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Das Leben hat keinen Filter
Gewohnheit empfand er ohnehin als langweilig. Er strich sich eine Strähne seines dunkelblonden Haares aus dem Gesicht. Von dem Balkon des Hauses seiner Freundin aus hatte er den wohl bestmöglichen Ausblick über die Stadt, die nun in die Dunkelheit der Nacht eingehüllt war. Der Rauch seiner in Hast gedrehten und filterlosen Zigarette brannte in seiner Lunge und seinen Augen zugleich, sodass ihm Tränen in die Augen schossen. Insgeheim freute er sich jedoch darüber, denn nun hatte er ein Mittel, um ihr ein schlechtes Gewissen zu machen.
Beim Betrachten der leuchtenden Fenster der Stadt fielen ihm hauptsächlich irrationale Sätze ein: „Hinter all diesen Fenstern wohnen Menschen, jeder mit seinen eigenen Sorgen und manche von ihnen quälen sich womöglich mit unheilbaren Krankheiten. Was ist schon mein Schicksal dagegen?“ Sein Problem war, dass ihm sein Schicksal gefiel und vor allen Dingen es zu dramatisieren. Er würde sich wieder wochenlang eingraben, Freitagabende alleine verbringen und lange geplante Treffen kurzfristig aus Befindlichkeitsgründen absagen, nur um wohltuende Aufmerksamkeit zu ergattern. Dann sei er bereit für einen neuen Abschnitt. Sollte dies nicht der Fall sein, dann würde er sich einfach dazu zwingen.
Ein Grinsen konnte er sich nicht verkneifen. Er würde nie wieder zu diesem Ort herkommen. Mit zittrigen Händen drehte er sich eine weitere Zigarette, steckte sie an und ging vom Balkon aus durch das Wohnzimmer des Nichtraucherhaushaltes, um seiner Ex-Freundin und dem Anderen ein schönes Leben zu wünschen. Er fühlte sich frei, schmerzend frei. Betrogen, aber trotzdem über die Situation erhaben.