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Das Fenster

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05.12.2005
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Das Fenster

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Das Fenster


Das Fenster war groß und sauber. Vollkommen streifenfrei, selbst wenn die Sonne ihre Strahlen zur Mittagszeit durch das Glas warf.
Seit vierzehn Jahren kam jeden Dienstag im Monat; so gegen 9.00 Uhr morgens; jemand von der Reinigungsfirma zum Fensterputzen. Seit vierzehn Jahren saß die alte Frau nun jede Minute ihrer Zeit an ihrem großen, streifenfreien Fenster. Blieb dort sitzen, bis weit in die Nacht hinein. Starrte durch die gläserne Reinheit in ein ungetrübtes Seherlebnis; in eine Welt, die ihr zwar fremd, aber deswegen nicht uninteressant geworden war.
Zu sehen gab es nämlich viel. In erster Linie Menschen. Gut, eigentlich nur Menschen. Die Frau selbst war alt geworden und vereinsamt, aber dennoch immer unter Menschen. Manche kannte sie sogar noch von früher, als Erwin noch lebte.
Manfred und Waltraut aus dem Haus nebenan, zum Beispiel. Doch das war jetzt auch Vergangenheit. Denn im Zuge der Anbindung - an wen oder was wurde nie wirklich geklärt - war die Bismarckstrasse ausgebaut worden. Vierspurig geworden, nannte sie sich jetzt großspurig Bundesstraße. Das wenige Grün, das vorher noch rechts und links der Straße gestanden hatte, war der Verbreiterung zum Opfer gefallen. Modernisierung nannte man so etwas. Um die Anwohner, viele ältere Menschen, hatte sich niemand geschert. Der Verkehr hatte beträchtlich zugenommen. Als Erwin noch da war, hatte sie sich nie um die Anzahl der Fahrzeuge, Tag für Tag, gekümmert. Dann aber war ihre Einsamkeit so groß geworden, daß sie anfing die PKW’s nach Farbe aufzulisten. Dabei war ihr aufgefallen, das es täglich mehr wurden. Die lange versprochene Fußgängerampel aber, die kam nicht. Na gut, aber wenn man aufmerksam genug war, gelangte man noch von einer auf die andere Straßenseite. Wie das der Manfred in seinem besoffenen Koppe immer wieder vollbrachte, war allen ein Rätsel. Aber bewundernswert.
Das bisschen Lärm und auch ein wenig Feinstaub - ein sehr schönes kleines Wort für die Abgase so großer Lastwagen - hätte noch niemandem geschadet, hatten die von der Stadtverwaltung gesagt. Da war es dann auch unerheblich, dass die bis vor wenigen Wochen selber nichts von dem Feinstaub gewusst hatten. Obwohl der Erwin damals schon gesagt hatte, dass in dem Benzin etwas Krank machendes drin wäre.
Auf der anderen Seite gab es jetzt natürlich jede Menge zu sehen. Nicht dass es vorher langweilig gewesen wäre, aber jetzt gab es noch mehr von allem. Es war jetzt viel mehr Bewegung da. Wie nannten die jungen Leute das? Action?!
Erwin hatte es eines Tages nicht über die Straße geschafft. Das war vor 14 Jahren gewesen. Seitdem war sie Witwe. Seitdem sass sie auch täglich im Fenster. Sie hatte noch immer Hoffnung, dass sich die Ärzte geirrt hatten und der Erwin winkend auf das Haus zukäme. Jetzt bald musste es so weit sein.
Er war schließlich schon so lange weg.
Daß der Fensterputzer seit einigen Wochen nicht mehr erschienen war, hatte sie nur vage zur Kenntnis genommen. Dafür mit erregtem Entsetzen beobachtet, wie ein Autofahrer einen Anderen niederschoß, weil dieser den letzten Parkplatz vor dem Bäcker ergattert hatte.
Gut, es war auch unpersönlicher geworden. Aber wissenschaftliche Studien besagten ja, dass aus eben diesem Grund die Menschen in die Anonymität der Großstädte zögen.
Wenn die Forscher wohl gefragt hatten?
Vielleicht das junge Paar, das sich früh morgens ungeniert in einer Hauseinfahrt auf der Motorhaube eines alten Passats liebte. Lediglich beobachtet von der alten Frau. Und ein paar Jugendlichen. Die hatten vorher einen Spaziergänger halb tot getreten, weil dessen Turnschuhe einem anderen besser passen würden.
Irgend jemand war allerdings in ihrer Wohnung gewesen. Sie hatte es wohl gehört, auch wenn sie versucht hatten leise zu sein. Den Kaffee, den sie für den Fensterputzer gekocht hatte, wollten die aber auch nicht trinken; denn auf ihm schwammen bereits Schimmelpilzkolonien. Aber auch das verkam zur Nebensache, genauso wie die Tatsache, dass sie sich seit Tagen nicht mehr gewaschen hatte.
Und trotzdem! Vor dem Ausbau hatte man gehört, was im Nachbarhaus vor sich ging. Wenn der Manfred nach Hause getorkelt kam und der Waltraut dann den Arsch versohlte, weil sie sich nicht vögeln lassen wollte. Solche Sachen konnte man früher hören.
Daß ihr Mittagessen auf der Fensterbank bereits eine unappetitliche Konsistenz angenommen hatte, war ihr gar nicht bewusst. Dafür wurde sie zu sehr abgelenkt, von vorbeirasenden LKW’s; deren Fahrer onanierend hinter dem Lenkrad saßen.
Auch die unbequeme Haltung, die sie eingenommen hatte, war ihr vollkommen gleichgültig. Alles war so entsetzlich schön und wert, ohne Unterlass beobachtet zu werden.
So wie der Krankenwagen, der eines Nachmittags kam, um die Waltraut noch für einige Stunden ins Kreiskrankenhaus und von dort auf den Friedhof zu bringen. Dicht gefolgt von der Polizei, die gekommen war, den Manfred abzuholen.
An jenem Morgen hatte Manfred nämlich - erstaunlich nüchtern übrigens - bemerkt, dass es das erste Mal sei, dass er die alte Frau schlafend im Fenster sehen würde. Waltrauts vorsichtiger Einwand, dass ihr vielleicht etwas zugestoßen sein könne, hatte dieses Schicksal heraufbeschworen. Denn Manfred hatte sich einige Stunden, reichlich Biere und etliche Schnäpse später Waltrauts Widerworte erinnert und zugeschlagen.
Die alte Frau sass weiter da, beobachtete, genoss, entsetzte sich, vergaß ihre Umwelt, vergaß sich selbst in ihren Erinnerungen, wurde von den wenigen, die sie noch kannten, vergessen.
Bis schließlich irgend jemand - unter großem Gestöhne und Gejammer, über die zusätzliche Bürde - nachschauen ging, warum die Tür schon seit Wochen eingetreten war. Und wo der schreckliche Gestank seine Ursache hatte.

Und dann war nach 14 Jahren das Fenster plötzlich leer.

 

Hi Lücki,

willkommen auf Kurzgeschichten.de!

Also die Geschichte hat mir wirklich gut gefallen. Natürlich ist sie nicht perfekt, da wären einige Rechtschreibfehler...aber die kannst du sicher selber entdecken.

Inhaltlich ist es an einigen Stellen aber nicht ganz schlüssig, authentisch...
Ein Beispiel:

Wie nannten die jungen Leute das? Äkschn?!
Hört sich in dem Kontext danach an, als hättest du gedacht, dass es bestimmt schick sein würde oder vielleicht auch realistisch, dass alte Leute so etwas denken. Vielleicht würden sie, aber deine alte Frau sicherlich nicht. Die würde eher schreiben, wie es ist. Immerhin findet sie auch direkte Worte fürs onanieren etc. Also wird sie entweder das Wort kennen und benutzen oder es sein lassen - sich aber die Frage nicht stellen. Na wie auch immer, ich find der Satz passt da nicht.

an wen oder was wurde nie wirklich geklärt -
Du versuchst hier zu sagen, dass es keine Rolle spielt, wieso, sondern hebst die Tatsache heraus, dass es sinnlos war. Sinnlos wie der Tod von Erwin evtl. Aber solche Dinge werden geklärt. Und als scharfe Beobachterin sowie aufmerksame Oma (immerhin hat sie sich die Sache mit dem Benzin auch gemerkt), hätte sie vermutlich rezitiert was die Behörden als Begründung angegeben hätten - und hätte dazu eine zynische Bemerkung fallen gelassen. Oder das einfach so im Raum stehen lassen.

Obwohl der Erwin damals schon gesagt hatte, dass in dem Benzin etwas krankmachendes drin sein würde.

Hm, vermutlich würde sie eher sagen: "Obwohl ihr Erwin schon damals gesagt hatte, dass das (verdammte?) Benzin krank macht." Oder die Abgase... aber auf jeden Fall "ihr Erwin". Macht dann auch den Satz nachvollziehbarer, dass sie auf ihn immer noch wartet.

Merkwürdig scheint mir,dass sie fast nur negative oder obszöne Dinge beobachtet. Passiert denn da nichts Nettes?

Teilweise wechselt mir die Intelligenz von der Protagonistin zu schnell. In dem einen Augenblick kennt sie das Modewort "Feinstaub" und im anderen der oben zitierte Satz mit Erwin, und wie er vom Benzin erzählt. Hier hat der Charakter etwas lückenhaftes an sich. Wenn sie die Feinstaub geschichte mitbekommen hat, ist Äkschn vermutlich für sie auch kein Fremdwort...

Nun ja, eins ist klar, die Protagonistin ist nicht senil, sondern eine scharfe Beobachterin, die Zeitung liest / Nachrichten hört und interessiert an ihrer Umwelt ist. Sie hat eine Wortwahl die nicht typisch Omi ist...usw.

Lass den Charakter vor deinem inneren Auge so wie du ihn dir vorstellst auferstehen und prüfe, ob die Geschichte dem Charakter gerecht wird.

Grüße
Sinepp

 

Hallo Lücki100,

ja, so sterben wir sicherlich manchmal, einsam und von den anderen unbemerkt. Auch wenn es dann ein logischer Bruch ist, dass die alte Dame noch hören konnte. Dass sie etwas sieht, oder besser, dass vor ihren Augen etwas stattfindet, ist da schon anders.
Was die Berichte aus der Straße betrifft, würde ich dir "Die Chronik der Sperlinggasse" von Wilhelm Raabe ans Herz legen (wenn du dich nicht davon abschrecken lässt, dass er der erklärte Lieblingsschriftsteller von Franz-Joseph Strauß gewesen ist).
Deine Beobachtungen sind zwar derb, für mich aber trotzdem nicht mit Leben gefüllt.
Fehler:

Seit 14 Jahren sass die alte Frau nun jede Minute ihrer Zeit in ihrem großen, streifenfreien Fenster
wenn du denn schon ein ß auf der Tastatur hast, solltest du es für "saß" auch nutzen. Und die vierzehn bitte ausschreiben.
Vielleicht auch die arme Dame aus der Glasscheibe befreien und sie ans Fenster setzen?
hatte sie sich nie um die Anzahl der Fahrzeuge, Tag für Tag, gekümmert. Dann aber hatte sie genügend Zeit gehabt, die PKW’s nach Farbe aufzulisten.
das habe ich als Kind eine Zeit lang gemacht. ;)
Na gut, aber nur wenn man aufmerksam genug war, gelangte man noch von einer auf die andere Straßenseite.
Satz scheint mir inkonsistent, denn das nur müsste im Widerspruch zu fehlenden Ampel stehen. mE ist es dort falsch.
war Allen ein Rätsel
allen
hatte noch niemandem geschadet, hatten die von der Stadtverwaltung gesagt
hatten oder besser hätten noch niemandem geschadet. Plural, da Lärm und Feinstaub zwei Dinge sind, auf die sich das Verb bezieht
dass in dem Benzin etwas krankmachendes drin sein würde
- Krank machendes
- würde den Konjunktiv anders bilden (drin sei, drin wäre)
Nicht das es vorher langweilig gewesen wäre
Nicht, dass
Das der Fensterputzer seit einigen Wochen nicht mehr erschienen war
Dass der Fensterputzer
in die Anonymität der Grosstädte zögen
Wie bei saß: Großstädte - sonst müsstest du es konsequenterweise mit drei s schreiben
Wenn die Forscher wohl gefragt hatten?
minus n
Vielleicht das junge Paar, das sich früh morgens ungeniert in einer Hauseinfahrt auf der Motorhaube eines alten Passats liebten
Das Paar liebte sich (Singular)
Das ihr Mittagessen auf der Fensterbank
Dass
Dafür wurde sie zu sehr abgelenkt, von vorbeirasenden LKW’s; deren Fahrer onanierend hinter dem Lenkrad sassen.
saßen
und wert ohne Unterlass beobachtet zu werden.
und wert, ohne
dass es das erste Mal sei, das er die alte Frau schlafend im Fenster sehen würde.
dass er die
reichliche Biere und etliche Schnäpse später Waltrauts Wiederworte erinnert und zugeschlagen
reichlich Biere, Widerworte

Lieben Gruß, sim

 

Hallo.

Tja, was soll ich sagen?
Ich hatte zwar vermutet, daß es ähnlich ausgehen würde, aber andererseits - man hat ja immer Hoffnung.
Komischerweise nur habe ich jetzt das Gefühl, mich für irgendetwas entschuldigen zu müssen.
Auf jeden Fall habe ich schon einmal die Schreibfehler geändert. Alles andere muß ich mir noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Das war doch irgendwie vor den selben geschlagen.
Gut, ich bin zugegebenermaßen blutiger Anfänger und dies ist erst meine zweite Geschichte, die ich überhaupt geschrieben habe. Und sicherlich werde ich jetzt nicht die Flinte ins Korn werfen. Und trotzdem ist das harsche Kritik.
Aber was soll's?!
Meine nächste Geschichte kommt bestimmt.

Grüße

Lücki100


P.S.
Vielleicht hat ja jemand ein paar Tips, was man lesen sollte/könnte/müßte um in Zukunft grobe Schnitzer und logische Fehler zu vermeiden.
Gerade heute hat mir z.B. jemand Urs Allemann empfohlen.
Dank' für Eure Antworten

 

Hallo Lücki,

nein, du musst dich für nichts entschuldigen.
Gegen logische Fehler hilft leider nur, gedanklich in die Situation eintauchen, das Geschriebene immer wieder überdenken und vor allem "recherchieren".
Und mit der Zeit bekommt man ein Gefühl dafür. :)

Schön, dass du dich nícht entmutigen lässt.
Lieben Gruß, sim

 

Hi Lücki,

nicht traurig sein. Das war noch nicht mal harsche Kritik...habe da schon schlimmeres gelesen (z.B. die Kritik zu meiner ersten Geschichte :) ). Aber wie sim schon sagt, das Eintauchen ist wichtig. Und das wollte ich auch damit andeuten als ich gesagt habe, dass du dir deinen Charakter vorstellen solltest, wie er in Wirklichkeit sein könnte.

Kopf hoch!
Sinepp

 

hi lücki,
ich bin leider nicht wirklich von deiner geschichte überzeugt. das liegt vor allem daran, dass die beobachtungen nicht wirklich nahe wirken. du baust eine distanz auf, die wahres gift für den leser bei einer solchen geschichte darstellt. vor allem wirken die darstellungen überzogen (auch wenn es wahrscheinlich so beabsichtigt war). mir passiert in zu kurzer zeit einfach zu viel. auch das ist ein grund für die angesprochene distanz. wenn du die kg ein wenig mehr mit leben füllst und einige sätze "runder" machst, geht sie in ordnung.

einen lieben gruß...
morti

 

Hallo Lücki,
mir hat deine Geschichte gefallen. Eine Tote, die die Welt betrachtet ...Erste Andeutung mit dem Schimmel auf dem Kaffee... Gut.

Trotzdem habe ich was auszusetzen. Die Sprachebenen der alten Frau schwanken so sehr. Unglaubwürdig, dass sie denken würde:

der Waltraut dann den Arsch versohlte, weil sie sich nicht vögeln lassen wollte.
Meine Mutter z.B. versteht die Wörter, würde sie aber nie benutzen

Auch passiert soviel Verbrechen, alles in einer Straße: Totschlag, Raub, ...Dazu passt Sinepps Einwand:

Merkwürdig scheint mir,dass sie fast nur negative oder obszöne Dinge beobachtet. Passiert denn da nichts Nettes?
Das sich liebende Paar ist etwas wenig, wirkt als Grenzüberschreitung (Sex in der Öffentlichkeit) wie die onanierenden LKW-Fahrer auch eher verstörend. Was ergreifend Schönes (Sonnenaufgang, Tautropfen) beschreibst du nicht.

Und wieso ist das Fenster streifenfrei, wo doch der Fensterputzer nicht gekommen ist? Meine Fenster schaffen es noch nicht mal einen Tag (wenn ich sie überhaupt streifenfrei hinkriege, weshalb ich sie nur noch einmal im Jahr putze; aber das ist ein anderes Thema ;)).

Und trotzdem ist das harsche Kritik.
Darüber habe ich mich gewundert. Betrachte das doch als Geschenk: jeder der Kommentare hat Zeit und Mühe gekostet, für dich!

Vielleicht hat ja jemand ein paar Tips, was man lesen sollte/könnte/müßte um in Zukunft grobe Schnitzer und logische Fehler zu vermeiden.
Ja! Andere Geschichten lesen, Kommentare der anderen, selbst aufschreiben, was dir an anderen Geschichten auffällt; dabei lernt man ´ne ganze Masse, kommt in so einen Beobachtungs-Modus, und die anderen freuen sich über deine Aufmerksamkeit.

Gruß, Elisha

 

Hallo Ihr alle.

Also wenn ich ganz ehrlich sein soll, muß ich gestehen, habe ich nicht sehr viel über diese Geschichte nachgedacht. Stattdessen habe ich einfach aufgeschrieben, was mir gerade in den Kopf kam, bzw. in unserer Tageszeitung unter "Vermischtes" auftaucht.

Auf der anderen Seite muß ich aber auch sagen, die Großmutter meiner Ehefrau kann durchaus einmal in einen solche Sprachwelt abtauchen, wenn sie sich über irgendetwas gewaltig aufregt.

Gut, trotz alledem, meine zweite Geschichte ist zwar fertig, aber es wird wohl noch einige Tage dauern, bis ich sie hier reinstelle.
Erstmal werde ich sie noch gründlich überarbeiten und -denken.

Grüße

Lücki

 

Das Fenster 2

Das Fenster 2
(Überarbeitete Version)


Das Fenster war klein und sauber. Die Blumentöpfe auf der Fensterbank verhießen Gemütlichkeit und Wärme. Das Fenster selbst, war beinahe streifenfrei sauber, sogar wenn die Sonne ihre Strahlen zur Mittagszeit durch das Glas warf.
Seit vierzehn Jahren saß die alte Frau nun jede Minute ihrer Zeit an ihrem Fenster. Blieb dort sitzen, bis weit in die Nacht hinein. Starrte durch die gläserne Reinheit in ein ungetrübtes Seherlebnis; in eine Welt, die ihr zwar fremd, aber deswegen nicht uninteressant geworden war. Ganz im Gegenteil. Denn zu sehen gab es viel. In erster Linie Menschen. Eigentlich nur Menschen.
Die Frau selbst war alt geworden und vereinsamt. Aber sie war dennoch immer unter Menschen.
Und immer wieder entdeckte sie Kleinigkeiten, die sie an ihr früheres Dasein erinnerten. Der eine Morgen, an dem der Himmel in einem violetten Licht erstrahlte. Kurz darauf spielten Kinder mit dem frisch gefallenen Schnee.
Und plötzlich stand sie im Garten ihres Elternhauses und warf mit einem Schneeball nach ihrem Bruder. Wo war er eigentlich geblieben?
Manche der Menschen kannte sie noch aus der Zeit, als Erwin, ihr Mann, noch gelebt hatte. Manfred und Waltraut aus dem Haus nebenan, zum Beispiel. Doch das war jetzt auch Vergangenheit.
Im Zuge der Anbindung war die Bismarckstraße, ihre Straße, ausgebaut worden. Vierspurig geworden, nannte sie sich jetzt großspurig Bundesstraße. Das Grün, das vorher rechts und links der Straße gestanden hatte, war der Verbreiterung zum Opfer gefallen.
Sonntagmorgens nach der Kirche hatte sie mit ihrem Erwin immer unter dem zweiten Baum hinter der Litfaßsäule gestanden, um mit den Nachbarn aus Haus Nr. 7 einen kleinen Plausch zu halten. Sonntags hatten sie immer so schön viel Zeit gehabt. Konnten dann....... ach, waren das schöne Zeiten gewesen.
Und jetzt? Modernisierung. Weltoffenheit zeigen. So etwas benutzten die Politiker als Schlagworte. Und mit der Zeit gehen, das war in. Das wurde nun von allen verlangt. Um die Anwohner, vor allem die älteren Menschen, hatte sich niemand geschert.
Als sie noch ein Kind war, hatte sie jeden älteren Menschen höflich grüßen müssen. Wehe, wenn ihr Vater mitbekam, daß sie einem nicht den nötigen Respekt entgegenbrachte, dann wurde auch schon mal zum Gürtel gegriffen. Ja, sie hatte noch Erziehung genossen. Aber die jungen Leute, die heutzutage überall in den Gemeinden und Stadträten saßen, was zu sagen hatten, die hatten ihre gute Kinderstube wohl vergessen und behandelten die Alten nicht mehr mit Respekt. Darüber konnte man ganz schön wütend werden.
Der Verkehr hatte beträchtlich zugenommen. Die lange versprochene Fußgängerampel aber die kam nicht. Na gut, wenn man aufmerksam und schnell genug war, gelangte man doch noch von einer auf die andere Straßenseite. Wie das allerdings der Manfred immer wieder vollbrachte, wenn er betrunken war, war allen ein Rätsel. Und deswegen bewundernswert.
Das bißchen Lärm und auch ein wenig Feinstaub - ein sehr schönes kleines Wort für die Abgase so großer Lastwagen - hätten noch niemandem geschadet, hatten die von der Stadtverwaltung gesagt. Da war es dann auch unerheblich, dass die bis vor wenigen Wochen selber nichts von dem Feinstaub gewusst hatten. Obwohl ihr Erwin damals schon gesagt hatte, dass in dem Benzin etwas krank machendes drin sei. Es wollte ihr aber partout nicht mehr einfallen was. Im Alter vergaß man schon mal das ein oder andere.
Auf der anderen Seite gab es jetzt natürlich jede Menge zu sehen. Nicht daß es vorher langweilig gewesen wäre, aber jetzt gab es noch mehr von allem. Es war viel mehr Bewegung da. Aber keine schöne Bewegung. Eher Hektik und Unruhe.
Ihr Erwin hatte es eines Tages nicht über die Straße geschafft. Das war vor vierzehn Jahren gewesen. Seitdem war sie Witwe. Und seitdem saß sie auch täglich am Fenster. Sie hatte noch immer Hoffnung, daß sich die Ärzte geirrt hatten und Erwin winkend auf das Haus zukäme. Jetzt bald musste es so weit sein. Er war schließlich schon so lange weg. Und irgendwie fehlte er ihr immer noch.
Das Fenster war schon lange nicht mehr streifenfrei, die Scheibe wirkte fast ein wenig matt. Aber das machte nichts, man konnte noch immer alles sehen.
So konnte sie mit erregtem Entsetzen beobachten, wie ein Autofahrer einem Anderen eine Pistole an den Kopf hielt, weil dieser den letzten Parkplatz vor dem Bäcker ergattert hatte. Er steckte sie erst wieder ein, als der andere sich bereit erklärte, einen neuen Parkplatz zu suchen und wegfuhr.
An dem Tag hatte die Sonne derart intensiv geschienen, sofort mußte sie an ihren Urlaub in Spanien denken. Eine derart starke Erinnerung überfiel sie plötzlich, daß sie glaubte das Meer riechen zu können. Sie fühlte sogar den Sand auf dem sie saßen, in dieser kleinen, heimeligen Bucht, nur sie und ihr Erwin. Schön war es gewesen, sehr schön, weinen hätte sie können.
Gut, alles in allem war es auch unpersönlicher geworden. Aber wissenschaftliche Studien besagten ja, dass aus eben diesem Grund die Menschen in die Anonymität der Großstädte zögen. Wen die Forscher wohl gefragt hatten?
Vielleicht das junge Paar, das sich früh morgens, ungeniert in einer Hauseinfahrt auf der Motorhaube eines alten Passats liebte. Lediglich beobachtet von der alten Frau. Und ein paar Jugendlichen.
Die hatten eine Stunde zuvor, genau unter ihrem Fenster, einen Spaziergänger halb tot getreten, weil dessen Turnschuhe einem anderen besser passen würden. Ach, diese Jugendlichen. Immer ein Ärgerniss. Sie waren laut und vulgär. Andererseits.........früher hatte sie immer etwas Weingummi gehabt, für die Kinder, die mit ihren Eltern im gleichen Haus wohnten. Um zur Haustür zu kommen, gingen sie stets vor ihrem Fenster her. Dann gab sie ihnen manchmal von dem Weingummi. Und die Kinder hatten sich jedesmal artig bedankt, ihr hin und wieder nachmittags sogar Blumen gebracht, selbstgepflückt, von einer nahen Wiese. Dort stand nun eine Tankstelle. Ihr eigenes Kind hatte sie seit Jahren nicht mehr gesehen. Ihre Tochter schrieb hin und wieder noch. Sie war mit ihrem Ehemann ins Ausland gezogen. Nach Amerika. Ob es da wohl viel schöner wäre als hier? Obwohl, man sagte ja, es sei das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vielleicht brächte man älteren Menschen dort mehr Respekt entgegen. Aber sie würde schon Schwierigkeiten mit dieser unmöglichen Sprache bekommen. Sie hatte ihren Schwiegersohn schließlich auch nicht verstanden und der kam von dort.
Die Blumen auf der Fensterbank waren schon eingetrocknet. Eine dicke Staubschicht lag auf den Blättern. Aber die Gemütlichkeit war noch immer da.
Irgend jemand war in ihrer Wohnung gewesen. Den Kaffee hatten die aber auch nicht trinken wollen. Vielleicht wegen der Schimmelpilzkolonien, die auf ihm schwammen. Aber das verkam genauso zur Nebensache, wie die Tatsache, dass sie sich seit Tagen nicht mehr gewaschen hatte.
Und trotzdem! Vor dem Ausbau hatte man gehört, was im Nachbarhaus vor sich ging. Wenn der Manfred nach Hause getorkelt kam und die Waltraut dann verprügelt hatte, weil sie sich nicht benutzen lassen wollte. Jawohl, benutzen. Anders konnte man das doch nicht nennen, wenn ein Betrunkener........Bei ihrem Erwin war das ganz anders gewesen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass er jemals solche Sachen von ihr verlangt hatte, wenn er mal auf einer Feier gewesen war. Und auch sonst war er immer liebevoll gewesen. Ein bißchen grob und unbeholfen manchmal, aber liebevoll.
Ja, solche Sachen konnte man früher hören. Doch das war vorbei. Der Lärm den der Verkehr verursachte war unangenehm und schlug ihr auf den Magen.
Daß ihr Mittagessen auf der Fensterbank bereits eine unappetitliche Konsistenz angenommen hatte, war ihr gar nicht bewusst. Dafür wurde sie zu sehr abgelenkt, von vorbeirasenden LKW’s; deren Fahrer saßen hinter dem Lenkrad und blätterten in der Zeitung , während der Fahrt.
Auch die unbequeme Haltung, die sie eingenommen hatte, war ihr vollkommen gleichgültig.
Alles war so entsetzlich schön und wert, ohne Unterlass beobachtet zu werden. So wie der Krankenwagen, der eines Nachmittags kam, um die Waltraut noch für einige Stunden ins Kreiskrankenhaus und von dort dann auf den Friedhof zu bringen. Dicht gefolgt von der Polizei, die gekommen war, den Manfred abzuholen.
An jenem Morgen hatte Manfred nämlich - erstaunlich nüchtern übrigens - bemerkt, es sei das erste Mal, daß er die alte Frau schlafend sehen würde. Waltrauts vorsichtiger Einwand, dass ihr vielleicht etwas zugestoßen sein könne, hatte dieses Schicksal heraufbeschworen. Denn Manfred hatte sich einige Stunden, reichlich Bier und etliche Schnäpse später Waltrauts Widerworte erinnert und zugeschlagen.
Die alte Frau saß weiter da, beobachtete, genoß, entsetzte sich, vergaß ihre Umwelt, vergaß sich selbst in ihren Erinnerungen, wurde von den wenigen, die sie noch kannten, vergessen. Bis schließlich irgend jemand - unter großem Gestöhne und Gejammer, über die zusätzliche Bürde - nachschauen ging, warum die Wohnungstür schon seit Wochen nur angelehnt war. Und wo der fürchterlich schlechte Geruch seine Ursache hatte.

Und dann war nach 14 Jahren das Fenster plötzlich leer.

 

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