Déjà Vu
Ein Blick aus dem Seitenfenster sagte mir, dass sich rings um mich herum Wasser befand. Benommen versuchte ich, die Steuerkonsole zu aktivieren, doch bis auf die autarken Notsysteme schien es einen Totalausfall gegeben zu haben. Na ja wenigstens etwas gutes, dachte ich mir.
Ich hatte den Eindruck, die letzen Minuten schon einmal erlebt zu haben … Die Momente vor dem Aufschlag auf die Wasseroberfläche.
Der Aufprall war ziemlich heftig. Ich wischte mir etwas Blut von der Stirn.
Mein Shuttle sank … langsam aber spürbar.
Nun hieß es, die nächsten Schritte sorgfältig zu planen.
Erstens: ich musste raus. Das sollte also mein Primärziel sein. Aber ich befand mich ja im Wasser … Verdammt.
Mein Anzug … natürlich. Die Gelpakete, die normalerweise zur Stabilisierung bei starken Beschleunigungsmanövern gedacht sind, sind ein zusätzlicher Auftrieb. Somit hatte ich also ein fehlendes Rettungsfloß ersetzt.
Aber ich wusste nicht, wo ich war … das war das nächste Problem. Ich könnte jetzt einfach ins Wasser steigen und warten, wohin die Strömung mich treibt. Das war in jedem Fall besser, als hier zu warten und dann irgendwann auf dem Grund dieses Gewässers zu verhungern oder – wenn es tief genug ist – zerdrückt zu werden.
Also packte ich mir etwas Notration ein und setzte meinen Helm auf.
Die einzige Gefahr, die mir jetzt noch drohte, waren die Lebewesen auf diesem Planeten … ob nun aus der Luft oder aus dem Wasser.
Ich hatte schon viel erlebt, aber ich wusste immer, worauf ich mich einließ. Das jetzt war eine völlig neue Situation für mich.
So stieg ich also in den Anzug und setzte den Helm auf. Das Visier schloss ich, da ich natürlich wegen der ausgefallenen Geräte im Shuttle keine Ahnung hatte, was für eine Atmosphäre herrschte. Die weißen Wolken unter dem blauen Himmelszelt verhießen mir jedoch, dass sie atembar war. Aber sicher ist sicher …
Ich sprengte die Notfallluke an der Oberseite meines Shuttles, denn inzwischen war es soweit versunken, dass die Wellen über die Fenster gestiegen waren.
Das erste, was ich tat, war die Zusammensetzung der Atmosphäre zu prüfen. Die Luft war etwas dünn, aber durchaus verträglich. Also konnte ich meine Sauerstoffreserven zurücklassen und glitt ins Wasser.
Wie lange würde ich wohl benötigen, bis ich Land finde? In welche Richtung musste ich? Land gab es – soviel konnte ich während des Eintritts erkennen. Es waren viele vereinzelte Inselgruppen. Aber es war sehr schwer sich zu orientieren auf einem fremden Planeten, ohne Hilfsmittel.
Nun war das Shuttle fast außer Sicht … hier herrschte eine heftige Strömung. Aber das war gut so, denn so konnte ich innerhalb kürzester Zeit eine größere Entfernung zurücklegen.
Ich nahm mir nun die Zeit, die vergangenen Geschehnisse Revue passieren zu lassen. Diese verdammten Piraten haben unseren Frachter angegriffen. Aber warum? Es gab doch nichts … Wir hatten gerade eben eine medizinische Lieferung zu einer neuen Kolonie gebracht und waren unterwegs nach Hause. Ich hatte mich schon gefreut, meine Eltern endlich mal wieder zu sehen. Ich war fast 2 Jahre im All unterwegs … und jetzt … gestrandet. Verdammt!
Aber sie waren wirklich hartnäckig … haben uns über gut drei parsec verfolgt. Irgendwas muss doch ihre Aufmerksamkeit erregt haben.
Über die Kolonie erzählt man sich viele schaurige Geschichten. Der eine sagt, man habe eine intelligente Spezies entdeckt. Ein anderer sagt, es gäbe einen unglaublichen Reichtum. Wieder andere behaupten, dass Spuren einer untergegangenen Zivilisation gefunden wurden. Mir war das alles ziemlich egal. Ich wollte diesen Auftrag erfüllen und dann einen ausgedehnten Urlaub auf der Erde machen … mich vielleicht sogar zur Ruhe setzen. Der Auftrag war verdammt hoch dotiert gewesen. Medizinische Transporte bringen zwar allgemein mehr ein, als zum Beispiel Bekleidung oder so … aber hier hatte man uns eine Prämie versprochen, die fünfmal so hoch war, wie normal. Aber wie sagt man so schön: „einem geschenkten Gaul …“
Bedenken, dass irgendwas faul ist? Nein … in dem Moment nicht. Vor allem konnte man sicher sein, dass bezahlt werden würde, denn der Auftrag kam von der Regierung. Es war allerdings seltsam, dass sie nicht eines ihrer eigenen Schiffe geschickt hatten.
Im Nachhinein ist alles recht seltsam.
Unser Kapitän ist zwar nie sonderlich gesprächig gewesen, aber er hat uns doch schon immer klar über alle Hintergründe informiert. Aber diesmal nicht. Diesmal hat er uns die nötigsten Daten gegeben. Kurs setzen … maschinen starten. Und sofort war er in seinem Büro verschwunden.
Nun ja … keinen von uns hat das sonderlich beunruhigt. Wir haben es hingenommen. Dachten, er hatte vielleicht mal wieder Stress mit seiner Ex-Frau. Die Alte war echt ein Biest. Die geborene Schwiegermutter. Ein schmunzeln glitt mir über das Gesicht.
Langsam wurde es dunkel um mich herum.
Am Horizont konnte ich eine Rauchfahne entdecken. Wo qualm ist, ist Feuer, dachte ich … Das hier war ein junger Planet. Also bestand die Möglichkeit, dass es entweder ein Vulkan war … oder – so hoffte ich – Trümmerteile des Frachters. So bestünde wenigstens der Hauch einer Chance, Kontakt mit einem Bergungsteam aufzunehmen. Vielleicht waren sie sogar schon da.
Ich konnte nun schon Land sehen … in einer Stunde dürfte ich da sein.
Als ich an der Insel ankam und aus dem Wasser stieg, sah ich, dass sie sehr klein war. Der Ursprung des Rauches war auf einer Nachbarinsel. Und tatsächlich: es kam von unserem Schiff. Oder besser – von einem Teil des Schiffes … Bug und Heck mit Antrieb waren weg. Von der Brücke existierte nur noch der Stumpf.
Es war einmal der Stolz unserer Handelsflotte gewesen. Und jetzt? Der Zustand war wirklich grauenvoll.
Erst jetzt kam mir der Gedanke, ob noch jemand überlebt hat. Es gab einige Shuttlestarts als es hieß, zu evakuieren. Aber ich sah auch, dass einige abgeschossen wurden. Ich würde es sehen, wenn ich die Trümmer erreicht habe.
Also bewegte ich mich auf die Trümmer zu. Die Verbindung zur Nachbarinsel war nur bis zur Brust unter Wasser … also konnte ich – mit etwas Anstrengung wegen der Strömung – hinüber laufen.
Angekommen am Rumpf sah ich das gesamte Ausmaß der Zerstörung. Kaum eine Platte der Außenhülle war noch an ihrem Platz. Überall hingen die Kabel heraus. Persönliche Gegenstände lagen herum, als ich an der Sektion mit den Privatquartieren vorbei kam. Was mich aber sehr irritierte war die Tatsache, dass es keine Leichen gab … keine Anzeichen von Menschen.
Ich zog meinen Anzug aus, da er inzwischen doch etwas zur Last geworden war und betrat das Wrack. Die Gänge waren mir vertraut, obwohl nur die Phosphoreszierende Notbeleuchtung etwas Licht spendete. Also begab ich mich direkt in die Sektion, wo sich der Maschinenraum einmal befand. Das war meine einzige Chance, eventuell eine funktionierende Kommunikationseinheit zu finden. Die Brücke gab es ja nicht mehr.
Immer noch kein Anzeichen eines Menschen.
Im Maschinenraum angekommen versuchte ich zuerst, Zugriff auf den Hauptcomputer zu bekommen. Das erste Terminal war nicht zu gebrauchen. Ein Stahlträger hat es völlig zerstört. Beim zweiten hatte ich schon mehr Glück. Das System startete. Scheinbar war also die Energieversorgung noch in Ordnung.
Der Kernspeicher war stark fragmentiert. Aber ich konnte die Logbücher des Kapitäns einsehen. Zeit genug, das Passwort herauszubekommen hatte ich ja. War eigentlich auch nicht so schwer … er hat den Namen seiner Ex-Frau genommen. Wahrscheinlich hatte er es schon eine ganze Zeit nicht mehr geändert.
Jedenfalls erkannte ich in den Logbüchern die wirklichen Gründe für unsere Reise. Und die Gründe für den Überfall.
Der Medizinische Transport waren in Wahrheit wissenschaftliche Ausrüstungsgegenstände. Und ein Gerücht bewahrheitete sich: man hat Ruinen gefunden in der Nähe der neuen Kolonie. Der Weg nach Hause war auch nicht wirklich nur ein Weg, sondern ein Rücktransport. Man hatte etwas gefunden, das scheinbar in der Lage war, den linearen Zeitfluss zu manipulieren.
Und der Grund dafür, dass wir diesen Transportauftrag bekamen, war einzig die Geheimhaltung. Man wusste, dass die Gegenseite mächtig ist. Aber anscheinend hatte man ihre Intelligenz stark unterschätzt.
Ich machte mich auf die Suche nach dem Artefakt. Es musste natürlich im Tresorraum sein. Also – auf den weg dorthin.
Als ich ankam, sah ich, dass das Schott aus der Verankerung gerissen war und ich zwängte mich durch einen schmalen Spalt.
Im Raum herrschte fast völlige leere. In der Mitte war am Boden verankert ein Podest mit einem seltsamen ovalen Objekt darauf. Es sah fast aus wie ein Block aus schwarzem Marmor mit Strukturen darin, aber es waren einige Lichtquellen im inneren vorhanden. Also musste es zumindest teilweise transparent sein. Aber da war noch etwas anderes. Es war, als wenn sich die Lichtquellen darin bewegten und bestimmten Bahnen folgten.
Ich berührte es, zog aber die Hand schnell zurück. Die Lichter hatten angehalten und gewannen nun an Leuchtkraft. Um das Objekt herum begann es mit einem Blauschimmer zu glühen. Es wurde augenscheinlich ein Energiefeld aufgebaut, das mit jeder Sekunde schneller wuchs.
Nun bekam ich es mit der Angst zu tun und nahm die Beine in die Hand. Ich rannte also aus dem Tresorraum und wartete einen Moment, doch das Feld wuchs noch immer. Und immer schneller. Raus aus dem Schiff.
Ich entfernte mich so schnell es ging. Inzwischen hatte das Feld schon den gesamten Rumpf eingeschlossen und hatte mich auch fast erreicht.
- ein Lichtblitz –
Verdammt. Unser Frachter ist manövrierunfähig. Er steuert auf den fünften Planeten dieses gottverlassenen Systems zu. Und mich hat’s auch erwischt. Meine Triebwerke laufen auf 10% … Ich nutze die verbleibende Kraft, um einen guten Eintrittswinkel in die Atmosphäre zu bekommen. Die Stille weicht dem Geräusch, das entsteht, wenn man sich sehr schnell durch die Luft bewegt. Die Oberfläche dieses Planeten scheint fast vollständig mit Wasser bedeckt zu sein. Trotzdem wird das eine harte Landung. Aus dem Wasser ragen viele Inselgruppen.
Die Oberfläche kommt immer näher.
Der Aufschlag.
- Dunkelheit -
Ein Blick aus dem Seitenfenster sagt mir, dass sich rings um mich herum Wasser befindet. Benommen versuche ich, die Steuerkonsole zu aktivieren, doch bis auf die autarken Notsysteme scheint es einen Totalausfall gegeben zu haben. ‚Na ja wenigstens etwas gutes’, denke ich mir.