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Das Lügengerüst
Der erste Schaufelwurf mit der Erde auf seinen dunkelbraunen, matt schimmernden Holzsarg löste in mir eine komplette Gefühlsänderung aus.
Es war der Augenblick in dem mir bewusst wurde, dass ich mich wahrscheinlich den Rest meines Lebens hassen würde. Ich wünschte er hätte mich nie kennen gelernt. Mir kamen Gedanken, für die in den letzten Tagen einfach kein Platz da war. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt Spuren zu verwischen und ein Alibi und einen Notfallplan für alle Fälle zu erstellen und ich war durch die Hölle gegangen, als ich bei seiner Familie war und so tat als wüsste ich nicht, was genau in dieser Nacht geschehen und wie es dazu gekommen war.
Ich war in gewisser Weise mit einer Hoffnung zu seiner Beerdigung gegangen. Ich hatte erwartet, dass Spuren und somit auch Sorgen von mir mit ihm begraben würden.
Stattdessen sah ich den Mörder meines besten Freundes, wenn ich mich jetzt in den Brillengläsern der Trauergäste spiegelte.
Nein, was soll das?! Es war seine Idee. Ich wäre nie darauf gekommen es wirklich zu tun. Ich hatte zwar schon davon geredet, doch er wird wohl gewusst haben, dass ich es nie ernst gemeint habe. Bestimmt, bestimmt... Ich hatte ihm doch auch noch gesagt, dass es zu gefährlich sei, aber er war schon immer einer gewesen, der seinen Kopf überall durchsetzten musste. Wie damals, als er das Auto eines Lehrers zerkratzte und, als... Ja, er war echt einer, der einen leicht in die Scheise reiten konnte. Ich hatte mehr als einmal wegen ihm auf die Fresse bekommen, es musste irgendwann so etwas passieren! Wenn ich das Zeug nicht besorgt hätte, dann hätte es bestimmt jemand anderes getan. Ich habe es doch nur getan, weil er gemeint hatte ich würde es eh nirgends herbekommen. Ich wollte es nichtmal weiter verticken, ich wollte es einfach mal besitzen und dann wegwerfen. Doch er wollte es dann doch ausprobieren. Es waren auch sein Weed und sein Alk, er hat einfach gewartet, bis ich so fertig war, dass ich ihn nicht mehr abhalten konnte und mich überreden ließ ihm was zu verticken. Ja, er wollte ja unbedingt, er hat mich ja dazu angestiftet es zu besorgen, er hat eigentlich alles provoziert, was passiert ist. Es war fast vorauszusehen, aber er mit seinem Dickkopf... Selber Schuld eigentlich, was kann ich dafür, dass so etwas passiert ist. Wir hatten immer davon geredet, dass Chemie etwas ganz anderes ist.
Ein heraneilender Zug reist mich aus meinen Gedanken und mein aufgebautes Lügengerüst zerfällt innerhalb von nur einem Augenblick. Es hatte mir ermöglicht, mir während der ganzen Prozedur nichts anmerken zu lassen und mich nach der Beerdigung rasch zu verabschieden. Unter mir rast der Zug vorbei.
Ich stelle mich ans Geländer und zünde eine Zigarette an. Ich verfolge den Zug, bis nach einiger Zeit nichts mehr von ihm zu sehen ist. Ich beuge mich weit über das Geländer. Bis jetzt hatten hohen Brücken mir immer Angst eingejagt, doch jetzt war es mir ganz egal. Was wenn ich abrutschen würde? Egal, vielleicht war es ja das Beste? Was wenn alles rauskommen würde? Wahrscheinlich werde ich eh nie wieder ruhig schlafen können.
Ich hebe ein Bein an und merke, dass der Druck vom Geländer auf meinen Bauch wächst. Ich strecke mich immer weiter nach vorne und merke wie ich an Halt verliere und rutsche. Ich könnte mich noch mit den Armen am Geländer festhalten, doch ich mach es einfach nicht.
Ich falle.
Über mich selbst erstaunt sehe ich den Boden wie irreal auf mich zurasen. Verdammt was habe ich getan?! Seine Familie wird nie erfahren, was wirklich geschehen ist. Verdammt, meine Familie, meine Mutter, mein kleiner Bruder, mein