Mitglied
- Beitritt
- 20.11.2008
- Beiträge
- 13
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 4
Das immergrüne Land
Der Franzose schießt tagsüber, der Engländer schießt in der Nacht. Zumindest hört es sich so an. Wenn ich meinen Kameraden erzähle, dass englische Grananten anders klingen, als französische, dann lachen sie mich aus, sie lachen so dumpf, aber so herzlich, dass ich nicht weiter versuche mit ihnen darüber zu reden, ein Lachen ist selten hier.
Sie nennen diesen Abschnitt hier “das immergrüne Land“, weil es hier früher eine lange flache Ebene gab, die ohne Hügel und vollständig grün war. Heute gebrauchen sie den Ausdruck ironisch, glaube ich. Es ist schwer den Stimmen der alten Freunde noch jegliche Regung zu entnehmen. Selbst wenn sie Lachen ist es ein Geräusch, als wenn Fingernägel über Tafeln kratzen ein schwacher Abglanz der einstigen Fröhlichkeit mit der wir damals nach Paris aufbrachen, Paris, das stand zumindest auf den Waggons, in denen es an die Front ging.
Obwohl dieser Frontabschnitt nichts mehr von grünen Wiesen hat und die Bäume hier, wegen des von Blut durchtränkten Bodens eingegangen sind, lassen sich noch immer arme Jungen in unserem Alter von dem Namen täuschen und lassen sich hierher versetzen, wenn sie die Chance kriegen. Und wenn sie dann hier sind, dann verfluchen sie uns, die wir hier nun schon seit zwei elenden Jahren sitzen. Sie verfluchen uns für ihre Hoffnungen und Vorstellungen, aber wir sagen nichts, denn wir wissen sie werden in 2 Monaten entweder tot sein oder welche von uns, die die nie sterben und niemals leben dürfen.
Felix, einer von den ersten hier, schreibt immerfort in kleine Bücher, er hat Angst, dass er, wenn er stirbt, vergessen wird. Mittlerweile hat er bereits drei Bücher voll geschrieben. Bekommen tut er sie von denen die Heimaturlaub machen dürfen. Oft dachte ich es müsse ein Segen sein, Heimaturlaub zu haben, bis ich selbst welchen bekam und sah, wie es um unsere geliebte Heimat stand.
Es ist eine Ironie, dass wir versuchen, sie vor dem Ansturm der Feinde zu schützen und sie ganz langsam hinter uns krepiert. Wir können ihr nicht helfen, sie stirbt langsam und qualvoll und die einzige Chance die Qualen zu mindern ist, nicht hinzusehen.
Seit ich zu Hause war, beantrage ich keinen Urlaub mehr. Ich will nicht wissen, dass die Heimat, für die Franz, Joseph, Gerhard und andere gefallen sind im gleichen Moment im Sterben liegt.
Wir reden nicht über die Heimat, meistens reden wir gar nicht und wenn wir doch reden, dann reden wir über die Größe der Ratten in unserem “immergrünen Land“. Aber auch diese Gespräche sind nur kurz und werden meist von starkem Artilleriefeuer unterbrochen.
Manchmal, wenn wir einen Angriff ausführen und ich dann nachher neben einem verwundeten Kameraden, am Boden hocke, wissend, das ein solcher Bauchschuss nicht zu heilen ist, kommt immer wieder dieselbe, schreckliche Frage in mir auf: Warum?