- Beitritt
- 23.02.2005
- Beiträge
- 5.271
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 17
Daneben
Daneben
Ich höre hinter mir das Knirschen einer Schaufel, die sich in steinige Erde schiebt. Dann ein fast knallendes Geräusch, das mich vermuten läßt, dass die Erde in einen Schubkarren geworfen wird.
Mein Nachbar ist wohl ganz in der Nähe, ausnahmsweise ohne seine Frau, das griesgrämige Weib, die fuhr vorhin mit dem Auto weg, denke ich mir und arbeite weiter.
Sie hatte es geschafft, dass sich unser angenehmes Verhältnis über die Jahre in Schweigen gewandelt hatte. Wir waren Exoten im Dorf und das konnte sie nicht mit ihrem kleinbürgerlichen Denken vereinbaren. Als sie dann anfing, Phantasiegeschichten über mich zu verbreiten, beschloss ich zum ersten Mal im Leben, einen Menschen zu ignorieren.
Ganz lang wird mein Arm, um auch noch die letzte Löwenzahnstaude aus der Erde zu ziehen, die zwischen Buschmalven und Pfefferminze einen sonnigen Platz gefunden hatte.
Ich werfe sie in den Weidenkorb, der bis oben hin voll ist mit Gräsern und Laub.
Er muß geleert werden, aber der Kompost ist genau an der Grenze.
***
„Weißt du, dass Herr Braun Krebs hat?“, fragte mich Daniela, meine Nachbarin, die mit ihrer Familie unter uns wohnt. „Die Marienklinik hat ihn heimgeschickt, es sei nichts mehr zu machen. Chemo und Bestrahlungen durch und jetzt zucken sie nur noch mit den Schultern.“
Er war unser Nachbar zur rechten Seite.
Warum er und nicht seine Frau?
Er hatte es nicht verdient und sie wurde von mir schon seit Jahren nicht mehr gegrüßt.
Ich hätte gerne einmal gefragt, wie es ihm geht, aber immer war sie dabei. Schon ihr kalter Blick hielt mich davon ab, mich dazu zu überwinden.
***
Nun packe die Gelegenheit am Schopf, sage ich zu mir, und schleppe den Korb zum Kompost hoch.
Er ist alleine. Wer weiß, wann so etwas wieder vorkommen wird.
Die Zauderin hält mich zurück: Betoniert er jetzt nicht noch eine unnötige Mauer hier in der Pampa, von der keiner etwas hat? Du willst jetzt hin und ihm damit zum Ausdruck bringen, dass sie dich nicht stört?
Die Liebenswürdige kämpft: Sprich mit ihm, wer weiß, vielleicht siehst du ihn nicht mehr lange im Garten werkeln. Du brichst dir dabei keinen Zacken aus der Krone. Diese Mauer wollte sicher nur sie und er führt die Arbeit nur aus. Er hat doch nichts gegen uns.
Ich suche immer noch zwischen Sonnenhut und Lavendel nach Beikräutern, die zu entfernen sind. Mein Telefon klingelt. Es ist eine Freundin: „Ja, ich bin im Garten, klar, komm’ auf einen Kaffee vorbei, wenn du Lust hast“. Es wird noch ungefähr zwanzig Minuten dauern, bis sie bei mir ist.
Er hat wohl den Schubkarren mit der kiesigen Erde gefüllt, denke ich, und schiebt ihn nun durch das halbhohe Gras in Richtung Nachbarhaus; jetzt ist die Chance vorbei. Ich dehne meinen Rücken, indem ich mich aus der gebückten Haltung lange gegen unsere große Esche strecke, die mir ein angenehmes Sonnendach ist.
Mit polterndem Laut wird der Schubkarren weiter hinten von ihm geleert. Ich betrachte seine hagere Gestalt aus der Ferne. Leider hatten wir schon seit Jahren kein Gespräch mehr miteinander, wir grüßen uns zwar, aber auch nur verhalten.
***
„Wieso quält sich Herr Braun nur so in seinem Zustand?“, überlegte Daniela. „Der kann doch nichts anderes als arbeiten“, gab ich trocken zur Antwort, „die haben ja nicht mal eine Tageszeitung und Besuch bekommen sie auch nie. Was sollen sie denn sonst tun ausser sich einbetonieren, damit unser Kater nicht mehr in ihrem Garten pinkelt und ihre Stauden dadurch kaputtgehen?“
„Sie ignoriert seine Krankheit auch völlig. Ich denke“, mutmaßte Daniela, „dass sie gar nicht kapiert, bald ohne ihren Mann leben zu müssen“.
„Dann werden wir hier eine richtig böse, alte Hexe als Nachbarin haben, schon immer unzufrieden mit der Welt, und dann als Witwe unausstehlich“, gab ich ihr meine Prognose unverblümt weiter.
***
Ich trage den großen, bis oben hin gefüllten, aber dennoch leichten Korb den Berg hoch zum Kompost.
Aus den Augenwinkeln beobachtete ich, dass er mit der Schubkarre zurückkommt.
„Jetzt“, denke ich, „jetzt sprichst du ihn an“.
Ich gehe auf ihn zu. Er lächelt freudig und ich vermute zu sehen, wie seine Augen leuchten.
„Hallo Herr Braun!“, rufe ich ihm fröhlich entgegen. Er bleibt stehen, stellt die Karre ins Gras und macht Anstalten, auf mich zuzugehen.
In diesem Moment hören wir beide das Motorengeräusch von Frau Brauns Auto. Sein Gesicht verliert augenblicklich alle Spannung und er macht einen tastenden Schritt zurück.
Ich sehe sie aussteigen und auf uns zugehen. Ich lächle ihn traurig an und drehe mich um, weg von ihr.