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Das Kartoffelpufferrezept
Am Wochenende hatte ich in der Regel nicht viel zu tun. Die Sonne schien, gestochen scharfe Wolken zogen vorbei und die Vögel trällerten ihre Lieder. Dazu mischten sich ein paar Küchengeräusche meiner Nachbarn und die Düfte frisch gebrannten Toastbrotes und Kaffees. Ich saß in der Küche und schälte ein paar Kartoffeln für das Mittag. Meine Gedanken ließen sich von Kartoffelschale zu Kartoffelschale treiben. Im Nebenzimmer sprühte sich Amelie Selbstbräuner auf die Beine. Das Geräusch erinnerte mich an die große Mückenplage in Polen, an einen Urlaub, den ich lange nicht vergessen konnte wegen den Schwellungen auf meinem Körper. Wenn man eine zeitlang von Mücken und Bremsen gestochen wird, hört man auf sich zu wehren, denn es kostet nur Kraft und Nerven. Man lässt sich stechen und kratzt noch nicht einmal. Während der Gespräche am Lagerfeuer denkt man ab und zu an die Krankheiten, die solch eine gefräßige Mückenschar verbreiten könnte und man hofft, dass es gesunde Mücken sind. Es macht ja an sich nichts, wenn sie ein bisschen Blut abnehmen.
Wir hatten ein kleines, verarmtes Haus auf einem Hügel gemietet, in dem eine Familie mit ihren zwei Kindern hauste. Sie zogen kurzfristig zur Großmutter und überließen uns das Haus wie es war. Die schmutzigen Kinder beäugten uns neugierig aus sicherer Entfernung während die Eltern die wichtigsten Sachen zusammenpackten. Es gab eine große Küche, sehr einfach eingerichtet mit einem Tisch, einem Ofen und ein paar Regalen, auf denen halbkaputte Radios standen. Auf zweien konnte man nur Radio hören und ein anderes spielte nur Kassetten ab. Dahinter kam ein Wohnzimmer, nicht größer als fünfzehn Quadratmeter mit einem bunten Teppich, einer ausziehbaren Couch, einem Tisch und einem dunklen Schrank. Man hatte zur Zierde ausgetrunkene Amaretto und Baileysflaschen auf den Schrank gestellt. An den Wänden hingen Fotos, auf denen die Familie mit strahlendem Lächeln und ebenso strahlenden Hochzeitskleidern der Zukunft entgegenblickt. Das war wohl lange bevor sie anfingen Likörflaschen zu sammeln. Schlaf- und Kinderzimmer unterschieden sich kaum vom Wohnzimmer und mit all den selbstgestrickten Decken, bunten Kissen und dem Nippes war es sehr gemütlich und heimisch. Am ersten Abend machte ich einen kleinen Spaziergang hinter den Hügel. Dichter Nebel hatte sich über den Feldern gesammelt und versperrte den Blick auf das Nachbardorf. Die Luft war so herrlich erfrischend, dass ich mir eine größere Lunge wünschte, um mehr davon zu atmen. Es war ein Platz an dem Märchen über geheimnisvolle Brunnen, nächtliche Kutschen mit mysteriösen Insassen und flötende Feen erfunden wurden. Der Weg, bestehend aus zwei schwarzen, tief in den Boden gedrückten Fahrspuren, zog sich schnurgerade durch die schlafende Landschaft. Ich glaubte Tiere im Gras zu spüren, die mich mit leuchtenden Augen anstarrten und nicht wagten, sich zu bewegen. Ich fühlte jeden meiner Schritte, die sich tief in die weiche Erde drückten, wie in Zeitlupe. Bis aufs Äußerste gespannt folgte ich dem Weg und versuchte sein Ende auszumachen. Dann mischte sich ein neues Geräusch dazu. Es schien die ganze Zeit dagewesen zu sein, aber erst jetzt nahm ich es wahr. Ein Knirschen mit ein paar entfernten Klappergeräuschen und es kam direkt vom Ende des Weges, das ich immer noch nicht ausmachen konnte, aber ich fühlte, dass da etwas auf mich zukam. Ich ging wie beflügelt weiter, ohne den Blick vom Weg zu nehmen, fasziniert von der Dunkelheit, in der sich tausend Dinge vermuten ließen, Ruinen, geheime Gärten, unterirdische Verstecke aus der Kriegszeit, usw. Der Wagen, oder was auch immer es war, kam näher und ich glaubte schon die Kontur eines Pferdes zu sehen, als eine Nebelwolke mir die Sicht nahm. Der Sog, den das Unbekannte manchmal ausübt, ließ mich schneller werden, meine Füße glitten jetzt leicht, fast fliegend über das duftende Gras. Ich starrte in das Dunkel und erkannte einen leeren Heuwagen, vor dem ein kleines, krummes Pferd gespannt war. Auf dem Wagen saß eine dunkle, sackähnliche Gestalt. Die Räder holperten über die Regenlöcher und Grasbüschel. Das Pferd stolperte halb schlafend voran und hob nicht einmal den Kopf, um nachzusehen, wo es war. Die dunkle Gestalt, ein Bauer wahrscheinlich, fügte sich widerstandslos den ruckenden Bewegungen des Wagens. Jetzt war das Gefährt vielleicht noch dreißig Meter entfernt, doch die Geräusche blieben unwirklich und dumpf. Ich weiß nicht mehr wie lange ich dem Wagen entgegenlief. Es mochten Stunden vergangen sein, ohne dass ich mich ihm auch nur einen Meter näherte. Der Nebel verschwand irgendwann kaum merklich und goldenes Licht breitete sich über die Felder aus. Der Weg führte immer noch kurvenlos geradeaus. Das Knarren des Wagens wurde von Vögelrufen und Insektengezirpe überdeckt und aus der Dunkelheit lösten sich Bäume, alte Schuppen, kleine Häuser, Kirchen, Straßen und ganze Dörfer. Ich hörte das Brummen der Traktormotoren, den pfeifenden Wind, schimpfende Leute, wiehernde Pferde, Musik aus alten, kaputten Radios und hungrige Mücken. Ein paar schmutzige Kinder rannten kreischend über den Kartoffelacker und ich sang ein Lied, dessen Text ich nur noch zur Hälfte konnte.
Es dauert eine ganze Weile Kartoffelpuffer zu machen. Man muss sie schälen, waschen, reiben und braten, aber dann, wenn sie goldbraun auf dem Teller liegen, ist es ein wahrer Genuss. Alles was man braucht sind ein paar Kartoffeln, Eier, Mehl, Salz und Zeit und jemanden, für den man sie macht. Man muss nicht denken bei der Zubereitung, aber man tut es trotzdem und das ist wahrer Luxus.