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Das Fließband
Überarbeitete Version:
Hühnchenschenkel, heute besonders günstig, lecker und frisch an unserer Fleischtheke, noch hatte ich keine Idee, was ich mir denn am Abend kochen könnte, bin daher einkaufen gefahren, wollte schauen, was der Supermarkt gerade im Angebot hat, da kam mir diese Durchsage gerade recht, fröhlich untermalt durch moderne Populärmusik, die nach Ende der Werbeankündigung wieder lauter wurde, die Wünsche der audiophilen Kunden zufriedenstellend.
Trotz seiner Breite ist kaum ein Durchkommen an das Fleischregal, es ist Freitagnachmittag, Stoßzeit, was das Einkaufen angeht, alle greifen sie die gaumenfertigen Verpackungen, zumeist eine weiße Schale darunter, dann das Fleisch, überzogen mit einer dünnen Folie aus Plastik, Rindersteaks, Kalbschnitel, Putenbrust oder Wildgulasch, eine junge Frau wirft gekonnt schwungvoll eine Familienportion Schnitzel in ihren gut zwei Meter entfernten Einkaufswagen, die Folie mit einem lachenden Schweinekopf bedruckt, eine Sprechblase zu seinem Maul hin, fragend, Heute schon Schwein gehabt? Die Schnitzel scheinen vom selben Lieferanten zu kommen wie meine Hühnchenschenkel, auch ich werde angelacht, aber nicht von einem Schwein, stattdessen von einem kleinen gelben Küken, daneben ein Spruch von kükengünstigem Hühnerfleisch; wie wahr, im Metzgerladen hätte ich sicher das Doppelte, wenn nicht gar das Dreifache bezahlen müssen.
Das Abendessen eingeladen schiebe ich meinen Wagen zur Kasse, ich habe ziemliches Glück, denn obwohl der Laden reichlich gefüllt ist, steht vor mir nur ein älteres Rentnerehepaar an, das gerade seine Waren auf das todschwarze Fließband lädt, unter anderem mehrere Tüten mit Aufbackbrötchen, ein paar Flaschen Rotwein und Dosen mit Linsensuppe, deren Aufdruck, extra viel Bauchfleisch zu enthalten, mir ins Auge glänzt. Das Fließband fährt vor in Richtung Kassiererin, die die schwarzweiß gestreiften EAN-Codes mit dem dafür vorgesehenen Gerät einliest, schließlich eine Taste drückt und dem Ehepaar den zu zahlenden Betrag nennt. Während die Frau die Waren nun vom Kassentisch in den Wagen umlädt, zückt ihr Mann seinen Geldbeutel aus der hinteren Hosentasche, zahlt zu meinem Erstaunen mit Scheckkarte, hält der Kassiererin dabei wie automatisiert seine Kundentreuekarte hin, die diese ebenso automatisiert durch einen Schlitz zieht, die Karten lächelnd zurückreicht, den beiden noch einen schönen Tag wünscht und ihnen kurz hinterherblickt, wie sie durch die elektrischen Schiebetüren nach draußen verschwinden, ihr Lächeln dabei genauso gekünstelt, wie das des Kükens auf der Schutzfolie meines Hühnchenfleischs, das ich gerade, an die junge Frau von vorhin denkend, in einem Schwung aufs Band geschmissen habe. Ich zahle in bar, mit diesen verdammten Scheckkarten habe ich mich einfach noch nicht anfreunden können, wenn die Kassiererin mir dafür auch einen bösen Blick zuwirft, obgleich es nicht meine Schuld ist, dass die Produkte hier keine glatten Eurobeträge zum Preis haben und die Kassiererin daher für das Wechselgeld nun extra eine Rolle mit Eincentstücken aufreißen und in die Kassenschublade einsortieren muss. Als ich dann auch noch ihre Frage nach der Kundenkarte verneine, sage, dass ich sowas nicht brauche, bisher bestens ohne klargekommen bin, habe ich mir ihr antrainiertes Kükenlächeln zum Abschied endgültig verspielt, ohne dass sie mir noch einen schönen Abend hinterherwünscht schiebe ich meinen Einkaufswagen weiter zum Ausgang, durch die elektrische Türe hindurch, bis zu meinem auf dem Parkplatz wartenden Auto. Beim Aufklappen des Kofferraumdeckels entdecke ich ein Flugblatt, dass mir wohl wer an den Heckscheibenwischer geklemmt haben muss, während ich im Laden war und eingekauft habe. Erst denke ich, es sei ein Werbezettel des Supermarkts, der mir die Sonderangebote der nächsten Woche vorstellen soll, lese dann aber die Überschrift Massentierhaltung und – schlachtung und überfliege grob den Inhalt.
Auf engsten Raum zusammengepfercht leben, nein, vegetieren, sie vor sich hin, massenweise, schätzungsweise zehntausend an der Zahl, essen hier, schlafen hier, verrichten hier ihre Notdurft; berechnet man die Fläche, die jeder zum freien Bewegen verfügt nach der Formel: „Gesamte Bodenfläche geteilt durch ihre Anzahl“, bleibt nicht einmal ein ganzer Quadratmeter über, aber sie kennen es nicht anders, gleich nach ihrer Geburt wurden sie hierher transportiert, kein Sonnenschein hat sich je in ihren Augen gespiegelt, nie haben ihre Lungen frische und freie Luft zu atmen bekommen, nie.
Sicher irgendwelche Ökospinner denke ich bei mir, zerknülle das Papier und werfe es in den Einkaufswagen, den ich nach dem Umladen seines Inhalts in den großen Korb, der in meinem Kofferraum steht, wieder zurückstelle, bevor ich das Pfand dann flüchtig in die Jackentasche stecke, mich in meinen Wagen setze und nach Hause fahre. In meinem Briefkasten finde ich wieder so ein Flugblatt, das gleiche, das an meiner Heckscheibe klemmte. Ich schmeiße es achtlos auf den Einkaufskorb, den ich gerade in meine Wohnung trage. Nachdem ich meine Einkäufe verstaut, das Hühnchenfleisch in den Kühlschrank gestellt habe, setze ich mich an den Küchentisch und greife doch nochmal zum Flugblatt, wo ich aufgehört habe lese ich jetzt weiter.
Große Neonröhren prangen an der Decke des Raumes, die tagtäglich zur gleichen Zeit am Morgen erleuchten, am Abend erlöschen, damit ihnen ein möglichst natürliches Leben vorgegaukelt wird; das Fressen, welches man ihnen vorsetzt, gentechnisch verändert und pauschal präventiv mit Arznei versetzt, aber das ist heutzutage nichts Besonderes mehr, sie sollen wachsen, Fett ansetzen, ob gesund oder nicht spielt keine Rolle, nicht woanders, noch weniger hier. Fresst ihr armen Kreaturen, fresst!, die Stimme des Aufsehers hallt durch seine Kammer, von der aus er das gesamte Geschehen auf seinen Monitoren überwachen kann, sein Ton so makaber wie der der alten Hexe aus Hänsel und Gretel, mit dem Unterschied, dass seine armen Kreaturen ihren natürlichen Fressinstinkten folgen, geistig überhaupt nicht in der Lage sind, ihrer widerwärtigen Mästung durch Tricksereien vorzubeugen und vielleicht auch deswegen von ihm als arm tituliert werden.
Der Aufseher hat vor sich auf seinem Pult einen roten Knopf, den er dann drückt, wenn er glaubt, dass sie gewichtig genug seien, dass man sie durch die Türe schicken kann. Wenn sich die Türe dann öffnet, drängen alle durch sie hindurch, wieder ganz instinktiv, vermutlich um aus dem Raum zu flüchten, weil sie hinter der Türe die Freiheit, ein besseres Leben erwarten. Einer nach dem anderen plumpsen sie dann auf das Fließband, aufeinandergestapelt liegen sie da, ahnungslos, was mit ihnen geschieht, bis ihre Füße von Angestellten mit weißen Schutzhandschuhen an Haken befestigt werden, die Köpfe nach unten baumelnd, ihr Jammern ohrenbetäubend.
Es war der letzte menschliche Eingriff in diese Prozedur, anschließend läuft alles vollautomatisiert ab, die Kreaturen werden kurz betäubt, unmittelbar danach wird ihnen der Kopf abgetrennt, der Rest von Maschinen zersägt und als verzehrbare Häppchen verpackt mit Lastwagen abtransportiert, die gleichen Lastwagen, die sie damals gebracht haben.
In dem Moment, als ich es dem Altpapier zufügen wollte, klingelt es an der Türe, zwei meiner Freunde, die mich besuchen wollten. Ich bitte sie in der Küche Platz zu nehmen, das Flugblatt, das dort noch auf dem Tisch liegt, erregt sofort ihre Aufmerksamkeit und bestimmt das folgende Gespräch, beide hätten auch so eines eingeworfen bekommen, seien entsetzt über diese abscheulichen Ausmaße der Massenproduktion von Fleisch, hätten sich das niemals so derbe bildhaft vorstellen können, argumentierten unter anderem, dass es dabei auch um die Gesundheit des Menschen gehe, der das medikamentenverseuchte Schlachtvieh ja aufgetischt bekomme, letzten Endes die Fließbandmaschinerie nichts als pervers sei und mit einer Verantwortung des Menschen gegenüber seiner Umwelt rein gar nichts mehr zu tun habe. Voll mit abgrundtiefem Schamgefühl wegen des toten Hühnerkadavers in meinem Kühlschrank gebe ich meinen Freunden nun vollkommen Recht und höre ihnen weiter zu, wie sie endlich Vernunft und damit ein sofortiges Stopp dieser Todesfließbänder fordern. Der Fortschritt der Menschheit sei der Rückschritt der Menschlichkeit, klagen sie lautstark an.
Dabei frage ich mich ernsthaft, ob so ein Moratorium tatsächlich die richtige Lösung wäre, in meinen Augen müssen die Maschinen weiterlaufen, weitertöten: Nur sollte man an Stelle von unschuldigen Tieren beginnen, Menschen auf die Bänder zu laden, Menschen, die dann vollautomatisch zersägt werden und deren Fleisch anschließend vakuumverschweißt zum Schnäppchenpreis im so genannten Discounter verhökert wird.
Versichert mir wer, dass kein einziger mehr übrig sein wird, bin ich zu gerne bereit freiwillig zuerst auf das todschwarze Förderband zu springen, freue ich mich sogar schon auf das Surren der Elektrosäge, die meinen Kopf mit einem kleinen Schnittchen in einen widerlich stinkenden Abfallbehälter plumsen lässt.
Erste Version:
(Im Prinzip besteht diese nur aus dem Inhalt des Flugblatts und dem Schlussappell, aber ich lasse sie hier dennoch drinnen, weil ich schon so viele Kommentare zu dieser bekommen habe. Ich hoffe, dass das so in Ordnung geht, @Moderatoren?)
Auf engsten Raum zusammengepfercht leben, nein, vegetieren, sie vor sich hin, massenweise, schätzungsweise zehntausend an der Zahl, essen hier, schlafen hier, verrichten hier ihre Notdurft; berechnet man die Fläche, die jeder zum freien Bewegen verfügt nach der Formel: „Gesamte Bodenfläche geteilt durch ihre Anzahl“, bleibt nicht einmal ein ganzer Quadratmeter über, aber sie kennen es nicht anders, gleich nach ihrer Geburt wurden sie hierher transportiert, kein Sonnenschein hat sich je in ihren Augen gespiegelt, nie haben ihre Lungen frische und freie Luft zu atmen bekommen, nie.
Große Neonröhren prangen an der Decke des Raumes, die tagtäglich zur gleichen Zeit am Morgen erleuchten, am Abend erlöschen, damit ihnen ein möglichst natürliches Leben vorgegaukelt wird; das Fressen, welches man ihnen vorsetzt, gentechnisch verändert, aber das ist heutzutage nichts Besonderes mehr, sie sollen wachsen, Fett ansetzen, gesund oder nicht spielt keine Rolle, nicht woanders, noch weniger hier. Fresst ihr armen Kreaturen, fresst!, die Stimme des Aufsehers hallt durch seine Kammer, von der aus er das gesamte Geschehen auf seinen Monitoren überwachen kann, sein Ton so makaber wie der der alten Hexe aus Hänsel und Gretel, mit dem Unterschied, dass seine armen Kreaturen ihren natürlichen Fressinstinkten folgen, geistig überhaupt nicht in der Lage sind, ihrer widerwärtigen Mästung durch Tricksereien vorzubeugen und vielleicht auch deswegen von ihm als arm tituliert werden.
Der Aufseher hat vor sich auf seinem Pult einen roten Knopf, den er dann drückt, wenn er glaubt, dass sie gewichtig genug seien, dass man sie durch die Türe schicken kann. Wenn sich die Türe dann öffnet, drängen alle durch sie hindurch, wieder ganz instinktiv, vermutlich um aus dem Raum zu flüchten, weil sie hinter der Türe die Freiheit, ein besseres Leben erwarten. Einer nach dem anderen plumpsen sie dann auf das Fließband, aufeinandergestapelt liegen sie da, ahnungslos, was mit ihnen geschieht, bis ihre Füße von Angestellten mit weißen Schutzhandschuhen an Haken befestigt werden, die Köpfe nach unten baumelnd, ihr Jammern ohrenbetäubend.
Es war der letzte menschliche Eingriff in diese Prozedur, anschließend läuft alles vollautomatisiert ab, die Kreaturen werden kurz betäubt, unmittelbar danach wird ihnen der Kopf abgetrennt, der Rest von Maschinen zersägt und als verzehrbare Häppchen verpackt mit Lastwagen abtransportiert, die gleichen Lastwagen, die sie damals gebracht haben.
Die Einkaufsliste in meiner Hand stehe ich nun vor dem Tiefkühlregal, das Fleisch lacht mich an, zumindest bilde ich es mir ein, die Werbung, ein lachendes Küken, wer bekommt da keinen Hunger auf Hühnchenfleisch? Ich greife zu, lege eine der gaumengerechten Packungen in meinen Einkaufswagen, fahre fort, den sicheren Gedanken innehaltend, am Abend ein glückliches Hühnchen zu verspeisen, das lachende Küken aus dem Supermarktprospekt, es war doch auch glücklich.
Linke Journalisten werden irgendwann schreiben und von der Gesellschaft als lästige Ökos Abgestempelte sich irgendwann versammeln, demonstrieren, vielleicht sogar politische Forderungen stellen, dass sie so etwas nicht essen möchten, dass der Mensch doch eine Verantwortung gegenüber der Erde und deren Lebewesen besitzt, solche Todesfließbänder nichts als pervers seien und unbedingt gestoppt werden müssen.
Dabei wäre ein Stopp der falsche Weg: Weiterlaufen, weitertöten müssen sie, nur sollte man an Stelle von unschuldigen Tieren beginnen, Menschen auf die Bänder zu laden, Menschen, die dann vollautomatisch zersägt werden und deren Fleisch anschließend vakuumverschweißt zum Schnäppchenpreis im so genannten Discounter verhökert wird. Versichert mir wer, dass kein einziger mehr übrig sein wird, bin ich zu gerne bereit freiwillig zuerst aufs Band zu springen, freue ich mich sogar schon auf das Surren der Elektrosäge, die meinen Kopf mit einem kleinen Schnittchen in einen widerlich stinkenden Abfallbehälter plumsen lässt.