reden. Nicht denken. Handeln.
Langsam drehte Martin die Kamera. Beobachtete jedes übermittelte Bild genau. Suchte nach versteckten Auslösern. Nach weiteren Zünddrähten.
192
Leise hörte Martin im Hintergrund seinen Kollegen ins Mikrofon sprechen.
„PSR auf eineinhalb Minuten gelegt. Wir fangen an.“
Vorsichtig, jede hastige Bewegung vermeidend, hob Martin die Anzeige heraus und legte sie auf dem bereitgestellten Brett ab. Mehr Platz im Innenraum. Sofort tauchten seine Blicke tiefer in die Konstruktion ein.
179
178
Kurz die Augen geschlossen. Konzentration gesammelt. Unter dem Helm wurde es stickig. Martin fühlte, wie ihm die Haare an der Stirn klebten.
Auf dem Bildschirm erschienen Bilder von der Unterseite des Zünders und des Sprengstoffs. Weitere Drähte.
169
Abbruch?
168
Die Zeit verrann zu schnell. Handeln.
Martin sondierte wieder die Drähte. Versuchte zu erkennen, welche wichtig waren und welche nicht. Welche Täuschung, welche Direktzündung und welche der voreingestellten Zündung zugeordnet waren.
Zu viele. Vor seinem Auge verschwamm kurz die Sicht. Martin setzte die Maske ab. Fuhr sich mit einer Hand über die Stirn. Schweiß.
156
155
„Martin. Die Zeit drängt.“
„Ich weiß!“, brüllte Martin.
Er hatte seine Beherrschung verloren.
„Hilf mir!“
Hände erschienen in Martins Blickfeld, das immer noch starr auf den Innenraum gerichtet war. Der Kasten wuchs immer weiter. Bald würde er das ganze Universum einnehmen.
„Zünder oder Sprengstoff, Martin. Deine Entscheidung. Schnell!“
143
Zünder!
142
Fünfzig Sekunden für eine sichere Entschärfung. Martin schwitzte inzwischen heftiger. Zum ersten Mal stahl sich der Gedanke in ihn, er könnte verlieren. Das Bewusstsein der eigenen Unsterblichkeit schrumpfte.
Martin hob den Zünder leicht an.
STOPP!
Er ließ die Kamera in den Spalt gleiten. Erst auf den zweiten Blick sah er das feine Garn, das mit dem Zünder verbunden war. Das war knapp gewesen.
Mit erstaunlich ruhiger Hand trennte er die Verbindung und hob den Zünder aus dem Gehäuse.
Martin grinste unbewusst. Das war schon mal die halbe Miete.
126
Nun war Eile geboten. Martin musterte den Zünder. Drei Kabel. Alle farblos. Ein scharfes, zwei Atrappen.
124
Alle drei waren mit dem Sprengstoff verbunden. Zwei Möglichkeiten. Aufschrauben und nachschauen oder Glücksspiel.
Die erste Möglichkeit war bis zum Ablauf des sicheren Zeitfensters undenkbar.
Martin wandte sich an seinen Kollegen.
„Wir werden den PRS überschreiten.“
Kurz sah Martin Angst in den Augen seines Partners aufflackern und er fragte sich, ob er selbst auf seinen Kollegen ängstlich wirkte.
„Wirst du es schaffen, Martin? Wie stehen die Chancen?“
Martin atmete durch. Die Zeit lief unerbittlich, doch diese Antwort würde über ihrer beide Leben entscheiden.
Er würde es schaffen.
„Ja.“
108
107
Kurzes Zögern. Dann ein Nicken.
Martin richtete wieder alle Konzentration auf die Bombe.
Drei Schrauben, schnell entfernt. Die Rückwand klappte auf.
„Verdammt.“
Ein doppelter Boden durch den die Kabel liefen. War vielleicht sogar der Zünder bloß eine Attrappe und der eigentliche Impuls saß unmittelbar am Sprengstoff?
Ein kurzer Blick. Keine Zeit.
96
95
Nur diese Chance. Martin hebelte vorsichtig die zweite Rückwand heraus. Gebannt hielt er den Atem an. Unendlich langsam schien sich der Leim zu lösen.
„PRS überschritten, Martin!“
Alle drei Kabel liefen in einem Punkt zusammen. Keines war eine Atrappe.
„Abbruch, Martin. Das Teil ist dir über! ABBRUCH!“
Panik in der Stimmer seines Partners.
„Ich schaffe sie. Ich schaffe sie!“
Fliehende Schritte. Martin war allein.
84
Vom Zünder aus würde es nicht gehen. Also an den Sprengstoff.
Schnell glitten Martins Finger an den Kabeln und Drähten entlang.
„Phebbs. Martin. Was machen Sie noch da drinnen? Raus. Das ist ein Befehl!“
Martin warf das Mikrofon in die Ecke. Störung war das Letzte, was er brauchen konnte. Nur die Drähte waren wichtig.
77 Sekunden noch.
Er zwang sich, nicht mehr zur Anzeige zu blicken.
Schweiß floss brennend in seine Augen. Trotzdem war es ihm nicht möglich, den Blick von dem Kasten abzuwenden.
Der Sprengstoff war zu stark befestigt. Keine Möglichkeit ihn auszubauen.
Nochmal der Blick zum Zünder. Zweifel. Vielleicht?
Nein.
Seine Augen stahlen sich davon.
66
Eine Minute noch. Eine einzige Minute.
Martin dachte an seine Frau Laura, die zuhause auf ihn wartete; Die bei ihrer Hochzeit so wunderschön ausgesehen, die ihn gebeten hatte vorsichtig zu sein und ihm dabei so ängstlich und vetrauensvoll in die Augen geschaut hatte.
Eine Träne stahl sich davon. Dann hatte Martin sich wieder im Griff. Wenn er jetzt nachgeben würde, hatte er verloren.
Noch fast eine Minute Zeit. Eine Ewigkeit.
Mit einer Pinzette zog er an dem Kabelgewirr am Boden des Kastens. Vorsichtig. Langsam. Unerbittlich.
Die Kabel lösten sich ganz leicht. Sie waren nur Show. Martin fluchte.
Nur die direkte Verbindung zwischen Zünder und C4. Nichts anderes zählte nun mehr.
50
Laura
49
Martin zog das Messer. Keine Zeit mehr für den Sprengstoff. Er musste es vom Zünder aus angehen. Im Hintergrund quäkte das Mikrofon kurz auf. Er ignorierte es.
Millimeter um Millimeter löste Martin den Kabelstrang aus dem Zünder und hielt den Atem an.
„Weiterweiternocheinbisschen“, flog es durch seinen Kopf.
Martin spürte es mehr, als dass er es fühlte. Er durfte nicht mehr weiterziehen. Im Zündergehäuse hinter der Trennwand würden die Kabel wieder auseinandergehen. Jetzt wusste er es. Fast sah er es vor seinem inneren Auge. Und nun wusste er auch, warum die Bombenbastler einen Countdown einbauten. Ganz allein für ihn. Für den Entschärfer. Ein Spiel um sein Leben.
„Ich bin mir sicher. Nur eines dieser Kabel führt zum Zünder.“ Martin ignorierte den weinerlichen Unterton in seiner Stimme. Er schaffte es nicht sich selbst Mut zu machen.
Sein Blick wanderte zur Anzeige.
26
25
24
Er setzte den Schneider an. Eine dreiunddreißigprozentige Chance.
Welches Kabel?
21
Er wechselte den Ansatzpunkt.
19
Es gab eh nur eine Chance. Falls er falsch läge, würde die Bombe explodieren. Martin schloß die Augen und seufzte ein Stoßgebet zum Himmel.
13
11
Martin hatte entschieden. Er knipste das Kabel durch.
Keine Explosion. Er war von dem Kasten fortgewichen und atmete hektisch. Freude wollte seine Brust zerreissen. Er hatte es geschafft.
Martins Blick fiel auf den Timer.
4
Die Welt stand still.
3
Sein Atem flog.
2
Augen zu.
1
Laura.