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Dämonendiener
Für einen Moment war die Welt still. Alles schwieg, alles war rein. Es gab nur Ergebenheit, nur die Auflösung des Ichs in Höherem. Keine wild umherschwirrenden Gedanken, das Bewusstsein war genau ausgerichtet.
Dann war dieser Moment vorbei. Ein Teil von ihm blieb in Merions Geist; das Gebet war beendet. Auf ein unhörbares Signal erhoben sich zweihundert Krieger, absolut synchron. Sie waren keine normalen Menschen. Dass der Hauptteil ihres Körpers durch Elektromotoren, Panzerplatten und Lebenserhaltungssysteme ersetzt war, machte sie aber noch nicht zu Maschinen. Es waren ihre Gedanken. Sie dachten absolut zielgerichtet, ohne eine Abweichung. Sie fühlten auch nicht, alles war absolut rational. Meistens war das Gehirn wie abgeschaltet, wenn das Denken nicht erfoderlich war. Doch dumm waren sie auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil. Sie waren Maschinen, wenn man sie so nennen will; aber vielleicht auch mehr Mensch als jeder andere.
Sie standen in einer riesigen, schlichten Halle. In der Mitte der hohen Decke ließ eine gläserne Kuppel ein wenig Tageslicht durch. Das Bauwerk erinnerte leicht an eine Kirche. Verzierungen oder Statuen fehlten aber vollständig. Nur auf dem Glas zeichnete sich ein verschwommenes Bild ab: Von der linken Seite stach eine Art Flügel hinein. Der Vogel dazu fehlte. Auf der rechten Seite war eine Hand gezeichnet, deren Besitzer ebenfalls nicht zu sehen war.
In der Mitte der riesigen Halle stand eine kleine, etwas erhöhte Plattform. Darauf ein Mann, in schlichten schwarzen Gewändern. Er sah krank aus. Seine Haut hatte fast schon die Farbe Weiß erreicht. Seine knochigen Hände klammerten sich schwach um das Geländer der Plattform, und doch strahlte er Macht aus.
„Der Dämon…“, sprach er in der Stimme flatternd wie ein Sterbender. Er hustete ächzend und redete dann weiter.
„Der Dämon ist mit euch.“
Er hatte stimmlos geflüstert. Trotzdem konnte ihn jeder der Zweihundert hören. Ein schweres Eisentor öffnete sich zischend und die Krieger begannen hindurch zu marschieren.
Der Priester auf der Plattform hatte sie über ihren Auftrag informiert. Sie wussten wirklich alles über ihr Ziel, aber nichts über den Grund des Angriffs. Sie wussten, dass sie einen Krieg führten, und dass der Priester selbst diese Entscheidung nicht getroffen hatte. Das reichte ihnen. Genauere Informationen waren ihnen verwehrt, noch. Wer lange und ergeben diente, konnte selbst zum Priester aufsteigen.
Es dauerte Tage bis zum eigentlichen Einsatz. Doch Zeit verging kaum in den Köpfen der Krieger. Zeit spielte für sie keine Rolle Sie waren noch so geordnet und synchron wie vorher in der Halle, als sie um einen grauen, riesigen Gebäudekomplex standen und ihre Waffen entsicherten. Hätte jemand sie bemerkt wäre das Chaos schon vorher ausgebrochen. Dabei hinterließen sie keine Zeichen oder Botschaften und vermieden, gesehen zu werden. Niemand kannte sie also. Trotzdem reichte der Anblick, um einen Menschen in Panik zu versetzen.
Manchmal konnte man die eisernen Gelenke hinter dunkelroten Panzerplatten erkennen. Der Bau der Maschinen war bullig, der Kopf saß tief zwischen den riesigen Schultern und leuchtete schwach mit kleinen, weißlichen Sensoraugen.
Die Krieger waren jetzt alle bereit. Einen Augenblick lang herrschte noch Ruhe. Dann brach die Hölle los.
Meterlange Stichflammen loderten auf, abertausende Kugeln wurden durch die Fenster in das Gebäude gepumpt, Sprenggranaten rissen Teile aus der Mauer. Eine kleine Abteilung stürmte in das Gebäude. Innen brannte alles, Stahlträger und Betonstücke waren aus der Decke und den Wänden gefallen und bedeckten den Boden. Flammenwerfer verbrannten das, was noch von dem Labor übrig war.
Es hatte nur eine Minute gedauert. Für Merion war es auch kein Chaos, denn er war Herr darüber. Das Chaos war perfekt. In diesem Moment war er eins mit dem Dämon gewesen, wie beim Gebet auch. Er hatte die Macht, für die er kämpfte, verstanden. Nicht komplett, vielleicht nur die unterste Schicht davon. Aber dies allein war schon viel. Der Dämon wollte auch verstanden werden, Diener, die ihm blind folgen würden, wären nutzlos.
Die Bewohner der umliegenden Häuser waren zwar aufgewacht, hatten sich aber alle in ihren Häusern verkrochen. Vielleicht dachten sie an Krieg, und die brennende Ruine des Labors sah auch danach aus. Doch kein anderes Gebäude war irgendwie beschädigt worden; als hätte jemand mit einer Nadel des Krieges zugestochen.
Merion war leicht verwirrt. Er hatte in den Trümmern des Labors einen bleichen, toten Mann gesehen, der angekettet auf einem Labortisch lag. Er trug die Gewänder eines Priesters. Merion war schon einiges im Kopf durchgegangen, aber keine Lösung wollte darauf passen.
Die Krieger verließen das Chaos und zogen sich zurück.
Sie verließen die abgelegene Siedlung und hatten nach ein paar Stunden die Ausläufer des Gebirges erreicht. Sie verwendeten keine Fahrzeuge, die für den Radar sichtbar gewesen wären. Nach wenigen Tagen war am Horizont das Kloster zu sehen, schwarz und bedrohlich massiv fügte es sich in die dunkle Berglandschaft ein. Die Halle, aus der sie aufgebrochen waren, stellte nur ein Nebengebäude dar. Auf dem höchsten Punkt des Klosters thronte das Wrack einer Statue, die die Zeit fast unerkennbar gemacht hatte. Bei genauem Hinsehen war es eine Art Engel aus schwarzem Stein, eine Hand und ein Flügel waren abgebrochen.
Der Trupp betrat wieder die Kuppelhalle, denn das eigentliche Haupgebäude war ausschließlich zum Beten gedacht. Darin erwartete sie bereits der Priester, der sie losgeschickt hatte. Er stand nicht auf der Plattform und stützte sich mit einem silbernen Gehstock. Neben ihm stand ein Mitglied der zweiten Kaste, eine bizarre Erscheinung. Sie gingen gebückt und bucklig, sodass sie nicht mal die Hälfte der Körpergröße eines Kriegers erreichten. Ihre Haut war steingrau wie ihre Gewänder und aus ihrem Kopf sprossen lange blaue, nach hinten geklappte Nadeln; was fast nach Haaren aussah. Auf ihren Augen lag immer eine zähe schwarze Flüssigkeit. Woher diese Mutationen kamen wussten die Krieger nicht. Sie wussten nur, dass die Mitglieder der zweiten Kaste eine besondere Art zu sehen hatten und für das Kloster unentbehrlich waren. Außerdem hatten sie eine weit höhere Autorität als die Krieger.
„Sieh sie dir an. Trifft meine Vermutung zu?“, fragte der Priester leise.
Der Seher trat schleichend an die Krieger heran. Quälend langsam musterte er jeden einzelnen mit seinen Blicken. Bei Merion blieb er stehen.
„Ja. Er ist es.“, krächzte er im Umdrehen.
„Gut…“, meinte der Priester und winkte Merion zu sich heran. „Komm mit.“
Sie gingen durch ein Portal und Merion wusste, dass dieser Weg zu den Scharfrichtern führte. Er hatte keine Angst. Er würde im Namen des Dämons sterben.
„Ich denke, du hast aus deinem Wissen bereits Schlüsse gezogen und dir Fragen gestellt.“, sagte der Priester leise.
„Und unter diesen Umständen,“ , meinte er während sie an der Tür der Scharfrichter vorbei und weiter in das Kloster hinein gingen, „haben wir nur die Wahl dir die Antworten zu geben.“
Er führte ihn in den geschlossenen Bereich der Priester.
„Willkommen in der Priesterkaste.“
Merion wusste, dass es noch zu früh war für seinen Tod.