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Das Haus

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03.11.2007
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Das Haus

Es ist früher Morgen. Der Wecker klingelt. Er gähnt, dreht sich noch einmal herum und bringt den Wecker mit einem gezielten Knopfdruck zum Schweigen. Er steht auf, geht in die Küche und setzt seinen Kaffee an, ehe er die Morgentoilette erledigt. Ein Blick auf den Kalender und er weiß, dass heute wieder einmal Freitag ist. Der schlimmste Tag der ganzen Woche. Er trinkt seinen Kaffee, frühstückt eine Kleinigkeit und holt seinen grauen Anzug aus dem Schrank. Dann verlässt er sein schickes Apartment, setzt sich in den Wagen und fährt geradewegs in die Firma. Die Straßen sind noch relativ leer an diesem Sommermorgen. Zaghaft tasten sich die ersten Sonnenstrahlen die Häuserfassaden der Stadt entlang. Die Nacht war sternenklar und es liegt noch eine gewisse Kühle in der Luft. Bis zum Firmensitz hat er etwa eine Viertelstunde zu fahren. Innerlich lässt er die Gedanken schweifen, während er seine fein gekämmten dunklen Haare im Innenspiegel betrachtet, sein sauberes Gesicht, die straffen Züge, die kleinen Fältchen. Langsam steigt die Erinnerung an den Traum wieder hoch, den er letzte Nacht hatte. Es ist immer wieder das gleiche, wiederkehrende Motiv, was er in seinen nächtlichen Visionen vor sich hat. Im Traum läuft er langsam und zielgerichtet auf ein Haus zu. Herrschaftlich und imposant dominiert es die gesamte Landschaft. Das Gebäude erinnert genau genommen eher schon an eine Villa. Durch das große, verschnörkelte Tor bewegt er sich im Traum immer näher an das Haus heran. Die helle Farbe lässt keinerlei Risse oder Verschmutzungen erkennen. Zahllose Verzierungen am Mauerwerk, kleine Erker und Giebel erheben das Haus schon in den Rang einer architektonischen Meisterleistung. Der steinerne Balkon an der vordersten Front mit seinen Blumenkästen vermittelt ihm einen freundlichen Eindruck. Der Rasen im großzügig angelegten Vorgarten ist penibel gestutzt, der Weg gefegt. Die Umgebung strahlt die Perfektion schlechthin aus. Weit und breit sieht man keinen Menschen. Eine Treppe führt weiter zum Eingang. Er erklimmt die Stufen, die an einer großen Tür enden. Langsam drückt er den aus schwerem Gusseisen bestehenden Griff herunter und schiebt die Tür mit einer gewissen Kraftanstrengung auf. Früher war er an dieser Stelle immer aufgewacht. Irgendetwas in ihm sträubte sich dagegen, in das geheimnisvolle Gebäude hineinsehen zu können. Doch seit einiger Zeit setzte sich der Traum an dieser Stelle doch fort und endete nicht mehr abrupt. Die Tür öffnet sich langsam und gibt den Blick nach innen frei. Vor ihm liegt ein langer Flur. Das Geländer am Treppenaufgang ist an einer Seite aus seiner Verankerung herausgerissen. Putz bröckelt von den Wänden, die alte Tapete stammt offensichtlich aus früheren Zeiten und hat scheinbar lange keine Farbe mehr gesehen. Der Boden ist völlig verdreckt. Spinnweben beherrschen die Decke. Ein rostiges Fahrradgestell und vergilbte Zeitungen, die auf dem Boden liegen, ist das einzige was hier noch an Menschen erinnert. Alles macht den Eindruck, vor langer Zeit verlassen worden zu sein. Die fensterfernen Bereiche, die vom einfallenden Licht kaum noch erreicht werden, liegen in einem beklemmenden Halbdunkel. Die alte Holztreppe knirscht, als er hinaufsteigen will. Eine Art Schimmelpilz an der Wand ist das letzte, woran er sich erinnern kann, bevor er letzte Nacht aufgewacht war. Immer wieder hatte ihn das Haus nachts besucht. Manchmal hatte er geträumt, auf dem Heimweg zu sein und dann stand auf einmal dort, wo er wohnte, plötzlich jenes Haus.

Mittlerweile ist er am Firmengebäude angekommen. Er verdrängt die Gedanken an letzte Nacht, parkt seinen Wagen und betritt das Foyer. Er nickt der Empfangsdame freundlich zu und macht sich auf den Weg zu seinem Büro. Er soll an diesem Vormittag die Präsentation des neuesten Projekts vor der versammelten Belegschaft übernehmen. Um Punkt elf Uhr beginnt er zu referieren und bringt es brillant über die Bühne. Nachher erntet er Anerkennung und Schulterklopfen von allen Seiten. Um 15 Uhr verabschiedet er sich von den Kollegen. Man wünscht sich gegenseitig ein schönes Wochenende. Er geht zu seinem Wagen und stellt fest, dass es sich heute mal wieder zu einem Sommertag der Superlative entwickelt hat. Die Luft flimmert in der Hitze. Zuhause angekommen, holt er sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank, zieht sich sein Frack aus und fährt den Rechner hoch. Surft planlos ein bisschen im Internet und schaut auf seiner Seite bei myspace.com vorbei. Keine neuen Nachrichten. Das Telefon schweigt auch. Spontan entschließt er sich am Abend noch mal irgendwo hin aufzubrechen. Er sucht sich neue Klamotten aus dem Schrank und setzt sich ins Auto. Ziellos fährt er durch die Straßen. Die Freisitze an den Kneipen sind längst überfüllt. Der Sommerabend ist immer noch sehr warm. Man amüsiert sich, lacht, trinkt. Er überlegt kurzzeitig, sich auf einen Drink irgendwo in eine Bar hineinzusetzen. Aber er ist ja per Auto unterwegs und die Vernunft siegt. Irgendwann gibt er es auf und macht sich auf den Heimweg. In seinem Apartment setzt er sich hin und reisst eine Flasche Wein an. Nach einigen Gläsern ist ihm wohlig zumute. Irgendwann wird ihm schummrig vor Augen. Das Lachen einiger Jugendlicher, die unten auf der Straße vorbeilaufen, dringt nur noch wie aus weiter Ferne an sein Ohr. Allmählich beginnt sich die Umgebung zu drehen. Sein Wohnzimmer empfindet er auf einmal als Bedrohung, denn die Wand vor ihm scheint langsam auf ihn zuzukommen. In Panik steht er auf, wankt, stolpert über den Fuß des kleinen Tischchens und reisst die Glasvase mit sich, die dabei zu Bruch geht. Mehr schlecht als recht schafft er es schließlich ins Schlafzimmer, fällt aufs Bett und kriecht unter die Decke. In seinem Kopf scheint alles Achterbahn zu fahren. Bilder flimmern vorbei, Kindheitserinnerungen, Jugendfreunde, Mädchen für die er als Teenager mal geschwärmt hat, Ereignisse aus seinem Leben die vor Jahren passiert sind. Irgendwann fällt er in einen unruhigen Dämmerschlaf. Bald geht er wieder seinen nächtlichen Weg hinauf zum Haus.

Am nächsten Tag wacht er mittags schweißgebadet und mit brummendem Schädel auf. Stöhnend erhebt er sich aus seinem Bett. Erst die zerbrochene Vase auf dem Boden holt die Erinnerung teilweise wieder zurück. Heute ist Samstag. Er muss nicht in die Firma.

 

Hey Murmel!
Ich habe deine Geschichte gerne gelesen!
Der Text ist flüssig und die Beschreibungen sind so intensiv, dass man das Haus regelrecht vor sich sieht, das ist echt super gelungen!
Ein paar Kritikpunkte allerdings habe ich noch:

Ein Blick auf den Kalender und er weiß, dass heute wieder einmal Freitag ist. Der schlimmste Tag der ganzen Woche. Er trinkt seinen Kaffee, frühstückt eine Kleinigkeit und holt seinen grauen Anzug aus dem Schrank.
Hier schreibst du 'Der schlimmste Tag der Woche.' Man würde jetzt, wenn du noch ein seufzendes durch-die-Haare-fahren des Prot. eingefügt hättest, richtig mit ihm mitfühlen.
Er schleppt sich also regelrecht aus dem Bett, nur um daran erinnert zu werden, dass der schlimmste Tag der Woche ist.
Aber anstatt das noch einmal aufzugreifen, lässt du dies einfach im Raum stehen und fährst in der Handlung fort! Ich persönlich hätte es lieber gesehen, wenn da noch irgendetwas kommen würde. Eine Art Reaktion von ihm auf den schlimmsten Tag. Wie gesagt, ein seufzen oder so.

Auch ist die Frage: Warum ist es der schlimmste Tag?
Er hält doch eine 'brilliant über die Bühne gegangene Präsentation', ihm wird sogar gratuliert!
Das ist doch nicht schlimm oder? ...Es könnte aber auch sein, dass das der schlimmste Tag ist, da danach das lange Wochenende beginnt. Aber der Text endet nicht gerade mit einem negativen Gefühl beim Gedanken an das Wochenende...
Also meiner Meinung passt das 'Der schlimmste Tag der Woche' nicht in den Text. Es sei denn, du erklährst das noch genauer...

Inhaltlich habe ich auch noch etwas anzumerken... also ich habe jetz wirklich keine Ahnung, was das Haus bedeutet. Es ist ein total verfallenes Haus, das ihn regelrecht verfolgt. Es wird richtig unheimlich. Aber dann, am Schlus fällt plötzlich das Wort 'Traumhaus'!
Eigentlich bedrücken ihn diese nächtlichen Träume, ja er wird fast von ihnen verfolgt! Sollte das Haus aber jetzt sein Traumhaus sein, dann würde er doch mit anderen Gefühlen an dieses zurück denken, oder?
Also entweder hat der Mann einen sehr eigenartigen Geschmack, oder er verbindet mit dem Haus eine vergangene Erinnerung, die dann aber näher beschrieben werden sollte.

Also inhaltlich finde ich den Text noch nicht ganz schlüssig, aber mein Lob über den Schreibstil kann ich nur noch bekräftigen, du hast eine sehr packende und detaillierte Erzählweise die mir sehr gefällt!

Liebe Grüße, roro

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi roro!

Vielen Dank für Deinen Kommentar und das Lob meines Schreibstils!

Zu Deinen Kritikpunkten:

1. "Traumhaus" war eine unglückliche und missverständliche Formulierung meinerseits, sorry. Werde das korrigieren - ich meinte es wortwörtlich :-)

2. Dem Haus hatte ich eine spezielle metaphorische Bedeutung zugedacht, die eng mit meinem Protagonisten zusammenhängt. Möchte da (noch) nicht mehr sagen, sondern erstmal die Meinungen anderer abwarten (in einem Punkt muss ich Dir allerdings widersprechen: ist es wirklich ein "total verfallenes" Haus?)

3. Du hast Recht, ich könnte die negativen Gefühle sicher noch stärker betonen. Aber mit Deiner Vermutung, Freitag als schlimmster Tag der Woche wegen des langen Wochenendes, liegst Du nicht falsch!

Danke für den Kommentar nochmal!
Grüße von Murmel

 

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