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Danas Dunkelheit
Dana spricht mit geschlossenen Augen. Es spielt keine Rolle, man wird es nachher sowieso nicht sehen. "Toni", flüstert sie, "Toni wo fahren wir hin?"
Schritte auf sandigem Holzfußboden.
Auf einem Schiff fahren sie, Wellen klettern über die Reling und zersplittern in tausend winzige Tröpfchen. Hören kann man sie noch nicht, nur in Danas Kopf. Sie ist Profi, sie kann das. Solange sie nur die Augen zu behält.
Eine dunkle Stimme. "Nicht weit, Sophia. Es ist gleich vorbei."
Gemeinsam schauen sie in die Ferne. Ein kitschiger Sonnenuntergang vielleicht. Bloß die Augen nicht öffnen.
"Wie meinst du das, Toni? Es ist gleich vorbei?"
Er lacht leise. "Das wirst du schon noch sehen, Sophia. Das wirst du schon noch sehen."
"Oh, Toni, ich liebe dich so." Ihre Stimme schmiegt sich an ihn, ganz fest, in seine raue, warme Jacke. Er riecht nach Rauch und Teer und Männerseife, und sie liebt ihn, weil sie es muss.
"Nicht!"
Sie taumelt zurück, ohne sich von der Stelle zu bewegen. Er hat sie von sich gestoßen. "Das ist vorbei. Endgültig."
"Vorbei? Aber Toni, wir lieben uns doch!" Die Worte kriechen auf ihn zu. Über den sandigen Holzfußboden, den sie nicht sieht.
"Liebe?", wieder lacht er, ein bitteres, trockenes Lachen. Es hört sich so echt an, dass sie eine Gänsehaut bekommt. "Liebe ist Lüge. Du hast mich belogen, Sophia."
Danas Stimme flattert im Wind. "Dich belogen?"
Zorn. Jetzt kommt der Zorn, für den er so bekannt ist.
"Ja, belogen!", brüllt er, "belogen hast du mich! Verraten! Ich habe dich durchschaut, Sophia!"
Er packt sie. Er fasst sie nicht an dabei, aber das ist egal. Er schüttelt die Worte auch so aus ihr heraus. "Toni! Bitte! Du musst mir vertrauen! Ich hatte keine andere Wahl! Bitte! Glaub mir! Toni!"
"Man hat immer eine Wahl", entgegnet er kalt, "Niemand gibt dir was vor."
Beide wissen sie, dass er lügt.
Welche Ironie, denkt sie. Dann schreit sie.
Er tritt näher an sie heran. Seine Füße schürfen über die Dielen. "Du bist eine Schlange, Sophia. Schlangen will ich nicht in meinem Nest."
Dana keucht. Ihr Atem kriecht über ihre Lippen, wie ein verendendes Tier. "Hilfe, Hilfe, Hilfe."
"Hast du mich verraten, ja oder nein? Nun sag endlich!"
Er würgt sie mit Worten, dabei ist sie doch die Schlange.
"Nein!", japst sie, "ich schwöre!"
Er zieht die Luft ein. Mit mühsam beherrschter Stimme stößt er die Worte hervor. "Wenn du mir jetzt. Dieses eine Mal die Wahrheit gesagt hättest. Ich schwöre dir, dann hätte ich dich davon kommen lassen."
Hände schließen sich um ihre Kehle.
Dana röchelt blind. Blind ist es leichter.
Er drückt sie gegen die Reling, unterwirft sie mit seinem Atem. "Ich habe dich auch geliebt, Sophia! Mehr als mein Leben!"
"Toni!" Ein letztes Mal bäumt sie sich auf, dann fällt ihr Schrei über die Reling.
Licht.
Dana öffnet die Augen. Sophia ist tot. Sie ist nicht Sophia. Darüber ist sie jetzt froh.
Als wäre sie aus einem Traum erwacht blickt sie sich um. Sie ist müde.
Sie sieht die gepolsterten Wände. Oben auf der Straße hat niemand den Schrei gehört. Sie sieht die Tische, ihre Jacke über einem Stuhl hängend. Erhobene Daumen hinter der Glasscheibe.
Sie nimmt die Kopfhörer ab. Ein hoher Pfeifton ertönt - das rote Lämpchen hat sich ausgeschaltet.
Sie tritt an einen der Tische und schenkt sich ein Glas Wasser ein.
"Du warst gut" sagt sie zu Lukas, der nun nicht mehr Toni heißt.
"Danke, Dana", sagt er, "du auch."