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Das Leben, das ich hätte führen können...
Ich höre die Stadt. Draußen. Autos, Menschen, Regentropfen. Ein Zentimeter Glas trennt das Universum in zwei Teile. In einem Teil sitze ich. Rühre mit einem Löffel in meinem Kaffee. Mir gegenüber am Ecktisch sitzt meine Frau.
Der andere Teil ist dunkel. In Nacht gehüllt. Und erstrahlt in bunten, kalten Lichtern. Die nasse Fahrbahn spiegelt tausend Lichter zu noch einmal so vielen. Verrückt. Alles. Irgendwie.
Sie redet nicht. Studiert die Karte. Ich sehe zur Strasse hinaus. Mich blickt das Gesicht an, das ich flüchtig kenne. Mein Eigenes. Spiegele mich schwach im großen Fenster des Cafés.
Ich blicke mir in die Augen. Die Gedanken treiben. So trüb wie das Wetter sind sie.
Ich bewege lautlos meine Lippen. Flüstere mir selber tonlos: "Wer bist du?" zu. Beobachte mich dabei. Menschen laufen schnell und mit hochgezogenen Schultern durch mein Gesicht.
Morgen muss ich wieder zur Arbeit. Dann wieder Heim. Dann all die kleinen Verpflichtungen erfüllen. Immer daran denken, die Duschkabine morgens (pünktlich halb acht nach dem Duschen) auszuputzen - der Kalk-, immer daran denken, den Müll zu trennen (weil ich so unsere Erde rette - mh), die kleinen Routinen im Büro zu erfüllen, "To Do"-Listen zu erstellen und Geld zu verdienen um weiter zur Arbeit gehen zu können, das Auto zu halten, das Benzin zu zahlen, das Telefon, den Strom, die Fernsehgebühren, all meine modernen Fesseln.
Meine Träume, Wünsche, moralischen Ziele, Weltverbesserungsvorschläge aus meiner Jugend sind begraben - verschüttet unter einem ordentlichen Leben.
Ich sehe zu meiner Frau. "Ich bin unglücklich, weißt du", flüstere ich.
"Uns verbindet nicht Liebe, mehr Zweckmäßigkeit. Der Spatz in der Hand, weißt du..."
Sie studiert weiter die Karte. Kann sich nicht entscheiden, welchen der nicht-dick-machenden Salate sie nehmen soll.
"Wir ergänzen uns prima, wir sind füreinander da, halten zu einander, schlafen regelmäßig miteinander - mehr aus Gewohnheit", flüstere ich weiter. "Was nur lief schief? Das ist doch nicht, was ich wollte. oder?" In der Nase zieht es. Ein paar Tränen kullern die Wangen entlang.
"Weißt du, ich beneide so viele mir fremde Menschen. Die Forscher auf Galapagos, Archäologen in der wüste Gobi, Kindererzieher, Physiotherapeuten, Altenpfleger, Berufskiller, ach ich weiß auch nicht."
Ich stütze den Kopf in meine Handflächen. Spüre nässe. Sehe in das spiegelnde Fenster. Meine Tränen und der Regen draußen verschmelzen miteinander.
"Tränen im Regen" flüstere ich. Ein melancholisches Bild.
"Ich glaube ich nehme den Cäsar-Salat", sagt sie.