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Daniel, die Kunst und der Kulturbanause
Irgendwann, beschließt Daniel, einundzwanzig, mittelgroß, blond, kurzsichtig, irgendwann ist es Zeit erwachsen zu werden. Nein, nicht irgendwann, jetzt, JETZT ist es Zeit erwachsen zu werden.
Zum Leben als Erwachsener, findet Daniel, gehört auch die Kultur. Deswegen beschließt Daniel den Kulturteil der Zeitung zu lesen, ab und zu ins Theater zu gehen, die eine oder andere Kunstausstellung oder das eine oder andere Museum zu besuchen, klassische Musik zu hören usw. Weg mit den doofen Teenie-Idealen, her mit dem wahren Leben. Daniel ist jetzt erwachsen, und Kultur ist cool. Basta.
Und so liest Daniel auch von der Kunstausstellung und beschließt sofort dort hinzugehen.
„Toll“, denkt Daniel.
„Wie öde“ ...
...drängt sich sein innerer Kulturbanause sofort auf, aber den ignoriert Daniel geflissentlich.
Irgendwann wird der Kerl schon das Weite suchen.
Also steht Daniel an besagtem Tag in der Galerie und betrachtet ein Kunstwerk. Er nimmt sich viel Zeit dafür und überlegt, was es mit diesem Bild auf sich haben könnte.
Das Bild ist ein abstraktes Werk, eine willkürlich wirkende Ansammlung von Strichen und Kreisen und anderen geometrischen Formen auf verwaschenen Farben.
Sofort übernimmt der alte Teil vom ihm das Kommando: „Das kannst du auch. Nur das es niemanden interessiert wenn du das machst.“
"Schluss jetzt!“, unterbricht Daniel den Kulturbanausen genervt.
Daniel widmet sich der Betrachtung des Kunstwerks. Er wartet auf die Eingebung, auf die Idee, die Inspiration, die Erkenntnis. Das Bild wird zu ihm sprechen, denkt er. Es muss.
Doch das Bild schweigt.
Der innere Kulturbanause auch. Aber nur aus Trotz.
Daniel steht und betrachtet das Bild. Die Zeit vergeht, Minute um Minute, bis über eine Stunde verflossen ist.
Das Bild schweigt immer noch.
Daniel ist dabei aufzugeben. Er schließt für einen kurzen Moment die Augen. Genau in diesem Moment --
Und plötzlich sieht er etwas.
Das Bild grinst. Es ist ein hässliches, höhnisches Grinsen.
Aber das Bild grinst nicht nur, es spricht auch. In einem seltsamen Singsang spricht es: „Du bist blöhöööööööööd.“
„Ich bin blöd?!?“
„Ja genau. Du. Blöd, blöd blöhöööööööööd. Du wirst mein Geheimnis nie ergründen können, denn dafür bist du zu ungebildet und zu.. blöhöööd.“
Daniel geht enttäuscht nach Hause. Er befürchetet, dass das Bild recht hat. Aber, denkt Daniel, ich hab soviel zu tun. Ich hab den Ärger im Büro, ich hab meine Freunde, ich will eine Freundin, Nathalie hat Schluss gemacht, meine Eltern sind verrückt, meine Familie zerstritten, Rechnungen wollen bezahlt werden, der Haushalt macht sich auch nicht von allein... Warum soll ich mich noch mit dem unverständlichen Seelenmüll anderer Leute rumschlagen?
Der Kulturbanause schweigt immer noch. Und grinst. Es ist ein hässliches, höhnisches Grinsen. Wie gut, dass Daniel es nicht sieht, denn er hätte es mit Sicherheit wiedererkannt...