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Crying Girl
Carra stand wie versteinert in der Tür des ihr immer größer erscheinenden Raumes und starrte die beiden darin nur an. Keiner bemerkte ihre Anwesenheit oder gar, dass sie die Unterhaltung mit anhörte. Ein unbeteiligter Zuschauer wäre wahrscheinlich davon überzeugt gewesen, dass die heimliche Zuhörerin nichts begriffen hatte. Doch, obwohl ihre Gedanken Kopf standen, hatte Carra jedes einzelne Wort verinnerlicht. Nachdem sich ihre Erstarrung gelöst hatte, rannte sie weg. Einfach nur weg vor dem was sie gehört hatte als würde es im Raum bleiben. In ihre Eile stieß Carra jedoch hörbar gegen den Türrahmen, wodurch die anderen auf sie aufmerksam wurden. Sofort wollte Mack ihr hinterher, doch Mandy hielt ihn zurück. “Lass es, Mack! Das bringt nichts.” Ihm lag eine zynische Bemerkung auf der Zunge, aber als er den Blick wahr nahm, der diese Worte begleitet hatte, schluckte er es herunter. “Miss Zuverlässig wird die Abfahrt schon nicht verpassen.” Eine ziemlich harte Bezeichnung für die beste Freundin, fand Mack, sprach es aber nicht aus. “Hör auf Löcher in die Luft zu starren. Denk lieber darüber nach was wir jetzt machen.” Diese Worte waren der verzweifelte Versuch Mandys Leben in diese Unterhaltung zu bringen. Noch ein Gedanke von ihm ging in Richtung Carra um sich anschließend voll und ganz auf die aktuelle Situation zu konzentrieren. “Ich weiß auch nicht. Wir haben wohl alles falsch gemacht,” stellte er resigniert fest. Die Antwort bestand lediglich aus einem stummen Nicken also fuhr er fort. “Wieviel sie wohl mitbekommen hat? Wir wollten ihr nur helfen und nun haben wir es wohl nur schlimmer gemacht.” Da beide nicht wirklich weiter wussten, wurde die verheerende Frage wiederholt in der Hoffnung wenigstens das klären zu können..
Bist du nur aus Mitleid bei ihr? Die Worte ihrer besten Freundin gingen Carra nicht aus dem Kopf. Nur die darauf folgende Antwort von Mack, die aus einem einfachen Blick bestand, tat mehr weh als die Frage an sich. So was hatte sie nie zuvor gesehen. Ein Blick, der nichts zusagen schien und doch so viel. Furcht. Unsicherheit. Schmerz. Sogar so etwas wie Zuneigung. All das konnte Carra diesem Blick entnehmen und noch viel mehr. Als sie das Haus verlassen hatte, hatte Carra nicht bemerkt, dass es leicht regnete. Mittlerweile goss es wie aus Eimern, aber sie lief dennoch eine schiere Ewigkeit umher. Ohne Ziel. Ohne Kenntnis von der Umgebung zu nehmen. Ihre Gedanken gingen in alle möglichen Richtungen. Auf einmal war jedes noch so kleine Zögern aus der Vergangenheit ein Hinweis für die Heuchelei der anderen. Jede Bemerkung. Bewegung. Jeder angebliche Witz oder ein beiläufiges Zwinkern waren für Carra plötzlich nichts anderes als ein eindeutiges Zeichen für den Verrat an ihr und allen zuvor einmal gegebenen Versprechen. Für sie stand es fest, dass sie nie wirklich Freunde hatte. Alle, die sie umgaben, wollten sie nur Ausnutzen oder hatten Mitleid. Diese Vorstellung, so absurd sie für andere auch sein mag, brach Carra das Herz. Unter die Regentropfen auf ihrem Gesicht mischten sich immer mehr Tränen. Sie ließ jede einzelnen ihren Weg beschreiten ohne auch nur eine einzige zu bremsen. Als Carra wieder beim Ausgangspunkt angekommen war, klebte die Jeans unbequem an ihren Beinen, triefte der Pullover vor Nässe und gaben die Latschen bei jedem Schritt glucksende Geräusche von sich. Das alles hätte sie weiter ignorieren können, aber die Kälte, die sich in ihrem Körper ausbreitete, ließ ihr keine Ruhe. So stapfte Carra, eine feuchte Spur hinter sich herziehend, an Mack vorbei, der auf sie gewartet hatte, ins Haus ohne ihn zu beachten. Seine Erleichterung war ihm ins Gesicht geschrieben, aber auch seine Schuldgefühle und er griff nach ihrer Schulter um sich bemerkbar zu machen. Diese schüttelte Carra nur ab wie eine lästige Fliege und ging weiter. Hinter ihr her trottend stammelte Mack ein paar erklärende Worte, doch keines davon erreichte Carras Gedanken. Bei ihrem Zimmer angekommen schloss sie die Tür vor Macks Nase und ließ ihn allein davor stehen. Während er die Tür anstarrte, ging Carras erster Weg Richtung Bad um die nassen Klamotten loszuwerden und sich abzutrocknen. In ihrem Zimmer schlüpfte sie in ein paar warme Sachen und warf sich aufs Bett um im Kissen weiter zu weinen.
Außerhalb der kleinen Wohnung hätte Mack am liebsten solange gegen die Tür getrommelt bis Carra ihn reingelassen hätte, aber dafür wäre er von den anderen gelyncht worden. Mandy hatte ihn ja gewarnt, dass er ignoriert werden würde. Sie hatte nur eine abwertende Geste gemacht und war gegangen, dennoch wollte er es versuchen. So wartete Mack still schweigend vor der Tür … vergebens.