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Dann auf Wiedersehen, oder nicht?
Überarbeitet: Dann auf Wiedersehen, oder nicht?
Joanna saß, in ihren Wintermantel gehüllt, im Zug. Das gleichmäßige Rattern der Räder machte sie müde. Nachdenklich starrte sie auf den leeren Sitz gegenüber, wandte den Kopf und schaute durch das Fenster.
Geschlossene Schranken, an denen keiner wartete, tauchten in ihrem Blickfeld auf und verschwanden im selben Moment wieder. Joanna schloss die Augen.
Vor einigen Tagen war sie wieder einmal voller Vorfreude gewesen auf ihren wöchentlichen „Cliquenabend“…
„Hi Joanna“. Mit einem Lächeln im Gesicht öffnete Andreas ihr die Tür, die Hand zur Begrüßung ausgestreckt. „Wie geht’s dir?“
Joanna merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg.
„Gut, danke“. Warum musste ihre Stimme auch immer im entscheidenden Moment versagen? Sie schaute auf den Boden, als sie sich die Jacke auszog.
„Hallo Tina, wie schön!“ Andreas hatte die Haustür nach dem Klingeln erneut geöffnet und ließ die junge Frau eintreten.
„Lange nicht mehr gesehen, was?“
„Na ja, mindestens seit letzter Woche“, grinste Andreas.
Tina nickte und begrüßte Joanna, die unterdessen auf Andreas’ Sofa Platz genommen hatte.
„Hi Tina. Setz dich! Nun fehlt ja nur noch Dennis, dann wären wir ja komplett.“
Andreas lachte leise: „Ha. Wenigstens im Unpünktlichsein ist er verlässlich!“ Er grinste und ließ sich in einen alten Plüschsessel fallen.
Joanna schaute kurz in Andreas’ Richtung. Obwohl sie das natürlich niemals zugegeben hätte, empfand sie doch mehr als bloße Sympathie für diesen blonden jungen Mann. Sein Humor und seine Offenheit gefielen ihr und es war leider nur zu offensichtlich, dass sie mit dieser Meinung nicht alleine stand. Auf Partys war er stets der Star des Abends, er brauchte nicht einmal viel dazu zu tun, während von ihr oft den ganzen Abend niemand Notiz nahm.
Es klingelte. Andreas erhob sich gewandt und mit einem „Hallo Dennis!“ öffnete er die Tür. Dennis trat ein, zeigte mit dem Finger auf Andreas und meinte, während er vergeblich einen Hustenanfall zu verhindern versuchte: „Hi, altes Haus. Na, lebst du noch trotz deines anstrengenden Studiums?“
„Ja, eigentlich schon noch…“
„BWL…na, wem’s Spaß macht!“ Grinsend schauten sich die beiden Männer an. „Komm rein, die anderen sind auch schon da!“ Dennis legte seinen Mantel in Ermangelung einer richtigen Garderobe auf ein Regal.
Nachdem auch Joanna Dennis begrüßt hatte, setzte er sich und bald entstand eine angeregte Unterhaltung.
Mitten im Gespräch unterbrach Andreas plötzlich die Heiterkeit: „Was ich euch noch sagen wollte…“ Drei Augenpaare schauten ihn erwartungsvoll an. „Ich bin ja nun mit meinem Teil des Studiums in Deutschland fertig. Tja, und da mein zweiter Teil im Ausland stattfindet, werde ich euch nun in drei Wochen verlassen, um in die USA zu gehen. Aber das wisst ihr ja eigentlich. Ging trotzdem schnell.“
Für einen Moment herrschte Stille. Joanna atmete tief ein, bemühte sich aber, es leise zu tun. Noch musste niemand von ihren geheimen Gefühlen für Andreas wissen. Was ihre innere Befindlichkeit anging war sie schon immer recht verschlossen gewesen und es brauchte lange, bis sie sich jemandem anvertraute aus Angst vor Zurückweisung. Sie wusste um die Sinnlosigkeit dieser Eigenschaft, denn sie hatte oft erfahren, dass ihre Befürchtungen, abgelehnt zu werden, völlig unbegründet waren. Dennoch fiel es ihr sehr schwer, sich anderen gegenüber zu öffnen. Eher noch verharrte sie in einer abwartenden, passiven Haltung, obwohl sie sich wusste, dass dies auch der falsche Weg war.
Joanna seufzte innerlich: Ach, Andi, könntest du hier bleiben, bei mir…
„Tja, Andi“, unterbrach Tina Joannas Gedanken, „das heißt, du verlässt uns nun doch tatsächlich!“ „Ja“, grinste er zurück, „hab euch schon lange genug genervt!“
Joanna schlang die Arme um ihren Körper. „Joanna, ist dir kalt?“ Andreas warf einen schnellen Blick zu ihr hinüber: „Soll ich die Heizung anmachen?“ „Nein, nein, alles okay!“
Hauptsache, niemand würde den wahren Grund herausbekommen. Noch hatte sie immer alles geheim halten können, obwohl Joanna ahnte, dass Tina mehr wusste, als sie vorgab.
„Und wo wohnst du dann?“
„Tja, die Wohnung muss ich mir noch suchen. Die da drüben helfen einem schon, aber im Prinzip muss man schon selber schauen, wo man bleibt!“ Andreas lächelte wieder: „Ja...ich fliege jetzt nach den Semesterferien rüber, eigentlich schon demnächst, wegen der Wohnung. Ihr könnt mich ja mal besuchen!“ Er grinste. „Natürlich nur, wenn ihr wollt, aber sonst komm ich schon noch mal, vielleicht…“
Scherzkeks, dachte Joanna. Wieso musst du auch jetzt gehen. Wieso du? Du?
Ihr Blick wanderte wieder aus dem Fenster, in dem sich das Abteil spiegelte.
Damals war sie so optimistisch gewesen, voller Zuversicht, dass es diesmal anders werden würde. Dass sie sich trauen würde, ihm deutlicher zu zeigen, dass er ihr nicht egal war. Auf ihre schüchternen Annäherungsversuche hatte er nicht reagiert. Joanna war sich nicht sicher, was er für sie empfand. Ihre Gedanken wanderten wieder zurück.
Die Tage und Wochen vergingen und wurden zu Monaten. Es war schwer gewesen, Andreas loszulassen, das hatte Joanna immer wieder festgestellt. Zwar traf sie sich mit den anderen und vor allem mit Tina, die sie öfters sah, aber auch diese Begegnungen konnten sie nur zeitweise von den Gedanken zu Andreas ablenken. Irgendwann war Tina doch neugierig gewesen: „Mensch, Joanna, du hängst in letzter Zeit ja nur noch rum. Was ist los mit dir? Früher warst du doch auch ganz anders. Da waren wir doch auf coolen Parties und nun sitzt du nur noch mit Trauermiene da. Ich meine, einige Zeit lass ich mir das ja gefallen….Was ist los?“
„Tja, wie soll ich’s sagen…“
„Ich hab da so eine Vermutung!“
Vorsichtig schaute Tina Joanna an: „Es ist Andreas, stimmt’s?“
Joanna seufzte: „Ja. Ach Tina, das ist doch echt verzwickt. Ich hab ihn echt gern, aber wie soll das Zukunft haben? Er weg, ich hier? Und außerdem habe ich den Eindruck, als ob ich ihm ziemlich egal bin.“
„Joanna!“ Mit einer spontanen Geste umarmte Tina sie. „Ich weiß, das ist schwer, aber vielleicht ist doch noch nicht alles verloren. Vielleicht klappt’s ja doch noch? Komm schon, vielleicht musst du ein wenig aktiver werden? Hm?“
Joanna versuchte ein Lächeln: „Danke, das ist nett gemeint, aber ich weiß nicht recht!“
Tina lachte: „Bild dir doch nicht gleich das Schlimmste ein. Noch ist gar nichts sicher. Es ist noch nicht aller Tage Abend. Was denkst denn du? Los, schreib ihm doch mal eine ausführlichere mail oder mach sonst was!“
Ja, was dachte sie wirklich? Was konnte sie tun? Joanna wusste es selbst nicht genau. Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger war ihr klar. So konnte es nicht weitergehen. Sollte sie auf Andreas zukommen oder einfach mal abwarten, wobei es dann gut sein konnte, dass sie vergeblich wartete. Auf diese Weise würde es nie zu einem Ergebnis kommen. Ergebnis. Welches Ergebnis erhoffte sie sich denn? Wenn sie ehrlich war, wusste sie die Antwort aber schon.
In der Zwischenzeit ging das Leben weiter, ihre Arbeit als Erzieherin forderte ihren vollen Einsatz. Ab und zu kamen in dieser Zeit kurze Emails von Andreas, an alle gerichtet, in denen er von seinem Studentenleben erzählte. Kein Anzeichen auf eine Gefühlsregung seinerseits ihr gegenüber. Von sich aus wird er mich also wohl nicht ansprechen… dachte Joanna. Dann eben ich…
Das Telefon klingelte. Joanna war gerade zuhause angekommen und beeilte sich, den Hörer abzunehmen, bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete.
„Ja?“
„Hi Joanna“ ertönte Tinas Stimme aus dem Hörer. „Dennis und ich gehen nachher ins Top Ten, willst du mit?“
„Hm, ich…“
„Komm, wir treffen uns um neun vorne an der Tankstelle. Dennis fährt!“
„Na gut!“ Wider Willen stimmte Joanna zu und legte dann auf. Was hatte sie gerade vereinbart? Disco? Na, jetzt war es zu spät für eine Absage. Also gut, auch wenn ich heute echt nicht so motiviert bin...
So stand Joanna schließlich an der Tankstelle und wartete auf die anderen. Ein Auto kam näher und sie konnte schon am Geräusch erkennen, dass das nur Dennis sein konnte. „Oh deine alte Schrottkiste“, seufzte Joanna, als der grüne Golf neben ihr hielt. Tina hielt ihr die Tür auf: „Steig ein!“
„Hi!“ Joanna kletterte auf den Rücksitz. Mit quietschenden Reifen fuhr Dennis los.
Die Disco war, wie Joanna erwartet hatte, relativ gut besucht. „Da drüben ist ein Platz frei“, schrie Dennis und gestikulierte dabei mit den Armen, im vergeblichen Versuch, durch seine Lautstärke die Musik zu übertönen. Die Frauen grinsten sich an ob seiner wilden Bewegungen, folgten ihm aber und nahmen Platz.
Joanna ließ ihren Blick schweifen. Hier und da waren ein paar bekannte Gesichter zu sehen. Sie winkte einigen Leuten zu, die zu ihr zurückgrinsten. Als sich Tina Richtung Tanzfläche begeben wollte, zog Dennis sie am Arm.
„Komm mit“ formten seine Lippen, aber Joanna schüttelte den Kopf.
„Erst mal nicht!“ schrie sie gegen den Lärm zurück. Dennis zuckte die Schultern und folgte Tina, die sich schon einen Platz auf der Tanzfläche gesucht hatte.
Joanna beobachtete sie eine Weile. Wenn Andreas hier wäre…Wie es ihm wohl geht? Aus den Augenwinkeln beobachtete sie die Leute auf der Tanzfläche. Viele davon kannte sie flüchtig. Was macht er wohl gerade?
Die Musik stoppte. „Und nun, Leute“, rief der DJ in sein Mikrofon, „let’s dance! Go!“ Die Musik setzte ein und Joanna konnte nicht anders, als im Takt mitzuwippen.
Mit dem Wippen entspannte sie sich ein wenig. Während sie das Lied mitsummte, kreisten ihre Gedanken weiter um Andreas.
Eine mail. Hm…Tina hat vielleicht wirklich Recht. Warum auch nicht, damit vergibt man sich ja nichts. Versuchen kann ich es ja mal. Wer weiß… Also, dann schreib ich ihm morgen…
Joanna lächelte voller Vorfreude.
Dennis und Tina tanzten immer noch. Joanna stand auf und bahnte sich durch die Menschen einen Weg zu ihnen.