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Dana
Dana war sieben als ihr alkoholkranker Vater starb. Sie sah mit an wie sich die Mutter aus dem 9.Stock eines Hochhauses stürzte und stand lange am Fenster, bis die Polizei die Tür aufbrach. Dana war elf.
Man brachte das Mädchen in ein Heim, weil es keine Verwandten gab-oder zumindest keine, denen man das Kind hätte anvertrauen wollen. Dana war still und fand kaum Freunde und man bemerkte schnell, dass schon der Blick in die Tiefe eines Treppenhauses oder der Griff einer festen Kinderhand sie niedersitzen ließ, das kleine Köpfchen in den Händen bergend, auf dass sie stumme Tränen vergoss und lange Zeit nicht ansprechbar war.
Es musste wohl ein halbes Jahr nach ihrem Einzug ins Haus an der Gärtnerstraße gewesen sein, dass auch ich zum ersten Mal die weißen Flure betrat. Ich hatte vorher schon in anderen Heimen gearbeitet, doch nirgends drängte sich mir der Eindruck eines Krankenhauses so zwingend auf wie hier.
Im Kollegium sprach man viel über die Kinder, ihre Geschichten, ihre Entwicklung und so erfuhr ich auch wie es der kleinen Dana ergangen war. Hatten die Pfleger sich ihrer anfänglich noch wie jedem anderen Kinde auch angenommen, so waren die Worte, die zu meiner Zeit fielen bereits unwillig und von Spott durchzogen, sie wäre ja nicht die einzige, die ein schweres Schicksal hätte, solle sich mal nicht so haben und überhaupt…Für sie war das kleine Mädchen nur ein Problem, das zu viel Arbeit machte und man konnte nicht übersehen wie sie es Dana jeden Tag aufs Neue spüren ließen. Als sie wieder einmal, nach einem wilden Spiel auf dem Hof der Anlage, weinend in einer Ecke saß, das lange dunkelbraune Haar klebte ihr auf der blassen Wange, fragte ich eine Pflegerin, warum sich denn niemand um sie kümmere und erhielt unsanft die Erwiderung, man solle das Mädchen in Ruhe lassen, das würde sich schon wieder geben. Natürlich gab es sich nicht.
Ich setzte mich zu ihr. Ich sprach mit ihr und nahm sie mit ins Haus, weg von den gaffenden Kindern und Pflegern, die sie immer wieder zum Weinen brachten und sich nicht darum scherten, sich einen Spaß daraus machten. Schon bald bemerkte ich, dass Danas Zurückgezogenheit von außen kam und dass sich unter der festgezurrten Hülle ein lebhaftes kleines Mädchen verbarg. Dana begann zu reden. Erst langsam und stockend, dann immer freier und fröhlicher und mit einem Lächeln auf ihren sich rötenden Lippen.
Dana veränderte sich sehr in den nächsten Wochen. Sie redete, lachte, begann mit den anderen Kindern herumzutollen und jedes Mal, wenn sie zu mir kam, leuchteten ihre Augen ein wenig mehr, war ihr Lächeln eine Spur unbekümmerter. Sie umarmte mich, sagte: „Jan.“ Ich wusste, dass ich es geschafft hatte, mochten die Pfleger doch sagen, was sie wollten. Dana war wieder ein Kind geworden. Und sie liebte mich. Und ich liebte sie. Und als ich sie auszog, schimmerte die Sommersonne auf ihrem jungen Körper und ihre Lippen waren weich und rot, die erste Ahnung von Fraulichkeit, Blütenblätter, die sich langsam entfalteten. Mochten die Pfleger doch sagen, was sie wollten…
Nun ja, sie kennen ja die Geschichte, sie riefen die Polizei und nun sitze ich hier vor ihnen, der sie über mein Schicksal richten sollen. Richten sie, richten sie. Was kann ich dagegen tun? Aber sie haben kein Recht zu urteilen, sie haben niemals geliebt. Niemals dieses Mädchen.
Nachdem wir endlich ganz eins geworden waren und ich nie geahnte Horizonte erblickte, lief Dana weinend davon. Die Pfleger hatten gegen sie und mich gehetzt und es ging ihr schlechter als je zuvor. Noch zögerten meine sogenannten Kollegen die Polizei zu rufen, sie ahnten wohl, dass nichts unsere Liebe aufhalten kann. Dana wurde zunehmend stummer, immer stummer, kam seltener, ich sah sie wieder weinend sitzen, auf dem Hof, an die Hauswand gelehnt. Ich wusste mir keinen Rat. Wenn sich die ganze Welt verschwört…da kam die Polizei und nahm mich mit. Ich habe Dana nicht wieder gesehen. Werde ich sie je wiedersehen? Wir lieben uns. Es wird ihr schlecht gehen ohne mich. Es wird ihr schlecht gehen…
„Sie ist tot.“