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Das Gold der Schwarzmagier
„Ich werde dir kein Glück wünschen“, sagt sie. „Glück ist für die Dummen.“
Sulad nickt, nimmt die Bemerkung als das Kompliment, als das es gemeint war. Er trägt Handschuhe, fällt ihr auf, als er die Türklinke herunterdrückt. Natürlich tut er das.
Sie sieht, wie ihr ehemaliger Meister einige Herzschläge lang zögert und zu ihr blickt. Die Eiselfe steht hinter ihm, als das, was er aus ihr gemacht hat, eine Maga der Cabale. Ausgebildet in schwarzer Magie, groß, aufrecht, die Schultern zurück und das Kinn erhoben. Stolz? Nein, denn Stolz ist für Krieger, aber für einen Moment glaubt sie, in seinen Augen einen Funken davon erkennen zu können.
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"Schau nicht immer auf deine Füße! Du bist eine Adeptin der Cabala Serpentis - also verhalte dich entsprechend!"
"Ja, Meister", haucht sie.
"Sieh mich an."
Zögernd hebt die Adeptin ihren Blick. Ihre wasserhellen Augen treffen auf seine dunklen. Er starrt sie an, bis sie wieder zu Boden sieht.
Das nächste, woran sie sich erinnert, sind die Schmerzen. Als sie sich wieder aufrappeln kann, blickt ihr Meister sie streng an.
"Gehorche mir", sagt er. "Gehorche oder trage die Konsequenzen."
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Abrupt dreht er sich um und geht durch die Tür; mit einem schweren, metallischen Geräusch fällt sie hinter ihm ins Schloss. Er hat den Raum der Prüfung betreten.
Serpentigena steht im Keller des Cabalshauses unter einer Fackel, eine bleiche Gestalt in weißen Roben, die behandschuhten Hände vor dem Körper gefaltet. Es ist unüblich, dass ehemalige Adepten das tun. Man wird es bemerken und sich vermutlich darüber wundern. Aber sie wartet.
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Sie begegnet den Schlangen das erste Mal, als eine von ihnen ihr plötzlich aus einem Pergamentstapel entgegenkriecht. Der Schreck raubt ihr beinahe den Atem, sie springt zurück, ist zu perplex, um angemessen zu reagieren. Mit der Hüfte stößt sie gegen einen Stuhl, der polternd zu Boden stürzt.
Die Schlange hat die Zunge ausgefahren, starrt sie an, ohne zu blinzeln. Sie sieht auf ihre Schuhe, weiß, das wird ihr nichts helfen, sieht wieder die Schlange an.
Erst dann bemerkt sie das Siegel, das von den Schuppen des Tiers gebildet wird. Es ist dasselbe Zeichen, das auf ihrem Unterarm prangt, durch Magie unauslöschlich ins Fleisch gebrannt.
"Sie wird dir nichts tun, Serpentigena", hört sie die Stimme ihres Meisters. "Schlangenbrut. Warum fürchtest du dich vor deinesgleichen?"
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Raschelnd kriechen die Schlangen um ihre Füße, winden sich an ihren Beinen empor. Unter ihren Roben schlängeln sich die Kreaturen an ihr hoch, suchen warme Stellen an ihrem Körper. Die Eiselfe wird sie enttäuschen, das wissen sie, aber selbst das bisschen Wärme, das der Körper der Maga aus den Schneewüsten des Nordens ausstrahlt, ist besser als der kalte Steinfußboden.
Ihr Meister – nein, Sulad ist nicht mehr ihr Meister, muss sie sich in Gedanken verbessern, ihr ehemaliger Meister... noch haben sie denselben Status inne. Bis er den Raum wieder verlässt, so oder so.
In einem Cabalshaus ist der Rang von Bedeutung, auf den staubigen Straßen und in den rumpelnden Postkutschen der Welt da draußen nicht. Ihre Zeit als Schülerin ist nun beendet, die Zeit des Lernens ist nie vorbei. Für sie selbst hat sich nichts verändert, nur die Geringschätzigkeit, mit der viele Magi – viele ihrer Gleichgestellten - die Adepten behandeln, ist verschwunden, denn sie hat diesen Rang erlebt und damit bewiesen, dass sie ihn verdient hat.
Und jetzt wird Sulad geprüft. Er wird den Raum der Prüfung entweder als Erzmagus oder als Leiche verlassen. Das hängt von seinen Fähigkeiten ab.
Unter den Adepten einer jeden Cabale gibt es einige Witze, die nur so lange lustig sind, wie man selbst zu ihnen zählt. Die meisten von ihnen drehen sich darum, dass der Magus ohne seinen Adepten nicht einmal... und dann folgt eine Pointe. Unter Adepten gehört es zum guten Ton, seinen Magus gering zu schätzen und ihn für einen Idioten zu halten. Manchmal stimmt das auch. Aber sobald Adepten zu Magi werden, glauben ihre Lehrlinge dasselbe von ihnen.
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Serpentigena zieht ein Pentagramm aus Knochenmehl. Sie hat ihre Roben in den Gürtel gesteckt, damit sie die Linien nicht verwischen. Sie wird noch Feuerschalen aufstellen müssen, damit in diesem Raum gearbeitet werden kann. Hier werden gefährliche Kreaturen gerufen. Es ist wichtig, dass die Linien keine Lücke aufweisen.
"Mein Meister hat neulich allen Ernstes seinen Zauberstab in der Bibliothek vergessen", erzählt ihr der dunkelhäutige Adept im Plauderton. "Wenn der jemand anderem in die Hände gefallen wäre! Nicht auszudenken ... aber zum Glück gibt es ja uns. Ohne uns könnten die sich noch nicht einmal die Schuhe zubinden!"
"Mein Meister hat mir befohlen, dieses Pentagramm fertig zu machen", erwidert Serpentigena kalt. "Genau wie der deine dir. Also arbeite." Das bringt ihr Gegenüber zum Schweigen.
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Sulad hat ihr letzten Endes mit Bestrafung gedroht, wenn sie sich nicht endlich für eine Magusarbeit - und die damit einhergehende Beförderung - bewerben würde. Die Zeit als Schülerin hat ihr gefallen, denn ein Adept steht stets im Schatten seines Magus und wird von niemandem für eine Bedrohung gehalten oder auch nur beachtet, es sei denn, es stehen unangenehme Aufgaben an. Sie hat sich lange gesträubt, denn nach den Maßstäben ihres Volkes ist sie noch sehr jung und glaubt, noch genug Zeit zu haben. Aber das Volk der Menschen ist schnelllebig und ein Adept muss seinem Meister gehorchen, und so steht sie hier, als Maga. Es fühlt sich noch immer ungewohnt an. Sie denkt nicht, dass sie sich in letzter Zeit verändert hat, hat keinen Schwund ihrer intellektuellen Fähigkeiten festgestellt und über ihre eigenen Füße stolpert sie auch nicht, trotz der Tatsache, dass sie jetzt dieses intelligente Menschenmädchen als eigene Schülerin angenommen hat. Maga Serpentigena kann immer noch... und hier kommt die Pointe.
Ihre Schülerin ist zu klug, um auf sie herabzusehen, jedenfalls glaubt sie das. Aber wahrscheinlich denken das alle Magi von ihren Adepten. Sie selbst hat all das nie getan. Sie weiß, dass sie die Magie besser beherrscht als ihr Meister. Sie hält Sulad nicht für unfähig, nur für unbegabt, wie alle Menschen. Dazu kommt, dass sie sich den Studien der Magie so hingeben konnte wie sie es gewollt hat, anstatt die Qualifikationen für den hochtrabenden Rang eines Erzmagus erfüllen zu müssen.
Die Prüfung selbst ist jedes Mal verschieden, je nachdem, wie hoch der Prüfling in der Gunst des Rates steht oder wer für ihn spricht. In der Cabala wird mit Gefallen bezahlt, aber da sie und Sulad im Auftrag des Rates die Welt bereisen sind sie arm, denn sie haben wenig Zeit dafür, diese Währung anzuhäufen. Serpentigena hat immer noch Schulden bei ihrem früheren Meister, und der Gedanke daran, dass er sie zurückfordern könnte, bereitet ihr Unbehagen.
Auf der einen Seite glaubt sie, dass er zu nützlich für den Rat ist, um während der Zeremonie den Dämonen zum Fraß vorgeworfen zu werden. Auf der anderen Seite: vielleicht denkt man, dass sie seine Aufgaben übernehmen könnte, vielleicht hat er sich die falschen Leute zum Feind gemacht, vielleicht ist er entbehrlich geworden? Das Schlangennest ruht nie, die Intrigen werden zu jeder Tages- und Nachtzeit gesponnen. Wenn ein einflussreiches Mitglied der Cabal es wünscht, dann wird der Mensch diesen Raum nicht lebend verlassen, und ihr bleibt nichts übrig, als zu beten, dass das nicht so ist, und dass Sulads Fähigkeiten ausreichen, um sich dem zu stellen, was der Rat als eine angemessene Herausforderung für einen künftigen Erzmagus erachtet.
Hoffentlich hatten die Magister einen guten Tag. Sie braucht ihn noch.
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Eines Tages gibt es plötzlich einen neuen Procurator Domo. Der alte hatte einen tragischen Unfall, heißt es. Der neue Amtsinhaber ist schon seit einigen Jahrzehnten tot. Das hindert ihn aber nicht daran, sich mit anderen um den Posten zu streiten.
"Was wollen sie nur alle mit den klangvollen Titeln?", fragt Sulad. Es ist eine rhetorische Frage.
"Nur die besten sterben jung", erwidert Serpentigena ebenso leise wie ironisch, während der Champion der Cabale vorbeistolziert, dem sein Titel gerade frisch verliehen worden ist. Seine Augen sprühen von seiner magischen Energie, er trägt Artefakte mit sich herum und hat sich allen Ernstes einen spitzen Hut aufgesetzt. Am nächsten Tag wird er an die Front kommandiert, um den Truppen im Krieg zu helfen. Er kommt nie wieder.
Serpentigena wird überleben, wenn alle anderen sterben - an Lebensmittelvergiftung oder Größenwahn. Bei der Ernennung des nächsten Champions der Cabale steht sie hinter ihrem Meister und applaudiert höflich.
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Serpentigena schuldet dem Menschen alles, was sie ist. Er war es, der ihr eine Heimat und eine Zukunft gegeben hat, der sie in die Reihen der Cabal aufgenommen hat als seine Schülerin. Dieses Darlehen an Gefallen muss sie zurückzahlen oder den Gläubiger töten, aber das möchte sie gar nicht. Sulad hat ihr damals erzählt, wie er seinen Lehrmeister entsorgt und dessen Position eingenommen hat. So dumm ist die Eiselfe nicht. Einen Magus zu töten ist ein unnötiges Risiko. Wenn sie seine Position wirklich wollte, würde sie warten, bis er von selbst stirbt, aber nicht einmal das möchte sie. Sie steht in der zweiten Reihe, hinter ihm, eine blasse Gestalt in weißen Roben, hübsch anzusehen – sie achtet darauf –, still und immer unterschätzt. Man hält sie oft für das kleine Spielzeug des Menschen. Ihr ist es sehr recht so.
Sulad ist so nützlich für sie wie sie für ihn. Jeder andere, das haben sie auf ihren gemeinsamen Reisen festgestellt, ist entbehrlicher. Sie reisen seit Jahren zusammen und sind ein eingespieltes Team. Er wäre der letzte, den sie opfern würde, um ihr eigenes Leben zu retten, und andersherum ist es genauso. Aber sie beide wissen, dass es dazu käme, wenn es nötig würde. Ihre Lippen zucken leicht. Unter Schwarzmagiern kommt das einem Liebesgeständnis gleich.
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Als der Dämon urplötzlich vor ihnen steht, reagieren sie beide synchron: Die eine Hand greift nach dem Anderen, die zweite Hand stößt den Priester nach vorn. Der Blick der gehörnten, geflügelten Kreatur fällt auf zwei demütig kniende Schwarzmagier und den Diener einer feindlichen Gottheit. Der Meister und die Adeptin wechseln einen Blick, bevor sie wieder ihre Schuhspitzen fixieren. Serpentigenas weiße Roben weisen anschließend rote Flecken auf, und sie verbringt den ganzen Abend mit der Reinigung.
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Als etwas Schweres von innen gegen die Tür poltert, schreckt sie aus ihren Gedanken hoch. Die Schlangen regen sich zischelnd. Adrenalin rauscht durch ihre Adern, schärft jeden ihrer Sinne, macht sie kampfbereit. Ihre Verbindung zu den Sphären ist weit offen, wenn irgendetwas Gefährliches aus dieser Tür tritt, wird es sie nicht überraschen.
Aber es bleibt still.
Zögernd hebt sie einen Fuß, macht einen kleinen Schritt vorwärts. Vom langen Stehen sind ihre Beine steif geworden. Was ist es? Sollte sie die Tür verriegeln? Vielleicht hat Sulad versagt, und seine Aufgabe kommt jetzt, um sie zu holen?
Auf leisen Sohlen nähert sie sich der Tür. Es ist ganz still.
Soll sie sie öffnen? Was, wenn es Sulad ist? Wenn er verletzt ist und sich nicht selbst zu helfen weiß?
Sie drückt die Klinke herunter, und die Tür schwingt nach außen auf. Der Mensch hat es noch bis zur Schwelle geschafft, dann ist er zusammengebrochen. Sie geht neben ihm auf die Knie, zieht in zu sich, zieht seinen Kopf in ihren Schoß. Rot besudelt das makellose Weiß ihrer Roben. Sein schwarzes Gewand ist zerfetzt, sein Rücken eine offene Wunde. Vorsichtig versucht sie, ihn etwas herumzudrehen. Er stöhnt leise.
Riesige blutige Krallenspuren ziehen sich über sein Gesicht. Ein Auge ist zugeschwollen. Der Erzmagus Sulad ist kaum bei Bewusstsein.
Vorsichtig lässt sie ihn auf den Fußboden gleiten, erhebt sich geschmeidig und eilt die Kellertreppe hinauf. Es erregt einige Aufmerksamkeit, denn eine blutbeschmierte Maga Serpentigena, die es offenkundig auch noch eilig hat, ist in der Cabal noch nie gesehen worden.
Auf ihren Wink springen zwei Sklaven herbei und folgen ihr in den Keller. "Ihr werdet Sulad in seine Gemächer bringen", befiehlt sie. "Wenn ich auch nur ein einziges Stöhnen von ihm höre, werdet ihr mit eurem Leben dafür büßen."
"Wie Ihr befehlt, Meisterin", winseln die beiden im Chor und heben den schweren Menschen vorsichtig an. Er ist jetzt ohnmächtig.
Sie trägt die heilenden Salben mit den Fingerspitzen auf, ganz sanft, um ihn nicht zu wecken. Dann bandagiert sie seinen Torso, so gut es geht. Die Wunden im Gesicht haben angefangen zu eitern, jetzt schon. Sulad wird in Zukunft wohl die Male eines Dämons tragen. Vorsichtig legt sie ihre kalte Hand an sein geschwollenes Auge und spürt das Pochen seines Herzens durch das verletzte Gewebe hindurch.
Wenn Stolz für Krieger ist, dann ist Zufriedenheit für die Klugen - zufrieden mit sich selbst und ihren Plänen. Ab jetzt wird Serpentigena die Genesung des neu ernannten Erzmagus bewachen. Sie wird für sein leibliches Wohl sorgen, ihm alles bringen, was er benötigt, ihm die Zeit vertreiben, dafür Sorge tragen, dass auch seine körperlichen Gelüste zu seiner Zufriedenheit erfüllt werden. Und am Ende, wenn er wieder gesund ist, wird sie ihre Schulden beglichen haben.