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Das Geräusch des Donners während der Klospülung
Das Geräusch des Donners während einer Klospülung
Herr Moosbach klopfte an die Tür. In Kopfhöhe befand sich ein Schild. Auf dem stand: Chefzimmer Herr Fleischer. Dann öffnete er sie, blickte in Richtung des Schreibtisches, hinter dem sich eine dunkle Gestalt verbarg. Durch das Fenster konnte man es regnen und blitzen sehen. Dann bedeutete die dunkle Gestalt, dass er sich setzen solle, was er dann auch tat. Es war dunkel. Nur eine kleine Lampe auf dem Schreibtisch erhellte das Zimmer.
Die dunkle Gestalt schob einen rosa Brief über den Tisch. Ein ernstes Gesicht schaute kurz aus der Dunkelheit, zog die Augenbrauen hoch und offenbarte: „Sie sind gekündigt. Fristlos! Verschwinden Sie!“
Die Tür öffnete sich. Eine schöne Frau begrüßte ihn: „Ah, Herr Moosbach, treten Sie ein.“
„Grüße Sie, Frau Schneider. Sie schauen blendend aus wie beim letzten Mal.“
Herr Moosbach sprach schnell weiter, ohne der Frau eine Chance zu geben, darauf zu antworten. „Ihr Vermögen. Ich hab eine Analyse erstellt. Gehen wir ins Wohnzimmer und schauen uns das an. Ich hätte gerne einen Kaffee. Dann kann ich es Ihnen besser erklären.“ Er lachte etwas verstörend. Sie ging in die Küche - sie hatte bereits einen vorbereitet.
„Hier ist Ihr Getränk.“ Moosbach hatte es sich auf der Couch bequem gemacht und das ganze Spektrum seines Aktenkoffers auf dem kleinen Glastisch ausgebreitet. Sie platzierte den Kaffee auf ein kleines, freies Feld, das noch nicht von den Papierungetümen vereinnahmt wurde.
„Danke. Setzen Sie sich. Sehen Sie! Schmeißen Sie alle Geldanlagen aus dem Fenster.“
Frau Schneider stutzte. Sie stand noch. Dann setzte sie sich.
„Konzentrieren Sie sich auf Sachanlagen. Das ist der Markt der Zukunft. Die hohe Inflationsrate sorgt dafür – habe ich Ihnen bei meinem letzten Besuch erzählt -, dass Lebensversicherungen und das Geld auf Ihrem Sparbuch kaum Rendite erzielen. Öl, Gold, Kupfer und Solartechnik. Es geht darum, das Geld dort einzusetzen, wo es am besten für Sie arbeitet. Verstehen Sie?“
Sie nickte. „Ja. Was haben Sie jetzt konkret gemacht?“
„Ich habe natürlich ein Konzept ausgearbeitet, wie das Geld am besten für Sie arbeitet. Das ist das Beste, was ich für Sie finden konnte. Es ist für Sie maßgeschneidert.“
„Maßgeschneidert. Aha.“
Bei dem Begriff „Maßgeschneidert“ musste sie unvermittelt an das Hochzeitskleid ihrer Schwester denken. Es war ein so schönes Kleid. Würde sie auch mal irgendwann in ein weißes Traumkleid schlüpfen?
Herr Moosbach machte eine kurze Pause und trank den Kaffee komplett aus.
Er zeigte ihr die Einzelheiten, erklärte ihr Begriffe wie Risikostreuung und Portfolio, und welches Gesamtpaket er gewählt hatte, um Ihr Geld anzulegen.
Am Ende waren beide zufrieden. Herr Moosbach mit seiner Provision und Frau Schneider erinnerte sich an das Wort "Maßgeschneidert" und hatte einfach ein gutes Gefühl.
Die Tür öffnete sich. Eine alte Frau begrüßte ihn. „Grüß Gott, Herr Moosbach. Kommen Sie herein. Im Wohnzimmer habe ich bereits Kaffee und Kuchen hergerichtet.“
Herr Moosbach drängte sich in die Tür.
„Grüße Sie, Frau Weilmann. Seit wann ist Ihr Mann schon tot?“
Frau Weilmann war schon sehr alt und wenn sie jemals einen Mann hatte, dann konnte sich niemand mehr genau daran erinnern. Sie gingen ins Wohnzimmer und setzten sich auf ein Kanapee, welches gemütlich hinter einem Marmortisch aufgestellt war.
„Mein Mann starb vorgestern. Sein Kopf hat aufgehört zu schlagen.“
„Gut!“ Moosbach. Moosbach.
Er trank den Kaffee komplett aus.
„Wenden wir uns Ihrem Depot zu. Sterben Sie mir BITTE nicht dahin. Das würde ich nicht verkraften. Ihr Vermögen hat sich halbiert. Aber Sie haben noch genug Geld. Wenn Sie damit sparsam umgehen, können Sie damit bis zum 100. Geburtstag sorgenfrei leben.“
„Sehr gut.“ Torheit. Alter. „Dann komme ich ja noch gut zurecht.“ Die alte gebrechliche Stimme verriet Frohsinn.
„Dann ist ja alles geklärt.“
Ein flüchtiges „Tschüss“ hallte durch die Wohnung, blieb aber seitens Frau Weilmann unbeantwortet.
Herr Moosbach verschwand so wie er gekommen war.
Die Tür öffnete sich. Ein kleines Mädchen, etwas verschüchtert, gab sich zu erkennen: „Hallo. Meine Mama und mein Papa sind nicht da, und Oma ist gerade auf dem Klo.“ Große Augen hofften auf Milde.
„Hallo, das ist für deine Mama.“ Herr Moosbach reichte dem Kind einen Umschlag. Später sollte sich herausstellen, dass die darin enthaltenen Schriftstücke über das Vermögen der Familie richteten.
„Übergib das BITTE deiner Mama. Sag, das ist vom Herrn Moosbach.“
Das Kind nickte schüchtern und die großen Augen verschwanden wieder hinter der Eingangstür.
Die Straßen waren von Stille durchzogen. Es schien als hatte der Regen alles verbannt oder weit weit weggespült. Rentner, Geschäftsmänner, junge Frauen, die sonst immer das Straßenbild der Innenstadt prägten, waren verschwunden. Vereinzelte Autos unterbrachen die Szenerie. Der Regen nötigte zur Vorsicht – sie fuhren langsam.
Der rosa Umschlag lag auf dem Beifahrersitz. Draußen zogen die Bäume und Gebäude trüb und grau vorbei. Der Brief war rosa. Er wird auch immer rosa bleiben.
Blitze erhellten links und rechts ab und zu das trübe Bild - von der Stadt auf das Land.
Das Auto hielt an. Der Regen hatte sich bereits in die Löcher der Schotterstraße gesetzt und diese komplett ausgefüllt.
Herr Moosbach stieg aus und deckte mit dem Mantel seinen Körper ab. Dann eilte er in sein Haus - der rosa Brief blieb liegen.
Er warf den Mantel in die Ecke und suchte die Toilette auf.
Es war ihm alles bewusst. Bewusster als vor einer Stunde bei der dunklen Gestalt. Er wurde entlassen. Nichtsnutzig. Alles falsch gemacht oder war es Pech? Er hielt sich nicht an die Vorgaben. Er probierte etwas aus. Er versuchte sich von der Masse abzuheben. Dafür war dieser Beruf nicht gemacht. Und nun hatte er diesen rosa Brief erhalten. Nun hat man ihn einfach abgeschoben, wie einen verbrauchten Reifen den Berg hinunter gerollt.
Er saß auf dem Klo. Das kleine Fenster eröffnete einen weiten Blick ins trübe Tal. Graue Wolken warfen Blitze auf das weite Land. Und er drückte die Klospülung. Blitz und Donner fielen in das Alltagsgeräusch hinein. Diesmal hatte es der Donner überstimmt, das Geräusch des Alltags. Aber es war noch da, wenngleich leise. Und zusammen mit dem Blitz war es eingängig. Irgendwann war es eingängiger als ein rosa Brief.