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Das Kunstwerk
Ein letztes Mal schaute er aus dem Fenster. Blutrot verschwand die Sonne am Horizont und tauchte den Rest des Raumes in ein wohliges Warm. Der Anblick war so schön, dass es ihm beinahe Tränen in die Augen trieb. Doch davon durfte er sich nun nicht ablenken lassen, er hatte ein Kunstwerk zu vollenden. Leises Wispern ging durch den Raum, geschlossenen Auges bewegte er seine Lippen zur Melodie der geflüsterten Worte.
Langsam öffnete er seine Augen, und war sofort hoch konzentriert. Ein Griff zu seinem Handtuch, und er wischte sich den Schweiß von Stirn und Händen. Dreißig geschlagene Stunden war er nun schon zu Werke gewesen, doch er verspürte kein bisschen Müdigkeit. Schon immer hatte er seine Bilder, seine Meisterwerke, ohne Unterbrechung gemalt.
Behutsam griff er zu seinem Pinsel, und näherte sich der Leinwand. Er zog sie ein wenig fester, sie schien noch nicht perfekt zu sitzen. Zittern. Kurz schüttelte er seinen Kopf, Konzentration war angesagt! Jeder Strich war entscheidend.
Leise, doch nicht lautlos, strich sein Pinsel über die Leinen, verband Linien, schuf Formen, brachte Farbe. Musik spielte. Er nahm die Melodie in sich auf, ließ sich von ihr beflügeln, setzte sie um in neue Pinselstriche.
Er betrachtete sein Werk. Es war wunderschön. Sein Herz schien kurz auszusetzen. Schluchzen. Schütteln. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er sagen, es sei lebendig, beinahe als wolle es mit ihm reden, mit ihm spielen, tanzen, diesen Augenblick mit ihm zusammen genießen.
Langsam vollführte er den letzten Pinselstrich. Warmes Blut troff auf seine Finger und auf den Boden. Mit einem klirrenden Geräusch fiel das Skalpell auf den Steinboden. Er wischte ihr die Tränen ab, und schaute zu wie sie, langsam, ganz langsam, aufhörte zu Atmen. Behutsam strich er ihr über die Wange, nun waren es seine Augen, die tränten. Wie er so dasaß, hätten Stunden vergehen können. Dieser Moment, dieser Augenblick, dieses Bild, perfekt.