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Das Armaturenbrett
Überfette Schafe und Nebelschnecken liegen auf dem gläsernen Boden unter dem wir herfahren. Die dreiblättrigen Ventilatoren, die groß und klein über die Landschaft verstreut sind, sehen aus, als erzeugten sie tatsächlich den Wind, statt ihn einzufangen. Man muss sich mal vorstellen, was für eine Stromverschwendung das wäre.
Felder, Wälder, soweit man sieht. Braune, grüne, gelbe. Die Hügel tragen heute die gleichen Farben, nur unterbrochen von jenen statischen Strominsekten. Gottesanbeterinnen vielleicht. Wobei man sich darüber streiten müsste, welchen Gott sie anbeten.
Hinter meinem Beifahrersitz plappert es. Manchmal ein Grunzen oder ein leiser Schrei. Ich lausche der Geräuschkulisse und sehe den Nebelschnecken beim Kriechen zu, während sie von Klingen aus Licht zerschnitten werden, ohne dass diese sie verletzen könnten. Durch mein Seitenfenster bläst der Wind herein, wohltemperiert
Kurve für Kurve nähern wir uns dem Etappenziel. Der Fahrer spricht nicht viel. Ob mir dieses Schweigen sympathisch ist, habe ich noch nicht entschieden. Der Mann ist es jedenfalls. Ein Russe, dessen Vorfahren aus Bayern kamen. Seinen Akzent beschreiben zu wollen, würde alle metaphorischen Grenzen sprengen. Sein Haar ist licht und er hat die Reste über die Halbglatze gekämmt.
Unter den Fahrern genießt er enormen Respekt. Sein Gesicht erinnert mich an eine Kartoffel. Dennoch kann ich mich seiner Präsenz nicht entziehen. Seine Augen sind beinahe so blau, wie die Stücke vom Himmel, die zwischen den Wolken durchschimmern. Sie wirken völlig fehl am Platz.
Intelligente Menschen haben solche Augen, schließe ich. Meine Mutter erwähnte so etwas mal. Sie sagte, sie habe den Eindruck, dass sehr clevere Menschen oft glasklare Augen haben. Wahrscheinlich sagt man nicht umsonst, dass sie die Fenster der Seele sind.
Das normalerweise monotone Gerede unserer Fahrgäste hat sich zu einem kleinen Zwist entwickelt. Oft klingt es eher wie ein Tonband mit ewig wiederholten Phrasen und austauschbarem Inhalt.
„Ja, mein Papa hat mich wirklich lieb hat er gesagt. Wat sagste dazu? Ja, ich bin n wirklich liebes Mädchen hat er gesagt. Ich hab meinen Papa richtig lieb. Wat sagste dazu? Dat is gut, oder? Ja. Aber euch hab ich auch alle lieb. Ne? Die Edith auch. Edith, ich hab dich lieb. Ich hab dich lieb Edith. Du bis so arm.“
Jemand anderes:
„Ach halt doch die Klappe! Wir wissens.“
Ein weiterer:
„Ööaah. Öh.“
Mein Fahrer:
„Wer nicht richtig Sprechen kann, sollte die Klappe halten.“
Er schafft es, diesen Satz gegenüber unseren behinderten Fahrgästen nicht feindselig klingen zu lassen. Das Gebrabbel geht noch einige Minuten weiter, ebbt aber ab.
Ich muss lächeln.
Mein nächstes Jahr, werde ich mit diesen Unterhaltungen und Nebelschnecken verbringen.