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Das Dinner
Das Dinner
Wie immer, wenn er sie sah, fielen Jens fast die Augen aus dem Kopf.
Er stieß mit Janette zusammen, als sie gerade Martins Büro verließ.
„Na, willst Du´s Dir nicht noch mal überlegen?“ Er grinste wie Bruce Willis in >Stirb langsam II<, und kniff sicherheitshalber ein Auge zu. „So ein nettes Wochenende, nur wir zwei?“
Janette strich sich das lange blonde Haar zurück, lächelte verlegen und verschwand wortlos zwischen den Sichtschutzwänden des Großraumbüros.
Jens sah ihr nach, verkniff mit gespieltem Bedauern das Gesicht und raunte:
„Ein unglaublich geiles Weib, nur so verdammt schüchtern ... Und ich kriege sie!“
Dann schloss er die Tür, fletzte sich auf den Besucherstuhl vor Martins Schreibtisch und hielt erschrocken inne.
Martin sah aus, als hätte er tagelang geweint. Seine Augen waren rot und aufgequollen.
„He Junge, was ist los? Ist jemand gestorben?“
„Ja, ein Trauerfall.“ Martin nahm ein kleines Tuch und tupfte damit eine Träne weg.
„Die Töle meiner Schwester hat den Knochen abgegeben.“
Ein leichtes Grinsen zog in die ergriffene Mine.
„Allerdings hält sich meine Betroffenheit in Grenzen, denn meine Schwester wohnt rund fünfhundert Kilometer von mir weg und das einzige Mal, wo ich sie gesehen habe, pinkelte sie mir gegen die Alufelgen ... die Töle, nicht die Schwester!“
Dann reichte er das kleine Tuch über den Tisch.
„Riech mal dran.“
Jens verzog das Gesicht.
„Das stinkt ja total nach Zwiebeln.“
„Richtig, und wenn ich ne Weile daran rieche, tränen mir die Augen und ich sehe dann so aus wie jetzt.“
„Und was soll das Ganze?“
Es wirkte seltsam falsch, als aus den rot verquollenen Augen ein leichter Triumph blitzte.
„Das bedeutet, dass Du verloren hast!“
Martin nahm das Tuch wieder an sich, schnüffelte demonstrativ daran und ergänzte weinerlich:
„Janette meint, ich brauche in dieser schweren Zeit Jemanden zum reden und das machen wir auch heute Abend. Und wer weiß,“ Martin gluckste fast vor Vergnügen, „wenn alles klappt, lege ich sie heute Nacht noch flach.“
Jens neigte sich über den Schreibtisch und knuffte seinen Freund an die Schulter.
„Junge, Du bist doch eine verdammt, gerissene Ratte!“
Martin machte früh Feierabend. Er wollte sich noch vorbereiten und Janette dann nicht zu spät abholen. Der Heimweg war immer derselbe, doch an diesem Tag zwang ihn eine Baustelle zu einem recht weiten Umweg. An einer roten Ampel musste er halten und wurde auf einen kleinen asiatischen Kräuterladen aufmerksam, dessen Schaufenster neben dem großen Lebensmittelmarkt kaum auffiel. Er dachte an Janette, an den bevorstehenden Abend und ihm kam plötzlich eine verrückte Idee.
Der erste Schritt in den Laden kam einer Vergewaltigung der Geruchsnerven gleich. Die vielen verschiedenen Düfte hatten sich zu einem so aufdringlichen Aroma vereint, dass Martin für einen kurzen Moment meinte, nicht mehr atmen zu können.
Der Raum war seltsam düster. Die mit Schachteln und Gläsern überladenen Regale standen so dicht beieinander, dass das wenige Licht, das durch das Schaufenster kam, kaum Helligkeit brachte. Kräuter, Pulver und Tinkturen, wohin man blickte. Asiatische Schriftzeichen und Symbole gaben keinen Aufschluss über die Inhalte und ließen alles noch geheimnisvoller wirken.
„Sie wundsche?“
Die Frau war klein und wirkte in ihrem bunten Kimono wie ein Knallbonbon. Martin unterdrückte den Wunsch ihr an den Haaren zu ziehen. Was würde drin sein? Glück würde das sicher nicht bringen, denn den Spaß hätte sie nicht verstanden.
Das faltige Gesicht und die schmalen Augen gaben ihr etwas Lauerndes, als sie erwartungsvoll zu ihm aufsah.
„Tja, also, ich hab da eine Frau kennen gelernt, und ich weiß nicht ob sie ... also ...“
Martin kam sich wie ein Idiot vor. Was sollte er hier zwischen Haarwuchsmitteln, Gewürzen und Knallbonbons?
„Ob sie liebe?,“ kam es mit leiser, geheimnisvoller Stimme aus den Falten. Die Frau bedeutete ihm zu folgen und ging zu einem Regal, das ziemlich abseits stand. Aus einer verstaubten Flasche füllte sie von der klaren Flüssigkeit etwas in eine kleine Phiole, verschloss sie mit einem Korken und reichte sie Martin.
„Sie wird liebe. Drei Tlopfe in Esse. Volsicht, sein sehl stalk.“
Martins Wohnung war modern und geschmackvoll eingerichtet, aber nicht besonders ordentlich. Auf dem kleinen Tisch vor der Sitzgruppe lagen alte Zeitschriften, sein Bademantel hing über einem Sessel und in der Tür zum Schlafzimmer lag ein Haufen schmutziger Kleidung, die er dort hingelegt hatte, um sie irgendwann mal zu waschen.
Jeden Tag, wenn er von der Arbeit heim kam, gab er als erstes den Fischen Futter.
Er setzte sich in einen Sessel, stelle das kleine Fläschchen vor sich auf den Tisch und nahm die Dose mit Fischfutter vom kleinen Schrank, auf dem das Aquarium stand.
Wieder traf sein Blick die kleine Phiole mit der klaren Flüssigkeit darin. Er hielt einen Moment inne, zog dann den Korken ab, schnüffelte und hielt die Flüssigkeit gegen das Licht. Das Mittel war völlig geruchlos und hatte eine ölige Konsistenz. Er war bereit zu einem Geschmackstest. Mit dem Daumen auf der Öffnung befeuchtete er den Finger und leckte ihn ab. Martin schloss die Augen um sich auf den Geschmack und eine mögliche Wirkung zu konzentrieren ... Nichts, kein Geschmack und keine Wirkung. Er fühlte sich wie immer, nicht besser aber auch nicht schlechter. Wenn es schon nichts half, dann würde es wohl auch nichts schaden. Blöd allerdings, wenn sie davon Durchfall bekäme.
Leicht enttäuscht nahm er wieder das Fischfutter und schüttete die tägliche Ration ins Wasser. Drei Goldfische hatte er und sie kamen sofort angeschwommen um sich über ihre Malzeit herzumachen. Ein tägliches, immer gleiches Ritual, obwohl ... Martin meinte, dass sie nicht so gierig fraßen wie sonst. Sie waren zurückhaltender, feiner, stilvoller. Wer sagte, Goldfische seine die normalsten Fische der Welt? Goldfische sind schön, wunderschön! Diese eleganten Formen mit den filigranen Schuppen. Kein Tier vermag mit so anmutigen Bewegungen durchs Wasser zu gleiten. Sahen sie ihn an? Beobachteten sie ihn mit ihren großen, ausdrucksvollen Augen, die voller Liebe waren? ...
„Verdammte Scheiße, das Mittel wirkt!“
Bevor Martin Janette abholte, fuhr er zu einem Lokal und reservierte einen passenden Tisch. In ihm reifte ein, wie er meinte, genialer Plan und dazu war es wichtig, dass er von seinem Platz aus die Küchentür im Blick hatte.
Pünktlich um acht stand er vor Janettes Haus. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug ein leichtes Sommerkleid und sah darin einfach sexy aus. Martin trug Jeans, T-Shirt und Jackett und kam sich ziemlich cool vor.
Während der Fahrt wurde kaum gesprochen, doch als sie das Lokal betraten war Janette erstaunt.
„Das ist ja ein Restaurant. Ich dachte, wir würden nur in einer Kneipe ein Bier trinken und Du redest mal über das, was Dich bedrückt.“
Martins Blick bat um Nachsicht. „In einem Restaurant können wir doch auch reden und ein Junggeselle muss schließlich sehen, wie er was zu essen bekommt.“
Ein Kellner mit einer bodenlangen weißen Schürze und französischem Blick begrüßte sie mit ausgesuchter Wärme. In Martin kam die Frage auf, was wohl passieren würde, wenn einem Gast etwas herunterfiele. Der Kellner würde sich bücken, auf den Schürzensaum treten und mit dem ersten Schritt zu einem wagerechten Flug durch den Raum starten. Als der Mann ihm zum wiederholten Mal die warme Hand auf die Schulter legte, kam ihm kurz der Gedanke, es zu versuchen. Aber sie wurden ohne Zwischenfall zu dem reservierten Tisch geführt. Martin wurde der Stuhl zurechtgerückt, Janette staunte darüber und die wenigen Gäste grüßten kurz und freundlich.
Vom Nachbartisch lächelten ihnen zwei ältere Damen zu, die die Lastklassen der Bestuhlung bis an die Grenzen ausreizten. Die eine trug schlichtes Grau, während die andere in ihrem Papageifarbenen Kleid Martin wieder an ein gigantisches Knallbonbon erinnerte.
Er wollte ihr nicht an den Haaren ziehen. Wer weiß was in so einem Knallbonbon drinsteckt?
Kaum hatten sie es sich bequem gemacht, schlug der Kellner schon die Speisekarten auf und wartete in der typisch unaufdringlichen Art, eine Hand auf Martins Schulter und den Blick gelangweilt auf einen fernen Punkte gerichtet.
Janette entschied sich für einen leichten Salat und die Frage des Kellers, „Mit Zwiebeln und extra Knoblauch?“, quittierte sie nach kurzem Zögern mit einem Nicken und ergänzte: „Das ist gesund und beschert ein langes Leben.“ „In deprimierender Einsamkeit.“ Murmelte Martin. Janette lächelte, sie hatte ihn wohl nicht verstanden und das Knallbonbon kicherte und drohte zu platzen.
Für sich selbst bestellte er einen überbackenen Käse und für beide einen leichten Weißwein.
Der Kellner zog sich zurück und Janette hatte Gelegenheit auf das Thema zu kommen.
„Also. Was bedrückt Dich?“
Martin war vorbereitet und griff die Geschichte seiner Schwester auf. Aus der Töle machte er den Freund, ließ ihn aber nicht gegen die Alufelgen pinkeln sondern bei einem Unfall ums Leben kommen.
„Und nun muss ich mich um die Arme kümmern. Ich habe Angst, sie könnte sich was antun.“
Janette zeigte vollstes Mitgefühl, zumal Martin sich wie zufällig die Augen rieb und so wieder recht bemitleidenswert rüberkam.
Bei seinem Bericht ließ er aber nie die Küchentür aus den Augen und als schließlich der Kellner mit einem Salatteller den Gastraum betrat, erhob sich Martin mit der Entschuldigung sich kurz frischmachen zu müssen. Als er den Kellner erreicht hatte, erkundigte er sich ausgiebig nach den Toiletten, wobei er sich recht unbeholfen anstellte und der Mann ihm deutlich aber ausgesprochen gern, den Weg beschrieb.
Kurz darauf stand er vor dem Waschbecken und grinste sich selbst im Spiegel triumphal an. Martin erschrak aber, als er bemerkte, dass mehr von der stimulierenden Flüssigkeit im Salat gelandet war, als er beabsichtigt hatte. Das Fläschchen war zur Hälfte leer und das arme Mädel würde vor Wollust platzen.
Er ließ sich Zeit und als er dann endlich zurückkehrte, saß Janette brav am gedeckten Tisch und wartete.
Sie prosteten sich zu, aßen und unterhielten sich, wobei Martin gespannt auf eine Veränderung wartete. Er gab sich große Mühe charmant zu sein, machte Komplimente und achtete jedes Mal auf eine besondere Regung bei ihr. Und tatsächlich schienen ihre Augen eine Spur größer geworden zu sein. Auch lächelte sie auf eine besondere Weise. Martin blieb tapfer und hoffnungsvoll. Während in der Unterhaltung hin und wieder kleine Knoblauchwölkchen mit Zwiebelstreifen zu im herüberwehten, fragte er sich, ob es möglich wäre, auch mit Knoblauch, Ringe in die Luft zu blasen. Allerdings würde er dies wohl nicht sehen können, denn die Zwiebeln zeigten an seinen Augen bereits leichte Wirkung.
Janette entließ dann ein kleines, zartes Bäuerchen in die Welt und kicherte darauf mit entschuldigendem Blick. Für Martin das Zeichen, die Wirkung des Wundermittels zu prüfen.
Unter dem Tisch ließ er seinen linken Fuß aus dem Slipper gleiten, was unproblematisch war, denn die Knoblauch-Zwiebelwolke lag über den Tisch und die Socken waren neu.
Er tastete sich vorsichtig an Janettes Wade.
Janette lächelte.
Die Wade war fest, rund und knackig. Martin wurde mutiger und traute sich höher hinauf, wobei sein Zeh bald unangenehm gegen etwas Hartes stieß. Er begann zu tasten und ihm wurde schlagartig klar, dass er gerade heftigen Petting mit einem Tischbein hatte. Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf, was wäre, hätte er selbst die Tropfen genommen? Er würde jetzt wohl kopulierend quer auf der Tischplatte liegen und kleine Holzpuppen machen ... oder was sonst daraus entstehen würde.
Janette lächelte noch immer und schien von Martins Unruhe fasziniert zu sein. Am Nachbartisch waren die zwei Damen aufmerksam geworden. Das Knallbonbon machte erst große Augen und zwinkerte ihm dann zu.
Von Ungeduld getrieben und um die vertane Zeit am Tischbein wieder wett zu machen, traute sich Martin nun direkter vor. Tief blickte er ihr in die Augen, lächelte und hob wieder den Fuß. Bei dem Bemühen sich in eine günstige Position zu setzen, glitt er auf der glatten Sitzfläche aus und traf Janette direkt.
Das nun folgende passierte so schnell, dass es unmöglich ist, es in der angemessenen Zeit wiederzugeben.
Janette sprang auf, wobei ihr lauter Schrei die andächtige Stille des Lokals mit jäher Gewalt zerriss. In einer reflexartigen, fließenden Bewegung beugte sie sich über den Tisch, stieß die Weinflasche um und verpasste Martins linker Gesichtshälfte mit voller Wucht die Zeichnung indianischer Kriegsbemalung, was ihn aber nun vollends vom Stuhl gleiten ließ.
Die anderen Gäste sprangen auf, der Kellner eilte hinzu und vom Nachbartisch kam ein lustvolles Stöhnen.
„Du perverses Schwein!“ Janette war mit hochrotem Kopf um den Tisch herumgekommen, schwang ihre Umhängetasche und zeigte beachtenswerte Treffsicherheit. Ein Gast packte schließlich ihren Arm, was sie dazu zwang, ihre Arbeit mit Fußtritten fortzusetzen.
Martin kauerte schließlich am Boden, umringt von einem Gewirr von Beinen, aus denen immer wieder ein Fuß hervor schoss und manchmal sogar traf.
Es dauerte eine ganze Weile, bis der Kellner und einige beherzte Gäste Janette in festem Griff hatten.
Um Martin kümmerte sich niemand, bis endlich helfende Hände seine Schultern berührten, sich dann mit aller Macht in die Knopfleiste seines Hemdes zwängten und gierig zu massieren begannen. Martin wurde herumgeworfen und unter einem mächtigen, weichen Knallbonbon begraben das immer wieder ein wollüstiges Grunzen entließ. Große, weiche Lippen näherten sich den seinen und bevor er dann in eine erlösende Ohnmacht fiel, klärten ihn die letzten Atemzüge auf: Knallbonbons enthalten Zwiebeln und extra Knoblauch.