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Das Bardenfestival
Sie prallte mit ihm zusammen. Ihre Augen konnten nicht groß genug sein, um all die Wunder des Bardenfestivals aufzunehmen, und so übersah sie sein größtes Wunder.
„Hallo, tut mir leid. Ich bin Salika. Spielst du auch vor?“
„Hallo Salika, Dalken ist mein Name.“
Salika ließ ihre Tasche fallen, um seine Hand zu ergreifen.
Dalken lächelte sie an. Salika strahlte zurück. Da fiel ein Schatten auf ihn wie von einem größeren Mann. Salika sah sich beunruhigt um.
„Hast du schon einen Spieltermin?“
„Tut mir leid, ich muss weg.“
Dalken presste sich die Hände an die Schläfen. Er verschwand fast im Laufschritt in der Menge.
Salika seufzte. Was für ein Anfang!
Nachdem sie beinahe in der Menschenmasse ertrunken wäre, fand sie einen stillen Platz, wo sie ihr Lager aufschlagen konnte. Sie war spät dran. Der Weg war weit gewesen und niemand hatte sie umsonst mitnehmen wollen. Also beeilte sie sich, um sich anzumelden.
Die Schlange war lang. Salika rückte ihre Gitarre zurecht, die sie nie aus den Augen ließ und machte sich auf die Wartezeit gefasst.
„Ich habe gehört, Meister Haarpommade achtet mehr auf das Aussehen der Aspiranten als auf ihr Spiel“, sagte ein geschniegelter Bursche vor Salika zu einem anderen.
Salika sah an ihrer in winzigen Stichen geflickten Hose und der frisch nachgefärbten Tunika hinab.
„Aber Meisterin Pferdegebiss soll dafür um so genauer auf die korrekte Wiedergabe des angegebenen Stücks achten.“
Salika warf einen vorsichtigen Blick an der Schlange vorbei auf die Jury, die die Anmeldungen entgegen nahm. Wie konnten diese grünen Burschen es wagen, so respektlos von den großen Meistern zu sprechen? Allerdings musste sie zugeben, dass die beiden Recht hatten.
Es dauerte bis zum Nachmittag, bis Salika endlich ihren Vorspieltermin für den nächsten Tag hatte. Er war spät am Abend, nur wenige kamen noch nach ihr.
Nach einem verspäteten und hastigen Mittagessen saß Salika auf ihrem Lager und übte ihr ausgewähltes Stück. Es war 'Maries Hopsa', ein einfaches Volkslied, dass aber besondere Fingerfertigkeit erforderte, wenn man es allein auf der Gitarre spielte.
Sie dachte an Dalken und ihre Finger klimperten verspielt um die eigentliche Melodie herum. Wie wunderbar würde sich eine zart hüpfende Fiedel dazu anhören. Sie meinte schon, zu hören, wie eine Violine ihre Improvisationen aufnahm und weiterspann. Das muss ich mir merken, dachte sie, während sie sich mit Gitarre und Gedankenfiedel in einen furiosen Abschluss steigerte.
Die Musik verklang. Salika wurde von einem leisen Klopfen in die Wirklichkeit zurückgerissen. Sie drehte sich um. Da stand er! Dalken klopfte mit dem Bogen auf seine Geige. Er lächelte charmant und verbeugte sich.
„Ausgezeichnetes Spiel. Eine eigene Weiterentwicklung?“
„Ja, ich .. danke. Hast du ...?“
Salika räusperte sich. „Du spielst wunderbar. Wie konntest du meine Improvisation so schnell aufnehmen?“
Er zuckte die Schultern. „Leicht. Spiel noch etwas. Etwas Schweres.“ Er zwinkerte ihr zu. „Du wirst staunen.“
Salika lachte. Sie nahm ihre Gitarre und begann eine einfache Tonfolge. Mit jeder Wiederholung wurde sie komplizierter: Triolen, Gegenrhythmen, gewagte Verläufe. Sie blickte auf und nickte Dalken zu. Er lächelte göttlich auf sie herab und hob die Fiedel zum Kinn. Er begann zu spielen, doch die Melodie stimmte nicht. Da umwölkte sich seine Stirn. Salika sah plötzlich, dass jemand neben Dalken stand. Sie hatte ihn in dem Trubel gar nicht kommen sehen. Obwohl er nichts sagte, wirkte er ungeduldig.
„Tut mir leid, ich muss gehen.“, sagte Dalken gepresst. „Hat mich gefreut.“
Er eilte davon und sein Freund folgte ihm.
Der nächste Tag war lang. Salika sah zu, wie das Publikum immer unruhiger wurde. Bis zum Abend würden nur wenige bleiben. Die ersten Musiker erhielten bereits Angebote von Adeligen und Händlern.
Am frühen Nachmittag war Salika bereit. Sie drängte sich durch die Menge und sicherte sich vorne links einen Platz. Da kam er: Dalken stolzierte auf die Bühne als sei das Publikum allein seinetwegen gekommen. Er trug seinen einfachen Anzug mit einer Nonchalance als wäre es ein seidenes Gewand. Als der Applaus verebbt war, hob er elegant die Geige und begann zu spielen. Er sah umwerfend aus und er spielte himmlisch.
Das Stück näherte sich seinem Höhepunkt. Salika freute sich für Dalken – er würde gewiss eine Anstellung finden. Da bemerkte sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Dalkens Freund stand am Rand der Bühne. Er hatte die Arme verschränkt und machte ein böses Gesicht.
Als Salika wieder zu Dalken schaute, hatte er sich verändert. Sein gelöstes Gesicht war zu einer Grimasse geworden und er hielt den Bogen fest umklammert. Seine Leichtigkeit im Spiel war verflogen. Die Melodie änderte sich. Salika kannte das Stück nicht, doch sie war sich sicher, dass das nicht dazu gehörte. Improvisierte Dalken etwa? Beim streng geregelten Vorspielen und noch dazu schlecht?
Das Publikum tuschelte unruhig. Dalken spielte jetzt eine ganz andere Melodie. Plötzlich brach er mit einem ohrenzerreißenden Kratzen ab und stürmte von der Bühne. Salika folgte ihm. Die Leute zischten sie erbost an, wenn sie sie mit Ellenbogen oder der Gitarre traf.
Es dauerte eine Weile, bis sie Dalken fand. Er saß allein auf seinem Lager, die Fiedel achtlos neben sich.
„Wo ist dein Freund?“
„Welcher Freund? Ich habe versagt! Meine Chance verspielt. Ha! Ich bin das Gespött des Festivals.“
„Was war denn los, was hast du versucht?“
„Versucht? Ich wollte bloß die Sternenballade spielen, ein wunderbares Stück. Aber da kommt wieder dieses ...“
Er schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was es ist. Diese Melodie, sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Und ich kann sie nie zu Ende spielen, das macht mich wahnsinnig.“
Da stand Dalkens Schatten hinter ihm und nickte traurig mit dem Kopf.
„Was hast du da vorhin von 'meinem Freund' gesagt?“
Salika deutete auf ihn.
Dalken drehte sich um. „Da ist doch niemand.“
„So ist das also“, sagte Salika seufzend. „Seit wann spukt dir diese Melodie im Kopf herum? Überlege genau.“
Dalken starrte in den Himmel. „Seit ich diese Geige gekauft habe. Ich habe sie bei einer Nachlassversteigerung erworben, zu einem unglaublich günstigen Preis. Er nahm die Violine und hielt sie zärtlich in seinen Händen.
„Ist sie nicht wundervoll? So einen Klang kannst du nur mit einem alten und ausgezeichneten Instrument erreichen.“
„Weißt du, wem sie vorher gehörte? Und wie er starb?“
„Das ist eine traurige Geschichte. Angeblich soll ihn der Schlag getroffen haben, während er auf der Geige spielte.“
Salika sah den Geist an, der wieder nickte.
„Spiel sie.“
„Was?“
„Spiel die Melodie. Ich begleite dich.“
Sie nahm die Gitarre von ihrem Rücken, sah nach, ob sie Schaden erlitten hatte und stimmte sie nach. „Los.“
Dalken begann zu spielen. Die Melodie war eingängig und eindringlich. Salika fand schnell die richtigen Akkorde und begann mit einer einfachen, in einzelne Töne aufgelösten Begleitung. Plötzlich brach Dalken ab, wie schon zuvor mit einem schrecklichen Kratzen.
„Was ist?“
„Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“
Der Geist sah Salika flehend an.
„Ich schätze, er konnte sie nicht mehr zu Ende komponieren.“
Salika begann zu spielen. Welche Auflösung mochte der Tote im Sinn gehabt haben? Sie lauschte der Melodieentwicklung nach, fühlte sich in Rhythmus und Dynamik ein.
„Ich denke, ich hab's“, sagte sie schließlich. „Nimm die Melodie auf.“
So begannen sie erneut zu spielen. Die Sonne stand bereits tief, die Zelte warfen lange Schatten. Sie spielten, als ginge es um ihr Leben. Nie hatte Dalkens Violine zärtlicher, Salikas Gitarre beschwingter geklungen. Die Welt um sie herum versank und es gab nur noch sie vier – die beiden Menschen und ihre Instrumente.
Der letzte Ton verklang. Jemand klatschte und andere fielen ein. Ohne dass sie es bemerkt hatten, hatte sich ein kleines Publikum um Salika und Dalken versammelt. Niemand mit genug Geld, um sie anzustellen, aber alle um so begeisterter. Dalken sprang auf. Er zog Salika hoch und sie verbeugten sich lachend. Salika sah sich verstohlen um. Der Geist verbeugte sich ebenfalls. Er lächelte sie an, dann war er verschwunden.
Dalken sagte: „Das hat Spaß gemacht.“
Aber Salika blickte zur Bühne. Ihr Vorspieltermin! Nun musste sie sich beeilen. Deprimiert sah sie auf die wenigen verbliebenen Zuschauer und die offensichtlich gelangweilte Jury. Ihr rutschte das Herz in die Hose.
„Salika, findest du nicht?“ Dalken legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie schmolz dahin.
„Doch, sogar sehr.“
„Falls du keine Stellung finden solltest, was hältst du davon, mit mir auf Wanderschaft zu gehen? Wir ergänzen uns großartig, und auch wenn die Großtuer dieser Welt es nicht erkennen wollen, wir sind begnadete Musiker. Wir werden unser Auskommen finden.“
Salika musste lachen. Sie warf einen letzten Blick auf die Bühne.
„Ja. Lass uns gehen.“