Was ist neu

Das Lächeln des Kindes

Mitglied
Beitritt
03.12.2005
Beiträge
64
Zuletzt bearbeitet:

Das Lächeln des Kindes

Es war einmal in einer Zeit, in der die Winter noch sehr hart und kalt werden konnten, ein alter Mann. Er wurde von Allen Peer genannt und war bei alt und jung als der Geschichtenerzähler bekannt.
An Tagen, an denen der Wind durch die Fugen der abgenutzten Holzplanken pfiff, und den von der Kälte steif und zerbrechlich gewordenen Porzellanohren der Alten seine unentrinnbare Melodie einflößte, an Tagen an denen der Himmel so dunkel und grau war, dass man ihn trösten musste, waren seine Geschichten wie eine Reise, die alles vergessen ließ.
Seit Jahren hatte Peer die Abende in Gesellschaft der anderen Dorfbewohner genossen und war von ihnen versorgt worden, wenn er das Tagesende mit seiner ruhigen, tiefen Stimme erfüllt hatte.
Doch seit diesem Winter war Peer sehr gealtert. Er merkte, dass seine Stimme kratzig geworden war und die bunten Farben seiner Bilder verblassten. So stellte er sich die Frage, ob er denn sein Dasein seinem Wesen gemäß erfüllt hatte. Hatte er seine Leben als Lückenfüller für triste Momente gefristet, oder war es ihm auch gelungen, die Menschen den Tiefsinn des Lebens spüren zu lassen?

Nun war es Sommer in dem kleinen Dorf am Berghang und es herrschten solch erdrückende Trockenheit und schweißtreibende Hitze, dass die Menschen noch niedergeschlagener von der Arbeit auf den Feldern, als gewöhnlich waren.
Viele der jungen Dorfbewohner hatten das Dorf verlassen, weil das Wetter eine miserable Ernte vorhersagte und waren in die Stadt gegangen, um dort Arbeit in einer der Fabriken zu finden. Dies bereitete Peer Kummer, denn seit Generationen war die Gemeinschaft des Dorfes nur dadurch erhalten geblieben, dass die Jungen und die Alten gemeinsam Arbeit und Feierabend verbracht hatten.
Der weise Mann ahnte, dass es nicht bei dieser einen Veränderung bleiben würde – und er sah die Möglichkeit sich zu beweisen, dass seine Geschichten doch mehr konnten als nur Langeweile kurzweiliger zu machen und so eine Antwort auf seine quälende Frage nach der Erfüllung seines Wesens zu finden.
Es war Zeit, eine Geschichte zu erzählen, die die Alten spüren lassen sollte, dass das Rad der Zeit nicht anzuhalten war. Den Jungen aber galt es zu vermitteln, dass das Glück in der Einfachheit der Dinge liegt.
Alt und Jung vereinte - trotz der schlechten Einflüsse, die das Stadtleben so mit sich bringen konnte - sonntags der Gottesdienst in der kleinen Kirche. Anschließend traf man sich auf ein Glas unter der großen Linde, wo der Wirt Stühle aufgestellt hatte und kalte Limonade servierte.
Dies sollte der Anlass für den Geschichtenerzähler sein, seine Weisheit kund zu tun.
Nachdem alle einen Platz gefunden hatten und das kühle Getränk sich auf Geist und Leib auswirkte, räusperte er sich, strich sich durch den Bart und schloss die Augen, um kurz inne zu halten.
„Seit ruhig! Peer möchte etwas erzählen!“ …ging es durch die Reihen. Die Kinder setzten sich aufgeregt zu seinen Füßen auf den Boden und schauten ihn erwartungsvoll an und die Erwachsenen rückten ihre Stühle mit lautem Quietschen etwas näher.
„Es war einmal…“ begann Peer und erzählte eine Geschichte, die mehr Fragen aufwarf als sie zu beantworten, denn es kam kein Held und keine Handlung in dieser Geschichte vor. Sie erzählte von Weisheiten, die über Jahrhunderte ihre Kreise gezogen hatten.
Als die Geschichte vorbei war, ging zwar ein bewegtes Murmeln und ein unruhiges Flüstern durch die Menge, man klatschte, einige Gesichter sahen etwas verwirrt drein, weil die Geschichte doch etwas ungewöhnlich war. Es wurden einige Worte über das Alter des Geschichtenerzählers gewechselt und langsam ging das Gespräch zu den gewöhnlichen Dingen, dem Tratsch und anderem über.
Ohne dass es jemand bemerkte, zog sich der Geschichtenerzähler aus der Gesellschaft zurück.
„Gerade mal gegen die Langeweile und zum Amüsement wollen die Leute meine Geschichten hören“, grämte es ihn. „Aber zuhören und sich in Frage stellen lassen ist eine Kunst, die die Menschen verloren haben. Es fehlt ihnen an Feinsinn, den Alten, wie den Jungen! Habe ich ihnen nicht gelehrt, dass das Wesentliche unvergänglich ist und dass die Sorgen der Welt verfliegen können, wenn man sich dem Duft einer Blume jeden Tag von neuem hinzugeben vermag? Oder liegt es an ihrer Dummheit? Vielleicht auch doch an meinem Unvermögen?“
Wut und ein Gefühl der Machtlosigkeit breiteten sich in seiner Brust aus. Er erinnerte sich an die etlichen Abende, an denen er die müden Gesichter zum Lachen und die traurigen Gestalten zum Tanzen gebracht hatte und sah jetzt ganz klar, dass sich die Menschen nur zur Abwechslung und Kurzweile auf Reisen in abgelegene Welten führen lassen hatten.
Hatte er sein Ziel verfehlt?
Gedanke um Gedanke wälzend versuchte er an diesem Abend einzuschlafen, warf sich vor, nicht auch einfach Landwirt geworden zu sein und verfluchte die Einfältigkeit der Menschen.
In dieser Nacht hatte der Geschichtenerzähler einen Traum:
Auf einem magischen Teppich sitzend, überflog er etliche Länder, blauweiße Meere und spitze Gebirge, sah Städte und Dörfer, Menschen bei der Arbeit auf dem Feld und begleitete einen Falken bei der Jagd nach Mäusen und Hasen.
Schließlich bewegte er sich auf eine Stadt zu, deren Pracht sich ihm schon von weitem durch ihre vielen Türme und spitzgiebeligen Dächer ankündete.
Als er direkt über der Stadt war, sah er die Menschen geschäftig in den Gassen umherirrend ihrer Arbeit nachgehen. Sah sie in ihrem Alltagstrott, der ihnen illusorische Wichtigkeit verlieh. Und: er sah die Kälte und Bitterkeit in ihren Herzen.
Da bemerkte er, dass seine Anwesenheit einem Kind nicht verborgen geblieben war. Dieses reckte seinen Hals nach ihm und lachte ihm zu. Es winkte ihm, wollte allen mitteilen, was es gesehen hatte, doch keiner hörte ihm zu und es wurde von seiner Mutter ruckartig weiter gezogen.

Das Bild des Traumes verblasste mit dem in der Menge der Menschen verschwindenden lachenden Gesicht des Kindes.

Am nächsten Morgen, als Peer erwachte, war er traurig, aber das lachende Gesicht des Kindes hatte etwas ihn ihm klar werden lassen: dass er das Rad der Zeit nicht anhalten konnte und die Menschen nicht zu der Erkenntnis, dass das Glück in jedem winzigen Moment steckt, zu zwingen vermochte.
Doch er wusste auf einmal, dass er sein Ziel nicht verfehlt hatte, sondern sein blauäugiges Interesse, die Menschen zum Nachdenken zu bringen, ihn selbst von der Einfachheit der Dinge abgebracht hatte. Er hatte versucht der Magie der Geschichte, die an sich schon schön und tiefsinnig war, einen aufgesetzten Sinn zu verpassen.
Denn was konnte eine sinnvollere Aufgabe sein, als jenen Menschen, die nicht vermochten, sich dem Augenblick zu widmen, die Möglichkeit zu geben, mit den Augen eines Kindes zu sehen, dem ein fliegender alter Mann über den Dächern der Stadt nicht entgehen konnte?

 

Hallo, juhulala!

Zu aller erst muss ich dich loben. Diese Geschichte ist dir sehr gelungen. Ich habe sie gerne gelesen - was viel bedeutet, denn um manche Geschichten hier durchzukriegen muss man sich manch ein Mal selbst überwinden. Respekt, die Geschichte ist wirklich schön. :thumbsup:

Auch inhaltlich gefällt mir die Geschichte - ist sie selbst doch ein guter Rat an manchen Geschichtenerzähler hier auf kg.de!:D Mögen sie deinem Rat folgen!

Stil und Sprache stimmen, auch wenn manche Ungereimtheiten sich dennoch bei dir eingeschlichen haben, wie zum Beispiel hier:

Auf einem magischen Teppich sitzend, überflog er etliche Länder,
'etliche' gehört hier meinem Gefühl nach nicht hin. Passt nicht zu der Stimmung. 'Verschiedene' wäre vielleicht besser, noch besser aber 'ferne'.

Doch seit diesem Winter war Peer sehr gealtert.
Hört sich seltsam an, so als ob er im Laufe des Jahres sehr gealtert ist, im Sinne dass er dieses Winter noch nicht sehr alt war, nun aber schon.

Ein paar Fehler, die mir aufgefallen sind:

Das Bild des Traumes verblasste mit dem, in der Menge der Menschen verschwindenden lachenden Gesichtes des Kindes.
Komma bei 'mit dem' gehört weggeschafft. Nicht 'Gesichtes', sondern 'Gesicht'.

 

Danke Anton!

Erst einmal danke, für das Lob und die Verbesserungsvorschläge!:)

Es ist meine erste Geschichte hier und ich war schon fast enttäuscht, weil ich glaubte, niemand würde sie lesen, geschweige jemandem gefallen, oder gar eine konstruktive Kritik geben! :crying:
Zitat:
"um manche Geschichten hier durchzukriegen muss man sich manch ein Mal selbst überwinden."

- kenn ich: deshalb meine Zweifel...

Die Tatsachen haben sich geändert - um 180° - und das ermutigt mich!
Werde mir deine Verbesserungsvorschläge ans Herz legen und gleich mal Hand anlegen!

DANKE!
Jula

 

Es ist meine erste Geschichte hier und ich war schon fast enttäuscht, weil ich glaubte, niemand würde sie lesen
Nur Mut. Manch eine Geschichte wartet hier Monate wenn nicht gar Jahre auf ihre Kritik. Dass man nicht immer balde reagiert, ist nur natürlich, und könnte möglicherweise an dem vielleicht doch etwas unglücklich gewählten Titel liegen.

 

Oh, ja der Titel

Das mit dem Titel ist mir erst so richtig aufgefallen, als ich die Geschichte schon reingestellt hatte... und dass der Titel das erste ist, was die Leute von meiner Geschichte sehen, hätte ich mir ja denken können... :bib:
Vielleicht kann ich den ja ändern lassen - oder kürzen - oder streichen...

 

Titel geändert

ja, ich habe den Titel jetzt geändert - von "der Geschichtenerzähler oder: der Sinn des Sinns" in "das Lächeln des Kindes"---Doch mir scheint, er ist zu einfach, und bewirkt das gleiche, wie der erste Titel, nur von der anderen Seite...;)

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom