- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 10
Das Glück und die Anderen
An diesem Tag griff ich ein großes Stück Leben heraus. Zäh war es und ließ sich nur schwer herausziehen. Kraft ging dabei drauf, Anstrengung war nötig. Als ich es schließlich in der Hand hielt bewegte es sich nicht mehr. Kein Mucks, Zucken oder Sonstiges. Bewegungslos.
Dieser Tag, ein Tag wie ein Leben. Mein Leben…
Die Anderen sind glücklich. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sie zu ihren Autos gehen, auf Fahrräder steigen, die Türen schließen sehe, weiß ich es. Sie sind es. Ist lange her, dass ich dachte auch so fühlen zu können. Jetzt schiebe ich den grauen Schleier meiner Gardinen zwischen mich und die Anderen. Hoffe sie sehen mich nicht, wie ich sie verstohlen beobachte.
Ich bin Banker. Ein letzter prüfender Griff an die Krawatte. Sie sitzt. Ich sehe gut aus, so viel wie ich für mich tue, muss ich gut aussehen. Ich bin mir da sicher, mit Sicherheit unsicher.
Das Gehalt ist nicht schlecht, es könnte besser sein. Wie jeden Morgen freue ich mich auf den Abend und hoffe auf… jedenfalls keine Langeweile. Ich trete aus der Tür und wähle die Schritte mit Bedacht. Es hat geregnet, die Steinplatten glänzen. Nur nicht die Schuhe schmutzig machen, denke ich und trete an die Garage. Der Schlüssel kratzt am Schloss, doch ich ziehe zurück. Ich drehe mich um und betrachte meine Umgebung. Verträumt wandert mein Blick, verharrt starr.
Auf der anderen Straßenseite tritt mein Nachbar aus dem Haus. Er sieht müde aus, der graue Schleier der Nacht liegt über seinen Lachfalten. Gott wäre ich gerne so müde. Er beugt sich zu seiner Frau und nimmt das kleine rosa Bündel entgegen. Nie hätte ich gedacht, grau könne so glänzen. Glück, Lebensglück ist wohl das richtige Wort.
Wenn ich nachts in mein Bett falle, denke ich darüber nach, bei welchem Bier ich hätte aufhören sollen. Frage mich, wann der beste Zeitpunkt ist die neue Frau anzurufen. Ob mein Kumpel die Eine wohl ins Bett bekommen hat? Ich erinnere mich an das graue Glänzen und weiß, es fehlt. Der Nachbar hat es.
Ich bin Familienvater, mehr nicht. Morgens vermeide ich im Allgemeinen den Blick in den Spiegel. Über den Kaffee gebeugt, hoffe ich. Ihn hinunterstürzend, verzweifle ich. Geschirr klappert. Sie bereitet Frühstück und weiß doch, dass ich keine Zeit haben werde. Sie hofft jeden Morgen, ich fühle es. Ich hoffe, wir hoffen aneinander vorbei. Früher liebten wir einander, jetzt lieben wir das Kind.
Abends wenn wir im Bett liegen und mir die Augen zufallen, wünscht sie sich, sie könne mir die Augen öffnen. Doch ich bin müde, kann meine Augen nicht weiter aufhalten. So stehe ich auf, wir kümmern uns um das Kind und ich gehe aus dem Haus. So gehört es sich, noch einmal reicht sie mir das Kind, dann fällt die Haustür zu.
Gegenüber tritt mein Nachbar aus dem Haus, jung, so alt wie ich. Erfolgreich, dynamisch, beliebt. So wie ich, wenn ich träume. Er wirkt ausgeschlafen, die Tatkraft blitzt förmlich aus seinen Augen. Der Mann muss glücklich sein. Keine Verantwortung, frei. Neidisch betrachte ich seinen Krawattenknoten.
Ich bin Künstler, denke ich. Ich schreibe nicht gerne, deswegen halte ich mich kurz. Kurze Sätze, viel Eigenverantwortung, Verständnis. So sieht es auch die Frau, die sich gerade meine Freundin nennt. Sie bewundert mich, macht mir Kaffee mit Toilettenpapier als Filtertütenersatz. So schmeckt er auch. Für mehr reicht das Geld nicht, doch wozu braucht man Geld, wenn man die Kunst hat.
Als Schriftsteller fliegen mir die Worte nur so zu, doch ich bin ein schlechter Fänger. Eigentlich hat es mir einmal Spaß gemacht. Die Frau die gerade bei mir wohnt, sagt ich würde mein Lebenswerk erschaffen. Das Urteil ist Lebenslänglich, Lebenswerk.
Morgens riecht es nach Schweiß und kaltem Zigarettenrauch. Ich bin froh, dass sie noch schläft. Als ich ans Fenster trete, sehe ich die Nachbarn aus ihren Häusern treten. Es macht sich das Gefühl in mir breit etwas verpasst zu haben. Ich wollte nichts verpassen, das Leben in vollen Zügen genießen und habe das richtige Leben nicht einmal gesehen.
Sie haben es, wissen die Liebe und Wärme eines Kindes zu schätzen, fühlen sich geborgen in den Armen einer Frau. Sie wissen wie sündhaft teurer Hummer schmeckt und vermutlich wie türkises Wasser im Pazifik aussieht. Die Anderen sind sicher, die Anderen sind glücklich.
Manchmal denke ich, ich bin jeder von Ihnen. Wäre es ein Unterschied? Wenn ich die Gardinen wieder zusammenschiebe, streiten sie sich, trinken, schlagen und weinen einsam. Doch das sehe ich nicht.