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Das Geräusch des Donners während der Klospülung

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28.07.2005
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Das Geräusch des Donners während der Klospülung

Das Geräusch des Donners während einer Klospülung


Herr Moosbach klopfte an die Tür. In Kopfhöhe befand sich ein Schild. Auf dem stand: Chefzimmer Herr Fleischer. Dann öffnete er sie, blickte in Richtung des Schreibtisches, hinter dem sich eine dunkle Gestalt verbarg. Durch das Fenster konnte man es regnen und blitzen sehen. Dann bedeutete die dunkle Gestalt, dass er sich setzen solle, was er dann auch tat. Es war dunkel. Nur eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch erhellte das Zimmer.

Die dunkle Gestalt schob einen rosa Brief über den Tisch. Ein ernstes Gesicht schaute kurz aus der Dunkelheit, zog die Augenbrauen hoch und offenbarte: „Sie sind gekündigt. Fristlos! Verschwinden Sie!“

Die Tür öffnete sich. Eine schöne Frau begrüßte ihn: „Ah, Herr Moosbach, treten Sie ein.“
„Grüße Sie, Frau Schneider. Sie schauen blendend aus wie beim letzten Mal.“
Herr Moosbach sprach schnell weiter, ohne der Frau eine Chance zu geben, darauf zu antworten. „Ihr Vermögen. Ich hab eine Analyse erstellt. Gehen wir ins Wohnzimmer und schauen uns das an. Ich hätte gerne einen Kaffee. Dann kann ich es Ihnen besser erklären.“ Er lachte etwas verstörend. Sie ging in die Küche - sie hatte bereits einen vorbereitet.

„Hier ist Ihr Getränk.“ Moosbach hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und das ganze Spektrum seines Aktenkoffers auf dem kleinen Glastisch ausgebreitet. Sie platzierte den Kaffee auf ein kleines, freies Feld, das noch nicht von den Papierungetümen vereinnahmt wurde.
„Danke. Setzen Sie sich. Sehen Sie! Schmeißen Sie alle Geldanlagen aus dem Fenster.“
Frau Schneider stutzte. Sie stand noch. Dann setzte sie sich.
„Konzentrieren Sie sich auf Sachanlagen. Das ist der Markt der Zukunft. Die hohe Inflationsrate sorgt dafür – habe ich Ihnen bei meinem letzten Besuch erzählt -, dass Lebensversicherungen und das Geld auf Ihrem Sparbuch kaum Rendite erzielen. Öl, Gold, Kupfer und Solartechnik. Es geht darum, das Geld dort einzusetzen, wo es am besten für Sie arbeitet. Verstehen Sie?“
Sie nickte. „Ja. Was haben Sie jetzt konkret gemacht?“
„Ich habe natürlich ein Konzept ausgearbeitet, wie das Geld am besten für Sie arbeitet. Das ist das Beste, was ich für Sie finden konnte. Es ist für Sie maßgeschneidert.“
„Maßgeschneidert. Aha.“
Bei dem Begriff „Maßgeschneidert“ musste sie unvermittelt an das Hochzeitskleid ihrer Schwester denken. Es war ein so schönes Kleid. Würde sie auch mal irgendwann in ein weißes Traumkleid schlüpfen?
Herr Moosbach machte eine kurze Pause und trank den Kaffee komplett aus.
Er zeigte ihr die Einzelheiten, erklärte ihr Begriffe wie Risikostreuung und Portfolio, und welches Gesamtpaket er gewählt hatte, um Ihr Geld anzulegen.
Am Ende waren beide zufrieden. Herr Moosbach mit seiner Provision und Frau Schneider erinnerte sich an das Wort "Maßgeschneidert" und hatte einfach ein gutes Gefühl.

Die Tür öffnete sich. Eine alte Frau begrüßte ihn. „Grüß Gott, Herr Moosbach. Kommen Sie herein. Im Wohnzimmer habe ich bereits Kaffee und Kuchen hergerichtet.“
Herr Moosbach drängte sich in die Tür.
„Grüße Sie, Frau Weilmann. Seit wann ist Ihr Mann schon tot?“
Frau Weilmann war schon sehr alt und wenn sie jemals einen Mann hatte, dann konnte sich niemand mehr genau daran erinnern. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf ein Kanapee, welches gemütlich hinter einem Marmortisch aufgestellt war.
„Mein Mann starb vorgestern. Sein Kopf hat aufgehört zu schlagen.“
„Gut!“ Moosbach. Moosbach.
Er trank den Kaffee komplett aus.
„Wenden wir uns Ihrem Depot zu. Sterben Sie mir BITTE nicht dahin. Das würde ich nicht verkraften. Ihr Vermögen hat sich halbiert. Aber Sie haben noch genug Geld. Wenn Sie damit sparsam umgehen, können Sie damit bis zum 100. Geburtstag sorgenfrei leben.“
„Sehr gut.“ Torheit. Alter. „Dann komme ich ja noch gut zurecht.“ Die alte gebrechliche Stimme verriet Frohsinn.
„Dann ist ja alles geklärt.“
Ein flüchtiges „Tschüss“ hallte durch die Wohnung, blieb aber seitens Frau Weilmann unbeantwortet.
Herr Moosbach verschwand so wie er gekommen war.

Die Tür öffnete sich. Ein kleines Mädchen, etwas verschüchtert, gab sich zu erkennen: „Hallo. Meine Mama und mein Papa sind nicht da, und Oma ist gerade auf dem Klo.“ Große Augen hofften auf Milde.
„Hallo, das ist für deine Mama.“ Herr Moosbach reichte dem Kind einen Umschlag. Später sollte sich herausstellen, dass die darin enthaltenen Schriftstücke über das Vermögen der Familie richteten.
„Übergib das BITTE deiner Mama. Sag, das ist vom Herrn Moosbach.“
Das Kind nickte schüchtern und die großen Augen verschwanden wieder hinter der Eingangstür.

Die Straßen waren von Stille durchzogen. Es schien als hatte der Regen alles verbannt oder weit weit weggespült. Rentner, Geschäftsmänner, junge Frauen, die sonst immer das Straßenbild der Innenstadt prägten, waren verschwunden. Vereinzelte Autos unterbrachen die Szenerie. Der Regen nötigte zur Vorsicht – sie fuhren langsam.

Der rosa Umschlag lag auf dem Beifahrersitz. Draußen zogen die Bäume und Gebäude trüb und grau vorbei. Der Brief war rosa. Er wird auch immer rosa bleiben.
Blitze erhellten links und rechts ab und zu das trübe Bild - von der Stadt auf das Land.
Das Auto hielt an. Der Regen hatte sich bereits in die Löcher der Schotterstraße gesetzt und diese komplett ausgefüllt.

Herr Moosbach stieg aus und deckte mit dem Mantel seinen Körper ab. Dann eilte er in sein Haus - der rosa Brief blieb liegen.

Er warf den Mantel in die Ecke und suchte die Toilette auf.
Es war ihm alles bewusst. Bewusster als vor einer Stunde bei der dunklen Gestalt. Er wurde entlassen. Nichtsnutzig. Alles falsch gemacht oder war es Pech? Er hielt sich nicht an die Vorgaben. Er probierte etwas aus. Er versuchte sich von der Masse abzuheben. Dafür war dieser Beruf nicht gemacht. Und nun hatte er diesen rosa Brief erhalten. Nun hat man ihn einfach abgeschoben, wie einen verbrauchten Reifen den Berg hinunter gerollt.

Er saß auf dem Klo. Das kleine Fenster eröffnete einen weiten Blick ins trübe Tal. Graue Wolken warfen Blitze auf das weite Land. Und er drückte die Klospülung. Blitz und Donner fielen in das Alltagsgeräusch hinein. Diesmal hatte es der Donner überstimmt, das Geräusch des Alltags. Aber es war noch da, wenngleich leise. Und zusammen mit dem Blitz war es eingängig. Irgendwann war es eingängiger als ein rosa Brief.

 

Hallo Mantox,

die Geschichte hat was. Ein Mann wird arbeitslos, macht aber verbissen weiter, als wäre nichts geschehen, bis er sich am Ende entleert, mit einem Donner, dem großen Paukenschlag des Nicht-Beeinflussbaren. Die Stimmung kommt gut rüber, und im großen und ganzen verstehe ich wohl, was du da treibst.

Gut war, dass du am Ende noch einmal darauf hingewiesen hast, all dies spiele sich an einem einzigen Tag ab. Denn zunächst war mein Lesegefühl, Moosbach habe nach seiner Entlassung einen neuen Job angenommen oder sich selbstständig gemacht. Die zeitliche Nähe war da noch nicht klar.

Warum du so einen Wert darauf legst zu betonen, er würde seinen Kaffee komplett austrinken, hat sich mir jedoch nicht erschlossen. Du betonst ja extra durch die Kursivstellung (was ich ohnehin für ein wenig probates Mittel halte). Um so bedauerlicher, dass mir nicht klar wurde, was du nun damit sagen wolltest.

Ein paar Dinge sind mir aufgefallen:

Trotzdem strömte aus dem Fenster eine finstere Tristesse.
Das Bild scheint mir verunglückt. Die Stimmung ist trist, ohne Frage. Aber kann Tristesse strömen? Noch dazu aus dem Fenster?

Frau Schneider hatte ein paar Jahre später ihr Vermögen verdoppelt.
Ein witziger Einschub, der allerdings den Zeitrahmen der Geschichte sprengt und somit arg auktorial rüber kommt. Im Grunde gibt es keinen Grund, hier aus der Erzählebene auszubrechen. Würde ich weglassen.

„Ist ja super.“ Torheit. Alter. „Dann komme ich ja noch gut zurecht.“
Kennst du eine alte gebrechliche Frau, die den Satz "Ist ja super" in den Mund nehmen würde?

Ein flüchtiges „Tschüss“ hallte durch die Wohnung, blieb aber seitens Frau Weilmann unbeantwortet (ungehört).
Du liest gerade Stephen King? Diese Art der Klammersetzung scheint mir eine Marotte von ihm zu sein. Wenn das "ungehört" als Erklärung dienen soll, würde ich umformulieren: "...unbeantwortet, weil ungehört". Oder so. Denn eigentlich sind solche Erklärungen in Klammern kein belletristisches Stilmittel.

Rentner, Geschäftsmänner, junge Frauen, die sonst immer das Straßenbild der Innenstadt prägten, waren verschwunden.
Böser Satz. Du lässt im Kopf des Lesers Bilder entstehen, um ihm dann, am Satzende, mitzuteilen: all das gibt es gar nicht. Das verstößt eindeutig gegen die Regeln des Kopfkinos. Besser wäre es, ein Bild der leeren Straßen zu zeichnen. Denn das willst du ja mit dem Satz eigentlich vermitteln.

Der Regen hatte sich bereits in Form von Pfützen in die Löcher der Schotterstraße gesetzt.
Da stellt sich mir doch die Frage: in welcher Form denn sonst? Bzw.: ist "Pfütze" eine Form?

So weit erst einmal. Alles in allem: ich habe die Geschichte gern gelesen, kam gut in die Stimmung hinein und ein paar der Bilder werden sicher eine Weile hängen bleiben.

Herzliche Grüße,
Ennka

 
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Vielen Dank

Hallo Ennka,

vielen Dank dafür, dass du dir die Mühe gemacht hast, meine Geschichte zu bewerten. Ich habe die meisten Dinge, die dir aufgefallen sind, verbessert.

Wegen Komplett ausgetrunken:
Ich habe das als Metapher eingebaut, die die Manieren von Herrn Moosbach zeigen sollen. Einfach so einen Kaffee komplett austrinken.

So weit erst einmal. Alles in allem: ich habe die Geschichte gern gelesen, kam gut in die Stimmung hinein und ein paar der Bilder werden sicher eine Weile hängen bleiben.

Das hat mich am meisten gefreut. Vielen Dank.

MfG Mantox

 

Hallo Mantox,

Deine Geschichte ist interessant. Die Atmosphäre und Thematik erinnern mich an "Tod eines Handlungsreisenden" und irgendwie an "Psycho", ich weiß auch nicht warum. Aber das mit den Zeitebenen habe ich auf Anhieb nicht vestanden, ich dachte, die ganzen Einschübe sind Rückblenden oder eine Parallelwelt oder Ähnliches. Liegt vielleicht an mir.
Mich würde es auch interessieren, warum Herr Moosbach gekündigt worden ist, er scheint seinen Job doch gewissenhaft auszuführen. Vielleicht kann man das irgendwie andeuten, wenn es passt.
Ansonsten prima!

lg, catlucy

 

Guten Abend, Mantox!

Die Geschichte hat mir sehr gefallen. Ich mag, wie Du so behutsam und eindringlich Stimmungen machst. Man gerät einfach so rein, und dann wird man getragen wie von einem ruhigen Wasser.
Vielleicht ist das so, weil Du mit Liebe schreibst. Das dachte ich schon bei der Eis-und-Sonne-Geschichte. Diese ist ebenso warm, stilistisch aber besser und gewürzt mit subtilem Humor. Zum Beispiel das hier!

„Mein Mann starb vorgestern. Sein Kopf hat aufgehört zu schlagen.“
„Gut!“ Moosbach. Moosbach.
Klasse.

Hier fehlt das Komma:

Grüße Sie, Frau Weilmann.

Günter Grass, den ich meistens nicht leiden kann, schrub mal ein Gedicht übers Kacken, das endet irgendwie so: Raus, alles raus. Was riecht, bin ich. Jetzt weinen können.
Das fiel mir ein, als der arme Held da so auf dem Klo saß.
Den Schluß von Deiner Geschichte finde ich perfekt, bis auf das fehlende Leerzeichen hier:
überstimmt,das Geräusch

Ähm. Und das Komma im Titel würde ich wegmachen. Dann kriegt der Titel mehr Fazumm.

Liebe Grüße!
Makita.

 

1. Danke ++ 2. Danke

Hallo catlucy,

vielen Dank für das Lesen der Geschichte. "Tod eines Handlungsreisenden" kenne ich nicht, aber vielleicht hat "Psycho" unbewusst mitgespielt - bin beim "ZAPPE(L)N" daran manchmal hängen geblieben. Die Einschübe von der alten Frau, Frau mittleren Alters und dem kleinen Mädchen sind Rückblenden.
Ich wollte damit auch den Entlassungsgrund andeuten und habe es für nicht passend empfunden alles eindeutig zu machen. Das nimmt der Geschichte, glaube ich, ein wenig den Charakter und die Glaubwürdigkeit und so (ein Gefühl).
Ich habe es ein wenig subtil gehalten. Von reich (Frau mittleren Alters) auf arm (alte Frau) und nochmal arm (Familie des kleinen Mädchens, mit dem Wort richteten angedeutet (Richter))

Am meisten freut man sich über ein Lob wie "Prima". Danke

MfG Mantox


Hallo Makita,

Die Geschichte hat mir sehr gefallen. Ich mag, wie Du so behutsam und eindringlich Stimmungen machst. Man gerät einfach so rein, und dann wird man getragen wie von einem ruhigen Wasser.
Vielleicht ist das so, weil Du mit Liebe schreibst. Das dachte ich schon bei der Eis-und-Sonne-Geschichte. Diese ist ebenso warm, stilistisch aber besser und gewürzt mit subtilem Humor.

Das ist das schönste Lob, das ich bisher bekommen habe.

Ich habe die Fehler, die dir aufgefallen sind, ausgebessert und bin einfach glücklich.

Günter Grass, den ich meistens nicht leiden kann, schrub mal ein Gedicht übers Kacken, das endet irgendwie so: Raus, alles raus. Was riecht, bin ich. Jetzt weinen können.
Das fiel mir ein, als der arme Held da so auf dem Klo saß.
Den Schluß von Deiner Geschichte finde ich perfekt,

Glaube solche Bücher werde ich wie "Feuchtgebiete" herunterspülen. Oder vielleicht doch nicht. Ich bin gerade etwas kakaesk berührt.

MfG Mantox

 

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