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Dürre

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16.06.2002
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Dürre

Gleißende Sonne brannte über Byblos. Glühend heißer Wind fegte durch die staubigen Straßen der Stadt. Kein Regen kam. Die Stadt verdorrte, die Hügel und Berge des Umlandes, die im Frühjahr grün, satt und fruchtbar zu sein pflegten, darbten in der unbarmherzigen Glut. Das Frühjahr war schon beinahe zu Ende und kein Tropfen Wasser fiel vom Himmel. Die Ernte im Umland der Stadt wurde dürr und starb. Im Gebirge waren die mächtigen Zedern durch unversehens aufkommende Feuer bedroht. Der Stadt drohte Hunger.

Dem Gesandten des Pharao schwante Fürchterliches. Er sandte Depeschen an seinen Gottkönig mit dem Anliegen, dass der Stadt von der Schutzmacht Ägypten geholfen werden müsse. Doch das königliche Außenamt verweigerte die Lieferung von Hilfsgütern, da der Staatsschatz dies nicht verkraften würde. Unruhe machte sich unter den ägyptischen Garnisonen, die der Pharao zum Schutz der Stadt Byblos stationiert hatte, breit. Ein Aufstand wurde befürchtet, Grausamkeiten und viele Tote auch unter ihren Reihen. Würden sie in der Fremde sterben, ohne nochmals vom süßen Wasser des Nils getrunken zu haben?

Die Gesandtschaften der anderen Reiche waren ebenfalls sehr besorgt, schickten Bittgesuche um Nahrung und Geld für die darbende Stadt an ihre Herrscher, die abgelehnt wurden. Viele der ausländischen Händler machten sich für eine Reise in ihre Heimat bereit. Sie wollten nicht mitansehen, was unvermeidlich kommen würde.

Die Dürre wurde schlimmer. Die Ernte war fast zur Gänze vernichtet. Nahrung musste teuer eingeführt werden. Da fiel eines Morgens des Königs Entschluss. Der Oberpriester hatte ihn die Nacht zuvor aufgesucht und meinte, dass der Gott Baal seiner Stadt zürnte und man ihn zu besänftigen habe. Der König befahl, in einer religiösen Zeremonie den Gott der Stadt durch großzügige Opfer zu besänftigen.

Unruhe machte sich in Byblos breit. Aus den bis zu acht Stockwerken hohen Häusern war oft Wehklagen zu hören. Die Geschäfte im Hafen hatten geschlossen. Es blieben auch die meisten Schiffe aus dem Ausland aus, jene der Stadt schaukelten leer und unbemannt an den Molen. Der Handel war zum Erliegen gekommen, der Staatsschatz der Stadt verbraucht für die Einfuhr von Nahrung. Am gemarterten Ort gab es nichts mehr zu handeln. Die ganze Stadt klagte. In den sonst überaus belebten, engen, gewundenen Gassen waren kaum Menschen zu sehen. Besorgt und ernst waren die Gesichter der wenigen, die sich durch die brennend heißen Straßen schleppten.

Am frühen Morgen des folgenden Tages begann man mit den Vorbereitungen. Die Priesterschaft hatte sich im Tempel des mächtigsten Stadtgottes versammelt und vollzog unter dem Gesang einer eintönigen Litanei die rituellen Tänze. Der Oberpriester hatte die Maske des Stieres aufgesetzt und begab sich in den Raum des Allerheiligsten, wo die mächtige aus Stein gehauene Statue des Baal stand. Das Dach des Raumes lief stufenförmig nach oben, wo eine kleine Luke in der Mitte die Sonnenstrahlen durchließ, die direkt auf den schwarzen Opferstein fielen. Im Sockel der Statue klaffte eine enorme Öffnung, in welche der Oberpriester die Fackel mit dem heiligen Feuer warf. Von der Öffnung führte ein steinerner Röhrenkanal hinab in eine unterirdische Höhle. Die Priester warfen Holz hinab, bis das Feuer in der unterirdischen Höhle vollends entbrannt war und man die Flammenzungen von der Sockelöffnung aus sehen konnte.

Soldaten des Königs holten Gefangene aus den Kerkern. Ausgermergelte, bleiche Körper wurden nackt und mit Fußfesseln aneinandergekettet durch die Straßen zum Tempel gepeitscht. Unbarmherzig schnalzten die Geißeln der Soldaten auf die blasse Haut der Rücken, auf der sich die Rippen der Unglückseligen abzeichneten. Wehgeschrei und Weinen hallte durch die Straßen. Hinter den Gefangenen schritten die Sklaven, welche die reichen Familien der Stadt auf Befehl des Königs dem Tempel überlassen mussten. Auf den Stufen der Vordertreppe des Tempeltores standen Familien mit Kindern. Manche der Kleinen waren noch kein Jahr alt. Sie wimmerten und weinten in den Armen der Mütter, die sie unter Wehgeschrei hin und her wiegten. Manche waren bereits Knaben, die angstvoll und unter Tränen an den Händen ihrer Eltern in der Reihe standen.

Die Gefangen wurden als Erste in den Tempel geleitet. Zitternd folgten sie den rohen Befehlen der Soldaten. Die Fußketten klirrten. Von den Priestern wurden ihnen die Fußfesseln abgenommen. Dann duckte man sie mit dem Kopf gegen den Opferstein. Vier Priester hielten den Hals und die Arme des Wimmernden. Dann kam der Priester mit dem heiligen Messer und öffnete dem Gefangenen die Halsschlagader. Das Blut rann vom Opferstein in einen kleinen, offenen Kanal, der in den Boden des Allerheiligsten eingekerbt war, zu einem Auffangbecken aus blauem Edelstein neben der Statue des Gottes. So ließ man einen Gefangenen nach dem Anderen ausbluten und warf den Körper durch die Öffnung des Sockels ins Feuer. Nach den Gefangenen mussten die Sklaven dem Gotte geopfert werden.

Dies bereitete den Priestern größere Mühe, denn viele der Sklaven wehrten sich, schlugen um sich, schrien, brüllten, traten mit den Füßen gegen die Priester. Doch die Soldaten kamen den Peinigern zu Hilfe und so wurde auch den Sklaven, einem nach dem anderen, die Schlagader geöffnet. Der schmale Kanal und das Becken waren bereist übergelaufen. Überall am Boden des Allerheiligtsten war Blut. Die Priester wateten darin und verfielen in einen seltsamen Rausch. Geruch von Blut und menschlicher Asche verbreitete sich in der Umgebung des Tempels. Die Hitze des Feuers, der faulige Blutgeruch, der sich mit dem süßlichen Gestank der verbrannten Leiber vermischte, versetzte die Priester in extasische Raserei. Als die Familien mit ihren Erstgeborenen an der Reihe waren, kannten die Priester keine Gnade. So sehr waren sie im Blutrausche versunken, dass sie ihnen oft die Köpfe abtrennten. Die meisten der älteren Erstgeborenen hatten zuvor betäubenden Sud zu trinken bekommen. Doch als sie von den Priestern ergriffen und gegen den Opferstein gebeugt wurden, war ihnen doch bewusst, was sie erwartete. In schnellen Atemzügen vor Angst röchelnd, richteten sie ihre letzten tränenerfüllten Blicke der Verzweiflung zu ihren weinenden, wehklagenden Eltern, die oft ihre Gesichter in den Händen vergruben, um die Tötung ihres erstgeborenen Kindes nicht mitansehen zu müssen. Die kleinen, noch in ihren Windeln wimmernden Kinder, wurden von den Müttern vorher heimlich erstickt. Das Feuer verschlang Hunderte von Leibern. „Baal schicke uns Regen, Baal nimm unser Opfer an!", klagten die Betenden, die der Opferung beiwohnten. Der Rauch qualmte aus dem Abzug der unterirdischen Höhle, der hinter dem Tempel auf einem kleinen Platz unscheinbar aus dem Quaderpflaster ragte. Die Rauchsäule qualmte dicht und allmählich überzog sich der Himmel über der Stadt mit Rauch. Die Stadt war erfüllt mit dem Geruch menschlicher Asche.

Der ägyptische Gesandte hatte die meisten in Byblos ansässigen Landsleute in seiner geräumigen Wohnung versammelt. Die dicken Vorhänge hatte man trotz der großen Hitze zugezogen und die Türe verriegelt. Man sprach nur mit gedämpfter Stimme, hielt sich in Duftwasser getränkte Leinentücher vor die Nase, um den Gestank nicht einatmen zu müssen. Einige weinten und meinten, dass man den Pharao doch dazu bringen müsste, diesem Grauen ein Ende zu bereiten. Ein Händler meinte sogar, dass die Truppen des Pharao diese schreckliche Weltgegend zur Gänze befrieden müsse, um den Barbaren den edleren ägyptischen Glauben aufzuzwingen. Der Gesandte schüttelte den Kopf. Ägypten, meinte er, brauche den Handel und die Handelshäuser, wo man Silber mit großem Gewinn in Schiffe anlegen konnte. „Und woher", seufzte er, „denkst du kommt das Holz für unsere Möbel, die Farbe für unsere Stoffe? In welchen Häfen, wenn nicht den Syrischen beziehen wir die Luxuswaren aus Babylon?" „Wenn wir sie völlig besetzen und unterwerfen werden sie sich auflehnen und Krieg ist dem Handel schädlich!", ächzte er, während seine Frau hinaus ging, um sich zu übergeben, denn der Gestank, der sich immer dichter über die Stadt ausbreitete, wurde ihr unerträglich. „So sind wir eben nur Schutzmacht und mengen uns nicht ein", meinte er leise und vergrub das Gesicht in seinen Händen.

Der Gesandte des Königs von Babylon hatte sich einen Becher Wein, der mit Mohnsaft vermengt war, bringen lassen, um nichts von den schrecklichen Ereignissen mitzubekommen. Unerträglich war ihm der Gedanke, Zeuge eines derartigen in seiner Gedankenwelt unvorstellbaren Gräuels zu werden.

In der Nacht verwehte der heiße Wind allmählich den Gestank. Die Stadt war gespenstisch still. Der Gott hatte seine Opfer bekommen. Sklaven reinigten den Tempel. Wochen vergingen und es fiel immer noch kein Regen.

 

Lieber Echnaton,

Deine Geschichte habe ich mit Interesse und Spannung gelesen. Die politischen und Handelsbeziehungen zwischen Ägypten und Byblos - war das seinerzeit ein Stadtstaat? - finde ich sehr gut recherchiert und sehr anschaulich geschildert, die Sprache für das historische "Setting" gut gewählt. Ich erinnere mich an keine neudeutschen Wendungen, die mich als Leser etwas drausgebracht hätten.

Einen Gedanken hatte ich aber gleich am Anfang und habe ihn letztendes auch beibehalten: Fehlt der Geschichte nicht eine Hauptfigur, die den Leser so richtig mitleiden lässt, mit der er Sympathie empfinden kann, um die er Angst hat. Unter diesem Gedanken habe ich weitergelesen und muss sagen: Die Spannung in der Schilderung der Opferszene bleibt. Trotzdem liest sie sich m.E. auch ein bisschen wie eine Dokumentation, am Ende denke ich: Traurig, schaurig, aber auch vorbei.

Deiner sprachlichen Darstellung tut das Fehlen einer Hauptfigur (die Erwähnungen des Gesandten oder des Stadtkönigs reichen mir zur Figurenbildung nicht aus, irgendwelche handelnden Protagonisten muss eine Geschichte ja zwangsläufig haben, und wenn sie nur a, b, c heißen) keinen Abbruch. Trotzdem würden Namen die Geschichte schon insofern lebendiger machen, als sie auch einen gewissen Einblick in die Sprache und das Denken dieser Gesellschaft geben. Wie heißen denn die Menschen, von denen ich lese? Kommen Götterelemente wie Baal oder El des Öfteren in den Namen vor, Athirat oder Aschera bei Frauennamen? Hat der Gesandte bzw. der König auch einen Titel?
Außerdem könntest Du vielleicht die überlieferten originalsprachlichen Namen der Städte und Länder statt den allgemein bekannten griechischen nennen. War Ägypten nicht "Keme", das "Land des Schlammes"? Aber ich weiß, das birgt die Gefahr in sich, den weniger kenntnisreichen Leser zu verwirren.

Interessieren würde mich auch, am Rande, zu welcher Zeit die Geschichte handelt. Wenn es ein fiktives Geschehen ist, ist ein genaues Jahr eher sogar fehl am Platze, aber eine ungefähre Eingrenzung, z.B. 14. Jdt. v. Chr., wäre durchaus hilfreicher.

Das sind nur ein paar Gedanken meinerseits, ich hoffe, Du nimmst sie mir nicht übel. Ich mag Deine Geschichte sehr und freue mich, wenn ich öfter Geschichten wie diese von dir lese (mit echten Figuren... ;-)).

Herzlich grüßt
Roger

 

Hallo Echnaton,

noch ein Nachtrag: Hast Du von der Ausschreibung "Die Faszination der alten Reiche" des net-Verlags gehört? Da könnte Deine Geschichte auch ganz gut hinpassen. Ausschreibungsschluss ist der 31.12.2013, mangels guter Beiträge in geeigneter Zahl wurde das Datum verlegt. Solche Ausschreibungen sind natürlich schwierig, weil sie sehr viel spezielle Recherche erfordern.

Vielleicht interessiert Dich die Ausschreibung ja... ich habe zwei Beiträge dort eingereicht. Mal sehen.

Gruß
Roger

 

Hallo Roger, es steht dir natürlich frei zu kommentieren, was du willst, aber die Geschichte hier ist 10 Jahre alt und der Autor, Echnaton, hat vor 9 Jahre das letzte Mal hier auf der Seite eingeloggt. Es kann natürlich sein, dass er das hier nach vielen Jahren liest und sich freut, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr hoch. Auch wenn er noch schreibt, ist es fraglich, ob ihm genaue Hinweise zu einem Text, den er vor 10 Jahren verfasst hat, heute noch weiterhelfen.

Vielleicht findest du Geschichten von Autoren, die zur Zeit noch auf der Seite aktiv sind, um ein Gespräch mit ihnen zu führen? Dann erhöht sich auch die Chance, dass andere Autoren auf deine Geschichten antworten.

Gruß
Quinn

 

Hallo Quinn,

upps, das Datum habe ich glatt übersehen! So eine Peinlichkeit kann ja nur mir passieren! Dann werde ich Deinem Rat folgen und mich wirklich in aktuelleren Themen umsehen, denn schließlich will ich auch nur Gewinn bringend mitdiskutieren.

Gruß
Roger

 

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