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Serie Das Kind ohne Namen (Trilogie "Das eine Gesetz")

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15.12.2020
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Anmerkungen zum Text

Der erste Teil meiner Kurzgeschichtentrilogie "Das eine Gesetz". Die beiden Fortsetzungen sind thematisch mit der ersten Geschichte verknüpft, stehen jedoch, wie die erste auch, genauso für sich selbst. Bei allen dreien handelt es sich um Dystopien der nahen und fernen Zukunft, in denen jeweils ein bestimmtes Gesetz das Leben aller Wesen bestimmt, auch wenn sich dieses eine Gesetz womöglich erst auf den zweiten Blick offenbart.

Das Kind ohne Namen (Trilogie "Das eine Gesetz")

Das Kind ohne Namen ist ein Individuum wie jedes andere. Es sucht nicht, es findet. Es zweifelt nicht, es will. Es fragt nicht, es nimmt. Es glaubt nicht, es weiß. Es irrt nicht, es versucht es aufs Neue. Es fühlt nicht, es tut. Es benötigt keinen Sinn, keine Wärme, keine Liebe, sondern nur: Sauerstoff. Nahrung. Bewegung.

Das Kind ohne Namen, es läuft schnell durch einen Korridor, wie es viele hier gibt, und alle sehen gleich aus. Nirgends gibt es Fenster, denn es gibt längst keine Sonne mehr. Grelles Licht lässt keine Schatten zu, außer dem der eigenen Gestalt. Das Kind ohne Namen registriert die anderen Geschöpfe, Kinder, Hunde, Ratten, die auf beiden Seiten in seine Richtung starren, doch es braucht nicht in ihre Gesichter zu sehen, um zu wissen: Hier gibt es nichts zu holen. Ihre Körper sind nichts mehr als Hüllen, die letzten Fetzen Fleisch an ihren metallenen Knochen ungenießbar. Will es wirklich Nahrung, weiß das Kind, so muss es weiter, sehr viel weiter. Dorthin, wo die meisten wieder umkehren, weil ihr schwächlicher Körper zu streiken beginnt.

Natürlich weiß das Kind ohne Namen, dass es einst eine Sonne gab, ein Meer, Jahreszeiten, echte Tiere, Menschen mit etwas, das sie ‚Emotionen‘ nannten. Doch all das war nur Ablenkung vom Wesentlichen, hat das Kind gelernt. All diese Dinge haben die Menschen von damals zugrunde gerichtet, weil sie sich um sie gestritten und bekriegt haben, und sie sich wegen all der widersprüchlichen Emotionen niemals auf eine Lösung einigen konnten. Letzteres vor allem wegen etwas, das sie ‚Stolz‘ nannten. Für das Kind ohne Namen, ebenso wie für alle anderen im Hier und Jetzt, gibt es keinen Grund, diese Lehren zu hinterfragen. Die Menschen von damals waren Bettler, wollten umsonst bekommen, wofür die Menschen von heute in jeder Situation bereit sind, mit ihrem Leben zu zahlen. Nur einer der ehemaligen Menschen wusste schon vor vielen Jahrhunderten, dass die Menschen im Hier und Jetzt aus genau diesem Grund überlegen sein würden, und dass die Menschen von damals von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen waren, weil sie in ihrer Schwäche dachten, sie hätten einen Wert. Weil sie glaubten, sie hätten ein naturgegebenes Recht zum Leben. Die Menschen im Hier und Jetzt wissen es besser. Sie sind sich in jeder Sekunde ihres Daseins bewusst, dass man sich dieses Recht mit jedem Atemzug verdienen muss. Sie kennen keinen Richter oder Retter, kein Schicksal, keinen Zufall. Für sie gibt es nur Aktion und Reaktion, Leben und Tod.

Das Kind ohne Namen, es kommt am Ende des Korridors an, der nach draußen mündet. Auch draußen gibt es nur grelles Licht, denn der Himmel ist eine einzige, schwarze Wolke. Am Fuß des anthrazitfarbenen Monolithen X01, der bis zum Saum der schwarzen Wolke hochragt, findet es einen Vogel. Der Vogel erinnert es an ein Bild, das es einmal auf einer der großen, bewegten Tafeln gesehen hat – es war das Bild eines Adlers. Dieser Vogel aber ist kein Adler, das weiß das Kind ohne Namen ohne Zweifel. Langsam pickt der Vogel in die Augen eines Fisches. Der Fisch lebt noch, wehrt sich, also wartet das Kind ohne Namen, bis der Vogel ihn zum Stillstand bringt. Dann packt es den Vogel am Hals, und bricht ihm mit einer kurzen, schnellen Bewegung das metallene Genick. Der Fisch und der Vogel, weiß es aus Erfahrung, werden ihn für eine Woche am Leben halten.

Das Kind ohne Namen hält inne. Es blickt die tausenden Stufen des Monolithen empor, wo sich Dinge winden und regen, wo hohe Schreie ertönen und verklingen, wo tief dröhnende Klänge in Endlosschleife laufen, wo Geschöpfe sich auf den glatten, schwarzen Flächen des Gesteins spiegeln. Das Kind blickt mit wachen Augen um sich, denn es weiß: Wo ein Vogel einen Fisch fängt, ist das Wasser ganz nah, und wo das Wasser nah ist, sucht ein jedes Geschöpf das gleiche wie es selbst: Nahrung, um sich Zeit zu kaufen; Zeit, um sich selbst zu erhalten; Selbsterhaltung, nicht um sich fortzupflanzen, sondern um weiter nach Nahrung zu suchen, denn die Bilder auf den Tafeln haben sie gelehrt, dass es nichts Individuelleres gibt als lebendige Geschöpfe, und je mehr von ihnen man durch Verzehren verinnerlicht, desto mehr wird man selbst Individuum – und das ist das einzige, was zählt.

Das Wasser, es ist dem Kind ohne Namen lange nicht mehr erschienen. Die Flüssigkeit, die es zum Überleben braucht, holt es sich meist aus anderen Geschöpfen, denn das Wasser ist rar und versteckt, tief unter dem steinernen Boden, nur an den Stellen erreichbar, wo es von selbst durch die Oberfläche bricht. Die letzten Menschen von damals haben es gehortet und gestaut, eingesperrt und mit Gift ungenießbar gemacht, sodass es nach ihrem Niedergang lange dauerte, bis die Menschen im Hier und Jetzt es trinken konnten. Somit bannten die individuellsten Individuen es so tief unter das Gestein, dass nur sie es noch erreichen könnten, und niemand anderes. Das Wasser, durch die Kälte der Tiefe in der Lage, sich selbst vor allem neuem Gift zu schützen, barg irgendwann tatsächlich neues Leben. Keiner weiß, wie, oder warum, keiner kennt das wahre Ausmaß der neuen Arten, doch seither ist das Wasser selbst mehr Individuum als viele Menschen, und so ist es genauso begehrt, wie gefürchtet. Obwohl sich das Kind ohne Namen an den letzten Kontakt mit dem Wasser nur dunkel erinnern kann, sagt ein Instinkt in ihm mit großer Dringlichkeit, dass es, um die nahe gelegene Quelle zu finden, zuerst den Monolith besteigen muss, oder zumindest eine unbestimmte Anzahl an Stufen. Bisher hat das Kind das Wasser immer vom steinernen Boden aus gefunden, doch es kennt die Bilder an den Tafeln, die Fontänen zeigen, welche von Monolithen-Gipfeln wie diesem in die Höhe schießen. All die Geschöpfe, die jetzt auf dem Monolithen sind, haben die Bilder ebenfalls gesehen. Auch sie sind auf der Suche nach der Quelle, doch das Kind ohne Namen ist ohne Zweifel, dass es sie vor ihnen allen erreichen wird.

Das erste Geschöpf, dem es auf den Stufen des Monolithen begegnet, ist eine Kreuzung aus Mensch und Affe, mit kleinen Augen, weißem Fell, und vier unruhigen Pranken. Das Kind ohne Namen kennt die Geschichten, wie der Mensch und der Affe vor Jahrmillionen eins waren, und wie der Mensch sich vom Affen abnabelte, weil er dachte, er sei etwas Besseres. Die Menschen im Hier und Jetzt wissen es besser: Die Tafeln erinnern sie daran, dass die Affen die letzten echten Tiere waren, die überlebten, und nur weil der Mensch zu diesem Zeitpunkt der Geschichte in erdrückender Überzahl war, konnte er den Affen wie schon einst zuvor knechten und in Zaum halten, sich ein weiteres Mal über ihn stellen, über sein einstiges Ebenbild, das so viel individueller war, als er selbst. Der Affe starrt das Kind ohne Namen an und fletscht seine spitzen Zähne. Das Kind ohne Namen ist bereit zum Angriff, gewillt, dem Affen das Genick zu brechen, doch eine riesige Wildkatze kommt ihm zuvor: Von ein paar Stufen über ihnen springt sie zwischen das Kind und den Affen, und verschlingt Letzteren mit einem Bissen. Das Metall zwischen den steinharten Zähnen der Wildkatze knirscht, und mit seinen stechenden Augen nimmt es das Kind ohne Namen ins Visier, welches weiß: es muss jetzt ganz ruhig bleiben, darf nicht atmen, dann wird ihm nichts passieren. Die Wildkatze kommt näher, schnuppert ein wenig, berührt mit seinem rostigen Atem das Gesicht des Kindes, doch dieses hält ihrem Blick stand, und die Wildkatze wendet sich ab. Alte, grauhaarige Kinder zu beiden Seiten des Kindes ohne Namen blicken der Wildkatze hinterher, und begutachten ihren Meister. Das Kind ohne Namen, im Gegensatz zu den meisten anderen nicht an faulem Menschenfleisch interessiert, beachtet sie nicht, und nimmt die nächsten fünf Stufen nach oben, ohne zu bemerken, ob sie weitere Geschöpfe beherbergen, oder nur das grelle Licht, das von den entfernt in der Höhe surrenden Drohnen auf den glatten Stein herab fällt.

Nach und nach trifft das Kind ohne Namen auf viele weitere, lauernde, gierige Geschöpfe: Auf mehr alte Kinder und junge Greise, die nach seinem Fleisch lechzen, das im Gegensatz zu ihrem unversehrt ist, auf Kreuzungen von Krähen und Gottesanbeterinnen, die es nur auf seine Augen abgesehen haben, weil das Licht in ihren längst erloschen ist, auf Skorpione mit Schmetterlingsflügeln, deren Gift das Kind ohne Namen aus der Entfernung riechen kann, auf Schlangen ohne Haut und Krabben ohne Panzer, die vor Kälte zittern; und immer wieder auf kleine graue Haufen Elend, die wohl einmal Menschen waren, und klägliche, schmerzverzerrte Laute von sich geben, wobei sie ihre von Lepra zersetzten Finger flehend nach dem Kind ohne Namen ausstrecken. Für dieses aber sind all diese Gesichter und Gesichtslosen nichts Neues, und mit dem Vogel und dem Fisch noch immer fest in beiden Händen, ist es nicht nötig, sich um ihr Fleisch und ihre kümmerlichen Auswüchse von Individualität zu bemühen. Die wahre Beute, weiß das Kind, die wahren Individuen warten weiter oben, von wo aus auch die Raubkatze hinab gesprungen kam. Trotz maßlosen Gelüsts wagt es keiner der Geschöpfe auf diesem Teil der Treppe, das Kind ohne Namen zu attackieren, denn sie fürchten seinen festen Blick, seinen aufrechten Gang, seine sicheren Schritte. Ernstzunehmender Gefahr, sagt dem Kind die Gewohnheit, wird es also frühestens auf halber Höhe des Monolithen ausgesetzt sein.

Nach tausenden Stufen endlich im Bereich der Gefahr, beißt das Kind ohne Namen ein einziges Mal in den rohen Fisch, und schluckt das Stück ohne zu Kauen hinunter. Es ist auf alles gefasst, was nun kommen mag. Wie üblich in solcher Situation, stellt es fest, dass Körper und Sinne sich zu schärfen beginnen, und seine Sicht ist jetzt so klar, dass es nicht nur alles vor sich sieht, sondern jeden kleinste Regung in allen erdenklichen Richtungen. Ohne diese Schärfung, da ist es sich sicher, hätte es nicht das andere Kind bemerkt, dass sich beim Betreten der nächsten Stufe hinter ihm anschleicht. Das Kind ohne Namen fährt herum, bereit, ein weiteres Genick zu brechen, doch stattdessen hält es inne: Nicht weil es will, sondern weil sein Körper es befiehlt. Noch nie ist es bisher geschehen, dass sein Wille und sein Körper nicht einher gegangen waren. Das Kind ohne Namen betrachtet das Gesicht des anderen Kindes, das genauso aussieht, wie sein eigenes. Viele der Menschen im Hier und Jetzt sehen sehr ähnlich aus, denn viele von ihnen sind nicht echt, und auch die Echten wurden durch ihr allzu gleiches Leben so geformt und angepasst, dass sie vor dem Generieren neuer Individualität kaum voneinander zu unterscheiden sind. Dieses andere Kind aber, da ist sich das Kind ohne Namen ganz sicher, ist ein makelloses, detailgetreues Ebenbild seiner selbst. In seinem Gesicht sieht das Kind ohne Namen, das auch das andere Kind auf der Suche nach Wasser ist. Wissend, dass die Gefahren nun mit jeder Monolithen-Stufe größer werden, und nicht bereit, den Fisch und den Vogel schon vor dem Erreichen des Gipfels zu opfern, fällt es einen Entschluss, den es zuvor nie in Betracht gezogen hätte: Es beschließt, die Quelle gemeinsam mit dem anderen Kind zu finden. Auch das andere Kind, liest es anhand dessen Augen, stimmt mit diesem Plan überein. Natürlich wird das Kind ohne Namen die Beute nicht teilen, natürlich ist das andere Kind nur ein Mittel zum Zweck der Ablenkung auf dem Weg nach oben. Das andere Kind, da ist sich das Kind ohne Namen sicher, hat haargenau dasselbe im Sinn. Am Gipfel wird also, wie immer im Hier und Jetzt, alleine ihre Individualität darüber walten, wer stirbt und wer besteht.

Während das Kind ohne Namen und das andere Kind die Treppe weiter empor schreiten, studiert das Kind ohne Namen immer wieder kurz Aussehen und Verhalten des Geschöpfs an seiner Seite. Zunächst scheint das andere Kind normal, doch als sie das erste Mal attackiert werden, von einer großen, dünnen menschenähnlichen Gestalt mit zwei Köpfen ohne Augen und Ohren, verhält es sich äußerst merkwürdig: Die Gestalt nach einem festen Schlag schon vor ihm auf dem Boden, zögert es, wenn auch nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor es langsam, fast schon vorsichtig, nach ihrem Hals greift und sie elendig ersticken lässt. Ihr Sterben dauert deutlich länger, als das Kind ohne Namen es gewohnt ist, und mit jeder Sekunde zeigt das Gesicht des anderen Kindes mehr und mehr Regung. Endlich fertig, erhebt es sich mit gebücktem Rücken, und legt die Gestalt an die Seite der Treppe. Das Kind ohne Namen, es registriert all das und merkt es sich gut. Für jetzt will es nicht eingreifen, doch es ist sich sicher: Das andere Kind hat zwar dasselbe Gesicht, doch ansonsten ist es ihm in keinster Weise ebenbürtig. Die nächste Attacke kommt von einem Schwarm mechanischer Maikäfer-Mutationen. Das Kind ohne Namen kennt die Bilder der echten Maikäfer aus der Vorzeit, die auf den Tafeln bezüglich der Jahreszeiten der Menschen von damals abgebildet sind. Der Mai war ein Monat, erinnert sich das Kind, und insgesamt gab es zwölf in einem Kalenderjahr. Den Kalender, ebenso wie die Jahreszeiten selbst, ebenso wie die Wochentage, die Uhrzeiten und ihre Umstellung, nutzten die Menschen von damals, um sich die Zeit zu bannen und zu biegen und zu brechen, damit sie Dinge aufschieben konnten, die sie so nicht in ihrem eigenen Hier und Jetzt erledigen mussten. Zu Lebzeiten noch waren sie die Menschen von früher und später, doch im Hier und Jetzt spricht man von ihnen nur noch als die Menschen von damals, denn auch ihr Denken an das, was sie Zukunft nannten, führte immer dazu, dass sie das Hier und Jetzt vergaßen. Weil das Kind ohne Namen gerade in seinem Gedächtnis die Wochentage durchgeht, und nur auf sechs kommt, obwohl es weiß, dass es sieben gab, verliert es die mechanischen Maikäfer mit ihren Hornissenstacheln und Spinnendrüsen für einen kurzen Moment aus den Augen. Bevor es reagieren kann, fängt jedoch das andere Kind den Schwarm mit beiden Händen, und zerdrückt die Käfer, sodass ihre Überreste wie Sand auf den glatten Stein prasseln. Das Kind ohne Namen registriert dies, und merkt es sich gut. Ein solches Verhalten, nämlich dass ein Mensch einen anderen Menschen als sich selbst vor einem Angriff schützt, hat es bisher nie gesehen. Es weiß, dass ein solches Verhalten eigentlich nicht möglich ist, dass es gegen die Natur geht, zumindest gegen die der Menschen im Hier und Jetzt. Während die beiden Kinder langsam aber stetig dem Gipfel des Monolithen näher kommen, ist das Kind ohne Namen in Gedanken immer wieder beim Geschöpf an seiner Seite. Es fühlt sich an die Bilder auf den Tafeln erinnert, auf denen es die Menschen von damals gesehen hat, die Menschen mit Emotionen wie Liebe, Hass, Trauer, Stolz. Natürlich weiß es, dass es solche Menschen nicht mehr geben kann, denn sie sind vor ewig langen Zeiten ausgestorben. Gleichzeitig aber weiß es um bestimmte Bilder von Menschen im Hier und Jetzt mit seltener Fehlentwicklung, die dazu geführt hat, dass ihr Körper ihnen immer wieder vorspielt, Gefühle zu empfinden – Gefühle, die Visionen in ihnen auslösen, welche sie glauben lassen, sie seien die letzten Nachfahren der Menschen von damals. Einen Menschen mit solcher Fehlentwicklung hat das Kind ohne Namen bisher noch nie gesehen. Das andere Kind im Blick, ohne es betrachten zu müssen, erkennt es in sich selbst nun zum ersten Mal im Leben etwas, dass ihn an den Zweifel erinnert, der den Menschen von damals zuletzt ihr einziger verbliebener Gott gewesen war: Zum ersten Mal im Leben weiß es etwas nicht mit absoluter Sicherheit, nämlich ob das andere Kind ein solcher Mensch mit seltener Fehlentwicklung ist, oder nicht.
Das Kind ohne Namen wendet sich also zum Geschöpf an seiner Seite und sieht mit festem Blick in dessen Augen. Das andere Kind bleibt stehen, und das Kind ohne Namen wartet darauf, dass etwas passiert – dass es einknickt, seinem Blick ausweicht, dass es weiter geht. Doch nichts geschieht. Noch bevor sie die nächste Stufe erreichen, werden sie erneut attackiert, diesmal von so vielen Gestalten auf einmal, dass das Kind ohne Namen nicht erkennt, um welche Arten von Geschöpfen es sich handelt. Alles, was es erkennt, ist die Gefahr, also die Aktion, sowie die zwingend notwendige Reaktion, die so schnell erfolgt, dass keine der Geschöpfe die Gelegenheit bekommt, ihm oder dem anderen Kind ein Haar zu krümmen. Das Kind ohne Namen betrachtet die Kadaver und weiß nun mit Sicherheit, was es schon seit dem Treffen auf das andere Kind auf halber Höhe des Monolithen registriert hat: Die anderen Geschöpfe haben längst bemerkt, dass es selbst und das andere Kind gemeinsam dabei sind, die Quelle des Wassers zu finden, und sie sich somit mit jedem Schritt weiter vom Weg des Individuums wegbewegen. Sie wissen, dass je weniger Individuum sie sind, desto leichtere Beute, also lauern den beiden auf den nächsten hundert Stufen immer mehr von ihnen auf, und greifen sie an, irgendwann selbst die Schwächsten und am wenigsten Individuellen, die hier oben noch übrig sind. Selbst sie aber würden trotzdem nie daran denken, sich mit einer anderen Seele zusammen zu tun, wie es die beiden Kinder augenscheinlich getan haben. Den Kindern jedoch gelingt es zur Ehrfurcht aller, jeden Angriff abzuwehren, nicht indem sie aktiv zusammenarbeiten, aber weil sie wissen, dass zumindest für den Moment jemand hinter ihnen steht, der dasselbe Ziel hat wie sie, und ihr Fokus sich dadurch noch klarer auf die Gefahr direkt vor ihnen Augen richten kann.

Irgendwann auf einer Stufe, auf der sich ansonsten keine weiteren Geschöpfe befinden, treffen sie auf einen weißen Schwan mit schwarzen Augen. Das Kind ohne Namen sieht die Bilder an den Tafeln vor Augen, auf denen sich zwei Menschen von damals, als Schwäne verkleidet, miteinander bewegten, begleitet von Musik, ein Mensch mit schwarzen Federn, einer mit weißen. Das Kind ohne Namen weiß, dass damals, als es Sprache gab mit Worten und Bedeutung, die Menschen solche und ähnliche Bewegungen als ‚schön‘ bezeichneten, doch natürlich weiß es auch, dass die Menschen in ihren Verkleidungen genauso wenig schön sein konnten wie der Schwan auf der Monolithen-Stufe vor ihm, denn die Worte der Menschen von damals sowie ihre Bedeutungen waren von Anfang an nichts als Ablenkung gewesen. Ablenkung von der wahren Natur der Dinge, von der wahren Individualität einer jeden Gestalt. Der weiße Schwan, er hat keine Angst vor dem Kind ohne Namen, genauso wenig wie vor dem anderen Kind. Er hat keine Angst, doch er greift nicht an, und bevor das Kind ohne Namen die Chance hat, zu handeln, schnellen die Hände des anderen Kindes zum Hals des Schwans, und brechen nicht nur sein Genick, sondern reißen gleich den Kopf ab, der die tausenden und abertausenden Stufen der Monolithen-Treppe hinunterfällt. Das Kind ohne Namen weiß nun mit Sicherheit: Das andere Kind ist doch keine der Gestalten mit seltener Fehlentwicklung. Es ist kein Ebenbild, doch immerhin ein Abbild seiner selbst, und so gibt es keinen Grund, es vor dem Erreichen des Gipfels loszuwerden. Zuvor hat das Kind ohne Namen natürlich trotzdem nicht geirrt: Auch zuvor hat es nach anfänglichem, eingebildeten Zweifel etwas mit Sicherheit gewusst, nämlich dass das andere Kind sehr wohl eine solche Fehlbildung haben muss. Jetzt aber weiß das Kind ohne Namen es besser, und altes Wissen ersetzt neues, ohne dass dadurch neuer Zweifel in ihm aufkommt. Als der Klang des fallenden Schwanenkopfes langsam zu verklingen beginnt, blickt das Kind ohne Namen nach oben, und sieht: Es sind keine hundert Stufen mehr bis zum Gipfel des Monolithen. Mit dem letzten verhallenden Laut von Fleisch auf Stein hört das Kind ohne Namen jedoch ein neues Geräusch – es ist ein Rauschen und ein Beben und Sprudeln, zugleich über ihnen und in tiefster Tiefe, welches klingt, als werde es schon lange unterdrückt, schon seit Ewigkeiten gewaltsam zurückgehalten. Auch das andere Kind bemerkt das Geräusch, und sie folgen ihm gemeinsam die letzten hundert Stufen hinauf, wo keine weiteren Geschöpfe auf sie warten, denn nichts und niemand hat sich bisher bis zu diesem Punkt gewagt, auch wegen ihnen. Endlich, nach all den unzähligen Stufen, erreichen das Kind ohne Namen und das andere Kind also den Gipfel des Monolithen, wo das Rauschen und Beben so laut ist, dass selbst das Surren der Licht-Drohnen über ihnen nicht mehr zu vernehmen ist. In der Mitte des Gipfels entdeckt das Kind ohne Namen ein tiefes Loch im glatten Stein, und blickt hinunter, doch in der Dunkelheit ist natürlich kein Wasser zu erkennen. Je länger es in das dunkle Loch blickt, desto leiser wird das Rauschen und das Beben und das Sprudeln, also entfernt es sich wieder von dem Loch, und lauscht. Das Geräusch nimmt in seiner Intensität zwar nicht zu, doch zumindest nimmt es jetzt auch nicht mehr ab, also sieht das Kind ohne Namen zum anderen Kind, und sie warten gemeinsam auf die Selbstoffenbarung des Wassers. Plötzlich aber wendet sich das andere Kind vom Loch ab, sieht das Kind ohne Namen an, schüttelt den Kopf, und setzt sich mit Blick nach unten auf die oberste Stufe des Monolithen. Das Kind ohne Namen weiß mit einem Mal ganz ohne Zweifel: Das andere Kind ist sehr wohl einer der Menschen mit seltener Fehlentwicklung, denn es ist bereit, wozu nur bereit sein kann, wer das empfindet, was die Menschen von damals ‚Empathie‘ nannten, und auch weiß, dass es solche ist: Es will dem Kind ohne Namen ganz von sich aus den ersten Schluck der Quelle überlassen. Das Kind ohne Namen erkennt dies, nimmt einen zweiten Bissen vom Fisch in seiner Hand, und stößt das andere Kind, ohne weiter zu zögern, von der obersten Stufe des Monolithen hinunter. Das andere Kind fällt, und fällt, und fällt, und landet, schon fast tot, auf einer der untersten Stufen der Treppe, wo ein Affe bereits auf es wartet. Das Kind ohne Namen erkennt, ohne es tatsächlich sehen zu müssen, wie der Affe das andere Kind empfängt, es mit seinen Pranken packt, es gnadenlos zerfetzt und sekundenschnell verschlingt. Im nächsten Augenblick stellt es fest: Das Rauschen und Beben und Sprudeln ist nun vollends verklungen.

Das Kind ohne Namen wartet danach lange am Loch auf das Wasser, und sieht nach einer Weile immer wieder Geschöpfe, die durch den Fall des anderen Kindes neuen Mut gefasst haben, und nun zum Gipfel hoch wollen, um auch das zweite Kind hinunterzustoßen. Doch jedes Mal, dass das Kind ohne Namen eines der spähenden Geschöpfe aus der Ferne mit eisernen Augen durchbohrt, weicht dieses demütig zurück auf seine Stufe, und wagt nicht, es ein weiteres Mal zu versuchen. Als Hunger und Durst des Kindes ohne Namen so groß sind, dass sie es fast von selbst zum Fallen bringen, so groß, dass es fast erneut beginnt, zu zweifeln, zeigt sich endlich, endlich das Wasser, noch bevor das Geräusch zurückkehrt, und das Kind trinkt und trinkt, so viel es kann. Irgendwann geht nichts mehr in es hinein, also legt es sich auf den glatten Gipfel des Monolithen, und schließt zum ersten Mal seit langer, viel zu langer Zeit die Augen. Für ein paar Sekunden nimmt es nicht mehr wahr als den zutiefst gestillten Durst. Mit einem Mal aber entdeckt es in sich etwas, dass ihn an ein Funkeln erinnert, welches er vor langer Zeit auf den Tafelbildern in den Augen der Menschen von damals gesehen hat, den ganz frühen Menschen von damals, bevor der Zweifel ihr einziger Gott geworden war. Das Kind ohne Namen, es entdeckt in sich: Glück. Sofort weiß es, dass dies das Ende ist. Es nimmt einen letzten Schluck vom Wasser, einen finalen, vernichtenden Tropfen, und stürzt sich damit in die kalte Tiefe unterhalb des Lochs. Es fällt, und fällt, und fällt, ohne Aktion, ohne Reaktion, und fällt weiter, bis es blind und taub ist, ohne Sinn für Zeit oder Raum oder Bewegung oder Stillstand – es fällt, bis irgendwann der Fall in seiner puren Individualität das einzige ist, was die Poren seiner innerlich geschwemmten, äußerlich verhärteten Haut noch wahrnehmen können.

 

hallo @paulhoban98

und zuallererst: herzlich willkommen hier.

Das Kind ohne Namen ist ein Individuum wie jedes andere. Es sucht nicht, es findet. Es zweifelt nicht, es will. Es fragt nicht, es nimmt. Es glaubt nicht, es weiß. Es irrt nicht, es versucht es aufs Neue. Es fühlt nicht, es tut. Es benötigt keinen Sinn, keine Wärme, keine Liebe, sondern nur: Sauerstoff. Nahrung. Bewegung.

Den Anfang konnte ich als These lesen, die es zu bestätigen, ode zu widerlegen gilt. So war ich gespannt auf den Text.

Das Kind ohne Namen, es läuft schnell durch einen Korridor, wie es viele hier gibt, und alle sehen gleich aus.

Ich fürchte, ich wackel jetzt an Deinem Grundkonzept des Textes, aber ich wurde mit dieser Wortwahl nicht warm. Warum: Weil es vom Stil her so Nachrichtenhaft und gestelzt wirkt. Wenn Du dich hier im Forum umliest, wird dir öfter begegnen, dass Kommentatoren fragen: "Sagt dir 'Show, don't tell' etwas?" Du erzählst vielm zeigst aber wenig. Das lässt keine Nähe zum Protagonisten zu. Und das ist schade, weil ich als Leser doch gern in die Welt Deiner Geschichte abtauchen würde.

Leider habe ich dadurch einige Absätze nur überflogen und fürchte, dass mir dadurch der tieferliegende Sinn verborgen blieb. <- Das ist dann sozusagen "meine Schuld" ;) Bzw. konnte ich die Bilder dadurch schlecht auseinanderdividieren, was Metapher, was "echt", was Illusion, was Real ist.

Soweit mein wirklich kurzer Leseeindruck. Vielleicht kannst Du damit was anfangen.
Gruß
pantoholli

 
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Hallo,

ich bin, glaube ich, nach dem dritten oder vierten Absatz ausgestiegen. Für mich klingt das eher nach einem Thesenpapier als nach einer Geschichte. Ich hege den schweren Verdacht, dass mir hier eine Botschaft verkauft werden soll, und das so offensichtlich ... schwierig.

Nach meiner bescheidenen Meinung macht der Text quasi alles falsch, was man so falsch machen kann: verwirrender Einstieg, keine Verortung, der Protagonist wird irgendwie vollkommen verquer und verquast eingeführt, null Charakter, nur Behauptetes im Text, kein Dialog, nichts Szenisches, eine lange, sprachlich ungelenke Nacherzählung ... da fällt es schwer, wirklich etwas Positives zu sagen. Das liegt auch an dieser Erzählhaltung, die mir irgendwie so paternalistisch vorkommt, der Text nimmt sich unheimlich wichtig, ohne das jemals einzulösen, da passiert nichts, innerhalb des Textes gibt es keine Spannung.

Gruss, Jimmy

 
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@pantoholli danke für das Feedback. Die fehlende Nähe zum Protagonisten ist durchaus Absicht, es ist weniger ein Protagonist, als ein Symbol dieser dystopischen Welt, was in deren Kälte und Grausamkeit für mich beim Schreiben irgendwie mehr Sinn ergab, da es ja darum geht, dass alle Menschlichkeit längst abhanden gekommen ist...schade, dass das für dich beim Lesen nicht funktioniert hat. Wie gesagt: trotzdem danke!


Hallo @jimmysalaryman,
danke für dein Feedback. Schade, dass das Ganze für dich beim Lesen nicht funktioniert hat. Das ein Text eine klare Verortung und einen menschlichen Protagonist haben muss, egal welche Art der Geschichte, finde ich ein wenig exklusiv, da es ja in diesem Text um den Verlust von Menschlichkeit und Orientierung in der Welt geht, und auch um den Verlust der Welt als Ganzes, so wie wir sie einmal kannten.

Dass dir natürlich die gesamte Erzählhaltung übel aufstößt, ist dann wohl doch noch etwas fataler. Meine Intention war nicht paternalistisch, sondern sollte eher eine Brutalität und Kälte ausdrücken, dieser neuen "Welt", und damit auch seines symbolhaften Protagonisten. Vielleicht bin ich damit etwas zu weit gegangen bzw. zu sehr davon abgedriftet...hast du eine Idee, wie man diese Kälte und Brutalität besser erreichen könnte, ohne dass es wirkt, als nehme man sich zu wichtig, ohne zu paternalisieren?

Dass nichts passiert, stimmt natürlich so nicht, aber da das Geschehen bei dir nichts ausgelöst hat, ergibt es wohl Sinn, dass es sich so anfühlt...

Danke für dein Feedback auf jeden Fall!

 

Das ein Text eine klare Verortung und einen menschlichen Protagonist haben muss, egal welche Art der Geschichte, finde ich ein wenig exklusiv, da es ja in diesem Text um den Verlust von Menschlichkeit und Orientierung in der Welt geht, und auch um den Verlust der Welt als Ganzes, so wie wir sie einmal kannten.
Das ist keine exklusive Sicht. Ich richte mich hier nach deinem Text aus. Der beginnt so:

Das Kind ohne Namen ist ein Individuum wie jedes andere

Das Kind ist also der Protagonist. Das bewegt sich in einem Vakuum, denn die dystopische Welt bleibt erstmal reine Behauptung, die wird nie physisch, ich kann die nicht wahrnehmen, weder sehen, noch riechen, noch schmecken. Ich bekomme überhaupt kein Gefühl dafür. Und dein behaupteter Verlust von Menschlichkeit und Orientierung bleibt eben erstmal nur eins: eine Behauptung. Du müsstest das entpacken, es erfahrbar machen, sinnlich nachvollziehbar, verstehbar anhand von Charakteren, die handeln. Dein Text ist eher wie ein Trakat geschrieben. Du studierst Filmwissenschaften, schreibst du; dann ist dir die Stimme aus dem Off sicherlich ein Begriff. Und so empfinde ich auch deinen Text: als eine Stimme aus dem Off, die mir erstmal alles umständlich erklären will. Wenn diese Stimme endet, beginnt die eigentliche Geschichte.
Was kannst du tun? Schwierig. Vielleicht mal analysieren, wie deine favorisierten Autoren so etwas lösen?

Gruss, Jimmy

 

Du studierst Filmwissenschaften, schreibst du; dann ist dir die Stimme aus dem Off sicherlich ein Begriff. Und so empfinde ich auch deinen Text: als eine Stimme aus dem Off, die mir erstmal alles umständlich erklären will.

Das leuchtet mir jetzt auch tatsächlich ein. Meine Intention war denke ich eher, den Protagonisten als neutraler Beobachter zu begleiten; die Stimme aus dem Off kreiert dann wirklich auch für meine Intention zu viel Distanz. Da muss ich nochmal überlegen, wie das zu ändern ist, ohne die Kälte/Brutalität zu verlieren. Weil eine gewisse emotionale Distanz muss schon noch erhalten bleiben...

die dystopische Welt bleibt erstmal reine Behauptung, die wird nie physisch

Selbst dann nicht, wenn das Kind ohne Namen einen Fisch isst, nachdem es ihm das Genick gebrochen hat, oder die Wesen sich vor seinen Augen gegenseitig zerfleischen? Die Physis ist mir eigentlich schon wichtig, da es ja vor allem die ist, auf die die Wesen dieser Welt eigentlich reduziert sein sollen.

Danke, dass du dir die Zeit nimmst!

 
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Selbst dann nicht, wenn das Kind ohne Namen einen Fisch isst, nachdem es ihm das Genick gebrochen hat, oder die Wesen sich vor seinen Augen gegenseitig zerfleischen?

Das mag zwar passieren, aber es ist mit nichts verknüpft, dadurch kann auch keine Intensität, Intimität entstehen.

Was ich dir vielleicht empfehlen mag: Schau dir mal Texte an, die mit einer neutralen Erzählperspektive geschrieben wurden. Die funktioniert wie die Draufsicht einer Kamera, es wird nur das beschrieben, was passiert, was man sieht. Keine Gedanken des Autoren, die da im Hintergrund herumwabern und dem Leser eine Agenda vermitteln sollen, keine Bewertung, kein Hintergrund. Denk hier ruhig mal filmischer - in Szenen, die etwas auslösen, die einen Konflikt vermitteln, ein Hindernis darstellen, eine Katharsis anbieten. Eine Figur kommt immer anders aus einer Szene heraus, als das sie hineingeht. Du kannst ja im Film auch keine Gefühle spielen; da kommt keiner und sagt im Off: Protagonist C hat nun Angst. Das muss anders gelöst werden. Da kann man eine Menge mitnehmen.

Gruss, Jimmy

 
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@jimmysalaryman

Alles klar, ich werde mich mal dahingehend informieren/einlesen. Ganz so minimalistisch wie ein Drehbuch soll es auch nicht sein, und ein paar der Details zu der Vergangenheit/der Geschichte der Welt von heute bis dahin will ich schon behalten, aber vielleicht mehr als Fetzen/als Überreste, die das Kind physisch findet, mit den Händen anfasst etc.

Dein Feedback hat mir echt geholfen!

 

Hallo nochmal,

ich kann mich der Diskussion mit Jimmy durchaus anschließen. :)

Die fehlende Nähe zum Protagonisten ist durchaus Absicht, es ist weniger ein Protagonist, als ein Symbol dieser dystopischen Welt, was in deren Kälte und Grausamkeit für mich beim Schreiben irgendwie mehr Sinn ergab,

Ich denke ein "symbolischer Porotagonist" funktioniert nicht.

Aber vielleicht mal eine Idee: Wenn das Kind nicht der Protagonist sein soll, dann nimm halt die dystopische Welt als Proagonisten. Vielleicht ist das ein spannenderer Ansatz. (Keine Ahnung, wie man das umsetzt - ist erstmal nur ne Idee :))

Gruß
pantoholli

 

Hallo @paulhoban98

also ich möchte dir erstmal ein Kompliment machen..mit deinem Einstieg hast du mich gehooked, der ist stark und macht neugierig...ist das eine neue Art Mensch, die er da beschreibt, fragte ich mich. Klang so. Beim zweiten Lesen stosse ich mich jedoch daran, dass "das Kind ohne Namen" ein Individuum ist "wie jedes Andere." Irgendwie steht das für mich im Widerspruch mit dem, was danach kommt....es suchen doch die meisten, anstatt zu finden...ein Individuum wie jedes Andere braucht doch Wärme und Liebe...nur das "Kind ohne Namen" braucht anscheinend nur "Sauerstoff, Nahrung, Bewegung."

Im nächsten Absatz schickst du das Kind dann durch einen Korridor, der nicht näher beschrieben wird und weitere Fragen ploppen auf...Hunde und Ratten haben metallische Knochen in dieser Welt okay...das wirfst du uns einfach so vor die Füß ohne weiter draufeinzugehen.

Im nächsten Absatz sinniert das Kind dann über die vergangene Welt und woran sie zugrunde gegangen ist...Emotionen..Zwietracht...Stolz....okay im Gegensatz dazu stehen dann die, die im Moment leben...alright....über die würden wir jetzt gerne mehr erfahren...

doch im nächsten Absatz konfrontierst du uns schon mit der nächsten Spezies, einer Kreuzung aus Affe und Mensch und da war ich dann endgültig raus...

Too much information....show dont tell ! Wenn ich allein den darauffolgenden Absatz überfliege...da werden vier oder fünf Begegnungen des Kindes mit seltsamen Wesen in einen Satz gepackt...

Um es kurz zu machen: Ich finde, die Ideen und Wesen, die du da vor uns ausschüttest wie ein Sack von Murmeln, der sich chaotisch übers Leserbewusstsein verteilt... durchaus interessant...aber du lässt mich hinter jeder Murmel hinterherrennen und wenn ich sie dann in der Hand habe und studieren könnte, wirfst du mir schon wieder die nächste zu...kurzum so kann das niemand lesen....es versteht auch niemand...

mein Tipp: Konzentrier dich mehr auf die Charaktere...auf den Prot....bette ihn in eine HANDLUNG und nicht in die Skizze einer Handlung... hauche deinem Prot mehr Leben ein...wie fühlt sich dieses Kind ohne Namen??? Warum geht es auf diese Reise??

Du kannst was Schönes aus diesen Ideen machen, doch du musst dafür näher ran an deinen Prot und weiter weg von der Vorstellung, dass Du dem Leser erst einmal lang und breit verklickern müsstest wie das so läuft in dieser Welt...zeig es ihm...du musst ihn unterhalten...bei der Stange halten...Stück für Stück mit Informationen füttern, anstatt ihn unter ihnen zu begraben.

Hoffe das war hilfreich.

Frohes Schaffe und BG
N

 
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@pantoholli

Hm naja, gibt ja einen Grund warum es das Kind ohne Namen ist, und nicht mit. Symbolisch war vielleicht falsch ausgedrückt, aber eben kein Protagonist im üblichen Sinn, weil der Mensch selbst in dieser Zukunftsversion kein Mensch mehr ist, wie heute...aber danke, dass auch du das nochmal anmerkst, und danke für den neuen Ideenansatz. Ich werde wohl noch einmal intensiv an der Perspektive und am Ton arbeiten müssen.

Gruß,
Paul

 
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Hallo @Nicolaijewitsch

Vielen Dank erstmal für dein ausführliches Feedback und für deine Zeit.

Dass die Welt als Ganzes den Leser noch nicht wirklich einfängt, bzw. erreicht, scheint ja bisher mehr oder weniger Konsensus zu sein. Wie bei den anderen stellt sich mir als Autor dabei die Frage, ob du das, was dir fehlt, was dir im Weg steht, noch etwas präzisieren könntest - "show don't tell" mag allgemein gültig sein, aber gibt eben auch nur diese allgemeine Auskunft darüber, was ich wie ändern könnte. Einerseits lese ich aus dem Feedback heraus, dass du MEHR bzw. deutlichere Konturierungen der Welt benötigst, andererseits ist dir das von dieser Welt preisgegebene zu viel auf einmal. Heißt das, ich sollte beispielsweise weniger Kreaturen beschreiben, und diese dafür mehr im Detail? Weniger Informationen zur Entwicklung der Welt bis zu diesem Punkt "auftischen" und einfach "in den Raum stellen", und diese dann aber jeweils weiter ausführen?
Dass beispielsweise "Individuum" hier eine andere Bedeutung haben soll, als im Duden, ist für den Leser wahrscheinlich nicht sehr dankbar. Vermeintliche Lehren, die eigentlich als Propaganda funktionieren sollen (was bisher auch nicht wirklich herübergekommen sein zu scheint, und daher als Agenda abgetan wurde), wie z.B. denn "...die Bilder auf den Tafeln haben sie gelehrt, dass es nichts Individuelleres gibt als lebendige Geschöpfe, und je mehr von ihnen man durch Verzehren verinnerlicht, desto mehr wird man selbst Individuum – und das ist das einzige, was zählt", sollten die eigene Logik dieser Welt andeuten, und ihren Kontrast zur heutigen Kenntlich machen. Nun liegt es natürlich an mir, dies klarer und effektiver zu gestalten, aber eben deshalb würde ich mich freuen, wenn du nochmal auf diese Fragen hier eingehen könntest.

Dem Protagonisten mehr Leben einzuhauchen, falls du damit menschliches Leben meinst, wie wir es kennen, würde leider ein wenig das gesamte Ziel der Geschichte untergraben - es sei denn, natürlich, dieses "Leben" in ihm wäre ebenso verroht und brutal wie der Rest der Welt, in der er leben muss. Ich dachte, ich hätte auch das schon zur Genüge angedeutet, aber anscheinend noch nicht auf die richtige Weise...oder eben doch noch zu wenig.

Auch deine Punkte werde ich beim nächsten Überarbeiten berücksichtigen. Dafür vielen Dank, und auch dir noch gutes Schreiben.

Liebe Grüße,
Paul

 

Hallo Paul,

"show dont tell" ließe sich auch so auszudrücken: Erzähle anstatt zu informieren .

Da sind so viele verwirrende Chiffren in deinem Text....das Kind ohne Namen trifft auf das andere Kind, das sich von hinten angeschlichen hat...und dann kommt schon der Schwan...Köpfe rollen...

was soll das alles bedeuten?? Du hast dir bestimmt eine Menge dabei gedacht...aber dem Leser wird nicht klar, wofür der Schwan jetzt gestorben oder gekämpft hat...und das ist jetzt nur ein Beispiel von vielen...

und streiche vielleicht, wie der Kollege Jimmy empfohlen hat, sämtliche Gedanken deines Prots...lass ihn nur handeln...so werden es auch weniger Substantive....

Die nächste Attacke kommt von einem Schwarm mechanischer Maikäfer-Mutationen.

Hier z.B. : 4 Substantive. Und ein Informationsdrop, wo eine spannende Action-Szene hätte entstehen können....beschreibe die Atacke! Wie nähern sich die Maikäfern? Maikäfer sind eigentlich was Schönes...ist es vielleicht erstmal einer, der sich auf die Hand des Prots setzt und er findet ihn schön und bemerkt erst dann sein Gefolge/die Gefahr..


Hoffe, jetzt ist es klarer.

BG und frohes Schaffen!

 
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Hallo @Nicolaijewitsch

Die Übersetzung davon ist mir schon klar :D meinte eher konkrete Beispiele, weil einige die du genannt hast, erschienen mir eher "Show" als "tell" - die äußerliche Beschreibung der Wesen beispielsweise. Aber egal.

Was es bedeuten soll, ja...darüber soll man ja nachdenken können. Natürlich verstehe ich, wenn es da für dich in diesem Fall nicht genug Gedankenfutter gibt, das auch hängen bleibt.

Die Gedanken auf Fetzen zu reduzieren, die direkt von etwas Physischen ausgelöst werden, scheint mir ein Ansatz, um deinen guten Tipp und meine Idee von Ton und Atmosphäre zu verbinden.

Das mit den Substantiven...da muss ich dir wohl recht geben. Ist manchmal wahrscheinlich doch mehr Spielerei, als zweckmäßig, vor allem wenn es in Richtung der Grenzen zwischen Realem und Fantastischem geht.

Auch die Idee bezüglich der Maikäfer gefällt mir, genauso wie die der weiteren Ausführung der Attacke.

Bis zum nächsten Austausch!

 
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Hallo, ich ich muss doch nochmal :)

Dem Protagonisten mehr Leben einzuhauchen, falls du damit menschliches Leben meinst, wie wir es kennen, würde leider ein wenig das gesamte Ziel der Geschichte untergraben

Ein Protagonist muss ja kein Mensch sein. Es gibt genug Science Fiction wo z.B. ein Roboter Protagoist ist. Daher meine abstruse Idee mit der Welt als Protagonist. Nail Gaimen z.B. personifiziert ständig irgendwelche Dinge (Tod, Schicksal, Traum, Stern, "das Fernsehen" ...) um sie als Protagonisten zu verwenden. Aber vielleicht solltest Du doch dem Titelgebendem die Rolle des Protagonisten überlassen - ich denke, das macht es einfacher.
Also "Leben einhauchen" meint nicht, dass der Prot "menschliches Leben" hat, sondern dass der Leser die Situation erLEBEN kann.

ich versuchs mal am ersten Absatz (wo "etwas" passiert):

Das Kind ohne Namen, es läuft schnell durch einen Korridor, wie es viele hier gibt, und alle sehen gleich aus. Nirgends gibt es Fenster, denn es gibt längst keine Sonne mehr. Grelles Licht lässt keine Schatten zu, außer dem der eigenen Gestalt. Das Kind ohne Namen registriert die anderen Geschöpfe, Kinder, Hunde, Ratten, die auf beiden Seiten in seine Richtung starren, doch es braucht nicht in ihre Gesichter zu sehen, um zu wissen: Hier gibt es nichts zu holen. Ihre Körper sind nichts mehr als Hüllen, die letzten Fetzen Fleisch an ihren metallenen Knochen ungenießbar. Will es wirklich Nahrung, weiß das Kind, so muss es weiter, sehr viel weiter. Dorthin, wo die meisten wieder umkehren, weil ihr schwächlicher Körper zu streiken beginnt.

Das Kind ohne Namen läuft durch den Korridor. Kahle Wände - es sieht aus, wie in den Korridoren zuvor. Keine Fenster - es gibt draußen sowieso keine Sonne mehr. Das grelle Licht der LEDs läßt keine Schatten zu.
Am Ende des Korridors kauern Gestalten - Kinder, Hunde, Ratten - und strarren das Kind an. Es ignoriert sie, denn die letzten Fetzen Fleisch an den metallenen Knochen sind ungenießbar.


^^das soll nur ein Beispiel sein. Das ist jetzt auch schnell runtergeschrieben ohne groß drüber nachzudenken. Für mich als Leser ist das die gleiche (oder zumindest ähnliche) Information, nur dass ich den Korridor durch den Protaginisten wahrnehmen.
Klar - wenn ich Infos weggelassen habe, die Du als Autor wichtig findest, muss das noch mit rein - wie gesagt: nur mal ein Beispiel.

Gruß
pantoholli

 
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@pantoholli danke für das Beispiel! Dadurch wird mir die bevorstehende Aufgabe jetzt doch noch etwas klarer.

Schönen Tag noch!

 

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